Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 23
Оглавление15. Füße müssen gepflegt sein
Wie war dein Gefühl, als du nach Hause gefahren bist?
Ich war insgesamt sehr zufrieden, zumal ich auf ’m Nachhauseweg auf ’nem Bauzaun noch mal Plakate des Laughing-Pancake-Festivals entdeckte. Und ja, da stand neben anderen Bands tatsächlich der Name Baden-Württemberg. Ich war mächtig stolz, denn bald würde ich mein erstes Konzert spielen.
Die Sache schien sowieso ein Glücksfall zu sein. Albert und Larry kamen meist erst am frühen Abend, so dass ich von mittags an bis zum späten Nachmittag Schlagzeug üben und Sachen ausprobieren konnte. Wenn Larry und Albert dann eintrudelten, spielten wir oft stundenlang sozusagen drauflos. Die Sache machte wirklich Spaß, obwohl ich mir schon ’n bisschen mehr Struktur in den Songs gewünscht hätte. Obwohl von „Songs“ ja keine Rede sein konnte.
Zwischendurch spielten mir Larry und Albert auf ihrem Tonband Sachen von Grateful Dead, Country Joe & The Fish und Quicksilver Messenger Service vor. Nicht alles gefiel mir, denn eigentlich hätte ich dafür Drogen nehmen müssen. Aber es erweiterte meinen musikalischen Horizont ungemein. Manches klang sogar wie wir, was ich toll fand. Ich fieberte meinem ersten Konzert förmlich entgegen.
Ein Monat Vorbereitungszeit war ja eigentlich nicht viel.
Bei dieser Musik war das völlig wurscht, denn eigentliche Kompositionen existierten ja nicht. Die Musik klang jedes Mal anders. Manchmal murmelte Albert zu der Musik merkwürdige Sachen wie „Noch schlafen die Steine“ oder „Lass den Tonkopf nicht hängen“ während die Orgel dazu bedrohlich wimmerte. Da hätte ich schon gewarnt sein müssen.
Alles war klar für den großen Auftritt, wir waren durchaus sowas wie eingespielt. Zumindest wusste ich, was ich spielen wollte, bloß eine wesentliche Kleinigkeit wusste ich noch nicht.
„Sagt mal, wann treten wir denn überhaupt auf?“, fragte ich bei der sogenannten Generalprobe.
„Wir sind die letzte Band, die spielt. Ich denke mal, so kurz nach Mitternacht“, antwortete Larry.
„Mitternacht?“, schrie ich entsetzt, „wieso denn erst um Mitternacht, ich denke, das Festival geht schon nachmittags los?“
„Klar, Mann“, meinte Albert, „aber was meinst du, was da abgeht. Es gibt den ganzen Tag Theater, Performance und Happenings. Und dann musst du auch die Umbauzeiten bedenken. Mann, nun stell dich doch nicht so an. Mitternacht is’ doch keine Schlafenszeit.“
„Vielleicht für euch nicht, aber ich bin doch erst 16. Meine Eltern werden mir nie erlauben, dass ich so lange wegbleibe.“
„Ach, du schaffst das schon. Is’ doch Wochenende. Lass dir was einfallen, bist doch kein kleines Kind mehr“, meinte Larry.
Und dir ist was eingefallen?
Musste mir ja. Im Endeffekt war es ’ne simple, aber dennoch wirkungsvolle Notlüge. Ich erklärte meinen Eltern, dass ich bei meinem Freund Thomas, der Geburtstag hätte, übernachten würde. So einfach war das. Meine Eltern willigten tatsächlich ein. „Bist ja alt genug“, meinten sie generös ohne groß nachzufragen. Aber war ich wirklich alt genug für das, was mir bevorstand? Wir trafen uns dann am besagten Festivaltag gegen Nachmittag.
„Vorher sind wir einfach zu nichts fähig“, erklärte Albert, der aber immer noch fähig genug war, im klirrendkalten Spätherbst weiterhin wie Larry seine ungepflegten Füße in Sandalen ohne Strümpfe zu stecken – wie auch an diesem Tag. Ich war fassungslos.
„Sagt mal, ihr werdet doch beim Auftritt nicht auch noch Sandalen tragen?“, fragte ich empört.
„Klar Mann, wieso denn nicht? Wir kämpfen schließlich auch für die Freiheit der Füße“, meinte Albert.
„Auf diese Freiheit verzichte ich. Kommt nicht in die Tüte, sonst trete ich nicht mit euch auf. Ich dreh’ sonst durch beim Trommeln.“
„Hey Mann, wie bist ‘n du drauf? Was hast ‘n gegen Füße?“, fragte Albert fassungslos.
„Ich hab’ nichts gegen Füße, aber gepflegt müssen sie sein.“
Larry schaute mich an, als hätte sein heiß geliebter Frank Zappa gerade erklärt, dass dieser für Roy Black schwärmt: „Hey Mann, was bist du denn für ’n Spießer?“
Bisher gaben Albert und Larry den Ton an, aber in diesem Punkt ließ ich nicht mit mir reden. „Bin kein Spießer, aber ich werde mit keiner Band auf die Bühne gehen, die Sandalen trägt. Rockmusiker, die Sandalen tragen, geht gar nicht.“
Larry blickte fassungslos zu Albert: „Hör dir den mal an“. Und dann zu mir: Ich besitze überhaupt keine andere Schuhe und der Albert auch nicht.“
„Dann fahren wir eben jetzt bei ’nem Schuhgeschäft vorbei. Notfalls bezahl ich euch das vorn geschlossene Schuhwerk von meinem Taschengeld. Heute ist „Langer Samstag, wir geh‘n zu Salamander, da bekommen wir noch den neuesten Lurchi-Comic, die sammel ich nämlich.“
„Auja, auf Lurchi steh ich, kommt gut auf LSD“, meinte Albert unerwartet.
„Lurchi ist scheiße“, erwiderte Larry, der stets ’ne Spur aggressiver als sein Kompagnon war.
„Was hast’n gegen Lurchi-Comics?“, fragte Albert.
„Ich hab nichts gegen den Comic, sondern was gegen Lurchi.“
„Was hast ‘n gegen den fröhlichen Salamander?“, fragte Albert wieder.
„Der Fascho-Lurch hat immer so einen absoluten Führungsanspruch und ist immer derjenige, der die Lorbeeren erntet. Seine Kumpels Hopps, Pippin, Mäusepiep, Igelmann und Unkerich dürfen immer nur applaudieren, wenn Lurchi mal wieder die Welt rettet. Außerdem wird bei denen zu viel gesoffen.“
Gut, mir waren Hopps und Unkerich auch immer sympathischer als der Oberstreber Lurchi, aber das wollte ich nicht vor dem Konzert diskutieren.
„Wir fahren trotzdem zu Salamander“, meinte ich kategorisch. Als wir den Laden betraten, kamen sich Albert und Larry völlig fehl am Platze vor und ich wunderte mich, dass die beiden nicht umgehend rausgeschmissen wurden.
„Mann, das ist doch hier ’n Kindergarten“, stöhnte Albert.
„Hier gibt’s auch Schuhe für Erwachsene“, erwiderte ich und sagte dann zur Verkäuferin, die sichtlich irritiert auf uns zukam: „Diese beiden Herren brauchen dringend vorn geschlossenes Schuhwerk.“
„Und wohl auch mal dringend eine Pediküre“, meinte die Verkäuferin pikiert, und blickte angewidert auf die langen Zehennägel von Larry und Albert, die vor Dreck halbschwarz waren.
„Seht ihr“, meinte ich zu Larry und Albert, die mich ansahen, als wäre ihnen Lurchi persönlich erschienen. Albert und Larry entschieden sich dann glücklicherweise für geschlossene Segelschuhe, die wegen des Sommerschlussverkaufs kaum was kosteten.
„Können wir unsere Sandalen bei Ihnen in Zahlung geben?“, fragte Albert ernsthaft. „Sie können mir diese Fetzen geben und ich werfe sie in den Mülleimer“, antwortete die Verkäuferin schnippisch.
„Sind Sie wahnsinnig? Nee, nee, da ziehe ich die Dinge lieber wieder nach ’m Konzert an“, erwiderte Albert empört.
„Damit das klar ist, das machen wir nur für dich, weil du so ein erstklassiger Drummer bist“, meinte Larry, als wir das Schuhgeschäft verließen und im VW-Bully mit den Instrumenten weiter zum ehemaligen Schlachthof fuhren.
„Werd ich euch nie vergessen“, höhnte ich. Als wir ankamen, war ich vom Anblick der Szenerie schon beeindruckt.
Der ehemalige Schlachthof war beleuchtet wie ’n Weihnachtsmarkt. Aus allen Fenstern des mehrstöckigen Gebäudes dröhnte Musik und Stimmengewirr. Alles strömte zum Eingang, wo man links und rechts über breite Treppen alle Etagen erreichen konnte. Überall roch es nach Patschuli, Parfüm und Zigaretten, und überall standen Jungs und Mädels, die rauchten, tranken und miteinander quatschten. Auf jeder Etage gab es ’ne Bühne, und die Räume waren mit psychedelischen Lichteffekten durchflutet. Auf jeder Etage gab es zudem sogenannte „Psychedelic-Pancakes“ zu kaufen. Was es damit auf sich hatte, sollte ich noch erfahren.
Wir bahnten uns mit Mühe den Weg durch das Gewimmel. Dann kamen wir endlich auf die Etage, wo wir spielen sollten und die von unzähligen Kerzen erleuchtet war. Zudem liefen überall Generatoren, die in der frühwinterlichen Kälte einigermaßen wärmten. Und dann sah ich die Bühne: Sie war kreisrund in der Mitte aufgebaut.
So ähnlich wie die Bühne von Yes bei der „Tormato“-Tour Ende der 1970er-Jahre?
Damit will ich sie jetzt nicht vergleichen. Sie war kleiner und natürlich drehte sich die Bühne nicht. Die Verstärker hingen an der Decke. Auf der Bühne spielte gerade ’ne Band ’ne wirklich wilde Musik, zu der ’ne Frau in wallenden Gewändern tanzte. Ich war erstmals mitten unter den Menschen, vor denen mich meine Eltern immer warnten: Gammler, Hascher und Hippies.