Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 41

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32. Essex Over England

Adrian: Für eine Band im Jahre 1970 nahmen wir schon verdammt viel Equipment mit auf Tour. Bei mir war es der Steinway-Flügel, die Hammondorgel, das Fender Rhodes, das Hohner Clavinet, das Mellotron und der Moog, wenn auch in einer ziemlich abgespeckten Version.

Riggbert: Ich nahm zwei Akustik-Gitarren, zwei-E-Gitarren und zwei E-Bässe mit. Stefan brachte es mit seinem Pearl-Kit auf sechs Concert-Toms, zwei Floor-Toms und sechs Becken, dazu kamen Kesselpauken und ein Gong. Damit war schon ein Lkw vollgestopft. Die Verstärkeranlage teilten wir uns wie üblich mit den anderen Bands, damit die Umbaupausen nicht so lang wurden.

Maxner: Schon die erste Tournee artete zu einer kleinen Materialschlacht aus. Besonders Wolfgang und Stefan waren wie Kinder, die immer das neueste Spielzeug haben wollten. Du musst bedenken, dass so viele Instrumente auf der Bühne Anfang der 1970er-Jahre völlig unüblich waren. Das machte die anderen Bands wütend, weil unser Auf- und Abbau immer am längsten dauerte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt schufen sich Adrian, Riggbert & Theyler die ersten Gegner.

Adrian: Wir mussten halt den Flügel, die Orgel und alles andere mitnehmen, weil alles auf unserer Platte zu hören war – und diesen komplexen Sound wollten wir auch auf der Bühne reproduzieren.

Maxner: Wir waren die einzige der drei Bands, die einen kompletten Lkw beanspruchte. Die von Essex für uns angeheuerten Roadies waren bald stinksauer auf uns. Die beiden anderen Bands besaßen ja nur ein paar Gitarren und ein kleines Drumkit und bei uns mussten sie die schwere Hammond, den riesigen Moog und das vielteilige Monsterschlagzeug auf die Bühne schleppen.

Da waren von meiner Seite immer ein paar Extra-Pfund-Noten nötig, sonst hätten diese Jungs irgendwann gestreikt. „So viele Instrumente für so eine Shit Music“, raunte mir ein Roadie mal verächtlich zu.

Der stand wohl auch eher auf Blues-Rock.

Und er war nicht der einzige. Die meisten sahen uns als Exoten und behandelten uns wie Aussätzige. Wir waren Deutsche, die auch noch den Nerv besaßen, sich nach deutschen Nachnamen zu benennen, obwohl die recht international klangen. Die Bandmitglieder sahen aus wie Halbwüchsige, spielten aber eine Musik, als wären sie schon mit dem Schnuller im Mund aufs Konservatorium gegangen.

Mit Rain Garden kamen war ja noch ganz gut klar, das waren Hippies, aber die schlichten Blues-Gemüter von den Cotton Cookies hassten uns. Und in dieser heiteren und kameradschaftlichen Stimmung waren wird dann sage und schreibe vier Monate lang auf Tour mit sage und schreibe rund 80 Konzerten.

Essex heizte den Wettbewerb zwischen den Bands nochmal kräftig an. Wie mir ein Bandmitglied später berichtete, soll er zu den Cotton Cookies gesagt haben: „Ihr lasst euch doch von diesen Milchbubis nicht die Show stellen. Strengt euch an, sonst habt ihr bei Essex keine Zukunft.“

Riggbert: Anfangs war es der absolute Stress, weil wir uns für die Bühne mit den vielen neuen Arrangements und Instrumenten erst vertraut machen mussten. Nach der fünften und sechsten Show lief es dann richtig gut – bis auf den Moog, bei dem lief immer was falsch.

Theyler: Was Kenny und Wolfgang in tagelanger Programmierarbeit für die Platte zusammenbastelten, musste Wolfgang für das Konzert jetzt in Sekunden abrufen. Wolfgang hat deshalb mit dem störrischen Vieh geradezu ’nen musikalischen Kampf ausgetragen. Mal gewann Wolfgang, dann wurden wir mit tollen Moog-Sounds belohnt, mal verlor Wolfgang und dann klang der Moog wie ’ne liebeskranke Kuh.

Adrian: Nicht nur der Moog versagte regelmäßig seinen Dienst, auch das Mellotron machte immer wieder Zicken, weil diese primitive Mechanik so anfällig war.

Riggbert: Ein paar Mal mussten wir tatsächlich aufhören zu spielen, weil beim Mellotron die Tonbänder hakten. Dann kramte Wolfgang den Schraubenzieher raus und schraubte die vordere Abdeckung ab, um die Tonbänder wieder in Gang zu bekommen. Ich überbrückte die Pausen dann immer mit irgendeinen Quatsch, den ich zum Publikum sprach: „Sorry, aber unser Organist sucht gerade den Notenschlüssel“ und ähnlichen Schwachsinn.

„Sag nicht immer Organist, ich bin Keyboarder“, zischte Wolfgang jedes Mal wütend.

Michael und Stefan berichteten mir von den vielen Pannen mit Mellotron und Moog auf der Essex-Over-England-Tour. Du hättest mehr rumgeschraubt als gespielt.

Adrian: Alles wieder maßlos übertrieben. Klar ging manches daneben, aber so ist das eben bei Live-Konzerten. Wir waren ja in gewisser Hinsicht Pioniere. Für mich waren das wichtige Erfahrungswerte. Aber haben dir die beiden Schlaumeier auch erzählt, dass es oft gut funktionierte, und die Leute dann total fasziniert waren? Glaubst Du wirklich, wir wären so erfolgreich gewesen, wenn ich auf der Bühne nur rumgeschraubt hätte?

Gästebucheintrag auf der Fan-Website www.art-history.com (offline):

Ich sah Adrian, Riggbert & Theyler am 12. April 1970 auf der „Essex Over England“-Tour in Leeds. Die Universitätsaula war bei weitem nicht ausverkauft. Adrian, Riggbert & Theyler spielten als letzte Band. Es war schon spät und ich hätte sie beinahe verpasst. Die beiden anderen Bands, deren Namen ich mittlerweile vergessen habe, waren so öde, dass ich schon gehen wollte.

Dann sah ich, wie die Instrumente aufgebaut wurden: Ich sah den riesigen Moog-Synthesizer, das gigantische Schlagzeug und ich wurde neugierig. Ich blieb also und sollte es nicht bereuen. Das Konzert begann mit einer dunklen Bühne und einem merkwürdigen Zwirbelsound, der vermutlich vom Moog stammte und der die Spannung erhöhte. Dann kam ein leises, düsteres Grummeln, das langsam immer lauter wurde, was wiederum Theyler mit seiner Kesselpauke produzierte. Dazu machte

Riggbert auf der E-Gitarre bizarre Geräusche, als sei ein Ufo gelandet, das war die „Electronic Ouvertüre“. Dann wurde die Moog-Sequenz immer lauter, bei der Theyler wie irrsinnig auf seinen Gong schlug.

Die Spannung war auf dem Siedepunkt, als die Band mit einem Irrsinnstempo in „Prelude To Power“ einstieg. So was hatte ich vorher noch nie gehört: Diese Mischung aus wütenden Orgelattacken und rasenden Pianoläufen, angetrieben von Riggberts treibendem Bass-Spiel und Theylers Powerbeat im Turbotempo. Es war ein magischer Abend. Am nächsten Tag habe ich mir sofort das Album geholt.

Riggbert: Trotz der Moog-Mellotron-Misere heimsten wir immer den meisten Applaus ein, was die anderen Bands noch wütender auf uns machte.

Maxner: Die Tour war insgesamt schwach besucht, und selbst die kleineren Hallen mit knapp 1000 Zuschauern Fassungsvermögen waren bei weitem nicht immer ausverkauft. Wen wundert’s, kaum einer kannte die Band und das Label. Ich fürchtete schon, dass es ein Fehler war, bei Essex zu unterschreiben.

Aber es war toll, die drei Jungs auf der Bühne zu erleben: Adrian, der wie ein Derwisch zwischen seinen Keyboards hin und her pendelte, Riggbert mit seiner Stimme, seiner Ausstrahlung und seinem hervorragenden Bassspiel. Und dann Theyler, der hinter seinem riesigen Arsenal punktgenau und formvollendet trommelte. Sein Schlagzeugsolo war stets ein Höhepunkt der Show.

Und dann zeigte sich noch ein Phänomen: Bei Riggberts Ballade „We Are Alone“ hörte das Publikum erst andächtig zu, um dann frenetisch zu jubeln.

„We Are Alone“ erwies sich als epochaler Schritt für die Band.

Der aus der Not heraus entstand. Bei einem Konzert, ich glaube es war in Watford, roch ich wieder diesen beißenden Zigarrenqualm. Es war Lord Essex, der plötzlich neben mir stand. Ich erschrak zunächst, denn ihn hatte ich hier nicht erwartet. Dann zog er mich in eine ruhige Ecke und begann auf mich einzureden: „Deine Jungs sind wirklich klasse, da gibt es keinen Zweifel.“

„Danke, das gibt uns Auftrieb.“

„Gibt nur ein Problem: euer Album ist ein absoluter Ladenhüter. Ich verstehe auch nicht wieso. Leider sind die Platten der anderen Bands auch ein totaler Flop und die Besucherzahlen erschreckend mager. Wir sind jetzt einen Monat auf Tour und machen nur Verluste. Ich musste deshalb reagieren.“

Mir fuhr ein gewaltiger Schreck in die Glieder. Was meinte er damit? Hatte er etwa unseren Plattenvertrag aufgelöst? Sollte etwa alles vorbei sein, bevor es richtig anfing?

„Ich habe mir jetzt mehrmals die Konzerte angeschaut. Die Leute sind von We Are Alone absolut begeistert, und dieser Song ist absolut hitverdächtig. Eine Schande, dass wir das bisher nicht als Single ausgekoppelt haben, aber das habe ich jetzt nachgeholt. Das könnte nämlich ein zweites Nights In White Satin, Yesterday oder A Whiter Shade Of Pale werden.“

„Aber die Jungs wollen doch keine Singles, sie sehen sich als Albumband mit Anspruch.“

Der Lord winkte verächtlich ab: „Albumband mit Anspruch, wenn ich so einen Shit schon höre. Können sie ja auch gerne sein. Ich gewähre den Jungs wirklich genügend Freiheiten, aber das kostet mich auch alles eine Stange Geld und bisher ist davon nichts zurückgekommen. Diese Essex-Over-England-Tour ist ein gewaltiges Zuschussgeschäft. Ich habe zwar viel Geld, aber nicht unendlich viel. Jetzt muss auch mal Geld reinkommen, denn ich will erfolgreich sein.“

„Aber wie soll ich das meinen Jungs erklären?“

„Gar nicht, sie brauchen davon erst mal nichts zu erfahren. Deine Jungs sind mit der Tour genug beschäftigt. Die Single ist bereits veröffentlicht und dank meiner Kontakte läuft der Song bereits im Radio. Wenn es ein Hit wird, werden sie es noch früh genug erfahren und mir dankbar sein. Und wenn nicht, dann war es einen Versuch wert. Du hältst auf jeden Fall die Klappe, ist das klar?“

Bevor ich was erwidern konnte, verschwand der Lord wieder in den dunklen Hallengängen.

Sex, Drugs & Symphonies

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