Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 38
Оглавление29. Der Staub der Rolling Stones
Wolfgang, dann kam während der Aufnahmen zum Debütalbum der Augenblick, der vieles in der Band veränderte.
Adrian: Du meinst den Moog-Synthesizer?
Es ranken sich ja viele Mythen und Legenden darum, von Tod und Fluch war mal zu lesen.
Du meinst, wegen Brian Jones?
Brian Jones? Auf jeden Fall die Sache mit Jim Morrison.
Die Sache mit Jim Morrison entpuppte sich als Albtraum. Wo fange ich an? Nun, wir machten gerade eine Pause von den Aufnahmen zum ersten Album. Michael und Stefan waren unterwegs, um eine Portion Fish 'n' Chips zu essen oder sowas. Ich hingegen blieb mit Ken im Studio, denn ich benötigte keine Pause.
Wir hörten wohl in einen Take rein oder feilten an einem Sound. Während das Band lief, blickte ich mich mal kurz in dem doch riesigen Studio um. Komischerweise entdeckte ich erst jetzt in einer Ecke ein meterhohes Etwas, das mit einer blauen Plastikplane abgedeckt war.
„Sag mal, was verbirgt sich denn da hinten unter der Plane?“, fragte ich Kenny.
„Ein Moog-Synthesizer“, meinte Ken seelenruhig, ohne vom Mixer aufzublicken, ich aber war außer mir: „Was? Ein Synthesizer? Wow!“
Ich kannte die legendäre Platte „Switched-On Bach“ von Wendy Carlos, die ausschließlich mit dem Moog-Synthesizer aufgenommen war, aber ich hatte bis dato noch nie einen in natura gesehen.
Ich stand auf, ging auf das verhüllte Monument zu und zog langsam die Plastikplane ab. Was ich dann erblickte, haute mich um. Der Kasten erinnerte mich an den Wohnzimmerschrank meiner Eltern – aber ohne Hausbar, Porzellanfigürchen und Heinz-Konsalik-Bücher. Stattdessen befanden sich an der Vorderseite unzählige Schalter, Drehknöpfe und Eingänge, die teilweise mit Klinkensteckerkabeln verbunden waren. Das Ganze sah aus wie eine hochwissenschaftliche Apparatur.
„Wo kommt denn der Moog auf einmal her?“, fragte ich.
„Von den Rolling Stones“, meinte Kenny in einem Tonfall, als wäre das die normalste Sache der Welt; das war es für mich keineswegs.
„Von den Stones? Häh, seit wann spielen die denn Synthesizer? Im Hyde-Park habe ich das Ding nicht geseh’n.“
„So ein Ding stellt man ja auch nicht auf die Bühne“, erklärte Kenny.
Der Satz hätte mich bereits warnen müssen, aber ich hörte gar nicht hin: „Was haben die Stones denn damit gemacht? Hat Keith Richards damit seine Gitarre verfremdet?“
„Nein, Richards nicht. Bill Wyman spielte ihn beim Album Their Satanic Majesties Request auf dem Stück 2000 Lightyears From Home.“
„Den Song kenne ich, aber ich kann mich nicht an Synthesizersounds erinnern.“ „Waren auch nur ein paar Kurzwellen- und Windgeräusche, wirklich nicht der Rede wert. Sollte wohl wie ein spaciger Orkan klingen, war aber musikalisch eher ein laues Lüftchen. Wyman erzählte mir auf einer Party, dass ihn das Ding fast um den Verstand brachte.“
„Wirklich? Klingt interessant. Was einen Stone um den Verstand bringt, reizt mich besonders.“
„Deswegen wollte er das Monster, wie er es nannte, unbedingt wieder loswerden. Their Satanic Majesties Request war ein Flop. Außerdem entfremdete sich danach Brian Jones von den Stones. Wyman ist davon überzeugt, dass der Moog verflucht ist und ein ganz bestimmter Sound tödlich sein kann. In diesem Fall soll er Brian Jones getötet haben.“
„So ein Schwachsinn“, kommentierte ich, „ich dachte immer, nur Richards und Jones hätten einen an der Klatsche. Wyman wirkte immer so seriös. Warum steht das Gerät dann hier rum?“
„Essex glaubt ebenso wenig an verhexte Synthesizer wie du. Er hat Wyman das Gerät für ein paar Pfund abgeschwatzt. Seitdem steht das Ding eben hier rum.“
„Und keiner beschäftigt sich damit?“, fragte ich verwundert.
„Ich wollte mich demnächst mal darum kümmern, aber wie du vielleicht weißt, bin ich bisher den ganzen Tag mit den Aufnahmen zu eurem Album beschäftigt.“
„Wenn sich da keiner herantraut, mache ich eben den Anfang. Immerhin hat das Ding ja eine Klaviertastatur, also ist das Ding ja wohl für Keyboarder gemacht.“
Ist dir Wolfgangs erste Begegnung mit einem Synthesizer auch so lebhaft in Erinnerung geblieben?
Tischler: Absolut, er war plötzlich wie von einem Fieber befallen. Zunächst regte er sich aber darüber auf, dass das Ding so verstaubt war: „Eine Frechheit von den Stones, einen Synthesizer so verstauben zu lassen.“
„Du bist wahrscheinlich der Erste, der sich über den Staub der Stones beschwert“, lachte ich.
„Und wieso ist diese Sektion hier überklebt? Treten da giftige Gase aus?“
„Angeblich wäre das laut Wyman die Einheit, bei der durch eine bestimmte Einstellung der Todesfluch ausgelöst wird.“
„Todesfluch durch einen Synthesizer, das kommt davon, man wenn man zu viele Drogen nimmt“, kommentierte Wolfgang verächtlich und riss das Klebeband ab, „naja, bei der Musik. Lass uns das Superteil mal an das Mischpult anschließen.“
Nachdem wir den Ausgang des Synthies mit dem Mischpult verkabelt hatten, tastete Adrian den Musikschrank ab.
„Suchst du was?“, fragte ich.
„Ja, wo man die Kiste verdammt noch mal anmacht.“
Kenny berichtete mir, dass du länger nach dem An/Aus-Schalter des Moog gesucht hast.
Adrian: Na, und wenn schon, bei den vielen Schaltern und Knöpfen ist das doch verständlich. Ich habe ihn aber dann immerhin gefunden, stell dir vor. Wir schlossen das Ding dann ans Mischpult an. Ich drehte den Volume-Regler auf, drückte erwartungsvoll eine Taste und es kam: nichts.
Ich drehte hier einen Regler und legte dort einen Schalter um, aber das Ding gab keinen Pieps von sich.
Tischler: Das erste Rendezvous zwischen Moog und Wolfgang drohte ein Reinfall zu werden. Wolfgang brachte keinen einzigen Klang aus dem Teil heraus, sodass er langsam verzweifelte.
„Hast du auch den Regler am Mischpult hochgezogen?“, fragte Wolfgang schon ziemlich hilflos.
„Na klar, das ist doch mein Job.“
„Was soll ein Instrument, das keinen Ton von sich gibt.“
„Also, Geräusche hat der Moog ganz bestimmt von sich gegeben, das ist ja auf 2000 Lightyears From Home deutlich zu hören“, erwiderte ich.
„Was du nicht sagst. Vielleicht ist das Ding ja kaputt, immerhin ist es ja monatelang vor sich hingestaubt. Sag mal, haben die Stones dem Lord vielleicht ein kaputtes Teil verkauft? Wir müssen uns bei denen beschweren.“
„Immer mit der Ruhe. Warte mal, ich hab doch irgendwo hier in dem Raum eine Bedienungsanleitung gesehen.“
Ich schaute mich um, kramte hier und dort ein bisschen und tatsächlich: Unter einem Stapel MELODY MAKER lag tatsächlich eine, allerdings sehr rudimentäre, Bedienungsanleitung mit dem Titel: „How The Moog Makes Music“.
Dann wollen wir doch mal sehen, wie der Moog Musik macht, sagte ich mir. Ich blätterte durch die Seiten. Es war verdammt wenig Text für so eine komplexe Maschine. Wolfgang stand währenddessen weiter ratlos vor dieser mysteriösen Maschine und hoffte, irgendwie einen Zugang zu diesem geheimnisvollen Wesen zu finden.
Ich schaute mir ebenfalls noch mal die Schalterstellungen an und jubelte: „Ich glaube, ich hab’s gefunden.“
Wolfgang schaute mich verständnislos an: „Was hast Du gefunden?“
„Na, die Lösung des Problems. Es sind die Hüllkurven.“
„Die was?“
Ich stand auf und legte einen der unzähligen Schalter um: „Jetzt drück’ noch mal die Taste.“
Adrian: Ich tat wie gewünscht und: Heureka! Es kam tatsächlich ein Ton heraus. Es war eine Art Saxophonsound, der allerdings ziemlich dünn und verstimmt klang. Dass man einen Synthesizer stimmen musste, wusste ich damals noch nicht.
„Wieso haben wir denn vorher nichts gehört?“, wollte ich wissen.
„Die Attack-Time war einfach zu hoch eingestellt“, antwortete Kenny.
Ich konnte wieder nur die eine blöde Frage stellen: „Die was?“
Wolfgang erzählte mir, dass du ihn bei der ersten Begegnung mit dem Moog wie einen dummen Jungen behandelt hättest.
Tischler: Oh my dear, ist der Junge empfindlich. Aber das war er schon immer. Ich hatte doch ebenso wenig Ahnung von Synthesizern wie er. Ich erklärte ihm dann, dass Attack die Länge der Anstiegszeit ist, bis ein Ton zu hören ist. Je höher der Wert eingestellt, umso länger dauert es, bis nach einem Tastendruck ein Ton erklingt. Und hier war der Regler eben auf den Wert 10 und damit auf die längste Anstiegszeit gestellt.
„Wieso hast du mir das denn nicht gleich gesagt?“; fragte Wolfgang verärgert. „Na hör mal, ich hab´s doch auch gerade erst in der Bedienungsanleitung gelesen“, erwiderte ich.
Adrian: Als dieses verflixte Hindernis überwunden war, gab’s für mich kein Halten mehr. Ich versuchte erstmal ein paar vernünftige Klänge rauszuholen. Das erste, was mir gelang, erinnerte an eine quietschende Tür. Wyman hatte Recht, dieses Instrument war ein unerforschtes Ungetüm, das ich erst bändigen musste.
Riggbert: Stefan und ich waren vielleicht eine Stunde weg gewesen, um was zu futtern. Als wir wiederkamen, war nichts mehr, wie es war. Wolfgang und Kenny saßen nicht mehr hinter dem Mischpult vom Kontrollraum, sondern standen vor diesem riesigen Synthesizer.
„Wo kommt der denn auf einmal her?“, fragte ich, aber die beiden waren völlig in diese Kiste vertieft. Von da an verbrachte Wolfgang neben den Aufnahmesessions jede freie Studiominute unter dem Kopfhörer, um am Moog rumzuprobieren.
Adrian: Nach ein paar Tagen des Rumfummelns frei nach dem Motto „Trial And Error“ machte ich allmählich Fortschritte. Ich erzeugte immerhin schon sowas wie ein „Weißes Rauschen“, einen Wasserfall und eine Explosion.
Der Moog schien der elektronische Schlüssel zu jedem erdenklichen Geräusch zu sein. Aber bloße Effekte reichten mir nicht. Ich wollte das gesamte Potential ausschöpfen, was allerdings eine Herkulesarbeit bedeutete. Es gab zwar diese Anleitung, aber die war auf Englisch und beschrieb nur das Notwendigste. Ich hätte besser vorher ein Physikstudium absolviert.
Wenn ich mir die ART-Platten anhöre, hast du den Moog von Anfang als elektronisches Orchester eingesetzt.
Gut erkannt. Orgel, Piano und E-Piano waren schön und gut, aber der Moog verlieh unserer Musik eine neue Klangdimension.
Nachdem ich das System mit den spannungsgesteuerten Filtern, Hüllkurvengeneratoren und Ringmodulatoren einigermaßen durchblickte, wurde die Sache immer faszinierender. Schnell war mir klar, dass diese einzigartigen Sounds auf jeden Fall mit auf die Platte mussten – sei es als Effekt, Pattern oder Solo.
Tischler: Als erstes hörbares Produkt entwickelte Wolfgang am Moog die „Electronic Ouverture“, zu der Stefan dann zusätzlich Gongs und Kesselpauken einspielte. Dieses kurze Stück ist für mich die Geburtsstunde des Electronic-Rock. Michael war allerdings weniger begeistert.
Riggbert: Plötzlich drehte sich alles tagelang nur noch um diesen Moog. Ständig hockten Wolfgang und Ken zusammen, um an irgendwelchen Reglern zu drehen und Klinkenstecker umzustöpseln. Und dann klang doch alles wieder wie drei jaulende Katzen. So ein Koloss und dann kommt nichts raus als ein müdes Maunzen, das war doch Zeitverschwendung, dachte ich – und sollte mich gründlich irren.
Ich nutzte derweil die Zeit, um mit der Akustik-Gitarre „We Are Alone“ zu komponieren, während Stefan im Studio ständig wie ein Besessener an Congas und Kesselpauken übte.
Die Zeit wurde also doch sinnvoll genutzt.
Ja, und die „Electronic Ouverture“ gefiel mir auch sehr gut. Sehr geheimnisvoll, spannend und feierlich, also genau das Richtige für den Auftakt einer Prog-Rock-Platte. Und schon nach einiger Zeit des Tüftelns hörte sich der Moog nicht mehr wie eine magenkranke Katze an, sondern wie ein furchteinflößendes Raubtierrudel.
Adrian: Die musikalische Grundstruktur der „Electronic Ouverture“ bestand nur aus dem ersten Moog-Modular-System. Die Mehrspuraufnahmen waren allerdings sehr mühselig, weil der Moog einfach nicht stimmstabil war. Al Kooper behauptet ja, seine Ex-Band Blood, Sweat & Tears hätte auf dem Album „Child Is Father To The Man“ die erste Ouverture einer Rockband veröffentlicht. Na, dann waren wir eben die ersten mit einer elektronischen Ouverture.
Riggbert: Ich konnte dann wenigstens noch ein paar E-Gitarren-Licks beitragen, tauchte aber in den Autoren-Credits nicht auf.
Tischler: Wolfgang war jetzt nicht mehr zu bremsen und bestand darauf, zu den bisherigen Stücken auch noch zusätzliche Moog-Spuren einzuspielen: „Dafür schmeißen wir ein paar Orgelspuren raus.“
Es dauerte natürlich wieder, bis er die passenden Sounds fand oder besser gesagt, bis die Sounds ihn fanden (lacht).