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2. Acte-clair-Theorie
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Für die Konstellation des eindeutigen Wortlautes hat sich im Völkerrecht der Grundsatz des in claris non fit interpretatio herausgebildet. Er besagt, dass der Wortlaut einer Norm immer dann verbindlich ist, wenn der natürliche oder gewöhnliche Sprachgebrauch eine unmissverständliche Bedeutung ergibt. Dieser Grundsatz wird auch als Acte-clair-Theorie, Acte-clair-Doktrin, plain oder ordinary meaning rule oder schlicht als acte clair bezeichnet. Prinzipiell wird dieser Grundsatz auch bei der Interpretation des Unionsrechts angewendet. So bezeichnen die rechtsprechenden Institutionen der EU den Wortlaut des EU-Rechts vielfach als eindeutig und urteilen dementsprechend. Allerdings wird für die Entscheidung einer Streitigkeit selten ausschließlich der Wortlaut einer Vorschrift als einziges juristisches Argument angeführt.
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Darüber hinaus bietet ein Fall des acte clair für die mitgliedstaatlichen Gerichte die Besonderheit, dass diese ausnahmsweise von ihrer grundsätzlichen Vorlageverpflichtung nach Art. 267 UAbs. 3 AEUV befreit sein können. Dies gilt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen, die in der Rechtsprechungswirklichkeit selten vorliegen. Diese Problematik wird in dem Begriff → Vorabentscheidungsverfahren näher dargestellt.