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IV. Anwendungsbereich der Verträge
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Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gilt nur im Anwendungsbereich der Verträge. Rein national geregelte Rechtsmaterien, die gänzlich unabhängig vom Unionsrecht bestehen, unterliegen nicht diesem Gleichbehandlungsgebot. Dass die Mitgliedstaaten i.R. ihrer Zuständigkeit unterschiedliche Regelungen treffen und es daher zu Ungleichbehandlungen kommt, ist als Phänomen jedem Mehrebenensystem mit zwischen den Ebenen aufgeteilter Hoheitsgewalt zu eigen. Daher sind aus diesem Grund entstehende Divergenzen hinzunehmen und ebenfalls nicht von Art. 18 UAbs. 1 AEUV erfasst (EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, Rn. 45).
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Allerdings ist die Reichweite des Verbots auch nicht auf Regelungen beschränkt, die unmittelbar im EUV und AEUV normiert sind, auch wenn der Tatbestand des Art. 18 UAbs. 1 AEUV sich ausdrücklich nur auf den Anwendungsbereich der Verträge bezieht. Neben dem Primärrecht (das ja bereits mehr → Rechtsquellen als die beiden genannten Verträge umfasst) wird der Anwendungsbereich ebenfalls durch Sekundärrecht eröffnet. Auch in der sog. Agency-Situation, also beim Vollzug des Unionsrechts gleich welcher Stufe, bewegt sich der betreffende Mitgliedstaat im Anwendungsbereich des Art. 18 UAbs. 1 AEUV (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-123/08, Rn. 45). Außerdem ist die mitgliedstaatliche Rechtsetzung zur Durchführung von Unionsrecht diskriminierungsfrei zu gestalten. Gleichfalls ist der Anwendungsbereich der Verträge betroffen, wenn ein Zusammenhang mit den Grundfreiheiten – nicht ihre Anwendbarkeit auf den Sachverhalt, denn dann ist Art. 18 UAbs. 1 AEUV subsidiär (s. Rn. 585) – gegeben ist (EuGH, Urt. v. 13.2.1985, 293/83, Rn. 23 f.).
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In der (nicht unumstrittenen) Rechtsprechung des EuGH ist darüber hinaus anerkannt, dass jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, sich grundsätzlich im Anwendungsbereich der Verträge bewegt. Der Nachweis eines Bezugs zu einer konkreteren Norm des Unionsrechts (wie z.B. Art. 21 Abs. 1 AEUV) ist dann nicht erforderlich, damit Betroffene sich auf das Diskriminierungsverbot berufen können. Hieraus hat der Gerichtshof insbesondere ein Recht auf Teilhabe auch an Sozialleistungen hergeleitet, bspw. bezüglich staatlicher Unterstützungsmaßnahmen für Studierende (EuGH, Urt. v. 20.9.2001, C-184/99, Rn. 35 ff.) oder des deutschen Elterngelds (EuGH, Urt. v. 12.5.1998, C-85/96, Rn. 64 f.)
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