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II. Entstehungsgeschichte und historische Entwicklung
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Ausgangspunkt der Entstehungsgeschichte der EFTA ist die 1948 von 18 europäischen Staaten gegründete Organisation for European Economic Co-Operation (OEEC; Nachfolgerin: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [OECD; s. dazu → Internationale Kooperationspartner]). Nachdem die Begründung der → Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahre 1951 ausschließlich zwischen den sechs „kerneuropäischen“ Staaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande erfolgt war, betrieb dieses Bündnis auch die handelspolitische Liberalisierung innerhalb Europas gemeinsam. Der hierzu seitens der EGKS-Staaten eingesetzte sog. Spaak-Ausschuss verfolgte u.a. das Ziel, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, was letztlich zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahre 1957 (Inkrafttreten: 1.1.1958) führte (→ Europäische Union: Geschichte). Diese Entwicklung markierte nicht nur die integrationspolitische Dominanz des sog. Kerneuropas, sondern ließ überdies auch die übrigen OEEC-Staaten außen vor.
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Letztere hatten zwar bereits im Juni 1956 das sog. Maudling-Komitee eingesetzt, welches Pläne zur Handelsassoziierung der verbleibenden OEEC-Staaten mit den EGKS-/EWG-Staaten ausarbeiten sollte. Die im Zuge dessen vorgeschlagene Schaffung einer großen Freihandelszone – gewissermaßen „um die EWG herum“ – hatte letztlich aufgrund des Widerstands nicht zuletzt Frankreichs, das eine Zollunion als das fortschrittlichere Instrument einer wirtschaftspolitischen Integration Europas ansah und sich zudem um eine Gefährdung der eigenen politischen Vormachtstellung in Europa sorgte, jedoch keinen Erfolg.
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Der Abbruch der Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone aller OEEC-Staaten im November 1958 markierte den Auftakt einer Zusammenarbeit ausschließlich jener OEEC-Staaten, die der EWG nicht angehörten. Was viele dieser Staaten einte, war ihre grundsätzlich neutrale politische Ausrichtung: Insbesondere Finnland, Österreich und Schweden waren zur Einhaltung einer Neutralitätspolitik zwischen den Machtblöcken des Kalten Krieges aufgrund von völkerrechtlichen Abkommen mit der damaligen Sowjetunion, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschlossen worden waren, verpflichtet. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatten sie eine Freihandelszone gegenüber der Schaffung einer europäischen Zollunion bevorzugt.
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Kurzfristig verfolgten die späteren Gründerstaaten der EFTA nunmehr das Ziel, ein handelspolitisches Gegengewicht zur EWG zu schaffen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurden jedoch die Bestrebungen festgehalten, eine handelspolitische Spaltung Europas zumindest mittelfristig zu überwinden, sog. Brückenschlag zwischen der EFTA und der EWG. Hierauf weist u.a. Erwägungsgrund 4 der Präambel des EFTA-Vertrags von 1960 hin, welcher die „baldige Schaffung einer multilateralen Assoziation zur Beseitigung der Handelsschranken und zur Förderung einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der OEEC, einschließlich der Mitglieder der EWG“, vorsah.
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Begünstigt von den Vorarbeiten des Maudling-Komitees begründeten so die sog. Äußeren Sieben (Dänemark, Vereinigtes Königreich, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz) mit ihren Unterschriften unter dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation am 4.1.1960 die EFTA. Es folgten die Beitritte Finnlands (assoziiert 1961, Vollmitglied 1986) und Liechtensteins (1991).
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Nachdem die EWG-Staaten ihre Assoziierungsabkommen mit Griechenland (1961) und der Türkei (1963) abgeschlossen hatten, war die jedenfalls vorübergehende Spaltung Europas in zwei handelspolitische Blöcke damit besiegelt. Unter den westeuropäischen Staaten waren lediglich Irland, Island, Spanien, Malta und Zypern nicht Mitglieder eines Blocks (EFTA-Beitritt Islands 1970; EU-Beitritte Irlands [1973], Spaniens [1986], Maltas [2004] und Zyperns [2004]).
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Die EFTA verfolgte die Zielsetzung, Handelshemmnisse zwischen ihren Mitgliedern zu beseitigen. Ausnahmen galten von vorneherein in jenen Bereichen, die nach Ansicht der EFTA-Partner zu sehr in die eigene Handelsautonomie eingriffen. Gemeint war hiermit insbesondere der Bereich der Landwirtschaft bzw. des Handels mit Agrarprodukten.
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Als es Anfang der 1970er Jahre zu den EG-Beitritten des Vereinigten Königreichs (1972) sowie Dänemarks (1973) kam, schloss die EG mit den verbleibenden EFTA-Staaten bilaterale Freihandelsabkommen, die grundsätzlich alle Waren mit Ausnahme von Agrarprodukten betrafen. Diese bilateralen Abkommen dominierten die handelspolitische Zusammenarbeit zwischen EG und EFTA-Staaten wesentlich bis zum Beginn des sog. Luxemburger Prozesses im Jahre 1984, der den Auftakt zu einer allmählichen Annäherung von EG und EFTA gab. Der Begriff des → Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) fiel hierbei erstmals. Anhand von über 280 bi- und multilateralen Abkommen zwischen der EG und den EFTA-Staaten wurde die Zusammenarbeit in der Folge maßgeblich intensiviert. Letztere mündete schließlich in die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums, welcher seit dem 1.1.1995 Bestand hat.
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Die Schweiz war aufgrund des ablehnenden Referendums vom 6.12.1992 nicht Mitglied des EWR geworden. In der Folge regelten Schweiz und EU ihre Beziehungen anhand einer Reihe bilateraler völkerrechtlicher Abkommen, sog. Bilaterale. Diese Entwicklung hatte direkte Auswirkungen auf die EFTA. Angesichts der Liberalisierungen, die in der Beziehung EU-Schweiz erfolgten, waren Anpassungen des EFTA-Vertrags erforderlich geworden. Andernfalls hätten unter den EFTA-Staaten teils größere Handelshürden bestanden als dies zwischen der Schweiz und der EU der Fall gewesen wäre. Zudem sollten rechtliche Maßgaben der 1995 gegründeten → Welthandelsorganisation (WTO) berücksichtigt werden.
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Das zu diesem Zwecke am 21.6.2001 unterzeichnete und am 1.6.2002 (gleichzeitig mit den Bilateralen) in Kraft getretene Abkommen von Vaduz sah überdies Regelungen nunmehr auch in Bereichen der wirtschaftlichen Integration vor, welche die EFTA bislang ausgeklammert hatte. So wurden etwa Regelungen zur Personenfreizügigkeit, zum Dienstleistungshandel, zum Schutz geistigen Eigentums oder zur öffentlichen Auftragsvergabe in den EFTA-Vertrag mit aufgenommen. Auch wurde erstmalig die Kompetenz der EFTA, Freihandelsabkommen mit Drittstaaten zu verhandeln, normiert. Auch heute kommt es noch regelmäßig zu Anpassungen des EFTA-Vertrags, um die Parallelität der Regelungen mit jenen, die zwischen der EU und der Schweiz gelten, sicherzustellen.
E › Europäische Freihandelszone (EFTA) (Maximilian Oehl) › III. Wesentliche rechtliche Wirkungen