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EINE ANDERE WELT

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Ariella starrte mit offenem Mund zu dem azurblauen Himmel empor. Aber es war nicht der Himmel, der sie staunen ließ, sondern die rote und die gelbe Sonne waren es, die ihr die Sprache verschlugen.

ZWEI SONNEN!

Jetzt glaubte sie es!

Sie war in einer anderen Welt, einer Parallelwelt gelandet! Und dabei war es so leicht gewesen! Sie hatte – außer einem leichten Schwindelgefühl und so etwas wie einem sanften Ziehen an ihrem Körper – kaum etwas von dem Übergang gemerkt.

Sie waren zu der Stelle zurückgekehrt, an der sie auf Finntam und Samwinn getroffen war. Da keine Besucher mehr zu sehen waren, beschlossen sie, den Übergang nach Smethama nicht länger hinauszuzögern, um noch bei Tage dort anzukommen.

Mit den beiden Halblingen an der Hand, war sie das Wagnis eingegangen. Ein schlichter, kupferfarbener, mit geheimnisvollen Runen verzierter Armreif den jeder der beiden Halblinge trug, hatte den Übergang ermöglicht.

Und das war also Smethama, die Parallelwelt, von der die Menschen auf dem Planeten Erde nichts ahnten.

Ariella löste fast widerstrebend den Blick von den beiden Sonnen und musterte erstmals ihre Umgebung.

Es gefiel ihr, was sie sah. Es gefiel ihr sogar außerordentlich gut!

Sie betrachtete den Rand des breiten Weges auf dem sie stand. Üppige Büsche, deren Laub unter den faustgroßen roten und weißen Blüten nur noch zu erahnen war, säumten einen Pfad, der über eine Wiese zu einem entfernten Wald führte.

Außer dem Gezwitscher eines Vogelschwarms, der sich auf und um einen schmalen Wasserlauf linker Hand von Ariella und den beiden Halblingen niedergelassen hatte, summten Bienen und Wespen, huschten und glitten unter den Büschen Mäuse, Schlangen und anderes Getier.

Ariella staunte über die grenzenlose Weite, als sie den Blick schweifen ließ.

Keine Menschen! Keine Bauten! Keine Fahrzeuge!

Kein Lärm störte die Ruhe und Schönheit der sich vor ihr ausbreitenden saftigen Wiesen.

Und dann diese Luft!

Ariella atmete diesen in der Menschenwelt kaum noch zu findenden Odem tief ein.

„Geht es dir gut, Ariella?“, fragte Samwinn, der neben ihr stand.

„Bei dieser herrlich sauberen Luft, welche die Sinne umschmeichelt, kann es einem ja nur gutgehen“, erwiderte Ariella lächelnd. „Aber vermutlich wird es auch auf Smethama nicht überall so friedlich sein, oder?“

„Einst war es fast überall so wie hier. Doch jetzt nicht mehr“, erwiderte Samwinn traurig. „Seitdem der Schattenfürst hier sein Unwesen treibt, hat sich manches auf Smethama zum Schlechteren gewandelt. Angehörige unterschiedlicher Völker verschwinden spurlos. Die Übergriffe ehemals friedlicher Bewohner Smethamas auf Nachbarn und Fremde häufen sich. Abtrünnige Mitbewohner stellen sich für versprochene Vorteile gegen ihr eigenes Land. Neid und Gier greifen immer stärker um sich.“

„Aber wehrt sich denn niemand dagegen?“, fragte Ariella verwundert.

Samwinns leuchtende Sternenaugen sahen sie traurig an. „Wir wehren uns so gut wir können. Doch obwohl wir wissen, dass der Schattenfürst schuld an der zunehmenden Unzufriedenheit und Bosheit ist, können wir ihn nicht wirklich bekämpfen, denn niemand auf Smethama kennt ihn oder hat ihn je gesehen. Aber wenn ihm nicht bald Einhalt geboten wird, könnte es schlimm für uns alle ausgehen“, sagte Samwinn niedergeschlagen.

„Alleine unsere Hohe Herrin, die große Elfen-Magierin Lisha’yinn, verfügt über die Macht, sich dem Bösen entgegenzustellen, doch wie lange noch? Sie alleine wacht mit Hilfe der Götter über alles Leben auf Smethama, und wir verehren und lieben sie dafür. Aber sie könnte dringend Hilfe und Unterstützung gebrauchen.“

„Aber wozu braucht eure Hohe Herrin mich?“, fragte Ariella verwundert. „Wenn eure Zauberin so mächtig ist wie du sagst, wieso kann dann nicht sie diese Prophezeiung erfüllen?“

„Weil sie nicht dafür bestimmt ist. Die Götter haben dich dafür bestimmt, und niemand kann daran etwas ändern“, erklärte Samwinn geduldig.

„Und ihr glaubt wirklich, ich alleine könnte mich dem Bösen in eurer Welt entgegenstellen? Ist diese Hoffnung nicht ein bisschen zu hoch gegriffen?“, fragte Ariella skeptisch. „Ich bin doch weder eine Kriegerin, noch besitze ich besondere Fähigkeiten.“

„Du bist und kannst sehr viel mehr, als du glaubst“, erwiderte Samwinn etwas geheimnisvoll.

„Was weißt du über mich, was ich nicht weiß?“

„Du wirst von unserer Herrin Lisha’yinn alles erfahren“, war die Erwiderung.

„Können wir endlich weitergehen?“, funkte Finntam dazwischen. „Ich habe nämlich langsam schrecklichen Hunger, falls euch das überhaupt interessiert. Mir ist schon richtig schlecht in meinem Bauch.“

Samwinn und Ariella sahen sich lächelnd an. Mittlerweile kannte Ariella ebenfalls des kleinen Halblings Schwäche.

Finntam war schlicht und einfach verfressen!

Wo er dieses ganze Essen nur lässt? fragte sich Ariella, als sie seine zierliche Gestalt betrachtete.

„Mein Bauch ist schon ganz eingefallen“, beklagte sich Finntam mürrisch.

„Fürs Erste muss dieser Apfel reichen“, sagte Samwinn und reichte seinem Freund die goldgelbe Frucht.

„Danke, Samwinn“, sagte Finntam; und übers ganze Gesicht strahlend biss er herzhaft in die willkommene Gabe. Schon war er wieder vergnügt und guter Laune.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte Ariella wissen.

„Wir dürfen uns hier nicht zu lange aufhalten. Obwohl dieser Durchgang geheim ist, nur die Hohe Herrin, Finntam und ich wissen davon, sollten wir besser vorsichtig sein“, erwiderte Samwinn.

Er schaute sich unruhig um. Ihm war, als hätte er etwas gehört, einen Laut, der nicht hierher gehörte. Als er sich jedoch nicht wiederholte, drängte er darauf weiterzugehen.

„Wir müssen zu dem Wald dort drüben. Er wird uns schützen.“

„Dahin ist es ja nicht allzu weit. Also dann mal los“, sagte Ariella burschikos.

Samwinn sah sie vorwurfsvoll an. „Du musst vorsichtiger sein, Ariella “, warnte er. „Du befindest dich jetzt in einer anderen Welt, einer Welt, die nicht frei von Gefahren ist. Andere Gefahren zwar, doch sind diese zahlreich und nicht zu unterschätzen. Aber zuerst einmal bitte ich dich, dies hier anzuziehen.“

„Was ist das?“, fragte Ariella.

„Das ist ein Elfenumhang“, erwiderte Samwinn. „Er schützt dich vor neugierigen Blicken. Niemand darf wissen, dass du hier bist, besonders der Schattenfürst nicht. Er muss davon überzeugt sein, dich ausgeschaltet zu haben.“

Ariella nickte.

Sie nahm den grauen Umhang, legte ihn sich um und zog die Kapuze über den Kopf. „Gut so?“, fragte sie.

Samwinn und Finntam nickten zufrieden.

„Es ist ein besonderes Kleidungsstück“, sagte Finntam. „Es passt sich farblich immer der Umgebung an.“

„Du meinst, wenn ich zum Beispiel vor einer Felswand stehe, dann hebe ich mich nicht davon ab?“, fragte Ariella beeindruckt.

„Genau! Es ist eben ein Elfenumhang“, erwiderte Finntam.

„Wir müssen los. Der Wald erwartet uns“, drängte Samwinn.

„Bis dahin ist es doch nicht allzu weit. Wenn wir quer über die Wiese gehen, dürften wir schon bald dort sein“, sagte Ariella verwundert über die plötzliche Nervosität ihres kleinen Begleiters.

Samwinn sah sie groß an. „Von wegen bald da, Ariella“, erwiderte er. „Wir müssen die Wiese umgehen.“

„Wieso das denn?“, fragte Ariella überrascht.

„Komm, ich zeige dir warum“, sagte Samwinn. Er nahm ihre Hand und zog sie zum Rand der Wiese.

„Oh, was für herrliche Blumen! Und diese unglaublichen Farben“, schwärmte Ariella begeistert.

Dicht an dicht wuchsen die lilienartigen Pflanzen mit den riesigen Blütenköpfen, die in allen nur möglichen Farbtönen zu bewundern waren.

„Du hast recht, Samwinn“, sagte Ariella verständig. „Wenn wir über die Wiese gingen, würden wir diese zauberhafte Pracht zerstören.“

„Ja, prächtig anzuschauen sind sie, aber das meinte ich nicht. Ich zeige es dir. Pass auf, was gleich passiert.“

Er hob einen größeren Stein vom Boden auf und legte ihn in seine Schleuder, die hinter seinem Gürtel gesteckt hatte. Er zielte und schoss.

Ariella verfolgte verständnislos den Flug des Steins, der inmitten der Blumenpracht landete. Was sollte das? Was wollte Samwinn ihr beweisen? Sie sollte es sogleich erfahren.

Anfangs war es nur ein sachtes Rauschen unter dem die herrlichen Blüten auf ihren kräftigen Stängeln erbebten. Doch mit jeder sich öffnenden Blüte gewann es an Intensität, wurde lauter, greller und endlich so markerschütternd schrill, dass Ariella entsetzt zusammenzuckte und sich die Ohren zuhielt.

„Was, in Gottes Namen, ist das?“, stöhnte sie.

Voller Grauen starrte sie auf die wunderschönen Blumen, die zu unheimlichen Leben erwachten.

Die großen spinnenartigen Lebewesen, die geduldig in den Blütenköpfen gelauert hatten, strömten heraus, suchten den Störenfried, hofften auf ein üppiges Mahl, glaubten, endlich wieder ein Opfer gefunden zu haben.

Und während sie suchten, wurden sie größer, wuchsen so schnell, dass Ariella fürchtete einer Halluzination zu erliegen.

DOCH ES WAR KEINE SINNESTÄUSCHUNG!

„Igitt“, sagte Finntam neben ihr. „Ich hasse diese ekligen, mordgierigen Spinnentiere. Lasst uns bloß von hier verschwinden!“

Ariella starrte schaudernd auf das Gewusel. Es mussten Tausende sein!

„Was ist, wenn sie uns bemerken? Greifen sie uns dann an?“, stieß sie besorgt hervor.

„Das würden sie sicherlich, wenn sie könnten. Aber zum Glück bindet sie ein Zauber an diese Wiese. Sie können sie nicht verlassen. Aber wer die Wiese betritt, der ist verloren“, erklärte Finntam und schüttelte sich.

„Du musst wissen, sie schießen winzige Pfeile ab, die ihr Opfer betäuben, so dass es nicht weglaufen kann. Und sobald es hilflos ist, fressen sie es bei lebendigem Leib auf.“

„Da…das ist schrecklich“, stotterte Ariella schockiert.

„Auf dieser Wiese ist mal ein Kaltdrache gelandet, der die Gefahr nicht erkannte“, erzählte Finntam weiter. „Sie haben sich zu Tausenden über ihn hergemacht und bis auf das Knochengerüst aufgefressen. Und das haben sie auch noch vertilgt, indem sie es mit ihrer Säure aufgelöst und dann aufgesaugt haben. Abscheulich! Ganz abscheulich“, sagte Finntam schaudernd.

„Lasst uns gehen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns“; drängte Samwinn erneut.

Und diesmal ließ sich Ariella nicht lange bitten.

Die Vorsehung

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