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DER KUTTENMANN

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Der Mann in der schwarzen Kutte starrte beeindruckt auf die überlebensgroße Skulptur eines in Rot und Gold prächtig gekleideten Hünen, dessen Haupt eine fein gearbeitete, goldene, mit zahlreichen Edelsteinen geschmückte Krone zierte. Die Statue stand in einem kleinen Tempel nahe einer Wand, die ein Mosaik schmückte, welches eine Wasserlandschaft darstellte, auf der ein ebenso feuchter Schimmer lag wie auf den übrigen Wänden.

Wahrscheinlich waren die Nähe eines ausgedehnten Gewässers und das Grundwasser die Ursache für die Feuchtigkeit.

Die Skulptur vermittelte Macht, Gewalt und Skrupellosigkeit so deutlich, als würde das lebende Original vor dem Betrachter stehen.

Nur ein Gesicht besaß die Skulptur nicht!

Anstelle dessen hatte der Künstler schwarze Opale dicht an dicht gesetzt, bis sich eine kantige Gesichtsform ergab. Zwei taubeneigroße Rubine ersetzten die Augen. Weitere Ausformungen gab es nicht.

Das harte, mitleidlose Gesicht des Kuttenmannes verzog sich ekstatisch, als die Rubinaugen plötzlich leuchtendrot erglühten und seinen Blick gefangen nahmen.

Ehrerbietig fiel er auf die Knie.

Und dann sprach sein Herr zu ihm, sein Herr und Gebieter, dem er weder in der Menschenwelt Erde, noch in der Parallelwelt Smethama, jemals persönlich begegnet war.

„Berichte Koktos. Was hast du mir zu sagen?“

„Die Prophezeiung kann sich nicht erfüllen, Herr. Die Frau, der Mann und das Kind sind tot.“

„Bist du ganz sicher? Hast du es überprüft?“

„Gewiss, Herr. Sie verbrannten in der Höllenglut ihres Wagens. Das Feuer war so gewaltig, dass selbst ich mich nicht dicht heranwagen konnte.“

„Dann hast du ihre Leichen nicht gesehen? Wie kannst du dann sicher sein, dass nicht doch einer von ihnen entkam?“

„Der Wagen brannte sofort lichterloh. Dieses Inferno hat niemand überlebt, Herr. Aber vorsorglich habe ich danach die Gegend abgesucht, jedoch keinerlei menschliche Spuren gefunden. Das hatte ich nach dem Höllenfeuer auch nicht erwartet, doch ich wollte ganz sichergehen.“

„Hast du wie befohlen ihr Haus danach überwacht?“

„Selbstverständlich, mein Gebieter. Niemand interessierte sich dafür. Fürchtet Euch nicht, Herr. Die Prophezeiung kann Euch nichts mehr anhaben“, sagte Koktos selbstbewusst.

Für einen Moment herrschte gespenstische Stille. Koktos hob irritiert den Kopf.

Und im selben Moment raste eine glühende Feuerlanze aus dem rechten Auge der Skulptur auf ihn zu und verwandelte seine linke Gesichtshälfte in eine schwelende Kraterlandschaft.

Der Schmerz war grauenhaft!

Kribbelnde Hitze breitete sich über seinem Gesicht aus, wurde heißer und heißer. Koktos sprang schreiend auf. Sein Gesicht warf Blasen. Die Schmerzen wurden zur Qual. Er stürzte zur Wand und rieb hektisch sein Gesicht an dem feuchten Stein um sich Linderung zu verschaffen. Doch er verschlimmerte nur die grauenhaften Schmerzen.

Er drehte sich um. Da schoss eine zweite Feuerlanze auf ihn zu und säbelte ihm das rechte Ohrläppchen ab.

„Ich habe dir nicht erlaubt aufzustehen“, dröhnte des Herrschers Stimme durch den Saal. „Und wage es nicht noch einmal, mir Furcht zu unterstellen. Ich fürchte nichts und niemanden, auch die Prophezeiung nicht. Sie ist mir lästig, mehr nicht. Hast du das begriffen, oder muss ich dir eine weitere Lektion erteilen?“

„Nein, Herr“, flüsterte Koktos demütig und fiel wieder auf die Knie. In seiner verbrannten Gesichtshälfte pochte der Schmerz wie ein zweites Herz, doch er wagte nicht die Hand zu heben, um sich ein wenig Linderung zu verschaffen. Die Fähigkeit dazu besaß er, doch im Augenblick nützte ihm seine Gabe nichts.

Die Furcht vor seinem gnadenlosen Gebieter hielt ihn im Griff, denn mit Gewalt kannte er sich aus. Er wandte sie nur allzu gern und allzu oft selber an.

Ein Wesen wie er, war einzig durch Furcht und Gewalt zu lenken. Gnade oder Barmherzigkeit verachtete er. Bei seinem Herrn würde er derartige Gefühle als Schwäche empfinden und ihn vielleicht sogar töten, sollte sich die Gelegenheit dazu bieten.

Der Schattenfürst, der ihn richtig einschätzte, war sich über den Charakter seines Helfers im Klaren, und richtete sich danach. Aber auch er fragte sich, war Koktos ein Mensch oder nicht?

Rein äußerlich musste man ihn wohl dazu rechnen. Doch seine besonderen Fähigkeiten wie die Macht über das Feuer oder seine Selbstheilungskräfte machten ihn den meisten Menschen überlegen.

„Steh auf, Koktos, du kannst gehen“, befahl der Schattenfürst. „Wenn ich dich brauche, lasse ich es dich wissen.

„Soll ich mich um die Diamantenmine kümmern?“, fragte der Kuttenmann unterwürfig. „Da hat es neulich einigen Ärger gegeben.“

„Der Aufruhr wurde blutig niedergeschlagen. Aber die Idee ist trotzdem nicht schlecht. Sieh zu, dass das Gesindel härter rangenommen und mehr Diamanten gefördert werden“, wies ihn die Stimme an.

„Ja, mein Gebieter“, erwiderte Koktos ehrfürchtig. Erst als die Stimme schwieg und das Leuchten der Rubinaugen erlosch, erhob er sich.

Nachdenklich musterte er die Statue. Er fragte sich, wieso die Skulptur sprechen und ihn sehen konnte, obwohl sich sein Gebieter wahrscheinlich überhaupt nicht in der Nähe aufhielt. Denn der Kuttenmann war zwar gewalttätig und absolut skrupellos, aber keinesfalls dumm!

Er hatte bei seinen Aufträgen, die ihn in die Menschenwelt führten, vieles beobachtet, mehr, als sein Herr ahnte. Und er hatte ohne Wissen seines Gebieters Menschen gezwungen, ihm einige dieser unglaublichen Dinge zu erklären, bevor er sie tötete.

Dabei hatte er erkannt, dass ihm die Menschenwelt Erde weitaus bessere Möglichkeiten bot seinen Sadismus und seinen Machthunger auszuleben, als Smethama, seine Heimat. Grinsend musterte er die imposante Skulptur, die seine Helfershelfer in Ehrfurcht erstarren ließ. Aber die wussten ja auch nichts von der Menschenwelt und ihren technischen Möglichkeiten, denn keiner außer ihm hatte die Erde jemals gesehen.

Mit einem bösen Lachen tastete er nach der Waffe in seiner Tasche, die er aus der Menschenwelt mitgebracht hatte. Pistole hatte der Mann in dem Laden die Waffe genannt. Und dann hatte er ihm zitternd vor Furcht die Handhabung des Kampfgeräts erklärt.

Der Mann hatte sich allerdings nicht sehr lange über die unglaublich schnell erlernte Treffsicherheit seines unheimlichen Kunden wundern können.

Nachdem Koktos alles über die Waffe erfahren hatte und die dazugehörigen Kästen mit Patronen in seinem Rucksack verstaut waren, hatte er die Pistole an dem um Gnade winselnden Menschen mit Erfolg ausprobiert.

In seiner Heimatwelt würde er die Waffe jedoch nicht anwenden, denn der Schattenfürst sollte auf keinen Fall von seinen kleinen Heimlichkeiten erfahren.

Er würde diesem auch weiterhin dienen, denn er fürchtete sich trotz seiner Fähigkeiten vor seinem unbekannten Herrn, der daran arbeitete, seine eigene Welt und vielleicht auch Smethama zu unterjochen. Er strebte nach Macht, schien besessen davon.

Doch solange das seine eigenen Interessen nicht gefährdete, war ihm das egal.

Nach einem letzten Blick auf die Skulptur trat der Kuttenmann grinsend ins Freie, wo sein Reittier auf ihn wartete, ein braun und gelb gemusterter Grimaki, eine Riesenhyäne, so groß wie ein Pferd.

Die Vorsehung

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