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BEGEGNUNG

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Vor zwei Tagen hatten Ariella und die Halblinge Samwinn und Finntam die Elfenstadt mit vielen guten Wünschen verlassen. Sie bewegten sich auf Empfehlung der Zauberin Lisha’yinn an den Ausläufern des Moreta-Gebirges entlang, eine Strecke, die als nicht so beschwerlich galt. Bislang spielte das Wetter mit und sie kamen gut voran.

„Gegen Mittag müssten wir die Drachenberge erreichen“, sagte Samwinn, der neben Ariella ging. „Und wenn alles gut geht, erreichen wir schon morgen die Zwergenfestung“, fuhr er fort, während sein Freund Finntam auf einem Wurstende kauend vergnügt hinter ihnen her zuckelte.

„Wann machen wir Rast?“, rief Finntam, nachdem er sein letztes Stückchen Wurst heruntergeschluckt hatte. Doch er erhielt keine Antwort. Also beeilte er sich zu seinen Gefährten aufzuschließen.

„Zwischen den beiden Felsnadeln dort hinten müssen wir durch. Dahinter liegt eine enge Schlucht, die sich hervorragend für einen Hinterhalt eignet. Es ist zwar der kürzeste Weg zur Zwergenfestung, doch wir sollten vorsichtig sein“, warnte Finntam.

„Wartet hier auf mich. Ich peile mal die Lage“, sagte Samwinn burschikos. Und bevor Ariella Protest einlegen konnte, war er verschwunden.

„Ihn wird niemand bemerken, sollte es sich tatsächlich um einen Hinterhalt handeln“, beruhigte Finntam Ariella. „Samwinn bewegt sich absolut lautlos, außerdem sind wir Halblinge nicht sehr groß. Wir können uns gut verstecken und werden leicht übersehen.“

Er schob sich etwas Süßes in den Mund und lutschte genüsslich daran. „Das erleichtert das Warten“, klärte er Ariella auf. „Möchtest du auch?“, fragte er großzügig. Jedoch war er nicht böse, als Ariella dankend ablehnte.

Finntam lutschte schmatzend an seiner Süßigkeit, während Ariella unruhig hin und her lief. Als sie es vor Sorge fast nicht mehr aushielt, kehrte Samwinn endlich zurück.

„Von einem Hinterhalt ist weit und breit nichts zu sehen“, berichtete er. „Aber in der Schlucht liegt ein Zwerg. Er rührt sich nicht. Ich glaube, er ist tot.“

„Vielleicht ist er verletzt und wir können ihm helfen“, sagte Ariella und lief los.

Als sie die Schlucht erreichten, eilte Ariella zu dem Zwerg und fühlte seinen Puls. „Er lebt!“, rief sie ihren beiden kleinen Gefährten zu. Sie wollte ihn gerade auf den Rücken drehen, als sie die tiefe Wunde in seinem Nacken entdeckte. Sie hatte sich entzündet und eiterte.

Ist das der Grund für seine tiefe Bewusstlosigkeit?

Nachdem sie die Wunde abgetupft hatte, griff sie nach der Kette um ihren Hals und zog sie über den Kopf. Dann legte sie das daran hängende kupferfarbene Amulett mit dem dunkelgrünen Malachit in der Mitte, den ihr die Elfen-Zauberin geschenkt hatte, auf die Wunde.

Würde er helfen?

„Ist der grüne Stein in dem Amulett ein Heilstein?“, fragte Finntam neugierig. Und als Ariella nickte: „Und was macht er? Heilt er die Wunde?“

„Ich weiß es nicht, Finntam. Aber ich hoffe es“, erwiderte Ariella.

Alle drei standen um den am Boden liegenden Zwerg herum und warteten darauf, dass irgendetwas passierte.

„Wenn das Amulett nicht wirkt, müssen wir die Wunde ausbrennen“, meinte Samwinn.

„Ich frage mich, wieso er nicht aufwacht“, dachte Ariella laut.

Anscheinend hielt Finntam das für eine Aufforderung tätig zu werden. Vielleicht wollte er sich aber auch nur ein bisschen wichtigmachen oder bei Ariella einschmeicheln.

Jedenfalls trat er dicht an den Zwerg heran, bückte sich und … weiter kam der kleine Halbling jedoch nicht. Eine eisenharte Hand zuckte vor und hielt ihn fest. Finntam quiekte erschrocken.

Der Zwerg richtete sich stöhnend auf, hielt Finntam jedoch auch beim auf die Beine kommen weiterhin fest. Als er nach einigen Mühen endlich wieder auf seinen Füßen stand, musterte er verwundert seinen kleinen Gefangenen.

„Wer bist du denn?“. knurrte Sakon. Sein Blick blieb an Ariella hängen, die ihn ihrerseits mit großen Augen betrachtete.

Ein Zwerg! Eine Gestalt aus den zahlreichen Fantasy-Geschichten, die ich so gerne lese! Aber wieso auch nicht. Schließlich habe ich vorher ja auch noch nie Halblinge oder Elfen gesehen!

„Was wollt ihr von mir? Halblinge kenne ich. Aber was für eine bist denn du?“, fragte Sakon nicht besonders freundlich. Aber er ließ endlich Finntam los, der schnell zu seinem Freund lief.

„Wir haben deine Wunde behandelt und dich aus deiner Ohnmacht zurückgeholt. Ich bin Ariella, der schwarzhaarige Halbling heißt Samwinn und das ist sein Freund Finntam. Und wer bist du?“, erwiderte Ariella ruhig.

Der Zwerg musterte erst sie misstrauisch und dann ihr Schwert. Ihre Ruhe und ihre Selbstsicherheit irritierten ihn. Er wusste nicht so recht, was er von ihr halten sollte. Ist sie eine Kriegerin? Zu welchem Volk gehört sie? Ich tippe auf das Volk der Ishilok, obwohl ihr rabenschwarzes Haar nicht dazu passt.

„Wie geht es deiner Verletzung?“, fragte die Fremde in seine Gedanken hinein.

„Verletzung? Was für eine Verletzung? Und dann fiel es ihm wieder ein.

Sein Nacken! Die Ohnmacht!

Vorsichtig tastete er nach der Wunde.

Etwas fiel zu Boden!

Aber er kam nicht dazu sich danach zu bücken. Die Frau war schneller. Mit der Kette in der Hand trat sie hinter ihn.

„Die Wunde eitert nicht mehr und hat sich bereits geschlossen. Um einen üblen Wundbrand bist du also herumgekommen. Der Malachit hat dich geheilt“, sagte Ariella lächelnd. „Vielleicht verrätst du mir ja jetzt deinen Namen.“

Der Zwerg fixierte erst sie und dann das an der Kette pendelnde Amulett. Er verstand.

„Mein Name ist Sakon“, erwiderte er stolz. „Und ich danke dir für deine Hilfe.“

„Was ist passiert? Wer hat dich verletzt?“, fragte Ariella.

„Es war ein gemeiner, gut geplanter Hinterhalt“, sagte Sakon bitter. „Sie haben meine Gefährten gefangen genommen. Mich haben sie dabei wohl übersehen. Ich habe gegen sie gekämpft und bin irgendwie niedergeschlagen worden.

Vielleicht ein Stein, Messer oder der Streifschuss einer Armbrust. Ich hab keine Ahnung. Hinter einem Felsbrocken kam ich wieder zu mir, bin dann aber wieder ohnmächtig geworden. Ich muss meine Gefährten befreien. Ich hab schon viel zu viel Zeit verloren. Obwohl, wärt ihr nicht zufällig vorbeigekommen, würde ich wohl noch immer hier liegen.“

„Ich denke, es war ein Messer“, sagte Ariella. „Und wir sind nicht zufällig hier. Wir sind auf dem Weg zur Festung Finsterfels. Ich muss etwas überaus Wichtiges mit den Herren der Festung besprechen“, erklärte Ariella.

Sakon sah sie überrascht an. Doch er ließ sich nicht anmerken, dass er einer der Herren war, die sie aufsuchen wollte. Und er fragte auch nicht, was das Wichtiges war.

„Nachdem du mir geholfen hast, würde ich dich und deine Gefährten gerne zur Festung begleiten. Aber nicht jetzt, Ariella. „Zuerst muss ich mich um meine Gefährten kümmern. Das musst du verstehen.“

„Du allein?“, fragte Samwinn, der die ganze Zeit über still zugehört hatte.

Sakon nickte. „Die Zeit drängt, wenn ich sie lebend da herausholen will. In der Mine soll es grauenhaft zugehen. Allein die Hitze, Schläge und giftigen Dämpfe schädigen massiv die Gesundheit der Gefangenen. So sehr, dass es sie innerhalb kurzer Zeit umbringt. Es dauert zu lange Hilfe zu holen. Ich finde einen Weg!“

Helfen wir ihm? fragte Ariella auf telepathischem Weg ihre beiden Gefährten.

Diese zuckten erschrocken zusammen. Doch dann nickten sie beide entschlossen.

„Wir helfen dir“, sagte Ariella beherzt.

Sakon musterte sie skeptisch.

„Du solltest Ariella lieber nicht unterschätzen“, mischte sich Finntam ein. „Sie ist eine fantastische Schwertkämpferin und über ihre magischen Fähigkeiten würdest du staunen. Sie macht die Mistkerle platt“, erklärte Finntam energisch und sehr bestimmt.

„Mein Freund hat recht“, sagte Samwinn gelassen. „Und wir beide verstehen auch zu kämpfen. Außerdem sind wir durch unsere geringe Körpergröße begehrte Kundschafter wie du sicherlich weißt.“

„Magische Fähigkeiten“, murmelte Sakon beeindruckt. „Also gut. Dann nichts wie los und seid bedankt.“ Er schulterte seine Axt, die ihm nach der Heilung keine Last mehr war und ihn auch nicht mehr zu Boden drückte.

Ariella band ihre Kette wieder um und versteckte sie unter ihrem hemdartigen Oberteil.

Wenig später befanden sich der Zwergenführer Sakon, Ariella vom Volk der Ishilok, jedenfalls zur Hälfte, sowie die Halblinge Samwinn und Finntam auf dem Weg zu der Diamantenmine im Westen Smethamas, um die verschleppten Zwerge zu befreien. Wahrlich kein leichtes Unterfangen.

„Am günstigsten wäre es, sie noch unterwegs abzufangen“, sagte Sakon, als sie eine kurze Verschnaufpause einlegten. „Sie haben nur wenige Stunden Vorsprung. Wir können sie einholen.“

„So wie du die Kerle beschrieben hast, sind es Söldner, die für Geld alles tun. Es ist allerdings die Frage, ob sie gewillt sind stundenlang zu laufen. Wenn nicht, würde das ihren Marsch verzögern und uns entgegenkommen“, überlegte Ariella laut.

„Was ist Geld?“, fragte Sakon.

Natürlich! Wie dumm von mir! Woher soll ein Zwerg in dieser Welt das wissen! dachte Ariella ärgerlich über sich selbst.

„Es ist etwas von Wert, das demjenigen, der es besitzt, große Vorteile verschafft“, versuchte sie zu erklären.

Sakon sah sie groß an. „Wir nennen das Flok“, erwiderte er. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Die Halblinge hielten leichtfüßig mit.

„Was sagtest du, woher du kommst?“, fragte Sakon plötzlich.

„Von weither. Von sehr weither“, erwiderte Ariella leise. Und für einen kurzen Moment tauchte das Bild ihrer Familie und ihres kleinen, gemütlichen Hauses vor ihr auf. Sie schluckte und lief der Trauer davon.

„Das glaube ich mittlerweile auch“, murmelte Sakon in seinen dichten Bart.

Am späten Nachmittag stießen sie auf die Spuren eines Lagers und auf einen toten Zwerg. Man hatte ihn zu Tode gepeitscht.

„Das war Koktos, der Schlächter“, sagte Sakon voller Hass. „Er hat einen von uns mutwillig getötet. Dieses Mal kommt er nicht davon. Wir werden ihn jagen!“

Ariella und die beiden Halblinge halfen ihm schweigend seinen Gefährten mit dessen Waffen und einem Gebet unter Steinen zu begraben. Sie verzichteten darauf den Toten zu verbrennen, wie es bei den Zwergen üblich war, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Und hierbei entdeckte Ariella eine neue Fähigkeit an sich, die ihnen dabei half. Es gelang ihr, kraft ihrer Gedanken, ihres Wollens, auf telekinetischem Wege große Steine zu bewegen und das Grab dadurch bedeutend schneller fertigzustellen, denn die Zeit drängte.

Ihre noch verborgenen Fähigkeiten schienen immer dann zum Vorschein zu kommen, wenn sie diese benötigte. Die Elfen-Zauberin hatte ihr nicht zu viel versprochen.

Sakon, dem die Magie unheimlich war, sah sie mit neuem Respekt an. Wer ist sie? Woher kommt sie? Was ist ihre Bestimmung? fragte er sich.

Gegen Mittag entdeckten sie die frischen Spuren eines Trupps, der an dieser Stelle gerastet hatte.

„Wir sind ihnen dicht auf den Fersen“, freute sich Sakon. „Bis zur Mine schaffen sie es heute nicht mehr. Sie werden ein Nachtlager aufschlagen. Unsere beste Chance, im Schutze der Dunkelheit meine Kameraden zu befreien.“

Ariella nickte zustimmend. „Wir müssen sie ablenken, irgendwie im Lager Unruhe stiften“, überlegte sie laut.

Sakon runzelte die Stirn und starrte nachdenklich vor sich hin.

„Was ist? Was überlegst du?“, fragte Ariella.

„Das mit dem Unruhe stiften ist gut“, erwiderte der Zwerg. „Und ich habe da auch schon eine klasse Idee.“

„Und was ist das für eine Idee?“, wollte Ariella wissen.

Sakon grinste. „Wenn wir sie eingeholt haben, hole ich Hilfe herbei. Mehr verrate ich jetzt nicht. Aber glaubt mir, diese Dreckskerle werden es noch bitter bereuen, uns angegriffen und einen meiner Jungs getötet zu haben“, versprach Sakon hasserfüllt.

Ariella musterte sein hartes Gesicht mit den tiefliegenden braunen Augen und der breiten Nase. Von den Lippen war unter dem üppigen Bart nichts zu erkennen. Obwohl sie ihn erst seit wenigen Stunden kannte, vertraute sie ihm, was sie nicht wenig überraschte!

Während sie weitereilten, wurde der Boden weicher und die Spuren deutlicher. Die Gesuchten konnten nicht mehr weit vor ihnen sein.

Jetzt hörten sie auch Geräusche und Zurufe in einer Sprache, die der Umgangssprache auf Smethama zwar ähnelte, wovon Sakon jedoch nicht alles verstand. Für Ariella war sie jedoch nicht fremd. Es war ihre Muttersprache.

Hinter Gebüsch versteckt, beobachteten die Gefährten das provisorische Lager, welches die Söldner zu Füßen des Hügels aufgeschlagen hatten, von dem aus ihre Verfolger sie beobachteten.

Die Männer saßen im Dämmerlicht des frühen Abends um einige Feuerstellen herum, aßen und tranken und ließen es sich gutgehen. Drei Packpferde – beladen mit den Waffen der Zwerge – grasten zwischen den Büschen.

Aneinander gebunden, bewacht von zwei mit Armbrust und Schwert bewaffneten Söldnern, hockten die gefangenen Zwerge etwa dreißig Schritte entfernt vom Lager unter einer Anzahl von Bäumen, die in dieser Einöde überlebt hatten und lange Schatten warfen.

Ihre Häscher hatten es nicht für nötig befunden, ihre Gefangenen nach dem anstrengenden Tag zumindest mit Wasser zu versorgen.

Ariella musterte besorgt die Männer unter sich. Sakon hatte gesagt, Koktos, der Kuttenmann, sei unter ihnen gewesen. Ihm durfte sie auf keinen Fall begegnen, wenn der Schattenfürst weiterhin an ihren Tod glauben sollte.

Samwinn, der davon wusste, ließ den Blick seiner glänzenden Augen umherwandern, die weitaus besser sahen, als das menschliche Auge. Doch den Kuttenmann entdeckte auch er nicht.

Die um die Feuerstellen lagernden Söldner trugen Tarnkleidung, die gleiche, wie die auf der Erde lebenden Soldaten.

„Woher stammen die denn?“, fragte Sakon leise. „Die sind ja seltsam angezogen. Hast du so was schon mal gesehen?“

Ariella nickte. „Da, wo ich herkomme, sieht man so etwas häufiger“, erwiderte sie.

„Echt? Da laufen wirklich so seltsame Typen rum? Die tragen ja noch nicht mal ‘ne vernünftige Lederrüstung“, sagte Sakon abfällig. „Gegen Zwerge haben die im Kampf nicht die geringste Chance, da können sie noch so in die Länge geschossen sein! Von weitem erinnerten sie mich anfangs an Krieger der Ishilok. Aber beim Näherkommen stellte ich fest, dass das eine Beleidigung für das Volk der Ishilok und deren Krieger wäre.“

„Ich bin zur Hälfte eine Ishilok“, erwiderte Ariella leise.

„Das habe ich mir schon fast gedacht“, erwiderte Sakon zu ihrem Erstaunen, „Mich haben nur deine schwarzen Haare irritiert.“

Die Vorsehung

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