Читать книгу Die Vorsehung - Bärbel Junker - Страница 16
FÜNF TAGE SPÄTER
ОглавлениеAriella saß in Gedanken versunken an dem bezaubernden Seerosenteich, der nahe ihrer gemütlichen Unterkunft in einem kleinen Park lag.
Fünf lange Tage, die jedoch wie im Fluge vergangen waren, lag es jetzt zurück, dass die Hohe Herrin Lisha’yinn sie und die beiden Halblinge hierher in die Elfenstadt Isha’Aran gebracht hatte.
Und die Elfenstadt war wunderschön, so schön, dass ein Sterblicher es fast nicht ertragen konnte, sie anzuschauen.
Diese geschmeidigen Formen, die so zauberhaft mit der üppigen Natur und den eleganten Bauten harmonierten, wobei kein Gebäude dem anderen glich, denn jedes Bauwerk spiegelte die Seele seines Bewohners ebenso wieder wie die zahlreichen Skulpturen und die Kunst die Seele des Künstlers.
Aber das Herzstück der Stadt war der, dem Gott Ortharyon, dem bedeutendsten Gott der Elfen, geweihte lichtdurchflutete Tempel, dessen Schönheit kaum zu beschreiben war.
Auf unzähligen schneeweißen, wundervoll verzierten Marmorsäulen ruhte das elegant zum Firmament emporstrebende, von Blumenranken umwundene Dach, während zierliche weiße Brücken sich über den weiten, den Tempel umgebenden See schwangen. Blumenrabatte begrenzten die Wege, die zum Tempel führten. Ein opulenter Farbenrausch für alle Sinne.
Nicht weit entfernt vom Tempel des Ortharyon, zwischen den mit Türmen in vielen Formen und Farben, Balkonen und Erkern geschmückten Häusern aus zumeist weißem Stein, reckten sich stolze, uralte Bäume empor. Einige dieser von den Elfen verehrten Bäume hatten es gestattet, dass lichtdurchflutete, weitläufige Baumhäuser in und um sie herum errichtet wurden, in denen Elfen lebten. Eine Symbiose zwischen Elf und Baum.
Kleine Wasserfälle, zahlreiche Teiche mit in wunderschönen Farben leuchtenden Seerosen geschmückt, nahmen das Auge gefangen und brachten die Seele zum Klingen.
Keine Fantasy-Geschichte die ich jemals las, wurde auch nur annähernd der unglaublichen Vielfalt, Schönheit und rauschhaften Farbigkeit dieser Elfenstadt gerecht, dachte Ariella.
Aber Isha’Aran ist so phantastisch, so die Sinne betörend und dabei so belastend, dass ich hier nicht leben könnte, obwohl die Bewohner dieser herrlichen Stadt mich mehr als aufmerksam und zuvorkommend behandeln.
Im Augenblick empfand sie noch Ruhe und Entspannung in der Schönheit und dem Liebreiz der sie umgab. Und sie fühlte sich endlich einmal wieder so wohl wie seit langem nicht. Was vielleicht auch daran lag, dass sie wieder ein Ziel hatte, auf das sie sich konzentrieren musste, wollte sie überleben.
Alles hatte sich verändert. Ihr ganzes Leben war aus den Fugen geraten und musste neu bedacht und geordnet werden.
So viel Neues über sich und die Vergangenheit ihrer Familie hatte sie erfahren, viel mehr, als vielleicht gewollt, hätte sie eine Wahl gehabt.
Aber die hatte sie nicht, hatte sie zu keiner Zeit besessen!
Ihr Weg war vorherbestimmt, daran bestand für sie nach dem Gespräch mit der Elfen-Zauberin Lisha’yinn nicht mehr der geringste Zweifel.
Ihre Herkunft verpflichtete sie dazu, dem Schattenfürst Einhalt zu gebieten und Smethama zu retten!
MUSSTE MEINE FAMILIE DESHALB STERBEN?
Ach, Ingner, hättest du doch nie versucht, meine Herkunft zu ergründen! Was hast du herausgefunden?
Offensichtlich zu viel wie die Zauberin meint. Andernfalls wären du und unsere geliebte Tochter wahrscheinlich noch am Leben.
Vermutlich bist du bei deinen Recherchen über meine Herkunft auf die Prophezeiung, die Existenz und vielleicht sogar auf einen Zugang zu der Parallelwelt Smethama gestoßen. Die Hohe Herrin dieser Welt, dieses göttliche, ehrfurchtgebietende Wesen, ist davon überzeugt, und ich bin es mittlerweile auch.
Und da du nie ein Geheimnis aus deinen Forschungen gemacht und dich jedem gegenüber geöffnet hast, haben die Spione des Schattenfürsten wohl davon erfahren.
Dir muss beim Lesen der Prophezeiung klar geworden sein, dass ich mit der Retterin gemeint sein könnte, solltest du erfahren haben, dass ich zur Hälfte von einem der Völker auf Smethama abstamme.
UND DAS WAR UNSER TODESURTEIL!
Der Schattenfürst wollte sichergehen und ließ dich, unsere Tochter und mich umbringen. Nur das gerade ich als einzige entkam.
Heute glaube ich, dass du mir an jenem Abend vor dem Unglück von Smethama erzählen wolltest.
Doch ich war zu müde und schlief ein, dachte Ariella traurig.
Sie lehnte sich zurück, bis sie auf dem Rücken im weichen Gras lag und blickte hinauf zu den zwei Sonnen, die in einem ständigen Reigen umeinander kreisten. Sie wurde nicht müde es sich immer wieder anzuschauen.
Dabei ging ihr das Gespräch durch den Kopf, das sie mit der Zauberin geführt hatte. Eigentlich hatte sie nur zugehört. Was hätte sie auch zu dem, was diese ihr erzählte, sagen sollen?
Dein Name ist Ariella Minikara. Du stammst zur Hälfte vom Volk der Ishilok und zur Hälfte von den Menschen ab, weil das Urvolk der Ishilok sich vor langer Zeit mit den Menschen vermischte.
Unter deinen Vorfahren gab es viele Magier und viele berühmte Krieger. Doch die berühmteste Kriegerin und Magierin der Ishilok war Lavertyra Minikara von der du abstammst und der du unglaublich ähnelst. Auch sie hatte so rabenschwarzes Haar. Eine Seltenheit bei deinem Volk, klang ihr noch immer die Stimme der Elfen-Zauberin im Ohr.
In dir schlummern überaus starke, magische und kriegerische Fähigkeiten. Sie müssen geweckt werden wie manche andere auch. Doch zuerst einmal gilt es, dich der Magie zu öffnen.
Und genau das wird unser nächster Schritt sein! Wir haben nicht viel Zeit. Deshalb werde ich deine verborgenen Speicher öffnen und dich im Schnelldurchgang alles lehren, was du brauchst, um gegen deine Feinde gewappnet zu sein.
Du wirst lernen, die in dir schlummernde Magie zu beherrschen, um mit ihrer Hilfe deine Bestimmung zu erfüllen und Smethama zu retten.
Wirst du das tun, Ariella?
Wirst du unsere Welt retten, zu der du ja nun auch gehörst?
Sie hatte darauf nichts erwidern können, hatte die Elfen-Zauberin nur ungläubig angestarrt. Und dabei waren diese ungeheuren Eröffnungen noch lange nicht alles gewesen!
In den düstersten Farben hatte Lisha’yinn ihr das Leid der Zwerge und Halblinge, der Elfen und Feen, Ninai und Saru, Ishilok und Maliki und all der vielen anderen Lebewesen ausgemalt, die seit dem Auftauchen des Schattenfürsten verfolgt und zur Arbeit in dessen Mine gezwungen wurden.
Und die Zukunft würde Lisha’yinns Überzeugung nach, noch bedeutend düsterer sein, weil es etwas gab, dass nur sie wusste.
Ich bin davon überzeugt, dass der Schattenfürst, den niemand kennt, deiner Welt entstammt. Er bedeutet eine tödliche Gefahr für meine friedliche Welt. Ich bin mir dessen sicher, denn ich habe mich ein wenig mit deiner Heimat beschäftigt. Ich habe erfahren, was eure Waffen anrichten, weiß von einigen der schrecklichen Untaten die dort begangen werden. Ich werde es mit all meiner Kraft, meinen Fähigkeiten verhindern, dass Ähnliches auf Smethama geschieht.
Vernichte diese gewissenlose Kreatur, die den Tod zu uns bringt! Trenne danach meine Heimat und die ihrer Bewohner für immer von der Menschenwelt Erde, bevor der Schattenfürst Smethama vernichtet! hatte die Zauberin sie beschworen.
Aber wie, Herrin? Wie soll ich Euch helfen? Wie könnte mir das gelingen? hatte sie gefragt, und dabei waren ihr die Tränen übers Gesicht gelaufen.
Mit Hilfe der Magie, der Waffen und derer, die dir zur Seite stehen werden, hatte die Zauberin geantwortet. Außerdem werden dich „Das Schwert der Ehre“, „Der Ring der Wahrheit“ und „Das Elixier des Lebens“ unterstützen.
Allerdings musst du dir diese Helfer erst verdienen. Ich weiß allerdings nicht wie. Aber du wirst es wissen, wenn die Zeit reif dafür ist. So sah ich es in meinen Visionen, die mir die Götter schickten.
Ich kann dir deshalb auch nicht sagen, welche Aufgabe du erfüllen musst, um „Das Schwert der Ehre“ zu erhalten. Ich weiß nur, dass die Zwerge es wie ihren Augapfel hüten. Sie werden es nicht so ohne weiteres herausgeben.
Über den „Ring der Wahrheit“, ist mir nur bekannt, dass er der Auserwählten die Identität des Schattenfürsten offenbart.
Und „Das Elixier des Lebens“, wird auf der Insel Korach im Schicksalssee, von dem Ungeheuer Rundringol bewacht. Ich weiß nicht, ob du Rundringol kämpferisch oder diplomatisch entgegentreten sollst, ich weiß nur, dass du dich dem Ungeheuer alleine stellen musst und ihm kein Leid geschehen darf. Mehr konnte ich nicht erfahren. Die Magie, die mich in die Zukunft schauen lässt, ließ es nicht zu. Es tut mir leid.
„Mir auch“, murmelte Ariella. „Die Hohe Herrin hat gut reden. Woher soll ich wissen wie, wann und wo ich an diese Hilfsmittel gelange?“
„Du wirst es wissen“, sagte Samwinn, der schon eine Weile unbemerkt neben ihr stand und ihre Worte vernommen hatte. „Das Erbe deines Volkes und besonders das Erbe Lavertyras ruht in dir. Du wirst nicht scheitern.“
Ariella reckte sich seufzend. Dann stand sie auf und strich ihre Jacke glatt.
„Du siehst toll aus“, sagte Finntam hinter ihr. „Wie eine Kriegerin. Viel besser, als in deinen anderen Sachen.“
Aha, jetzt will er seine kleinen Unfreundlichkeiten von unterwegs wieder gutmachen, dachte Samwinn amüsiert.
Aber Finntam hatte recht!
Ganz in schwarzes Leder gekleidet bot Ariella mit den kniehohen Stiefeln, der schwarzen Jacke, dem ebenfalls schwarzen, mit goldfarbener Stickerei verzierten Oberteil, dem in einem schlichten Futteral auf ihrer Hüfte hängenden Schwert und dem zu einem Zopf geflochtenem schwarzen Haar das beeindruckende Bild einer Kämpferin.
Und eine Kämpferin war sie!
Das hatte sie in einem Testkampf bewiesen. Selbst die Herrin Lisha’yinn hatte begeistert geklatscht, als Ariella den Elfenkrieger Sil’kor besiegte.
Dass Ariella seit vielen Jahren den Schwertkampf als Hobby betreibt, ist unserer Herrin Lisha’yinn bei allem Wissen und aller Weisheit anscheinend entgangen, dachte Samwinn amüsiert, der es von Ariella wusste.
Ich wünsche mir so sehr, dass Ariella bei all dem, was da auf sie zukommt, nichts passiert und dass sie für immer bei uns bleibt, denn ich habe sie vom ersten Augenblick an lieb gewonnen, dachte der kleine Halbling.
„Das habe ich auch, mein lieber, kleiner Samwinn“, sagte Ariella dicht neben ihm.
Samwinn erschrak. Was war geschehen? Las Ariella etwa seine Gedanken? Aber das konnte nicht sein, oder doch?!
„Keine Sorge, Samwinn. Normalerweise werde ich diese neue Gabe bei meinen Freunden nicht ohne deren Erlaubnis nutzen“, beruhigte ihn Ariella.
„A … aber wieso?“, stotterte Samwinn.
„Die Stunden bei eurer Hohen Herrin Lisha’yinn waren nicht vergebens“, erwiderte Ariella leise. „Es war nicht besonders schwer. Es hat den Anschein, als wollte die Magie zutage treten, als hätte sie darauf gewartet, sich auf Smethama endlich zu entfalten. Und sie wird mit jedem Tag stärker und sich mir offenbaren, hat mir die Hohe Herrin prophezeit.“
„Da … dann bist du jetzt auch eine Zauberin?“. stotterte nun auch Finntam verwirrt. Nur gut, dass ich nie böse Gedanken habe, dachte er erleichtert.
„Außer vielleicht, wenn du hungrig bist“, neckte ihn Ariella. „Das war jetzt das letzte Mal“, entschuldigte sie sich, als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck gewahrte. „Ab sofort lese ich nur noch in euren Gedanken, wenn ihr es mir erlaubt.
Aber um auf deine Frage zurückzukommen, Finntam. Noch bin ich wohl keine große Zauberin. Doch verfüge ich bereits jetzt über einige Fähigkeiten, die uns bei unserem Vorhaben nützen werden“, erklärte sie.