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2. Übertragung der Trassenführung
ОглавлениеNach der oberirdischen Planung der Tunneltrasse muss diese im Zuge der Bauarbeiten praktisch umgesetzt werden. Geschieht dies im Gegenortverfahren, wird der Tunnel von beiden Portalen aus aufgefahren. Um die ober Tage ausgesteckte Trasse nach unter Tage zu übertragen, muss die Flucht über zwei weitere Fixpunkte vor den Portalen verlängert werden. Befindet sich gegenüber dem Portal ein Tal mit einem Gegenhang, wird der Fixpunkt so auf diesem Gegenhang ausgesteckt, dass er vom Tunnelinneren aus möglichst lange zu sehen ist. Gibt es keinen Gegenhang, wird am Anfang des Tunnels ein Visierschacht abgeteuft und ein auf der Trassenlinie liegender Fixpunkt in den Tunnel abgelotet. Beim Vortrieb muss darauf geachtet werden, dass die Flucht zwischen Portal und Fixpunkt am Gegenhang oder im Visierschacht möglichst genau eingehalten wird. Die Grundrisse antiker Tunnelbauten zeigen, dass während der Vortriebsarbeiten Kontrollmessungen und Richtungskorrek turen vorgenommen wurden. Bei Tunneln mit großem Querschnitt wurden zuerst Suchstrecken vorgetrieben und erst nach erfolgtem Durchstich der gewünschte Querschnitt aufgefahren. Trotzdem kam es vor, dass die Baulose aneinander vorbeiarbeiteten und durch einen Querschlag miteinander verbunden werden mussten. Vor einem derartigen Problem stand Nonius Datus, ein Landvermesser und Angehöriger der legio III Augusta, der in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. mit der Planung und Bauleitung der Wasserleitung von Saldae (Béjaïa) in der Provinz Mauretania Caesariensis (Algerien) beauftragt wurde. Als er während der Bauarbeiten krankheitshalber die Baustelle verlassen musste, kam es beim Bau eines 428 m langen Tunnels zu erheblichen Schwierigkeiten. Durch Vergleich der Längen der vorgetriebenen Strecken mit den Bauplänen stellte man fest, dass sich die Baulose des im Gegenortverfahren vorgetriebenen Tunnels unter Tage verfehlt hatten. Nun holte man Nonius Datus erneut, der das Problem und seine Behebung in einer Inschrift, die in Lambaesis, einer Stadt in der Provinz Numidia, gefunden wurde, in seinen eigenen Worten beschreibt: „Ich habe mich aufgemacht und bin auf dem Weg unter Räuber geraten. Ausgeraubt und verwundet bin ich mit den Meinen entronnen. Ich bin nach Saldae gekommen und habe den procurator Clemens aufgesucht. Er hat mich zu dem Berg geführt, wo man über den misslungenen Tunnelbau klagte; man glaubte, ihn aufgeben zu müssen, weil der Vortrieb der beiden Stollen bereits länger ausgeführt war, als der Berg breit war. Es war also offensichtlich, dass man mit den Vortrieben von der Trasse abgekommen war; so wie der obere Teil des Tunnels nach rechts, also nach Süden abwich, so ist in ähnlicher Weise der untere Teil ebenfalls nach rechts, also nach Norden abgewichen; beide Baulose haben also die Richtung verfehlt, weil man der Trasse nicht gefolgt war. Die exakte Trassenlinie war aber mit Pfählen von Ost nach West über den Berg abgesteckt worden. Als ich die Arbeiten zuteilte, damit sich jeder im Klaren war, welche Strecke des Vortriebs [der Querverbindung zwischen den beiden Baulosen] er aufzufahren hatte, habe ich die Flottensoldaten und die Gaesatischen Hilfstruppen um die Wette arbeiten lassen [von beiden Seiten her], und so haben sie sich beim Durchstich des Berges getroffen. Ich war es also, der zuerst das Nivellement gemacht und den Bau der Wasserleitung organisiert und in die Wege geleitet hatte nach den Plänen, die ich dem procurator Petronius Celer gegeben hatte. Das vollendete Bauwerk hat der procurator Varius Clemens durch die Einleitung des Wassers seiner Bestimmung übergeben“ (CIL 8, 1, 2728 [vgl. 18122] Übersetzung Grewe 1998). Der von Nonius Datus beschriebene Tunnel wurde im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und für eine neue Wasserleitung nutzbar gemacht.
Die zweite in der Antike bekannte Möglichkeit, die korrekte Umsetzung des Tunnelbauplans sicherzustellen, war das Lichtlochverfahren. Diese Methode kam nur zum Einsatz, wenn die Überlagerung des geplanten Tunnels von nur geringer Mächtigkeit war, dann allerdings beinahe immer. Beim Tunnelbau im Lichtlochverfahren werden entlang der obertägig ausgesteckten Trasse Schächte bis auf das Tunnelniveau abgeteuft, die Fixpunkte mit dem Lot übertragen und anschließend die Strecken zwischen den Schächten vorgetrieben. Die Verbindung aller Baulose ergibt den fertigen Tunnelbau. Die Gefahr, sich unter Tage zu verfehlen, ist bei diesem Verfahren kaum gegeben, und das Abraummaterial kann über die Schächte ins Freie befördert werden.