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13.

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Montagmittag Polizeipräsidium. Kurz vor zwölf fahren Maria und Clemens mit dem Aufzug in das Kellergeschoss des Polizeipräsidiums. Die Katakomben, wie die Räume unter den Kollegen genannt werden, beherbergen das KK 43. In den gewölbeartigen Kellern sind die Labors der Spurensicherung und der Kriminaltechnik untergebracht. Hier befindet sich das Reich von Armin Schoeller.

Vom Aufzug gehen die beiden Hauptkommissare einen langen Gang entlang, der durch Neonröhren in grelles Licht getaucht ist. Überall hängen Überwachungskameras an den Decken, deren kleine rote Birnen, die seitlich angebracht sind, immer dann aufblinken, sobald sie einen Besucher ins Visier nehmen. Am Ende des Ganges befinden sich, durch eine große, weiße Stahltür mit einem kleinen vergitterten Fenster abgetrennt, die kriminaltechnischen Büros. Clemens gibt seinen Code in die Tastatur am Eingang ein, bestätigt und tritt einen Schritt zur Seite, damit auch Maria ihre Zahlenkombination eintippen kann. Dann öffnet sich die schwere Tür wie von Geisterhand, langsam und lautlos. Dahinter führt ein weiterer Gang tiefer ins Innere. Hohe Glaswände trennen die einzelnen Labore und Büros. Eine eigentümliche Atmosphäre herrscht hier. In jedem Labor stehen Hightech-Apparaturen, die farbig blinken, komische Geräusche machen und auf deren Monitoren Sinuskurven und mathematische Berechnungen zu erkennen sind. Wie unter einer Glasglocke bewegen sich die Mitarbeiter, konzentriert und bedächtig, ohne die Hektik, die in den oberen Stockwerken ausbrechen kann. In einem der hinteren Büros finden sie Schoeller, der an seinem Stehpult Berichte durchsieht. Als er Maria und Clemens bemerkt, winkt er sie in seinen Glaskasten. Er begrüßt sie heute mal nicht grantelig, sondern ist ausgesprochen guter Laune.

»Was kann ich für euch tun?« Neugierig schaut er auf die längliche Polyestertasche, die Clemens über der Schulter trägt.

»Wir haben dir die drei Waffen von Erika Wagner zur ballistischen Untersuchung mitgebracht«, entgegnet Clemens und schiebt nach einer kurzen Pause nach: »Leider sind sie schon gereinigt, und aus dem Kleinkalibergewehr wurde erst gestern geschossen.«

Schoeller zieht eine Augenbraue hoch. Dann packt er die Gewehre aus und betrachtet sie in aller Ruhe.

»Du weißt schon, dass wir da womöglich nur mit der großen ballistischen Untersuchung zu handfesten Ergebnissen kommen, die auch vor Gericht Bestand haben?«

Clemens bejaht.

»Dann lass mal deinen Charme spielen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Pia Cremer das genehmigt.«

Clemens lächelt. Der Kriminaltechniker wird sich schon etwas einfallen lassen, egal ob die Oberstaatsanwältin ihre Zustimmung gibt oder nicht.

Auf dem Rückweg müssen beide an der großen Stahltür erneut ihre Codes eingeben, um den Laborbereich wieder verlassen zu können.

»Ich komme mir vor wie im Hochsicherheitstrakt«, rutscht es Maria leicht genervt heraus. Clemens bemerkt wie immer: »Nur wegen dir. Nur so können die sicher sein, dass du nicht wieder an den Apparaten herumspielst.«

Die Frotzelei der beiden hat ein jähes Ende, als ihnen Otto Kreutz auf dem Flur zu ihren Büros begegnet. Clemens nimmt die Gelegenheit wahr und informiert den Kriminalrat en passant über die anstehende Untersuchung der Waffen. Kreutz ist wie erwartet alles andere als erfreut.

»Meinst du nicht, das hätte noch Zeit gehabt? Wenn sie wirklich am Sonntag auf der Jagd gewesen ist, wird das ein teurer Spaß und bringt womöglich gar nichts.«

»Ja, ja, ich weiß, aber ich will nichts unversucht lassen. Ich rufe Pia Cremer gleich an. Ich werde sie bestimmt überzeugen können.« Clemens versucht, Optimismus auszustrahlen.

Kreutz schüttelt den Kopf. Dann lässt er das Thema fallen und berichtet kurz über die Pressekonferenz. Die Journalisten hatten für ziemlichen Wirbel gesorgt, sie mit Fragen bombardiert und nicht locker gelassen. Es sei ruhiger geworden, nachdem die Oberstaatsanwältin ein Machtwort gesprochen habe. Die Mithilfe der Presse sei zugesichert. Die Medienpräsenz sollten sie nicht unterschätzen. Schon jetzt werde der Mord bundesweit in den Nachrichten behandelt, und morgen seien die Blätter voll davon. Es würde ihn auch nicht verwundern, wenn ein paar Journalisten sich an ihre Fersen heften.

»Einen Vorgeschmack haben wir ja schon vor dem Haus von Senta Hartmann erleben dürfen«, bemerkt Maria.

»Also, gebt acht«, mahnt der Kriminalrat. »Was habt ihr jetzt vor?«

»Wir fahren gleich zu Sieglinde Frank, das ist die ehemalige Babysitterin von Senta Hartmanns Tochter. Sie betreibt ein Restaurant in der Franklinstraße«, antwortet Clemens.

Nur ein edel gestaltetes Schild macht auf das kleine französische Restaurant St. Malo von Sieglinde Frank aufmerksam. Für Düsseldorf typisch, gelangt man durch eine Toreinfahrt in ein kleines Paradies. Clemens und Maria sind angenehm überrascht, als sie den Innenhof betreten. Er ist stilvoll gepflastert und mit großen Pflanzenkübeln und einigen Holztischen ausgestattet, die fast bis auf den letzten Platz besetzt sind. Ein kleiner Weg führt zwischen den Tischen hindurch zu einem zweistöckigen älteren Haus, das vollkommen mit Efeu bewachsen ist.

Als Clemens durch den Türrahmen tritt, kann er im letzten Moment den Kopf einziehen, und auch Maria, die mit ihren 1,75 Metern nicht gerade sehr groß ist, duckt sich. Im Inneren ist es recht dunkel, sehr gediegen, aber gemütlich. Vor der Bar stehen sechs Tische, mit weißem Damast geschmackvoll eingedeckt. Kaum haben sich Clemens’ Augen an das schummrige Licht gewöhnt, muss er auch schon zur Seite treten, denn ein Ober kommt mit schnellem Schritt aus der im hinteren Teil des Hauses gelegenen Küche und balanciert gekonnt mehrere Teller auf seinem Unterarm. Der Hauptkommissar kann seinen Blick kaum von den Speisen lassen, so appetitlich sieht das Dargebotene aus. Maria, die seitlich von ihm steht, räuspert sich. Sie ahnt, was kommt. Der Ober hinter der Bar, der Getränke auf einem Tablett arrangiert, begrüßt sie freundlich.

»Hallo, wollen Sie nicht lieber bei dem schönen Wetter draußen Platz nehmen? Wir finden bestimmt noch einen freien Tisch.«

Schnell schaltet sich Maria ein, stellt Clemens und sich vor und bittet, Sieglinde Frank sprechen zu dürfen.

Der Sommelier lächelt. »Das ist jetzt ganz schlecht.« Er winkt beide zu sich und öffnet die Tür zur Küche. Dort geht es eindeutig hektisch zu. Da wird gerufen und gerannt, und mittendrin steht Sieglinde Frank in weißer Kochjacke mit Vorbinder und französischer Kochmütze und dirigiert ein gastronomisches Orchester.

»Wann wird es denn ruhiger?«, fragt Clemens.

»In einer Stunde ist der ganze Zauber erst einmal vorüber, bis es dann heute Abend wieder turbulent wird.«

Clemens schaut Maria an. »Hätten wir uns ja denken können, um diese Uhrzeit. Aber ich mache dir einen Vorschlag.«

Maria unterbricht ihn. »Ich weiß, was du sagen willst: Lass uns hier eine Kleinigkeit essen, denn heute gab es ja noch nichts.«

»Genau. Und ich lade dich ein.«

Maria schmunzelt und gibt nach. Und wirklich, draußen ist noch ein Tisch frei, direkt in der Nähe des Eingangs, windgeschützt, und sogar die Sonnenstrahlen finden den Weg in den Innenhof. Kaum hat sich Clemens seine Sonnenbrille aufgesetzt, kommt der Ober, bringt ihnen das bestellte Wasser und referiert die Gerichte des Tages.

»Als Vorspeise kann ich Ihnen ›Soupe de poissons‹ oder ›Pâté maison‹ anbieten, als Hauptgericht haben wir ›Loup de Mer‹ oder ›Entrecôte charolaise mariné‹, als Nachtisch ›Crème Brûlée‹ oder ›Assiette de Fromages‹. Wenn Sie einen Salat wünschen, können Sie zwischen zwei Kreationen wählen: unserem ›Salade Bonemine‹ mit gebratener Hühnerleber, Speck, Champignons, Sellerie, Mais, Tomaten und Paprika oder unserem ›Salade des Pyrenées‹, einem Feldsalat mit überbackenem Ziegenkäse und Croûtons.«

Clemens entscheidet sich für die Fischsuppe, und Maria wählt die Pastete. Entspannt blinzelt er in die Sonne und schaut sich interessiert um. Er genießt diese kleinen Auszeiten, da kann er Menschen beobachten und seinen Gedanken nachhängen. Maria musste es erst lernen, diese kleinen Verschnaufpausen für sich zu nutzen.

Als der Ober die Fischsuppe auf einem viereckigen tieferen Teller vor Clemens abstellt, ist dieser sehr angetan: Mehr Fisch als Suppe und es duftet köstlich. Kaum sind sie mit der Vorspeise fertig, kommt Sieglinde Frank an ihren Tisch.

»Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt?«, fragt sie.

Clemens steht auf, begrüßt sie und stellt seine Kollegin vor. »Das Essen war vorzüglich. Haben Sie nun Zeit, sich mit uns zu unterhalten?«

Sie nickt und setzt sich zu den beiden an den Tisch.

»Ich muss gestehen, bis heute habe ich Ihr Restaurant nicht gekannt, aber ich bin begeistert. Das Essen war wirklich ausgezeichnet, und die Atmosphäre hier, sagenhaft, man glaubt, in einem kleinen Ort in Südfrankreich zu sein, und nicht mitten in Düsseldorf.«

Die Besitzerin lacht, und die beiden erkennen: Hier hat jemand seine Profession gefunden.

Clemens beginnt das Gespräch entspannt, und schon bald haben sie eine Menge über Sieglinde Frank erfahren. Sie hat das Restaurant von einem älteren Franzosen übernommen. Einen Teil des Personals hat sie behalten und zwei neue Mitarbeiter eingestellt. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger hält sie ihre Speisekarte klein. Jeden Tag etwas anderes, jeweils zwei Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts und natürlich zwei Salate zur Auswahl. Das Besondere an ihrer Küche ist, dass sie alles selbst frisch zubereitet. Bei ihr gibt es keine Convenience, weder bei den Beilagen, den Salaten noch bei den Soßen. Auch bei Fleisch und Meeresfrüchten hat sie ihre ganz speziellen Lieferanten. Da landet auch schon mal eine ganze Rinderhälfte in ihrer Küche. Clemens hört gespannt zu, und auch Maria merkt man das wachsende Interesse an der kleinen gastronomischen Einführung an.

Schließlich kommt der Hauptkommissar auf das eigentliche Anliegen zu sprechen und bittet die Gastronomin, ihr Verhältnis zu Frau Hartmann zu erläutern und Auskunft über die Drohung vor Gericht zu geben, die sie gegenüber Briest geäußert hat.

Senta und Sieglinde sind alte Schulfreundinnen. Damals waren sie in derselben Clique. Nach dem Abitur haben sie sich aus den Augen verloren. Als Senta ein Kindermädchen suchte, haben gemeinsame Freunde sie, Sieglinde, empfohlen. Sie berichtet von ersten Auffälligkeiten und der Scham, Senta darauf hinzuweisen. Sie habe Briest nie ausstehen können. So ein selbstgefälliger Typ, der alles andere als charmant gewesen sei, der ihr immer zu verstehen gegeben habe, sie sei nur das Kindermädchen.

»Wissen Sie, nach der Urteilsverkündung war ich sehr aufgebracht. Meiner Meinung nach hat man Marie hintergangen. Niemand der Anwesenden, ob Gutachter, Juristen oder die Verfahrenspflegerin, hat eine Vorstellung davon, wie der Missbrauch das Leben von Marie geprägt hat.«

»Haben Sie Ihre Drohung denn ernst gemeint?«, fragt Maria.

»Oh ja, ich hätte ihn am liebsten angesprungen. Aber ich habe mich wieder beruhigt.«

»Irgendjemand hat sich aber nicht beruhigt«, erwidert Clemens, der von Sieglinde nur ein Schulterzucken als Antwort bekommt. Das Alibi von Frau Frank ist mehr als dürftig. Sie habe sich am Nachmittag, nachdem sie alles für den Abend vorbereitet habe, zu Hause noch etwas hingelegt. Um neunzehn Uhr dreißig sei sie dann zurück ins Restaurant gekommen, um das Team in der Küche zu unterstützen. Die Küche sei bei ihnen immer bis dreiundzwanzig Uhr geöffnet. Danach habe sie sich in ihr Büro zurückgezogen, um die nächste Woche zu planen. Es sei ja nicht nur das Kochen, es müsse ja auch im großen Stil eingekauft werden. Die Vorratshaltung sei auch ziemlich aufwendig, und dann die Buchhaltung. Die mache zwar ein langjähriger Mitarbeiter, aber prüfen müsse sie dennoch. Das Restaurant schließe am Wochenende immer spätestens um zwei Uhr. Sie sei aber erst um drei nach Hause gefahren. Zeugen gebe es eine Menge, bis ungefähr halb vier, dann erst wieder von neunzehn Uhr dreißig bis zirka dreiundzwanzig Uhr. Irgendwann seien ihre Leute gegangen, nur ihr Sommelier hätte noch kurz ins Büro geschaut, das war so gegen zwei.

»Sind Sie jeden Freitagabend bis spät in der Nacht im Büro?«, will Maria wissen.

»Ja, der Freitag und der Samstag sind die umsatzstärksten Tage der Woche, da geht es richtig hektisch zu. Und bei dem ganzen Trubel kann ich auch nicht sofort abschalten und brauche noch etwas Zeit für mich.«

»Und in der Woche?«

»Wenn weniger los ist, kann es schon mal sein, dass ich früher gehe und mein Team sich selbst überlasse. Vorbereitet ist ja dann schon alles. Und am nächsten Morgen geht es für mich immer ziemlich früh los, dann muss eingekauft werden.«

»Wann haben Sie Ruhetag?«, erkundigt sich Clemens.

»Sonntag. Und den genieße ich. Deshalb auch die späten Bürostunden am Freitag und Samstag, damit für die kommende Woche alles geregelt ist und ich den Sonntag wirklich frei habe.«

Die Frage, ob jemand sie beim Verlassen des Restaurants oder bei ihrer Ankunft zu Hause gesehen hat, muss Sieglinde verneinen. Auch für den Freitagnachmittag gibt es keine Zeugen.

Clemens von Bühlow Kollektion

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