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Freitag früher Abend Petit Salon. Senta Hartmann schlüpft in das Kleid für die Generalprobe. Freitags und samstags tritt sie mit verschiedenen Liederabenden im Petit Salon in der Adersstraße auf. Ein Engagement, das ihr großen Spaß macht und ihr viel Selbstbestätigung gibt. Heute steht die Generalprobe für den morgigen Marlene-Dietrich-Abend an. Es fällt ihr schwer, sich nach der anstrengenden Verhandlung und dem sie erschütternden Freispruch ihres Ex-Mannes darauf zu konzentrieren. Doch bei einer Generalprobe kommen nicht nur Fans, sondern auch enge Freunde, und die kann sie heute gut gebrauchen. Danach ist sie mit ihrem Freund Pascal verabredet. Ihm gehört der Petit Salon. Sie muss ihm nichts erklären, er kann gut zuhören und hat selbst Schlimmes in seinem Leben erlebt. Das gibt ihr Kraft.

Kaum steht Senta auf der kleinen Bühne, fällt alles von ihr ab. Groß gewachsen, schlank, mit auffallender Haarpracht und dem figurbetonten Abendkleid nimmt sie den ganzen Raum ein. Und doch ist es nicht allein ihre mondäne Ausstrahlung, die begeistert. Es ist auch, trotz ihrer 45 Jahre, etwas Kindliches, das durchschimmert, das ihr so viel Sympathien einbringt. Ihre klare Stimme, die natürliche Ausstrahlung und ihre Liebe zur Musik reißen die Gäste in dem glamourösen Varieté-Theater mit. Nach zwei Zugaben strahlt sie vor Glück über die gelungene Probe. Pascal kommt auf die Bühne, umarmt Senta überschwänglich und zaubert hinter seinem Rücken einen Strauß roter Rosen hervor. Dann ergreift er mit graziösen Bewegungen das Mikrofon, ist ganz Entertainer, bedankt sich charmant beim Publikum und wünscht allen noch einen angenehmen Abend an der Bar. Unter erneutem Applaus geleitet er Senta von der Bühne.

»Du warst fantastisch. Die Gäste haben an deinen Lippen gehangen!« Pascal lächelt. »Aber jetzt lassen wir den Abend ungestört beim Cocktail ausklingen. Das Taxi steht schon vor der Tür.« Er umarmt sie nochmals, hilft ihr in den Mantel und begleitet sie zum Wagen.

In der Bogletti-Bar werden sie vom Besitzer begrüßt, der Pascal sofort in ein Gespräch verwickelt. Senta kennt das schon. Zuerst muss ein bisschen Tratsch ausgetauscht werden. Doch dann nutzt Pascal geschickt die Ankunft eines weiteren Gastes, um sich aus den Fängen der Unterhaltung zu befreien. Schnell fasst er Senta an der Hand und steuert mit ihr zielstrebig auf eine Nische zu, wo sich die beiden in eines der tiefen Ledersofas fallen lassen.

»Entschuldige, aber du kennst das ja.«

Senta lacht. »Ihr Lästermäuler.«

Pascal quittiert die Bemerkung mit einem beleidigten Gesichtsausdruck, der aber sofort in ein breites Grinsen übergeht.

»Ach, ständig diese eifersüchtigen heterosexuellen Damen. Komm, Schatz, erst einmal einen Cocktail und dann entspannen.« Durchatmen kann man im Bogletti ausgezeichnet. Das Ambiente, in dunklen, warmen Brauntönen gehalten, liebevoll eingerichtet mit einem sicheren Händchen für Stil und mit angenehmer Hintergrundmusik, lässt die Anspannung wie von selbst verschwinden. Nachdem Senta einen ›Coconut Kiss‹ und Pascal einen Champagnercocktail vor sich stehen haben, sprechen sie über den Erfolg des heutigen Abends. Ausverkauft! Und das bei einer Generalprobe. Pascals Augen leuchten, während er Senta von seinen Plänen berichtet.

»Silvester machen wir einen Operettenabend. Ach, das könnte man so schön inszenieren. Vielleicht lasse ich rote Rosen oder Sterne regnen.« Senta grinst. Pascal ist ganz in seinem Element. Er liebt Operetten.

»Wie wäre es mit dem Rosenkavalier?« Er lacht laut auf. »Du als Maria Theresa Fürstin Werdenberg mit deinem siebzehnjährigen Geliebten im Schlafgemach. Und dann das ganze Durcheinander, erst kommt dein Vetter und stört euch«, Pascal kommen vor Lachen die Tränen, »und dann der morgendliche Empfang mit Bittstellern, Intriganten und was sich da sonst noch so in deinem Schlafgemach tummelt. Das wird die ganz große Bühne. Das wäre ganz große Show und würde nicht nur unserem Publikum von der Rethelstraße gefallen.« Er ist nicht zu bremsen.

»Und natürlich die wunderschönen Roben. Ich bin sicher, dass uns Frau Sauter wieder mit ihrer Haute Couture unterstützen wird.«

Senta malt sich bereits den ersten Akt aus. Sie lässt sich gern von Pascals kreativen Einfällen anstecken, da sind sie wirklich ein produktives Team.

»Und dann die große Liebe mit allem, was dazugehört, mit Intrigen, Zweikämpfen, hingebungsvollen Küssen und einer Menge Tränen.« Pascal hat sich so in Rage gesprochen, dass er kaum noch Luft bekommt. Er nimmt einen Schluck Champagner, greift in die kleine Schale mit Erdnüssen und lässt sich in die Polster zurückfallen.

Nach einer kleinen Weile fragt er leise:

»Willst du von heute erzählen?«

Senta schaut ihn an. Ihr kommen die Tränen.

»Es war grauenhaft.« Sie wischt sich hastig übers Gesicht.

»Vielleicht war ich naiv. Aber ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass der Strafverteidiger Marie so in die Enge treiben würde. Immer wieder die gleichen intimen Fragen, immer wieder anders formuliert, sodass Marie zum Schluss vollkommen durcheinander war. Selbst die Verfahrenspflegerin, deren Aufgabe es ist, die Kinder zu schützen, ist nicht eingeschritten.«

»Ich verstehe das nicht. Wie konnte es zu einem Freispruch kommen? Maries Aussagen sind doch eindeutig.«

»Ja, das sind sie auch. Aber man hat keine Rücksicht auf Maries Behinderung genommen. Das ist wohl von Gericht zu Gericht verschieden, und in Düsseldorf läuft es eben so.« Sie rührt in ihrem Cocktail.

»Weißt du, es hat unglaublich wehgetan, dabeisitzen zu müssen, während der Strafverteidiger Marie in die Mangel genommen hat. Und Marie, dieses Seelchen, hat seine Fragen vertrauensvoll beantwortet und gar nicht bemerkt, dass er sich über sie lustig macht. Strafverteidiger sind doch wirklich das Letzte.«

Behutsam reicht Pascal ihr ein Taschentuch.

»Und ausgerechnet ich habe ihr gesagt, dass sie vor Gericht die Wahrheit sagen muss und alles erzählen soll, was der Papa mit ihr gemacht hat. Als dann der Strafverteidiger sie gefragt hat: ›Sag mal, Marie, hat die Mama dir gesagt, dass du uns das alles hier erzählen sollst?‹, da hat Marie natürlich geantwortet: ›Ja, die Mama hat gesagt, dass ich das alles sagen soll.‹ Natürlich hat sie die Frage des Strafverteidigers anders verstanden.«

»Und was machst du jetzt?«

»Keine Ahnung. Ich hatte nur diese eine Chance. Immerhin habe ich es versucht. Jetzt muss ich mich bemühen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und ich kann nur hoffen, dass Marie das alles verkraftet. Wie soll sie das verstehen, dass ihr Vater nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Wenn ich bedenke, welche seelischen Schäden meine Tochter davongetragen hat! Ihr geht es mittlerweile viel besser, dennoch rastet sie immer mal wieder aus. Und dann die Schlafstörungen. Sie hat immer noch Angst vor der Dunkelheit und schläft deshalb bei Licht. Jeden Abend schaut sie nach, ob jemand unter dem Bett liegt oder sich im Kleiderschrank versteckt hat.«

Senta hält kurz inne und streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Dass er seiner gerechten Strafe entgeht, ist das eine. Aber es gibt dabei noch eine andere Dimension. Ein Freispruch bedeutet, dass die Opfer nicht als solche rechtlich anerkannt werden. Und das wiederum heißt: keinerlei finanzielle Unterstützung bei der Therapie. Und Marie muss noch jahrelang therapeutisch behandelt werden. Wie ich das alles schaffen soll, ist mir ein Rätsel.«

»Du hättest vielleicht doch das eine oder andere Angebot annehmen sollen, ihn fertigzumachen.« Pascals Stimme ist der Zorn deutlich anzuhören.

»Ich habe auch immer mal wieder daran gedacht. Aber im Grunde ist das nicht der richtige Weg. Dann hätten wir noch mehr Probleme. Ich möchte mich lieber um Marie kümmern und das Geld für ihre Behandlung verdienen. Deshalb bin ich dir dankbar für deine Unterstützung.«

Jetzt lächelt sie schon wieder. Diese innere Stärke, sich immer wieder auf das Positive zu besinnen, sich nicht unterkriegen zu lassen und dabei nicht ihren Humor zu verlieren, liebt Pascal an seiner Freundin.

»Die Liederabende und eventuell weitere Projekte, das ist es, worauf ich mich jetzt konzentrieren möchte. Das gibt mir so viel Rückhalt, ich kann dir gar nicht sagen, wie wichtig mir das ist.«

Pascal lächelt. »Dann lass uns mit vereinten Kräften den Erfolg vorantreiben. Deine Liederabende sind echt der Renner, und dass sogar die Generalprobe so gut angenommen wird, ist sensationell.«

Er prostet ihr zu. »Auf das Gute im Leben.«

Senta trinkt langsam, stellt das Glas leise ab und trocknet die letzten Tränen.

Clemens von Bühlow Kollektion

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