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14.

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Montagnachmittag Ludenberg. Nachdem Clemens Maria im Polizeipräsidium abgesetzt hat, steuert er sein Auto durch die Innenstadt Richtung Grafenberg. Die vielen Baustellen verstimmen ihn. So ganz überzeugt ist er nicht von den neuen städtebaulichen Planungen im Rathaus, eine neue U-Bahn-Trasse, die Libeskind-Bauten am Schadowplatz und dann noch die Diskussion, ob der Tausendfüßler abgerissen werden soll. Als damals der Rheinufertunnel gebaut wurde, gab es ja auch viele Gegenstimmen, und jetzt möchte niemand mehr die Promenade am Rhein missen.

Kurz vor dem Grafenberger Wald biegt er in den Rolanderweg ein und parkt vor dem Haus, in dem Jacques Briest gewohnt hat. Er schaut auf seine Armbanduhr. Um diese Zeit ist Briest regelmäßig gejoggt. Clemens steigt aus dem Porsche, sieht sich um und steckt sich eine Zigarette an. Die Einfamilienhäuser sind schon in die Jahre gekommen, anzunehmen, dass hier noch kein Generationswechsel stattgefunden hat und die älteren Menschen sich die meiste Zeit in ihren Häusern aufhalten.

›Hier muss doch gleich der Rochusclub sein.‹ Er geht ein Stück die Straße hinauf und sieht den etwas versteckten Eingang zu den Tennisplätzen. ›Wird wohl der Nebeneingang sein.‹ In seiner Erinnerung, aber das ist schon Jahre her, ist die Zufahrt zum Clubhaus wesentlich einladender. Auf den einzusehenden Tennisplätzen im hinteren Teil ist kaum Betrieb. Er geht zurück und weiter Richtung Fahneburgstraße, die zur Rolandsburg und zur Rennbahn hinaufführt. Ab und an fährt ein Auto vorbei, aber auch hier sind keine Fußgänger unterwegs. Er zündet sich eine weitere Zigarette an und kehrt zu seinem Auto zurück. Er überlegt kurz, ob er dem Besitzer des Hauses Otto Langhans einen Besuch abstatten soll, als er plötzlich die Kameras an dessen Haus erblickt.

›Das ist es!‹ Eilig nimmt er die Stufen zur Haustür und klingelt. Niemand öffnet. Rasch holt er sein Handy aus der Manteltasche, ruft Flemming an und bittet ihn, Kontakt zu Langhans aufzunehmen, wegen der Kameras am Eingangsbereich.

›Wie lange werden solche Aufzeichnungen gespeichert? Die überspielen sich automatisch nach einer gewissen Zeit.‹ Das hätten Schoeller und sein Team sehen müssen. Er ärgert sich über das Versäumnis. Auf dem Weg zu seinem Wagen bemerkt er eine junge Frau, die eine ältere Dame im Rollstuhl schiebt. Er begrüßt die beiden, stellt sich vor und erkundigt sich, ob sie immer um die gleiche Zeit ihre Runden drehen. Die junge Frau bejaht dies, kann sich aber an nichts Außergewöhnliches in den letzten Wochen erinnern. Dem einsamen Jogger sei sie öfter begegnet.

»Kein Auto, das hier nicht hingehört, keine Fremden, die sich ungewöhnlich lange auf der Straße aufgehalten haben?« Clemens versucht, den beiden doch noch Informationen zu entlocken. Doch sie wissen nichts weiter. Wütend wegen der Schlampigkeit seiner Kollegen und der Erfolglosigkeit seines Ausflugs steigt er in seinen Porsche und fährt mit röhrendem Motor in die Stadt zurück.

Kurz vor achtzehn Uhr hat sich das Team im großen Besprechungsraum versammelt. Die Präsentationswand ist bereits zu einem farbenfrohen Flickenteppich geworden. Neben den Tatortfotos sind bunte Zettel befestigt, auf denen zahlreiche Hinweise, Fakten und Zusammenhänge notiert sind. Nachdem Pia Cremer die Pinnwand eingehend studiert hat, dreht sie sich zu den Kollegen um, schaut ungeduldig auf ihre Uhr und blickt dann zu Maria hinüber, die entschuldigend mit den Schultern zuckt. Nach wenigen Minuten wird die Tür aufgestoßen, und Clemens von Bühlow betritt eilig den Raum. Er grüßt kurz, geht direkt auf Flemming zu und fragt ihn nach Langhans.

»Den habe ich noch nicht erreicht, aber eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.«

Die Frage an den Oberkommissar kommt unwirsch über seine Lippen: »Die Überwachungskameras sind euch wohl nicht aufgefallen?«

»Was für Überwachungskameras?«, fragt Christian auf der Heide irritiert nach.

»Na, die bei dem Haus von Otto Langhans.«

Der Versuch, sich zurückzuhalten, gelingt nicht. »Wie kann man die nur übersehen! Ihr seid doch keine Anfänger, oder fängt bei euch eine Hausdurchsuchung erst hinter geschlossener Tür an?«

Christian auf der Heide bekommt einen knallroten Kopf. Clemens’ Blick lässt ihn noch einen Ton dunkler werden, was jenen amüsiert und dazu beiträgt, dass er sich etwas entspannt. Mit der Bemerkung »Ich hole mir eben noch einen Kaffee, dann können wir loslegen«, verlässt er den Besprechungsraum. Vor dem Kaffeeautomaten atmet er einmal tief durch, dann kehrt er sichtlich ruhiger zurück.

Pia Cremer wendet sich an Clemens. »Ich habe mit Schoeller gesprochen. Der Ballistiker untersucht die Waffen erst einmal mit den herkömmlichen Methoden. Wenn er dann zu der Einschätzung kommt, dass die große Untersuchung uns weiterhilft, werde ich das genehmigen, falls sich der Verdacht gegen Frau Wagner bis dahin erhärtet haben sollte.«

Clemens will die Oberstaatsanwältin nicht brüskieren und erklärt sich damit einverstanden. ›Schoeller wird dranbleiben, und wenn er nur den Lapsus mit den Videokameras wiedergutmachen will‹, ist er überzeugt. Maria referiert nun kurz, was das Gespräch mit Sieglinde Frank ergeben hat, und Clemens informiert die Kollegen über die Befragung von Erika Wagner.

»Hendrik, kannst du bitte Sebastian Hartmann, den Bruder von Senta, aufspüren? Er soll in den USA leben und geschäftlich viel auf Reisen sein. Würde mich interessieren, wo er sich zur fraglichen Zeit aufgehalten hat.« Clemens schaut kurz in sein Notizbuch. »Und morgen besuchen Maria und ich diesen Freiherrn von Clausen, den Jagdfreund von Frau Wagner. So, von unserer Seite war es das. Was gibt es bei euch Neues?«

Hendrik Flemming übernimmt. Er hat Kontakt zu den Kollegen in Brüssel aufgenommen. Seine Vermutungen und die Angaben von Senta Hartmann über ihren Ex-Schwiegervater sind bestätigt. Die Gerichtsakte aus Brüssel hat zudem Auskunft darüber gegeben, dass Jacques von seinem Vater über Jahre sexuell missbraucht wurde.

In der entstehenden Pause heftet Sonja Melchior eine weitere stattliche Anzahl neu beschrifteter Karteikarten an die Pinnwand. Dann ist Florian an der Reihe und schildert sein Telefonat mit dem Pfleger aus dem St.-Vinzenz-Krankenhaus. Der hat Lamberty um sechzehn Uhr dreißig mit seinem SAAB vom Parkplatz in Richtung Innenstadt wegfahren sehen. Clemens’ dunkle Augen blitzen für Sekunden auf.

Als Nächster hebt Christian auf der Heide die Hand. Seine Gesichtsfarbe hat sich wieder normalisiert, aber er wirkt immer noch betreten. Clemens nickt ihm aufmunternd zu. Maria registriert einmal mehr, dass er eine erstaunliche Begabung hat: Er versteht es, mit kleinen Gesten die jungen Kollegen zu motivieren. Umgekehrt braucht er nur den Ton etwas schärfer klingen zu lassen, dann erreicht er mehr an Aufmerksamkeit und Einsicht als manch ein Kollege, der laut wird.

Sichtlich engagiert berichtet Christian auf der Heide über die Befragung des anonymen E-Mail-Verfassers Michael Schneider. Der habe ihnen noch völlig verschlafen die Tür geöffnet, und zwar mit einem Restalkoholgehalt, der anfangs ein Gespräch kaum möglich gemacht habe. Nach drei Tassen Kaffee und einer halben Flasche Wasser sei es langsam gegangen. Schneider sei ziemlich fahrig gewesen, sie hätten immer wieder nachfragen müssen, weil er sich nur schwer habe konzentrieren können. Seine Tochter sei vor fünf Jahren im Alter von neunzehn Jahren vergewaltigt worden, der Täter bis heute nicht gefunden, mit den beginnenden psychischen Problemen seiner Tochter habe er nicht umgehen können, immer wieder sei es zu gravierenden Spannungen in seiner Ehe gekommen, die er leider durch Alkohol erträglicher gestalten wollte; dann Scheidung und wenig später der Verkauf der Agentur. Seine Tochter habe sich auch von ihrer Mutter immer mehr zurückgezogen und vor drei Monaten Selbstmord begangen. Er habe zu spät erkannt, dass er selbst Hilfe benötige, und jetzt sei ja sowieso alles egal.

»Das hat Schneider wortwörtlich gesagt.« Seine Wohnungseinrichtung zeige, dass es ihm finanziell mal ziemlich gut gegangen sein müsse. Jetzt sei jedoch alles verwahrlost. Für die Tatzeit habe er kein Alibi. Er sei nach der Verhandlung direkt nach Hause gegangen, habe die E-Mail an Frau Hartmann geschrieben und sich dann sinnlos betrunken. Er wollte aufholen, was er die letzten Tage eingespart hatte, um der Verhandlung einigermaßen nüchtern folgen zu können.

»Auch das ist ein O-Ton des Befragten«, versichert Christian. Irgendwann sei Schneider nach eigener Aussage dann auf seinem Sofa eingeschlafen – wann, wisse er nicht mehr – und mit höllischen Kopfschmerzen am späten Abend des darauf folgenden Tages aufgewacht. Dass es Samstag gewesen war, sei sicher, da er gerade noch bei Rewe am Carlsplatz eingelassen wurde. »Sein Allgemeinzustand ist schlecht«, konstatiert Christian, »er ist ziemlich geschwächt und mager. Dass er die psychische und körperliche Voraussetzung mitbringt, so eine Tat zu planen und auszuführen, halte ich für zweifelhaft.«

»Was hat die Befragung von Horst Büttner gebracht?«, will Maria wissen.

»Nichts, absolut nichts.« Auf der Heide ist die Verärgerung über das Verhalten des Strafverteidigers von Jacques Briest immer noch anzumerken.

»Der hat nicht allzu viel Zeit verschwendet. Als Pflichtverteidiger könne er sich vor Mandanten kaum retten und habe sich ganz auf seine Verteidigungsstrategie konzentriert. Über die Persönlichkeit von Briest und dessen soziales Umfeld könne er nichts sagen.«

»Konnte er nicht oder wollte er nicht?«, fragt Clemens gereizt nach.

»So wie ich den Typ einschätze, weiß er nicht viel über Briest, weil ihn das auch nicht interessiert. Was zählt, ist das Ergebnis vor Gericht. Und da war er ja erfolgreich.«

Christian zuckt entschuldigend mit den Schultern, doch dann hellt sich sein Gesicht auf.

»Da ist ein anderer Ansatz vielleicht vielversprechender.« Er berichtet von der Befragung der ARGE. Es ist eine Meisterleistung, dort jemanden anzutreffen, der Auskunft über Jacques Briest geben kann, da die sogenannten Betreuer dauernd wechseln. Ein Abteilungsleiter hat dann die Daten von Briest gesichtet. Er war seit über vier Jahren arbeitslos gemeldet, galt als schwer vermittelbar und verdiente sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens etwas dazu.

»Und jetzt kommt es: Als musikalischer Leiter eines Kinderchores und in den Schulferien war er Betreuer von organisierten Ferienfreizeiten für bedürftige Kinder.«

Clemens fährt sofort aus der Haut: »Das gibt es doch nicht! Das darf doch nicht wahr sein! Christian, suche doch bitte morgen sofort die Leiter dieser Institutionen auf.«

Es ist bekannt, dass Kinderschänder sich oftmals ehrenamtlich engagieren, um Kindern nahe zu sein. Dass aber trotz des öffentlichen Verfahrens und angesichts dieser Medienpräsenz Briest allem Anschein nach immer noch Zugang zu einem Kinderchor hatte, ist einfach unglaublich.

Am Ende der Besprechung bittet Hendrik nochmals um Gehör. Er hat vor dem Teamtreffen mit Schoeller gesprochen. Von den drei Gewehren der alten Dame ist nur das Kleinkalibergewehr in den letzten Tagen benutzt worden. Infrage käme die letzte Woche. Die kleine ballistische Untersuchung hat ergeben, dass sowohl das Kaliber als auch die Rotation der Kugel mit der Größe der Wunde und dem Einschusskanal übereinstimmen könnten. Der Ballistiker schätzt die Übereinstimmung auf sechzig Prozent, nach weiteren Untersuchungen könnte er eventuell auf siebzig Prozent kommen.

Clemens fängt den Blick der Oberstaatsanwältin auf.

»Ob sechzig oder siebzig Prozent, das reicht als Beweis vor Gericht nicht aus. Da können wir uns die große ballistische Untersuchung sparen«, stellt Pia Cremer pragmatisch fest.

»Aber sechzig Prozent ist doch eigentlich schon eine ganze Menge«, wirft Sonja Melchior ein.

»Für uns als Hinweis, um am Ball zu bleiben, schon, aber es taugt nicht vor Gericht, leider.« Clemens atmet tief durch und denkt kurz nach, dann verteilt er die nächsten Aufgaben: »Morgen lassen wir die Erstbesprechung ausfallen. Christian, du übernimmst die Chorleitung. Florian, du besuchst Dr. Lamberty. Wenn deine Befragung nicht greift, lade ihn einfach vor. Sonja, du schaust im Petit Salon vorbei und nimmst den Inhaber unter die Lupe. Der soll mal erzählen, mit welchen Leuten Frau Hartmann dort Kontakt hat. Maria und Hendrik, ihr geht heute Abend bitte die Gerichtsakten durch. Ich werde das Gefühl nicht los, dass im Prozess etwas vollkommen schiefgelaufen ist.«

Pia Cremer räuspert sich. Eine senkrechte Falte auf ihrer Stirn drückt nicht gerade Zustimmung aus. Doch der Hauptkommissar lässt sich nicht beirren, lächelt charmant und spricht weiter.

»Über eins war ich mir von Anfang an klar: Der Mord steht im Zusammenhang mit dem Missbrauch. Fragt sich nur, ob Briest noch andere Dramen zu verantworten hat. Und dann soll jemand die beste Freundin von Senta Hartmann, diese Jutta Schmittmann, aufsuchen, deren Kinder von Briest fotografiert wurden. Sonja, machst du das? Hendrik, telefoniere mal mit dem Küchenchef vom Italiener, bei dem Erika Wagner das Essen für Freitag bestellt hat. Frag nach, wann sie da war, wann das Essen geliefert wurde und wer es gebracht hat. Wir sollten auch die Freundinnen von Frau Wagner befragen. Hendrik, bitte mach auch Termine für Maria und mich, morgen am frühen Nachmittag.«

Bevor Clemens das Präsidium verlässt, schaut er auf einen Sprung bei Maria vorbei. Einen großen Luxus haben sie hier am Jürgensplatz. Jeder hat sein eigenes Büro. Bis auf sein eigenes und das von Otto Kreutz sind sie zwar eher klein, und das Mobiliar ist nicht mehr neu, aber jeder hat einen Computer mit Internetzugang. Vor zehn Jahren war das noch nicht so, da schrieben die Kommissare ihre Vernehmungsprotokolle auf der Schreibmaschine. Über die unterschiedlichen Anstrengungen der Kollegen, ihren Arbeitsplatz zu verschönern, ist er amüsiert. Christian auf der Heide hat Fotos seiner zwei Mädchen an der Wand, eingerahmt von ersten Malversuchen, Hendrik Flemmings Büro ziert ein großes Poster von Steve Jobs und ein ebenfalls großer Kalender mit erotischen Aufnahmen von spärlich bekleideten Männern und Frauen. Otto Kreutz, der ein begeisterter Hobbymaler ist, hat sein Büro mit eigenen Bildern ausgestattet, die nach Clemens’ Einschätzung gar nicht mal so schlecht sind. Und Maria versucht es mit Grünpflanzen. Als er eintritt, hantiert sie gerade mit einer Gießkanne.

»Wollen wir nicht zusammen noch etwas trinken und eine Kleinigkeit essen? Die Vorspeise im St. Malo war zwar köstlich, aber ich habe schon wieder Hunger. Wir können dann auch gleich den Tag Revue passieren lassen.«

»Und was wird aus den Gerichtsakten?«

»Die kannst du dir später ansehen. Wir bleiben nicht so lange, aber etwas essen sollten wir schon. Gehen wir zum Trompeter?«

»Oh, das reißt wieder ein Loch in meine Geldbörse.«

»Du musst ja keine Martinsgans essen, obwohl die da richtig gut ist.«

Maria genießt es, mit Clemens zusammenzusitzen, über den aktuellen Fall zu reden und ein bisschen zu flirten. Doch leider legt Clemens Wert auf gutes Essen, und das ist meistens nicht für ein paar Euro zu bekommen. Schon seit Langem nimmt sie sich vor, ihn mal mit einem tollen Vorschlag zu überraschen, gutes Essen für wenig Geld.

Vom Polizeipräsidium bis zum Trompeter sind es nur ein paar Schritte. Maria lässt sich überreden, im Raucherbereich Platz zu nehmen. Clemens ist zwar kein exzessiver Raucher, aber nach einem guten Essen kann er nur schwer auf seine Zigaretten verzichten, schon gar nicht, wenn er Wein oder Bier trinkt und dann noch über seine Arbeit spricht.

Maria begnügt sich mit einem Flammkuchen mit Zwiebeln, Speck und Käse. Clemens wählt die klassische Gänsekeule mit Rotkohl, Klößen und Maronen. Geschickt löst er das Fleisch von den Knochen, schiebt Rotkohl, ein kleines Stück Kloß und Gänsefleisch auf seine Gabel und lässt alles im Mund verschwinden. Dann wischt er sich den Mund mit der Serviette ab und nimmt einen Schluck von seinem Burgunder.

»Willst du probieren?«

»Nein, nein, lass mal«, antwortet sie lachend. Sie findet es erstaunlich, wie Clemens bei einem guten Essen entspannen und den Stress des Tages einfach so hinter sich lassen kann.

Kaum haben sie einen Espresso bestellt, klingelt Clemens’ Handy. Er nimmt das Gespräch an und eilt hinaus. Nach wenigen Minuten kommt er zurück.

»Ich habe es befürchtet. Die Bänder überspielen sich nach nur achtundvierzig Stunden.«

»Dann hätten uns die Aufnahmen zu einem früheren Zeitpunkt auch nicht weitergebracht.«

»Sehr wahrscheinlich, aber mir geht es ums Prinzip. Wie kann man nur so dämlich sein und die Kameras übersehen?«

»War sonst noch was?«

»Ja. Hendrik hat Sebastian Hartmann erreicht. Der ist seit Wochen in Brasilien und hat ein überzeugendes Alibi.«

Clemens zündet sich eine Zigarette an und lässt den Rauch langsam aufsteigen. Sie sprechen noch eine Weile über den Fall, kommen aber nicht im Geringsten weiter. Es bleibt ihnen also nicht erspart, weitere Befragungen im Umfeld von Sieglinde Frank, Lamberty und Schneider durchführen zu lassen.

Als sie das Restaurant verlassen, weht ihnen ein kühler Wind entgegen. Clemens klappt seinen Mantelkragen hoch, verabschiedet sich von Maria, deren Taxi gerade angekommen ist, und geht mit schnellen Schritten Richtung Hafen. Der Wind sticht auf seinen Wangen, und er ist froh, als er endlich sein Appartement erreicht. Ein Blick auf seine Armbanduhr macht seinen Entschluss zunichte, noch bei seiner Schwester in Bayern anzurufen, bei der die Eltern zu Besuch sind. Eine SMS zu schreiben, kommt nicht infrage, nachdem er sich fast zwei Wochen nicht gemeldet hat. Clemens öffnet seinen Kühlschrank und greift nach einer Flasche Grauburgunder, die er geschickt öffnet. Mit einem Glas Wein macht er es sich auf seiner Mies van der Rohe-Liege bequem und nimmt sich nochmals die Gerichtsakten vor. Nach anderthalb Stunden fallen ihm die Augen zu. Bevor er den Entschluss fassen kann, ins Bett zu gehen, ist er schon eingeschlafen.

Clemens von Bühlow Kollektion

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