Читать книгу Clemens von Bühlow Kollektion - Brigitte Lamberts - Страница 6
Prolog – November 2010
ОглавлениеFreitag später Nachmittag Grafenberger Wald. Ein dumpfes »Plopp« ist in der einbrechenden Dämmerung zu hören. Die Rehe im Wildpark spitzen kurz die Ohren, die Wildschweine halten beim Durchwühlen der matschigen Erde nach Essbarem inne.
Stufe um Stufe steigt eine Gestalt bedächtig den Hochsitz im Grafenberger Wald hinunter. Das Gewehr geschultert, geht sie über die Lichtung, den Kopf leicht geneigt. Das klassische Novemberwetter mit ungemütlichem Nieselregen hat an diesem Tag den Wald leer gefegt. Nach gut fünfzig Metern erreicht die Person ihr Ziel, bückt sich über den Toten und betrachtet ihn. Dann packt sie beherzt zu und rollt den Leichnam über die Grasnarbe hinab in die Mulde, schaut sich kurz um und rutscht vorsichtig den aufgeweichten Abhang hinunter. Bereits auf der Lichtung war die drückende Luftfeuchtigkeit zu spüren, hier in der Mulde steht die Luft.
Etwas von der Leiche entfernt legt sie das Gewehr und den Rucksack ab, streift dünne Gummihandschuhe über und holt ein Jagdmesser und eine Rippenschere aus dem Rucksack. Entschlossen dreht sie sich um und geht auf den Toten zu, der rücklings auf dem Muldenboden liegt, bückt sich erneut über ihn und beginnt ihn zu entkleiden. Eine schweißtreibende Angelegenheit, denn der Jogginganzug liegt eng an, und der Overall, den sie schon vor dem Erklimmen des Hochsitzes übergezogen hat, ist luftdicht. Schließlich ist es geschafft. Mit einer letzten schwungvollen Bewegung hält sie die Jogginghose in der Hand. Der Rest geht einfacher. Ohne Hast legt sie Jogging-anzug, Unterwäsche und Socken des Toten sorgsam zusammen und platziert sie mit den Turnschuhen einige Meter entfernt. Sie streckt sich, um den schmerzenden Rücken etwas zu entlasten, und atmet tief durch, greift nach dem Jagdmesser und schlitzt mit einem schnellen Schnitt die Arterien am Hals und im Leistenbereich auf, ebenso die Schlagadern an den Handgelenken. Das Blut strömt aus dem Körper, bildet eine Lache und sickert in Rinnsalen in die Erde. Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, bevor das Verstümmeln der Leiche beginnt.
Erst wird der Penis großräumig entfernt, dann die Hoden ausgeschält, die nur noch einen schlappen Hautlappen darstellen. Angewidert wirft die Gestalt das Glied und die gallertartige Masse weit von sich. Das Blut wirkt im fahlen Licht fast schwarz auf den Handschuhen. Immer wieder wischt sie mit einem Baumwolllappen ihr Werkzeug ab. Streckt sich, legt den Kopf in den Nacken, schaut sich um. Eine weitere gekonnte Bewegung mit dem Jagdmesser, und der gesamte Oberkörper vom Bauchnabel bis zur Kehle ist aufgeschlitzt. Am Brustbein bessert sie mit der handlichen Rippenschere nach. Beherzt reißt sie den geöffneten Brustkorb auseinander, greift hinein und zerrt mit einem kräftigen Ruck die Speiseröhre und die Innereien heraus. Hakt es irgendwo, wird mit dem Messer nachgeholfen. Obwohl das Aufbrechen mehr Zeit in Anspruch genommen hat als gedacht, betrachtet sie das Resultat mit Genugtuung: Hier liegt nur noch die Hülle eines menschlichen Körpers. Die Organe, glatt und glibberig, legt sie ebenfalls in der Nähe ab, die entsorgen die Raben und Füchse.
Mittlerweile ist es fast dunkel, nur der Mond spendet trotz der leichten Bewölkung diffuses Licht. Von Westen ziehen dicke schwarze Wolken auf. Sie holt die spezielle Stirnlampe aus dem Rucksack, die punktgenau Licht spendet, ohne als Lampe erkennbar zu sein. Denn jetzt kommt der knifflige Teil: Die Patrone muss wieder raus aus dem Schädel des Toten. Anspannung und Anstrengung der vergangenen vierzig Minuten fordern ihren Tribut. Die Hände zittern leicht, sodass sie Mühe hat, ein frisches Paar Gummihandschuhe überzustreifen. Hoch konzentriert führt sie eine kleine Zange in den Einschusskanal ein, rutscht aber mehrmals am Projektil ab. Dass sich das Geschoss verformt, damit hat sie gerechnet. Dass es aber unendlich viel Geduld braucht, um es zu entfernen, hätte sie nicht gedacht. Das hält jetzt auf. Endlich! Behutsam zieht sie die Kugel hervor. Mit schnellen Handgriffen schneidet sie das umliegende Gewebe der Einschusswunde heraus.
Sie erhebt sich, sammelt Handschuhe, Rippenschere, Zange und Baumwolllappen ein und verstaut alles in einer Plastiktüte. Dann rollt sie die Leiche auf die Seite. Von einem nahe stehenden Baum schneidet sie Zweige ab, einen legt sie auf den Körper des Toten, einen weiteren quer durch den Mund des Opfers.
Langsam klettert die Gestalt die Mulde hoch. Auf der Höhe der Grasnarbe blickt sie sich um, bevor sie über den kleinen Vorsprung den Waldweg erreicht. Sie zieht die Synthetikhaube vom Kopf, entledigt sich der Handschuhe, des Overalls, der Überzieher, packt alles zu den anderen Utensilien in die Plastiktüte und verstaut diese gut verknotet im Rucksack. Sie schultert das Gewehr und blickt nochmals auf den Toten. Schon hört man die ersten Schreie der Raben, ein langsam anschwellendes »Rab, Rab«.
Auf dem Weg zum Auto fallen erste größere Tropfen – der angekündigte heftige Regen. Kurz darauf gießt es in Strömen, als wenn eine Flutwelle Düsseldorf mit sich reißen wollte.