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16.

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Mittwochmorgen Polizeipräsidium. Draußen ist es noch dunkel, und das grelle Licht in Hendriks Büro quält nicht nur Clemens’ übermüdete Augen. Auch Hendrik schaut blinzelnd auf den Bildschirm seines PCs. Christian auf der Heide ist schon zu den Organisatoren der Ferienfreizeit unterwegs. Und Florian Schmidt und Sonja Melchior weisen die Kollegen von der Streife ein.

Clemens wartet mit einem Becher Kaffee in der Hand auf Maria. Ungeduldig fingert er eine Zigarette aus der Packung und tritt auf den kleinen Balkon hinaus, der direkt vor Flemmings Büro liegt.

»Bei den Temperaturen kann einem das Rauchen vergehen«, murmelt er, denn er hasst es, wenn alle den kalten Rauch riechen können, der ihn bei der Rückkehr ins Warme wie eine Dunstwolke umgibt.

Kurz darauf klopft Maria an die Balkontür.

»Da bist du ja endlich. Was ist denn los?«

»Ganz klassisch: verschlafen.«

Clemens drückt seine Zigarette in einem Blumenkübel aus, der nur noch Erde beherbergt, greift seinen Mantel und eilt Richtung Treppenhaus. Maria, die auf einen Kaffee gehofft hatte, folgt ihm leicht verstimmt.

Langsam wird es hell. Die kühle Luft tut ihnen gut, und sie entscheiden sich spontan für einen kleinen Umweg am Rheinufer. Der Hochnebel, durch den sich vereinzelte Sonnenstrahlen ihren Weg bahnen, taucht alles in eine eigentümliche Atmosphäre, als wenn die Zeit sich verlangsamt. Die beiden gehen schweigend nebeneinander her. Auf der Höhe der ehemaligen Piano-Bar Frontpage biegen sie in die Carlstadt ab, vorbei an der Zicke und dem Hotel Orangerie. Clemens bleibt kurz stehen und lässt das architektonisch reizvolle Ensemble aus Häusern im klassizistischen Stil auf sich wirken.

»Für mich ist das hier einer der schönsten Flecken Düsseldorfs. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich das herrschaftliche Treiben in den Adelspalais im 18. Jahrhundert gut vorstellen.« Maria lächelt. Auch sie genießt die ruhige Atmosphäre der historischen Altstadt fernab von den Kneipen rund um die Bolker- und Flingerstraße im Herzen der »längsten Theke der Welt«. Doch sie will weiter und gibt Clemens ein Zeichen, nicht länger zu trödeln. Sie laufen die Benrather Straße entlang und lassen den Carlsplatz links liegen. Noch ist nicht allzu viel auf dem Markt los, doch aus Erfahrung wissen sie, dass hier ein schnelles Durchkommen nur selten möglich ist. Die Besucher haben ausnahmslos die Angewohnheit, sich sehr langsam zu bewegen und oftmals abrupt in den schmalen Durchgängen stehen zu bleiben.

Von der Mittelstraße aus gelangen sie in die Wallstraße, gehen diese ein gutes Stück Richtung Carsch-Haus und bleiben dann vor dem Haus, in dem Schneider wohnt, stehen. Das vierstöckige Wohnhaus besteht hauptsächlich aus Appartements, nicht saniert, aber gepflegt, mit Innenhof und Laubengängen. Clemens drückt gleich auf mehrere Klingelknöpfe, in der Hoffnung, dass irgendwer aufmachen wird. Mit etwas zeitlicher Verzögerung melden sich zwei Stimmen: »Wer ist da?«

»Die Post«, antwortet Clemens mit fröhlicher Stimme und muss sich sichtlich zusammenreißen, um nicht loszulachen. Maria schüttelt nur den Kopf.

Systematisch gehen sie auf den einzelnen Etagen von Tür zu Tür. Doch wie erwartet sind die meisten Bewohner nicht da. Dennoch treffen sie vier Mieter an. Eine ältere Frau, die sehr schlecht hört und nichts von dem mitbekommt, was sich außerhalb ihrer Wohnung abspielt. Eine junge Frau mit einem einjährigen Jungen, der lachend in seinem Ställchen randaliert. Eine 40-Jährige, die sie aus dem Schlaf klingeln, da sie Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Und einen brummigen Rentner von der Sorte »mir bleibt nichts verborgen«.

Sie alle beschreiben Schneider als ruhigen, zurückgezogenen Nachbarn, den man kaum wahrnimmt. Die Krankenschwester ist ihm öfter im Treppenhaus begegnet, wenn sie zum Nachtdienst ging.

»Meistens war er ziemlich angetrunken, aber in den vergangenen Wochen tauchte er nicht mehr auf.«

Der Rentner versucht, den Eindruck zu vermeiden, er interessiere sich mehr als über das normale Maß hinaus für seine Nachbarn, kann aber mit einigen Details aufwarten. So berichtet er, dass Schneider die letzten Monate bis spät abends an seinem PC gesessen habe. Es sei ja nicht seine Art, in fremde Wohnungen zu schauen, aber da Schneider nie die Vorhänge zuziehen würde und sein Wohnzimmer immer hell erleuchtet sei, blicke man ganz automatisch durch die Fenster, wenn man am Haus vorbeiginge. Auf Nachfrage von Maria glaubt er beobachtet zu haben, dass Schneider in der letzten Woche morgens ging und am frühen Nachmittag zurückkehrte, um sich dann spät in der Nacht wieder aufzumachen. Was ihn umgetrieben habe, könne er aber nicht sagen.

Maria und Clemens sind sich einig: Schneider hat sich zusammengerissen, weniger getrunken und ist jeden Tag zur Verhandlung gegangen. Aber was hat er bis spät in die Nacht gemacht?

Vor dem Haus in der Wallstraße trennen sich ihre Wege. Maria Esser geht zurück ins Polizeipräsidium, und Clemens von Bühlow macht sich zu Fuß zur Luisenstraße auf. So kann er nachdenken und bekommt mal wieder mit, was sich in der Stadt verändert hat. Durch die Grabenstraße an der großen U-Bahn-Baustelle vorbei gelangt er auf die Kö. Er zieht es vor, am Kö-Graben unter den Platanen zu schlendern. Der neue Rollrasen an der Uferböschung sieht nicht mehr gut aus. Was hat er gelacht, als er erfuhr, dass die Dohlen den frisch ausgelegten Rasen, der noch nicht angewachsen war, umklappten, um an die darunter liegenden Regenwürmer zu kommen.

Nach ungefähr fünfzehn Minuten erreicht er die Luisenstraße. Das Kneipenlokal macht von außen keinen einladenden Eindruck. Kaum hat Clemens die Tür geöffnet, umgibt ihn ein abstoßender Geruch aus kaltem Zigarren- und Zigarettenqualm. An der Theke stehen schon die ersten Gäste beim klassischen »Herrengedeck«, einem Altbier und einem Killepitsch, dem Düsseldorfer Kräuterlikör. Der breitschultrige Mann hinter dem Tresen stellt sich auf Nachfrage als Inhaber der Kneipe vor und gibt bereitwillig Auskunft, nachdem er sich den Dienstausweis des Hauptkommissars hat zeigen lassen. Er bestätigt, dass Lamberty regelmäßig freitags sein Gast sei, geht aber nicht ins Detail. Clemens hakt nicht nach, denn diese Pokerrunden finden in privaten Räumen statt. Lamberty sucht den Kick nicht an den legalen Spielautomaten, die neben der Bar aufgereiht sind.

Anschließend geht er Richtung Mintropplatz, um dort in den Bus der Linie 725 einzusteigen. Interessiert bleibt er vor einem Sushi-Laden stehen, doch der scheint nicht stark frequentiert zu sein, sodass er dieser Versuchung widersteht. Ein Brötchen aus der Kantine muss gegen den Hunger reichen.

Noch im Mantel betritt Clemens das Büro von Hendrik, bittet ihn, alle hier zusammenzutrommeln, und verputzt in Windeseile ein Käsebrötchen. Kaum hat er die letzten Krümel von seinem Mantel geklopft und sich mit dem Taschentuch über den Mund gewischt, erscheinen die ersten Kollegen. Er zieht seinen Mantel aus und blickt in die Runde.

Viel Neues gibt es nicht. Die Befragungen im Umfeld von Sieglinde Frank und Erika Wagner waren erfolglos. Auch die Organisatoren der Ferienfreizeit konnten nichts Außergewöhnliches berichten. Briest habe sich einwandfrei verhalten und sei nie mit den Kindern allein gewesen, da die einzelnen Gruppen von acht bis zehn Kindern immer von zwei Betreuern beaufsichtigt werden.

Sonja meldet sich zu Wort: »Der Abend im Petit Salon geht klar. Schmitz hat vorhin zurückgerufen. Er hat den größten Teil seiner Stammgäste erreicht, informiert und um Mithilfe gebeten.«

»Wer hat Lust?« Clemens schaut seine Kollegen erwartungsvoll an. Niemand meldet sich. Er lässt sie noch ein wenig zappeln, dann deutet er auf Maria.

»Ich schlage vor, wir beide gehen hin. Wir machen uns auch ein bisschen chic.« Maria liebt bequeme Kleidung. Clemens hat sie selten anders gesehen als in Jeans, Sweatshirt und mit ihrer Lederjacke. Bei anderen Frauen mag dies ziemlich burschikos wirken, nicht so bei ihr. Vielleicht sind es die großen Silberringe, die sie abwechselnd trägt, ohne die sie nie aus dem Haus geht und die ihre Weiblichkeit dezent unterstreichen. Maria hingegen würde ihn gern fragen, ob er denn im Smoking käme, da er ja an einem normalen Arbeitstag schon herumlaufe wie zu einem Empfang im Rathaus.

»Florian und Christian, ihr bekommt heute auch mal einen Ausgeh-Abend, inklusive Spesen, versteht sich.« Clemens lächelt. »Macht es euch in der Altstadt gemütlich und habt ein Auge auf Schneider. Im Klartext: undercover auf Streife. Hat der Schneider eigentlich ein Auto? Hendrik, frag mal nach. Wenn dem so ist, bereitet euch auf eine Spritztour vor.« Die Kollegen verlassen Hendriks Büro, nur Clemens und Maria stehen noch unschlüssig zusammen.

Von Bühlow schaut in sein Notizbuch. So viele Befragungen, so viele Verdachtsmomente, und doch geht es nur langsam voran. Da kommt ihm eine Idee. »Maria, gestern war ein Kollege von uns bei Kreutz, in Rente, aber immer noch an unserer Arbeit interessiert. Jürgen Beyer heißt er. Er kennt Senta Hartmann, sagte Kreutz. Vielleicht weiß er etwas, das uns weiterhilft. Wir sollten ihm einen Besuch abstatten.«

»Gute Idee, ich besorge seine Adresse.«

Jürgen Beyer wohnt in einem kleinen Reihenhaus in Heerdt, das Anfang des 20. Jahrhunderts als Teil einer Arbeitersiedlung entstanden ist. Die Zeile der roten Backsteinhäuser ist gut erhalten, die Vorgärten liebevoll bepflanzt, nur ein Haus macht einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Die Fensterläden bräuchten dringend einen neuen Anstrich, der Vorgarten ist eine wilde Wiese, und die Dachschindeln dürften dem nächsten kräftigen Sturm nicht mehr standhalten.

Nachdem Clemens geklingelt hat, dauert es eine Weile, bevor Jürgen Beyer die Tür öffnet. Er erkennt den Hauptkommissar sofort wieder und bittet beide herein. Auch das Innere des Hauses ist verwahrlost. Das Laminat ist brüchig, die Wände haben lange keinen neuen Anstrich mehr bekommen, und die Möbel wirken abgenutzt. Mit ausgestrecktem Arm bittet er sie voranzugehen. Im Wohnzimmer setzen sie sich auf das Sofa. Der Ex-Kollege verschwindet in der Küche, kommt rasch zurück und drückt ungefragt jedem einen Becher Kaffee in die Hand. Dann nimmt er ihnen gegenüber auf einem Sessel Platz.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Sie wissen, an welchem Fall wir arbeiten?«, beginnt Clemens das Gespräch.

»Ja, der Tote vom Grafenberger Wald.«

»Otto Kreutz hat uns gesagt, dass Sie Frau Hartmann kennen und im Petit Salon Gast sind. Wir würden gerne mehr über dieses Umfeld und die anderen Gäste erfahren«, erklärt Maria.

»Viel kann ich Ihnen da nicht berichten. Ich gehe fast zu jedem Liederabend von Frau Hartmann. Ich bin ganz begeistert von ihr. Das Drumherum interessiert mich nicht. Sie könnte auf einem Güterbahnhof singen, dann wäre ich auch da. Kontakt habe ich zu niemandem und verlasse nach dem Konzert immer gleich den Salon.«

»Gibt es etwas, das Ihnen aufgefallen ist und mit Senta Hartmann in Zusammenhang gebracht werden kann?«

»Nein, nichts.«

»Haben Sie den Ex-Mann von Frau Hartmann mal kennengelernt?«, fragt Clemens nach.

»Nein. Ich kenne sie ja nicht persönlich und habe erst jetzt erfahren, dass sie früher mit Jacques Briest verheiratet war.«

»Haben Sie denn den Missbrauchsprozess nicht verfolgt?« Clemens ist irritiert.

»Nein. Hat mich nicht wirklich interessiert. Ich weiß nur, was in den Tageszeitungen gestanden hat.«

Die drei unterhalten sich noch eine Weile. Clemens gewinnt den Eindruck, dass Jürgen Beyer nur aus Höflichkeit Fragen über die aktuelle Situation im Polizeipräsidium stellt und seinen Besuch möglichst schnell wieder loswerden will. Rasch verabschieden sie sich.

»Das hat nicht viel gebracht.«

»Nein. Nicht wirklich. Nur die traurige Erkenntnis, dass der ehemalige Kollege einen verwahrlosten Eindruck macht.«

»Hast du deshalb den Kaffee nicht angerührt? Der war gar nicht schlecht.«

»Vielleicht war deine Tasse ja sauber, an meiner klebte noch die eingetrocknete Milch von anno dazumal.«

Zurück im Präsidium macht Clemens einen Abstecher zu Steinbeißer. Der sitzt an seinem Schreibtisch und kämpft gegen einen Berg von Unterlagen an.

»Wie läuft es bei dir?«

»Schlecht. Nichts, aber auch rein gar nichts. Das private Umfeld von Hausmann haben wir intensiv unter die Lupe genommen, keine Geliebte, kein Ehekrach, keine finanziellen Sorgen. Scheint ein solider Geschäftsmann zu sein, der sich im Rahmen der Legalität bewegt, und doch: Irgendetwas muss da sein.«

»Wie war er denn unterwegs?«

»Audi S5 Coupé Quattro, auffälliger Schlitten, aber den haben wir auch noch nicht gefunden.«

Clemens bedankt sich für die Auskunft und fährt nach Hause. Er hat das unbestimmte Gefühl, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Fällen gibt. Doch jetzt steht erst mal der Abend im Petit Salon an, und er möchte très chic sein, wenn er mit Maria dort auftaucht.

Clemens von Bühlow Kollektion

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