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Kapitel 1

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Constanze Taubert zog den Kopf ein und hastete die Straße entlang. Sie verwünschte sich zum x-ten Mal an diesem Tag, dass sie vergessen hatte, einen Schirm mitzunehmen. Nun goss es in Strömen, die junge Frau schlug den Kragen ihres schwarzen Mantels nach oben und beschleunigte ihre Schritte noch einmal. Sie konnte die gut gemeinten Worte ihrer Mutter schon hören. Ich habe dir doch gesagt, du sollst einen Schirm mitnehmen. Ich wusste, dass es Regen geben würde, das spüre ich in den Knochen. Constanze seufzte unwillkürlich auf, mittlerweile lief ihr das Wasser aus den Haaren und in den Nacken hinein, sie schauderte. Hoffentlich erkälte ich mich nicht noch, immerhin muss ich doch in einer Woche meine neue Stelle annehmen, dachte sie und nahm sich vor, gleich in die heiße Wanne zu steigen, sobald sie zu Hause war. Nach einem prüfenden Blick überquerte sie die Straße, endlich hatte sie das Mietshaus erreicht, in dem sie bisher mit ihrer Mutter zusammen in einer schmucken Vier – Zimmer – Wohnung lebte. Eigentlich träumte Constanze längst von ihren eigenen vier Wänden, doch vor nicht einmal einem Jahr war ihr Vater, viel zu früh, verstorben und ihre Mutter hing nun mit noch mehr Fürsorge an ihr als zuvor. Und da sie bald ihre neue Stelle als Lehrerin für Musik und Deutsch an einem Elite-Internat antrat, lohnte es sich kaum, sich etwas eigenes zu suchen, da sie die meiste Zeit in den Lehrerunterkünften der Schule wohnen würde. Ein wenig plagte Constanze das schlechte Gewissen, ihre Mutter allein zu lassen, doch irgendwann musste diese lernen, auch wieder ohne sie zurecht zu kommen. »Bist du das, Conny?« rief es aus dem Wohnzimmer, kaum dass die junge Frau die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte. »Ja, ich bin wieder zurück!« Wer soll es denn sonst sein?, dachte Constanze bei sich während sie sich mühsam aus dem nassen Mantel schälte. Kurz darauf betrat sie das überheizte Wohnzimmer. Dieses war ein Sammelsurium aus antiken Möbeln, in den Glasvitrinen stapelte sich Geschirr mit Goldrand, ein altmodischer Fernseher stand in der Schrankwand, in einem extra dafür eingebauten Fach, das man schließen konnte, wenn man nicht fern sah. Grünpflanzen zierten Fensterbank und Schränke, ein paar größere Pflanzen standen auf dem Boden. Ihre Mutter saß in einem Sessel, nahe an dem elektrischen Strahler, den sie zusätzlich zur Heizung angestellt hatte und las die aktuelle Ausgabe der Tageszeitung. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst einen Schirm mitnehmen.« hob sie an: »Ich wusste...« »...dass es Regen geben würde, das spüre ich in den Knochen!« beendete ihre Tochter den Satz für sie: »Ich weiß, Mama.« Sie trat zu ihr und gab ihr einen Kuss: »Ich werde fix in die heiße Wanne gehen, so, wie ich gefroren habe, hole ich mir sonst noch was weg.« Eine Viertelstunde später trat sie, die Haare noch nass vom Baden, aber wieder von wohliger Wärme durchströmt, erneut ins Wohnzimmer. »An welcher Schule fängst du nächste Woche an?« fragte ihre Mutter und sah ihre Tochter über den Rand der Zeitung hinweg scharf an. »Ach, Mama, dass habe ich dir doch bestimmt schon fünfmal gesagt.« Constanze versuchte, nicht allzu viel Ungeduld in ihre Stimme zu legen: »Es ist das Leenhardt-Gymnasium in H., warum fragst du?« »In der Zeitung ist ein Nachruf drin, von diesem Gymnasium, da ist wohl ein Schüler gestorben.« »Zeig mal her.« Constanze stellte sich hinter ihre Mutter und sah ihr über die Schulter. Sie musste die Augen zusammenkneifen, um die Anzeigen lesen zu können, normalerweise trug sie Kontaktlinsen, aber die hatte sie vor dem Baden raus genommen. »Setz doch deine Brille auf, Liebes!« tadelte die Mutter sanft: »Du bekommst doch sonst Kopfschmerzen, wenn du deine Augen so anstrengen musst.« Seit dem Kindesalter hatte Constanze regelmäßig unter schlimmen Migräneanfällen gelitten, bis ein Arzt herausfand, dass sie eine Brille brauchte. Jetzt litt sie nur noch selten unter diesen Attacken, am meisten, wenn sie unter Stress stand oder, wie jetzt, ohne Brille las. Doch Constanze wischte den Einwand ihrer Mutter ungeduldig mit der Hand weg, sie hatte den Nachruf gerade gefunden und las.

Ein guter Engel begleitet ihn, und seine Reise

wird ein gutes Ende nehmen. (Tobit 5,22)

Wir trauern um unseren Schüler und

Mitschüler

Toni Marcello

(3.8.1996 – 6.4.2012)

Die Klasse 10a, alle Schülerinnen und

Schüler sowie Lehrkräfte des

Leenhardt-Gymnasiums

»Das ist ja schrecklich!« entfuhr es Constanze, es nahm sie immer mit, wenn so junge Menschen starben. »Meinst du wirklich, du solltest an einer Schule unterrichten, wo solche Dinge passieren?« Constanze wusste, dass ihre Mutter nur deshalb so empfindlich reagierte, weil sie den Tod ihres Mannes noch nicht überwunden hatte. Auch Constanze vermisste ihren Vater, obwohl sie, vor allen in den letzten Jahren keine guten Erinnerungen an ihn hatte. Ihr Vater war ein Mann gewesen, der alles im Griff hatte. Als Kind und auch noch als Heranwachsende hatte Constanze die Stärke ihres Vaters bewundert. Er wusste genau, was er wollte und was er sich einmal vorgenommen hatte, setzte er auch um. Er war in seiner Firma Niederlassungsleiter gewesen und regierte dort mit harter, aber fairer Hand und die ihm unterstellten Mitarbeiter waren ihm loyal ergeben. Seine Niederlassung war die letzte, die vom Abbau betroffen war, als die Firma Konkurs anmelden musste, doch irgendwann musste auch er seinen Schreibtisch räumen. Nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle entglitt ihm nach und nach der Halt. Für ihn, der es gewohnt war, alles unter Kontrolle zu haben, war das eine Situation mit der er nicht zurecht kam. Es dauerte nicht lange, bis er anfing zu trinken. An Constanze, die in einer anderen Stadt studiert hatte und nur selten zu Hause war, waren die Anfänge seiner Alkoholsucht zunächst unbemerkt vorbei gegangen, denn ihre Mutter tat alles, um die Fassade der heilen Familie so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. An dem Motto Es kann nicht sein, was nicht sein darf hielt ihre Mutter nach wie vor fest und ließ kein schlechtes Wort gegen ihren Mann aufkommen. Der Alkohol schlug eine tiefe Schlucht, die sie nicht mehr überbrücken konnte und sie richtete ihre Konzentration nun ganz darauf aus, ihr einziges Kind zu schützen. Sie war froh, dass Constanze in einer anderen Stadt studierte und nicht genau mitbekam, was zwischen ihren Eltern ablief. Constanze registrierte jedoch mehr, als ihre Mutter ahnte. Ihr Vater veränderte sich immer mehr, er zog sich immer häufiger zurück, wurde aber ausfällig, wenn man ihn darauf ansprach. Constanze hatte es ein paar mal probiert, doch er ließ niemanden mehr an sich ran. Der Mensch, der vor knapp einem Jahr starb, war nicht mehr ihr Vater gewesen. Für sie war er längst fremd geworden, doch ihre Mutter hing immer noch in Liebe an diesem Mann, den sie einst geheiratet hatte. Und immer noch reagierte sie empfindlich auf alles, was mit Tod zu tun hatte. »Mama! Wer weiß, was mit diesem armen Jungen passiert ist, aber das hat doch mit der Schule nichts zu tun! Vielleicht war er krank, oder es war ein Unfall.« Constanze schüttelte den Kopf, wie um die traurigen Gedanken, die ihr durch den Geist schwirrten zu vertreiben. Statt dessen versuchte sie, sich das Gespräch mit der Direktorin der Schule in Erinnerung zu rufen. »An dieser Schule herrscht ein besonderer Geist.« hatte diese gesagt: »Deshalb ist es für uns enorm wichtig, unsere Lehrer mit Sorgfalt auszuwählen. Der christliche Glaube und die Musik sind bei uns groß geschrieben. Wie steht es mit ihrem Glauben?« »Ich wurde christlich erzogen.« hatte Constanze erwidert, daraufhin hatte die Direktorin sich vom Fenster abgewandt und sie gemustert. »Das habe ich Sie nicht gefragt.« Auch wenn Constanze gewusst hatte, wie wichtig diese Anstellung für sie war, hatte sie beschlossen, ehrlich zu sein. »Ich bin gerade dabei, meinen eigenen Weg zu Gott zu finden.« »Das ist doch nichts, wofür Sie sich schämen müssen. Jeder macht das durch und jeder zweifelt auch mitunter. Sehen Sie nur, was in der Welt alles geschieht, da muss man sich nicht wundern, wenn christliche und ethische Werte zu Grunde gehen. Sie wissen, nach wem unser Gymnasium benannt wurde?« »Nach dem französischen Pastor und Ethnologe Maurice Leenhardt.« antwortete Constanze sofort, froh darüber, dass sie sich gestern nochmal über diesen bedeutenden Mann belesen hatte: »Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde er in Neukaledonien zum Pastor ernannt und gründete eine Mission. Er übersetzte das neue Testament in die Sprache der dort lebenden Kanaken.« Frau Amberg nickte beeindruckt: »Sie sind gut informiert.« Sie blätterte in der Bewerbung, die vor ihr auf dem Tisch lag: »Sie sind noch sehr jung, 29 Jahre alt und haben ihr Referendariat am Hildebrand-Gymnasium in M. gemacht?« »Ja, es war eine sehr prägende Zeit, vor allem, was die Musik betrifft. Es herrscht dort ein sehr gutes Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und die Kollegen waren alle sehr nett.« »Warum haben Sie sich für den Beruf als Lehrerin entschieden?« »Es ist das Arbeiten mit jungen Menschen, das mich fasziniert. Das stetige Dazulernen und das nicht alles planbar, sondern die Unterrichtsstunde voller Überraschungen ist. Es macht mir Freude, zu beobachten, wie die Schüler ihre persönlichen Ideen entwickeln und umsetzen um sich künstlerisch auszudrücken und etwas Neues zu tun.« Die Direktorin hatte genickt, ihr gefiel die junge Frau, die vor ihr saß und mit einem solchen Enthusiasmus von ihrem Beruf sprach, außerordentlich. »Sie spielen Klavier seit sie sechs Jahre alt sind?« Constanze nickte: »Ich hatte einen sehr guten Lehrer, bei ihm habe ich unheimlich viel gelernt. Während meiner Referendar-stelle am Hildebrand-Gymnasium war ich dann eine Zeit lang Korrepetitorin für den gemischten Chor und habe mich auch in dieser Richtung weiter entwickelt.« Abschließend hatte die Direktorin sie gefragt, warum sie sich am Leenhardt-Gymnasium beworben hatte. »Vor allem nach meinem Referendariat am Hildebrand-Gymnasium war mir klar, dass ich gern an einer Schule unterrichten möchte, an der die Musik eine übergeordnete Rolle spielt.« hatte Constanze geantwortet: »Man geht an diesen Schulen bewusster mit der Musik um, interessierter und aufgeschlossener.« Obwohl das Gespräch gut gelaufen war, hatte Constanze schon nicht mehr damit gerechnet, die Stelle zu bekommen. Sie hatte sich noch an fünf weiteren Schulen beworben und war zu drei Vorstellungsgesprächen gebeten worden, aber ihr Favorit blieb das Leenhardt-Gymnasium. Eine Woche später hatte sie die Zusage dieser Schule aus dem Briefkasten geholt. Seitdem war sie von einer kribbelnden Vorfreude erfasst, die langen Jahre des Studiums waren vorbei, nun bekam sie endlich die Chance, ihren Traumberuf auszuüben und sie hatte sich geschworen, ihr Bestes zu geben. Wie sehr ihre Entschlossenheit auf die Probe gestellt werden sollte und dass sie dabei an ihre Grenzen geraten würde, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.

Confiteor Deo

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