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Kapitel 4
Оглавление»Du kommst spät.« empfing Horst Falkenbach seinen Freund mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Ich weiß, es gab einen kleinen Unfall. Dafür habe ich unsere neue Kollegin dabei.« »Sie sind Constanze Taubert?« Horst Falkenbach zog die Augenbrauen in die Höhe: »Sind Sie nicht ein bisschen jung?« Constanze seufzte. Bei Georg hatte es ihr nichts ausgemacht, dass er sie für eine Schülerin gehalten hatte, aber in dieser Frage lag ein geringschätziger Unterton, der ihr nicht gefiel. »Sollte mich auch nur eine Schülerin oder ein Schüler nicht als Lehrerin für voll nehmen, quittiere ich freiwillig den Dienst.« Horst Falkenbach merkte wohl, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war und beeilte sich nun, zurück zu rudern: »Schon gut, schon gut. Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Also noch mal von vorne. Ich bin Horst, willkommen im Kollegium.« »Danke.« Constanze legte ihre Hand nur zögernd in die ihr angebotene: »Meinen Vornamen wissen Sie ja schon.« »Ich habe ihr angeboten, sie herum zu führen und ihr beim Ausladen zu helfen.« unterbrach Georg die Anspannung: »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?« Horst wandte sich dem Schreibtisch zu, auf dem er bereits einige Papiere geordnet hatte: »Ja, du übernimmst die 5a, hier sind die entsprechenden Unterlagen.« »Danke. Na dann, komm.« sagte er an Constanze gewandt: »Jetzt zeige ich dir unsere Schule. Also dies hier ist das Lehrerzimmer, hier verbringen wir viel Zeit. Wir befinden uns im Westflügel, hier ist der komplette Schultrakt untergebracht.« Sie verließen das Zimmer und liefen einen langen, mit Linoleum ausgelegten, Gang entlang. »Hier liegen die Unterrichtszimmer, diese sind speziell für gewisse Fächer ausgestattet, aber das ist eher für die Chemie- Physik- und Biologielehrer von Interesse. Die Musikzimmer findest du hier allerdings nicht, es gibt einen eigenen Musiktrakt. Den zeige ich dir nachher, er liegt im Südflügel.« Sie stiegen eine Treppe hinauf und gelangten in einen weiteren Gang von dem mehrere Türen abgingen. Georg öffnete eine davon und ließ Constanze an sich vorbei eintreten. Es sah aus wie ein Klassenzimmer, außer das die Tafel fehlte, es gab auch keinen Polylux oder Kartenhalter. »Das sind unsere Studierzimmer, hier werden die Hausaufgaben gemacht. Wir beaufsichtigen die Klassen fünf bis acht, ab der neunten Klasse sind dafür die Klassensprecher selbst verantwortlich.« »Und das funktioniert?« Constanze war ein wenig skeptisch, sie wusste, dass nicht jeder Sechzehn – Jährige so viel Verantwortung schultern konnte. »Unsere Klassensprecher werden sorgfältig ausgesucht, sie werden zwar in erster Linie von der Klasse gewählt, aber die letzte Entscheidung obliegt den Lehrern beziehungsweise der Direktorin. Wer sich nicht vertrauenswürdig genug zeigt, kann jeder Zeit ausgetauscht werden.« »Das klingt aber nach einem ziemlich strengen Regiment – Fehler unerwünscht.« »Ganz so ist es natürlich nicht!« schwächte Georg ab: »Jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber wir haben einen so straff organisierten Tagesablauf, dass wir darauf angewiesen sind, uns auf die größeren Klassen zu verlassen, sonst wäre das gar nicht durchführbar.« »Was erwartet mich denn da?« erkundigte sich Constanze,nun neugierig geworden, während sie ihren Weg in Richtung Südflügel fortsetzten. »Frühstück gibt es um sieben Uhr, danach folgte die Morgenandacht in der Kapelle. Die zeige ich dir dann noch, sie liegt im Ostflügel. Auch für die Gestaltung der Andachten sind größtenteils die älteren Schüler verantwortlich. Chor oder Instrumentalisten sorgen für den musikalischen Teil und ein Schüler hält eine kurze Ansprache. Dieser meldet sich entweder freiwillig, sonst bestimmen die Lehrer einen, der es macht.« »Das wird doch aber sicher im Voraus geplant, die Schüler müssen sich ja schließlich vorbereiten können, oder?« Constanze wunderte sich immer mehr, wie viel den Schülern hier abverlangt wurde. »Ja, am Sonntag Abend, nach der Andacht, werden die Ämter der folgenden Woche festgelegt. Wer die Ansprachen hält, wer für die musikalische Gestaltung verantwortlich ist, wer die Tischgebete spricht und so weiter.« »Moment, Moment!« So langsam schwirrte Constanze der Kopf von den vielen Informationen, die in den letzten Stunden auf sie eingeströmt waren. Ihr brannten so viele Fragen unter den Nägeln, dass sie gar nicht wusste, wo sie beginnen sollte, also wiederholte sie die letzten Worte von Georg: »Tischgebete und so weiter?« »Es wird auch ein Schüler für jeden Tag festgelegt, der die Tischgebete bei Frühstück, Mittag und Abendbrot spricht. Meist ist dieser auch für die Ansprachen bei den Andachten verantwortlich. Was den musikalischen Rahmen angeht, dafür haben wir einen Chor, der meist eine Motette singt, manchmal gibt es auch Orgelmusik.« »Wird die Orgel auch von Schülern gespielt?« Constanzes Augen wurden groß, das Erstaunen war ihr so deutlich anzusehen, dass Georg lachen musste: »Nein. Die Orgel spiele ich.« »Du spielst Orgel? Respekt, also ich habe das mal probiert, aber ich bin am Pedal kläglich gescheitert.« Constanze lachte und ihre blauen Augen blitzten übermütig: »Da bleib ich lieber beim Klavier.« »Na dann.« sagte Georg und öffnete mit Schwung eine große Tür, vor der sie soeben Halt gemacht hatten: »Spiel mir mal was vor!« Sie hatten den Konzertsaal im Musiktrakt erreicht, in dessen Mitte ein großer, schwarzer Flügel stand. »Jetzt?« fragte Constanze unsicher und sah sich aufmerksam in dem Raum um, um Zeit zu schinden. Die Außenwand bestand aus riesigen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und viel Licht hereinließen. An der kurzen Wand links von der Fensterfront stand ein Podest, auf dem offenbar der Chor probte. Sie ging langsam durch die Stuhlreihen, auf denen wohl die Zuhörer bei Konzerten saßen, auf den Flügel zu und öffnete schließlich den Deckel. Es war ein Yamaha, gut gepflegt und – sie spielte eine Tonleiter – offenbar regelmäßig gestimmt. »Spiel etwas. Bitte.« bat Georg sie, Constanze ließ sich zögernd auf der Klavierbank nieder. Zunächst glitten ihre schlanken Finger etwas unsicher über die Tasten, doch als sie zu den Klängen von Chopins Nocturne in cis -moll fanden, überwog ihre Freude am Musizieren und sie entspannte sich zusehends. Sie beendete das Stück mit einem Lächeln im Gesicht, Georg applaudierte spontan. »Die Musik tut dir gut, oder? Das sieht man ganz deutlich.« »Ja, immer wenn ich Sorgen habe oder traurig bin, dann setze ich mich ans Klavier und spiele, danach geht es mir sofort besser.« »Wie lange spielst du schon?« »Seit ich sechs Jahre alt bin. Ich hatte einen guten Lehrer, der mich alles lehrte, was er selbst konnte.« »Aber Können allein ist nur die Hälfte. Dass du mit deinem Herz dabei bist, hört man deinem Spiel an. Sicher wirst auch du bald einmal gebeten werden, für die musikalische Umrahmung einer Andacht zu sorgen.« »Meinst du?« fragte Constanze zweifelnd: »Aber ich weiß gar nicht, ob ich das möchte. So vor dir zu spielen war ja noch okay, aber sobald viele Menschen zuhören, werde ich viel zu nervös. Damit hatte ich schon im Studium große Probleme, ich war froh, wenn ich die Prüfungen hinter mir hatte!« »Das legt sich mit der Zeit.« sagte Georg in einem Tonfall der eigene Erfahrungen vermuten ließ: »Glaub mir, ich war auch anfangs tierisch nervös, aber daran wirst du dich auch gewöhnen. Komm, es gibt noch mehr zu sehen!« »Seit wann unterrichtest du schon an dieser Schule?« erkundigte sich Constanze, während sie den Konzertsaal verließen. »Seit drei Jahren.« antwortete Georg kurz und hoffte, sie würde nicht weiter fragen, aber genau das tat Constanze: »Gefällt es dir hier?« »Ja, schon.« »Das klingt jetzt nicht gerade begeistert.« schmunzelte Constanze, sah dann aber irritiert auf. Sie hatte das Gefühl, das Georg sein Lächeln nur noch mühsam aufrecht erhielt, doch ihr Eindruck verflüchtigte sich, als dieser eine weitere Tür öffnete. Sie betraten einen riesigen Raum, der allerdings voll gestellt war mit Regalen. »Das ist unsere Musikbibliothek, hier findest du fast alle Noten, auch Klavier-Literatur, falls du da mal was suchst, und Musikwissenschaftliche Werke, wie Biographien von Komponisten zum Beispiel.« Constanze pfiff anerkennend durch die Zähne, natürlich hatte sie im Laufe ihres Studiums viel in Bibliotheken gearbeitet, aber diese Bibliothek hatte etwas Besonderes. So viele, zum Teil alte, aber noch sehr gut erhaltene Bücher, hatte sie noch nie gesehen. Sie hatte kaum Zeit, ihren Eindruck zu vertiefen, denn schon dirigierte Georg sie weiter. »Hier liegen die Übungsräume, in jedem steht ein Klavier. Die Schüler üben hier täglich zu bestimmten Zeiten. Weiter hinten befinden sich die Unterrichtsräume für Gesang und Klavier. Welches Fach unterrichtest du?« »Gesang.« »Welche Stimmlage? Warte, lass mich raten. Sopran?« Constanze lachte erneut hell auf: »Das war wohl nicht schwer zu erraten.« »Nein, deine Sprechstimme verrät es.« Er lächelte sie an, nun wieder gänzlich ungezwungen: »Jetzt zeige ich dir noch schnell die Kapelle und dann laden wir dein Zeug aus. In einer knappen Stunde gibt es Mittagessen.« Georg warf einen prüfenden Blick auf die Uhr und nickte, wie zur Bestätigung. In der Kapelle war es, im Gegensatz zum übrigen Gebäude, ziemlich kühl. Constanze zog sich ihre Jacke fester um die Schultern. »Zieh dich lieber etwas wärmer an früh.« riet Georg: »Wie du merkst, ist es hier um einiges kühler.« Constanze nickte und sah sich um, die Kapelle wirkte freundlich, der Altar-Raum war schlicht gehalten, lediglich ein großes Kruzifix aus Holz hing an der Wand. Das Licht, das durch die großen Bleiglasfenster fiel, warf bunte Muster auf den grauen Steinboden. »Hier finden die Andachten und Gottesdienste statt. Wie gesagt, früh halb acht ist die Morgenandacht, der Unterricht beginnt um viertel neun. Um zwölf gibt es Mittagessen, um sechs Uhr Abendessen. Der Tag endet mit der Abendandacht um halb acht, zwei Stunden später ist Nachtruhe. Sonntag fällt die Morgenandacht weg, dafür ist um zehn Uhr Gottesdienst. Nun lass uns mal dein Gepäck aus dem Auto holen, damit du dein Zimmer noch beziehen kannst.« »Ich weiß noch nicht einmal, welche Zimmernummer ich habe.« entgegnete Constanze. »Aber ich!« lächelte Georg beruhigend: »Es ist nur ein Zimmer frei, dass wird dann wohl deins sein.« Kurz darauf standen die beiden mit dem Gepäck vor einer braunen Tür, an die eine große goldene Vier gepinnt war. Der Schlüssel steckte außen dran, Constanze drehte ihn im Schloss und öffnete die Tür. Sie betrat ein kleines, zweckmäßig eingerichtetes Zimmer. Ein Tisch und zwei Stühle, ein Schrank und ein Bett mit Nachtisch, das war alles, was in diesem Raum zu finden war. »Du wirst es dir schon wohnlich machen.« sagte Georg, der wohl Constanzes Gedanken erraten hatte. Diese war derweil durch eine weitere Tür gegangen und inspizierte das kleine Bad. »Wenigstens gibt es eine Badewanne.« rief sie nach draußen: »Es wäre mir schwer gefallen, darauf zu verzichten.« Sie kam zurück ins Zimmer und sah entschuldigend zu Georg auf: »Sei mir bitte nicht böse, aber ich muss mal für eine Viertelstunde für mich sein. In den letzten Stunden ist so viel auf mich eingeprasselt und dazu noch die lange Fahrt, ich fühle mich ein wenig erschlagen.« »Du musst mir nichts erklären, ist schon gut. Ruh dich ein wenig aus, ich hole dich dann kurz vor dem Mittagessen ab, in Ordnung?« »Danke!« Als der junge Lehrer den Raum verlassen hatte, öffnete Constanze das Fenster und atmete in tiefen Zügen die frische Sommerluft ein. Es war für August ein ungewöhnlich kühler Tag, es roch nach Regen und es wehte ein leichter Wind. Gedankenverloren ließ sie ihre Augen über den großen Park schweifen, über die mit Kies bestreuten Wege und die großen Bäume, die Wiesen waren trotz der Sommerhitze von einem saftigen Grün und gepflegte Beete sorgten für farbliche Abwechslung. Erneut spürte sie, wie Dankbarkeit in ihr aufstieg. Sie war am Ziel ihrer Träume, Lehrerin an einem Elite-Internat. Das Schicksal hatte es wirklich gut mit ihr gemeint und Georg, ihr zukünftiger Kollege, war sehr nett. Sie dachte an das Gespräch mit ihm zurück und lächelte versonnen. Doch dann fiel ihr seine plötzliche Zurückhaltung, als sie ihn fragte, wie lange er schon unterrichtete. Sie hatte den sicheren Eindruck gehabt, dass ihm ihre Fragen unangenehm gewesen waren. Oder war sie einfach nur überdreht? Constanze wusste es nicht genau, sie ließ sich gegen die Wand sinken, schloss für einen Moment die Augen und versuchte, die immer schneller rotierenden Gedanken in ihrem Kopf anzuhalten und zu ordnen, aber es gelang ihr nicht. Noch immer geistesabwesend öffnete sie zehn Minuten später die Tür, als Georg sie zum Mittagessen abholte.