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2.Abgrenzung von Prozesshandlungen und Willenserklärungen
Оглавление112a) Unterschiede zwischen Willenserklärungen und Prozesshandlungen. Die besondere Problematik bei den Prozesshandlungen der Parteien besteht darin, dass es nicht immer leicht ist, sie von materiell-rechtlichen Rechtshandlungen abzugrenzen. Wichtig ist diese Abgrenzung deshalb, weil nur auf materiell-rechtliche Handlungen die Regeln des BGB über die Wirksamkeit von Willenserklärungen Anwendung finden. Eine Prozesshandlung aber bestimmt sich in ihrer Wirksamkeit nach Prozessrecht,2 so dass sie bedingungsfeindlich3 ist, auch bei Irrtum oder Drohung nicht anfechtbar ist und – neben Partei-, Prozessfähigkeit und Prozessführungsbefugnis (Rn. 274 ff.) – auch eine Postulationsfähigkeit (Rn. 290) erfordert, also im Landgerichtsprozess nur durch einen Anwalt vorgenommen werden kann, § 78. Prozesshandlungen können grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes (Rn. 599) widerrufen werden.4 Teilweise sieht aber auch die ZPO die Möglichkeit zur Rücknahme oder zum Widerruf einer Prozesshandlung vor. So kann eine Klage nach § 269 zurückgenommen werden, ein Geständnis kann nach § 290 widerrufen werden.
113b) Doppeltatbestand. Besondere Sorgfalt in der Prüfung ist erforderlich, wenn eine einzelne Handlung einer Partei sowohl den Tatbestand einer Prozesshandlung als auch denjenigen einer materiell-rechtliche Willenserklärung erfüllt. Die Rede ist dann von einem Doppeltatbestand.5
Bsp.: Der Beklagte erklärt in der mündlichen Verhandlung, er fechte eine bestimmte Willenserklärung an. In dieser Erklärung liegt (doppeltatbestandlich) sowohl die materiell-rechtliche Anfechtungserklärung gegenüber dem Prozessgegner als auch der Vortrag der vorgenommenen Anfechtung gegenüber dem Gericht, denn im Rahmen des Beibringungsgrundsatzes (Rn. 45) muss der Beklagte die Anfechtungserklärung als Tatsache vortragen.
114Letztlich ist es in diesen Fällen vom Zufall abhängig, ob die materiell-rechtliche Erklärung außerhalb des Prozesses vorgenommen wird (und anschließend als Tatsache in den Prozess eingeführt wird) oder innerhalb des Prozesses gemeinsam mit dem prozessualen Vortrag (als Doppeltatbestand) erfolgt. Jeder der Tatbestände ist getrennt voneinander auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen, die materiell-rechtliche Erklärung nach den Regeln des BGB, der prozessuale Vortrag nach denjenigen des Prozessrechts. Dabei kann durchaus die materiell-rechtliche Erklärung wirksam sein, ihre Einführung in den landgerichtlichen Prozess aber beispielsweise an der Abwesenheit eines Anwalts scheitern, § 78.
115c) Doppelnatur. Anders sieht es aus, wenn Prozesshandlung und Rechtsgeschäft nicht getrennt voneinander stattfinden können, sondern notwendigerweise eine Einheit bilden, die eine gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiell-rechtlichen Regelungen bewirkt.6 Die Rechtshandlung ist dann Prozesshandlung und materiell-rechtliche Erklärung in einem. Dies bezeichnet man als Doppelnatur.
116So weist der Prozessvergleich (Rn. 491 ff.) eine solche Doppelnatur auf. Er ist Prozesshandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtliches Rechtsgeschäft, weil er materiell-rechtlich die Rechte und Pflichten der Parteien regelt, § 779 BGB. Ein Prozessvergleich ist nur wirksam, wenn sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es auch nur an einer dieser Voraussetzungen, liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein7.