Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 16

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Im Herbst 1858 war N (auf der Stufe Untertertia) in Schulpforta eingetreten und ich traf im Herbst 1859 in Obertertia in derselben Klasse und Ordnung mit ihm zusammen. Es war gerade Zwischenpause und N als damaliger Primus hatte das Ehrenamt, hin und her zu gehen und uns andere am Aufstehen von den Plätzen und an zu lautem Lärmen und Sprechen zu hindern [auf eine gewisse Weise verfügte N damit bereits über ein „Herrscheramt“!]. Ich saß ganz ruhig auf meinem Platz und kaute friedlich an meinen Frühstücksbrot, einem sogenannten Näckchen (vielleicht für „’n Eckchen“ [der thüringische Ausdruck für „Brötchen“, im Norddeutschen „Rundstück“ genannt]. Noch sehe ich N, wie er mit dem unsicheren Blick des hochgradig Kurzsichtigen über die Reihen irrte, vergeblich bemüht, einen Anlass zum Einschreiten zu finden. Hierbei kam er vorüber, wo ich saß, beugte sich herab zu mir und sagte: „Sprechen Sie nicht so laut zu Ihrem Näckchen!“ [bezeichnenderweise war es Kritik, Beanstandung, wenn auch in der Maskierung von „schwarzem“ Humor, in jedem Fall leichter anzubringen, als vielleicht etwas Anerkennendes zu sagen! Diese Art „Begabung“ Ns sollte sich im Laufe der Jahre in erheblichem Maße steigern und „erweisen“].

Dies waren die ersten Worte, die er je zu mir gesprochen hat. Ich weiß nicht mehr, was uns zuerst näher zusammenführte. Ich glaube, es war die gemeinsame Liebe zu Anakreon [580 oder sogar erst 550-495 v. C., ein griechischer Lyriker], für dessen Gedichte wir beide als Untersekundaner [also wohl ab Herbst des Schuljahres 1860] umso eifriger schwärmten, je weniger Schwierigkeiten das leichte Griechisch desselben dem Verständnis entgegensetzte. PDE.3 u. PDL.69


Am 3. Oktober 1859 schrieb N an die Mutter:

Liebe Mamma! - meinem Versprechen zufolge schreibe ich Dir heute am Montag. Ich bin gestern Abend eine Stunde zu früh in Pforta angekommen ….. Nun, das ist der letzte Brief den ich an euch nach Naumburg sende. Ihr dürft aber nicht denken, dass ich da noch traurig Abschied nehmen will; der Brief würde Dir (glaube ich,) dann eher unlieb sein. Ich freue mich nur noch, dass wir diese drei Tage zusammen verlebt haben und danke noch viele Mal. - Wann bekomme ich nun meine Kiste? Vergiss nur ja nicht alles hinein zu packen ….. Wenn du in Gorenzen [gut 80 km nördlich, am Südrand des Harzes] angekommen bist, grüße den Onkel viele Mal von mir; ich wünsche euch allen eine recht glückliche Reise, bleibt dort recht gesund und gebt mir häufig Nachricht ….. Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo wir vergessen, dass wir einen Punkt im unermesslichen Weltall nur bewohnen! [Das hatte er bereits am 16. August in seinem ansatzweisen „Tagebuch“ notiert. Was ihn dazu angeregt hat, ist ungeklärt. Er wird etwas in der Art gerade gelesen haben, denn diese Perspektive war dazumal in so nüchterner und bewusst auch schockierender Selbstverständlichkeit vorgebracht, doch recht neu, - und wird ihn deshalb besonders beeindruckt haben und geschah wohl auch in der Absicht, damit Eindruck zu schinden. - Wohl weil man sich zu seinem Lebensglück derlei nicht ständig vor Augen halten muss!] Glück zu! Dein FrWN.

Schicke mir einen Teelöffel, Siegellack-Oblaten, ein Messer, Messias, Kakao, Wäsche, Streichhölzer, Rosenstahlfedern, Schlittschuh (102) [was alles er ja gut und gerne „gestern Abend“ aus Naumburg hätte mitgenommen haben können, aber er ließ sich aus alter, eingefahrener Gewöhnung lieber bedienen.]


Zum anstehenden Geburtstag wünschte sich N nun nicht, wie im Februar noch gedacht, den skandalumwitterten Gaudy sondern das „Wesen des Christentums“ und „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“! J1.23 aus den Schriften von Ludwig Feuerbach, 1804-1872, einem deutschen Philosophen, dessen Religions- und Idealismuskritik bedeutenden Einfluss auf die revolutionären Bewegungen von 1848 gemacht hatte und einen Erkenntnisstandpunkt formulierte, der für die modernen Humanwissenschaften, wie beispielsweise die Psychologie grundlegend geworden ist. Wikip.25.6.09


Am Samstag, 15. Oktober 1859, feierte N das zweite Mal seinen Geburtstag ohne die Familie in Pforta. Die Mutter und die Schwester waren nicht in Naumburg, sondern bis Ende November bei einem Onkel in Gorenzen. Von dort schrieb die Mutter am 11. Oktober:

Mein lieber guter Fritz! Diesmal muss ich doch ein ganz feines Briefböglein nehmen, denn es gilt ja Dir, mein guter Herzensjunge, zum Geburtstag zu gratulieren und so wünsche ich Dir, dass Du immer mögest recht hübsch gesund bleiben an Leib und an der Seele, diese Gnadengabe erbitte ich mir von meinem Gott und Herrn für Dich mein herzlich geliebtes Kind, Dich, den ich an diesem Tag so gern an mein mütterliches Herz drückte, doch es ist mir diesmal nicht vergönnt und so werden meine Gedanken viel bei Dir sein, Dich nach Naumburg zur lieben Tante begleiten, Dich im Geist still danken sehen für das zurückgelegte Jahr mit all seinen Gnadenerweisungen und in dieses Dankgebet stimme ich von ganzer Seele ein. Feiere daher Deinen Geburtstag in dieser geweihten Stimmung und Dankbarkeit gegen Gott und gute Menschen und es wird Dir der Tag ein rechter Freudentag werden. Erneuere Deine guten Vorsätze zur Ehre Gottes und zur Ehre und Freude Deiner Mutter, Verwandten und Freunde zu leben, erbitte Dir dazu Gottes Beistand und auch dieses Jahr wird Dir ein Segensjahr werden ….. [es folgte allerlei zu Gorenzer Verhältnissen, Umständen und Eigenheiten] Lebe recht wohl, sei und bleibe munter und wohl, verlebe auch ohne die Mutter einen heiteren frohen Geburtstag und erfreue bald mit Nachricht Deine Dich innig umarmende Mutter.

Die mitgereiste Schwester fügte hinzu:

Mein lieber Fritz! Auch ich sende einige Zeilen, mein lieber Bruder, denn es ist ja Dein lieber Geburtstag, der erste, den wir nicht zusammen verleben können. Meine herzlichsten Wünsche für Dein neues Lebensjahr und dass Dich Gottes Segen in Deinem ganzen Tun und auf allen Deinen Wegen begleiten möge. Meine kleine Gabe nimm freundlich an. Wie gern hätte ich Dir „Duller“ [Eduard, 1809-1853, ein deutsch-österreichischer Dichter, Geschichtsschreiber und Geistlicher, der in Wien Philosophie und Rechtswissenschaft studiert hatte und mit 17 Jahren sein revolutionär gesinntes Drama „Meister Pilgram“ zur Aufführung brachte] geschenkt, aber Wilhelm [Pinder, der von dem Buch abgeraten hatte und für gewöhnlich Ratgeber in Sachen zu wünschender und schenkender Bücher war] schien nicht gern zu wollen, deshalb ließ ich es. Etwas Anderes auszusuchen war keine Zeit. Wir haben auf unsrer Reise den süßen und salzigen See gesehen, bei letzterem ist ein wunderschönes Echo. Ein Stück wurde dort geblasen und alles schallte ganz genau herüber. Es war reizend [nett und lieb, wie alles bei ihr, selbst wenn es sich um ein Vorzimmer der Hölle gehandelt hätte]! In Eisleben sahen wir das Lutherhaus und Lutherkirche. In letzterer war der Onkel und ich allein. Hier wurde uns alles so genau beschrieben, dass wir 2½ Stunde drin waren. Man sah hier die Lutherkanzel, die Original Büsten von Luther und Melanchthon, die Sakristei, wo sich Luther erkältet, der Stuhl worauf er sich nach der Predigt ausgeruht hat und noch eine Masse Sachen. Mehr kann ich nicht schreiben. Es fehlt mir der Platz. Bleib hübsch gesund und behalte lieb Deine Dich innig liebende Schwester. Ein andermal vielleicht mehr ….. Von der Umgebung habe ich noch sehr wenig gesehen.


Im Pfortaer Krankenbuch gibt es für den 2. – 9. November 1859 einen Eintrag, dass N wegen „Katarrh“ 8 Tage lang, auf der Krankenstube behandelt wurde. J1.128

Dass die Krankenstube unter den Pfortaer Zöglingen die „Krankelei“ genannt wurde, hat N, obgleich er oft dort war, nirgends erwähnt.


Am 24. November 1859 erschien von Charles Robert Darwin in England das epochale Werk „On the Origin of Species by Means of Naturel Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life“ [Über die Entstehung der Arten im Tier und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf ums Dasein] das bereits am ersten Tag seiner Publikation vergriffen war und den bisher umfassendsten und nachhaltigsten Wechsel in der Denkweise der Menschheit auslöste.


Am 27. November 1859 schrieb N an Mutter und Schwester nach Gorenzen:

Meine liebe Mamma! Als ich heute in Naumburg die Tante Rosalie besuchte, überreichte sie mir Euren lieben Brief, der mir sehr viel Freude bereitete. Ich hätte nur gewünscht, Ihr würdet etwas eher wiederkommen; denn Donnerstag darauf komme ich auch nach Naumburg. Du glaubst gar nicht, wie ungemein ich mich auf das Wiedersehen freue. Das wird überhaupt, so Gott will, ein sehr schönes Fest! Wenn nur bis dahin auch die trüben Wolken, die sich um Großpapa und den Onkel breiten, vor der lichten Festsonne verschwinden! - Ihr hattet wohl am vorigen Mal etwas mehr über mein eignes Befinden erwartet? Ich hatte Euch aber weder ängstigen, noch belügen wollen; denn ich war eigentlich nicht ganz wohl, da die beständigen Kopfschmerzen sich wieder eingestellt hatten, die indes jetzt [aber eher nur für eine kurze Weile] durch Schröpfen vollständig vertrieben sind. Ich befinde mich jetzt recht wohl; wie könnte man aber auch bei dem freudigen Hoffen und Harren auf das schöne Christfest unwohl sein? - Auch einen Wunschzettel vermisst ihr; so muss ich doch meine Hauptwünsche Euch mitteilen. Das sind nämlich: Altsächsische Evangelienharmonie in der Übersetzung Otfrids ….. zwei ausgezeichnete altdeutsche Werke, die ich mir sehnlichst wünsche. Dann Iphigenie in Tauris, komponiert von [Christoph Willibald] Gluck [1714-1787, der bedeutendste deutsche Opern-Komponist der Vorklassik] im Klavierauszug, bei Leo, Berlin. Das sind meine Hauptwünsche. Zu den beiden ersten wird der Onkel gewiss auch seine Genehmigung geben ….. die schönste irdische Weihnachtsgabe ist doch, dass ihr wieder nach Naumburg kommt. Auf glückliches Wiedersehen ….. (117)


In diesem Brief ist hinzuweisen auf Ns „so Gott will“, als eine ganz natürliche Zwischenbemerkung innerhalb seiner Rede, was doch wohl so viel bedeutet, dass da von irgendwelchen gottverlassenen oder gar atheistischen Anwandlungen entfernt noch keine Rede sein konnte. Zum anderen verrät die Formulierung „da die beständigen Kopfschmerzen sich wieder eingestellt hatten“ eine gewisse „Normalität“ dieses Umstandes. Das „Grundübel“ scheint sich bereits festgesetzt zu haben und wird fortschreitend stärker hervortretend Ns Leben begleiten und auf schicksalhafte Weise - körperlich wie auch geistig und seelisch – bestimmen! - Eingeschlossen das, was neben den Schmerzen zu dieser sich anbahnenden „Entwicklung“, zu dieser „Krankheit“ oder „Veranlagung“ gleichsam, „dazugehörte“ und als ein ihm unbekannt bleibender Bestandteil dabei seine unberechenbare Rolle spielen wird.


N lieferte immer wieder „Danksagungen“ für die Geselligkeit im Familienkreis. Daraus ist zu schließen und zu betonen, dass ihm das viel bedeutet haben muss, - besonders in Anbetracht seiner später auf diese Zeit rückblickenden Bemerkungen hinsichtlich seiner Gefühle drückendster und verdüstertster „Höheneinsamkeit“, die in seiner letzten, der großen „Ecce-homo“-Rückschau 1888 auf sein Leben - im Zusammenhang mit der ausgebliebenen Anerkennung seiner Besonderheit! - monströse Dimensionen des Hasses auf die Familie angenommen hatte. Was er in der Gesellschaft seiner Verwandten - von Tante Rosalie, dem Onkel und anderen! - damals tatsächlich empfunden hat, mag dabei auf einem anderen Blatt stehen bleiben, solange es für ihn von Bedeutung war, dass die Gesellschaft von Familienmitgliedern um ihn her, ihn nicht doch ein nicht unerhebliches Gefühl der Geborgenheit erleben ließ, - er hätte sich sonst ja nicht immer wieder dahingehend dankbar äußern müssen.


Am 15. Dezember 1859 schrieb Elisabeth N aus Naumburg an ihren Bruder in Pforta:

Mein liebes Fritzchen! Nun wie geht es Dir mein liebes Herzensbrüderchen? Du bist gewiss recht wohl und freust Dich recht auf Weihnachten, wie ich mich habe gefreut, denn jetzt kann ich es gar nicht mehr, seitdem der Großpapa so krank ist. Ach mein Fritzchen wir werden wahrscheinlich ein trauriges Weihnachten haben. Als wir Dienstag den expressen Brief in Gorenzen bekamen waren wir alle furchtbar erschrocken, denn diese Höhe der Krankheit hatten wir nicht vermutet. Die Mama packte nun die ganze Nacht ein und Mittwoch reisten der Onkel, die Mama [nach Pobles] und ich fort [nach Naumburg]. Gestern Abend bin ich nun ganz allein hier angekommen ….. Ich hoffte wenigstens den Onkel Oscar zu finden, aber auch dieser ist fort nach Pobles [dem Wohnort der Großeltern] ….. Auf den Sonntag mein liebes liebes Fritzchen treffen wir uns doch bei der Tante Rosalie [zu der der Weg zwischen Naumburg und Pforta kürzer war als durch Naumburg hindurch bis zum Weingarten 18]. Nicht wahr mein Herzensfritz? Dann begleite ich Dich ein Stückchen und da wollen wir uns recht erzählen …..


Am 17. Dezember 1859 starb der Großvater in Pobles. Für den 30. Dezember 1859 gibt es wieder einen Eintrag im Pfortaer Krankenbuch. N war wieder wegen „Katarrh“ auf der „Krankelei“. J1.128 Über das Weihnachtsfest der Jahres 1859 blieben keine Berichte erhalten.

Also schrieb Friedrich Nietzsche:

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