Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 19
Die Emerson-Infektion
ОглавлениеDer amerikanische „Philosoph“ Ralph Waldo Emerson, 1803-1882, ist mit seinen „Essays“ und seiner „Führung des Lebens“ - den beiden bestgehütetsten Geheimnissen Ns! - der Schlüssel zu Ns wahrem Wesen. Den Beweis für die gelungene Geheimhaltung lieferte einmal mehr, noch im Jahr 2000, das deutsche, knapp 400 Seiten umfassende und vorteilhaft besprochene N-Buch zu Ns 100. Todestag, laut dem Untertitel angeblich eine „Biographie seines Denkens“ in welcher der Name Emerson an der spätestens entscheidenden Stelle, nämlich anlässlich der als so überaus wichtig erachteten Jugendaufsätze des Jahres 1862, gar nicht vorkommt und zudem im Literaturverzeichnis unter Emersons Namen ein für N vollkommen nebensächliches Buch angeführt wurde.
Den für sein Leben und Wirken wichtigsten Schriftsteller hüllte N ganz bewusst in eine dichte, schier undurchdringliche, gleichsam systematische Wolke des Verschleierns. Es gibt in seinem „Werk“, das heißt aus der Zeit von ungefähr zwanzig Jahren intensivster Schreiberei - von 1869, dem Beginn seiner Professur in Basel bis Ende 1888, dem Beginn seiner „geistig endgültigen Abwesenheit“ -, nur vier von N veröffentlichte Stellen wo der Name „Emerson“ erscheint. Zweimal handelt es sich um Zitate. Das eine Mal auf der vorletzten Seite seiner großen vorgeblichen Schopenhauer-Verehrung in der 4. „Unzeitgemäßen Betrachtung“ 1.426, das andere Mal 1886 zur Veredelung und zur Ehre von N selber, als Motto seines gelungensten Werkes, der „Fröhlichen Wissenschaft“ in der ersten Ausgabe 3.343; - nur dort! Ein drittes Mal handelt es sich um die bloße Erwähnung des Namens unter mehreren anderen FW.92 und das vierte Mal diente Emerson der Gegenüberstellung, um einen Anderen herunterzuputzen zu können GD13. Daneben gibt es noch ein Zitat von drei Sätzen Länge, ohne dazu Emersons Namen zu nennen; und zwar anlässlich des überhaupt ersten Males, dass N etwas von Emerson überhaupt offiziell zu „zitieren“ wagte - sehr am Anfang seiner 1874 erschienenen „Unzeitgemäßen Betrachtung“ über Arthur Schopenhauer, als er die für ihn selber so typischen Sätze schrieb: „Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann, außer dir: wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn. Wer war es, der den Satz aussprach: „ein Mann erhebt sich niemals höher, als wenn er nicht weiß, wohin sein Weg ihn noch führen kann?“ - Es war, von N zitiert, Emerson, welcher an dieser Stelle Olliver Cromwell, 1599-1658, den Lordprotektor und Königsmörder in England, zitierte. 1.340 u. EE.237
Auch der so umfassende Biograph Ns, Curt Paul Janz erwähnt Emerson nur 9 Mal. Aufgrund dieser dürren Fakten erscheint Emersons Name in Ns Werk in absolut umgekehrtem Verhältnis zu seiner wahren Bedeutung. Einzelheiten dazu werden sich zeigen. Emersons Wirkung auf N muss für N als ein Schock begonnen haben und geriet N in seinen Grundfesten zu einer Auszeichnung seiner Existenz, - einer Erwählung! einer Berufung! - gerade so, als wäre N mit und durch Emerson der Gnade Gottes teilhaftig, gleichsam „heilig“ gesprochen worden, obgleich er an den alten barmherzigen Gott seiner Väter gar nicht mehr glaubte; - was N allerdings den Umschwung und Übertritt auf eine neue „Bibel“ in Form von Emersons „Essays“ erleichtert, beschleunigt und intensiviert haben dürfte.
Noch einmal zurück zur recht chaotischen „Aktenlage“ innerhalb des kleinen braunen, Anfang März des Jahres 1861 begonnenen Büchleins, das angefüllt wurde mit Ns alltäglicher „Notierungsnot“ und den Problemen seiner „Gedankenwelt“: In den Osterferien des darauffolgenden Jahres, 1862, wird der dann gut Siebzehneinhalbjährige 2 von allen „N-Bewunderern“ so gut wie einhellig als außerordentlich frühreife und für seine „Entwicklung“ wichtig zu erachtende Aufsätze schreiben. Sie sollten die Titel „Fatum und Geschichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“ tragen.
Der Titel des einen Aufsatzes erscheint erstmals schon hier, im Spätsommer 1861, nach dem 21. August, im Zusammenhang mit einer für N’sche Verhältnisse geradezu überschäumenden Liebeserklärung an Nürnberg! - Allerdings mit dem vorangestellten Wort „Über“. Da es unwiderlegbar ist, dass die Aufsätze des 17½-Jährigen eine ganze Reihe wortwörtlicher Emerson-Passagen enthalten - was noch vorzuführen ist! - werden im Zusammenhang mit „Nürnberg“ die Worte „Fatum und Geschichte“ nicht zufälligerweise schon an jener Stelle erschienen sein. N ist in Nürnberg und dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der „Buchhandlung von Schmidt“ BAW256 - zumindest mit dem Buch „Essays“ von Ralph Waldo Emerson in Berührung gekommen und hat es - er konnte nach dem, was er probeweise darin gelesen haben musste, gar nichts anderes tun - gekauft! - und hatte dann, mehr oder weniger unmittelbar nach dem 21. August, ausreichend Zeit, sich mit unglaublich Vielem aus dem immer wieder ins Maßlose fallenden Inhalt - wie später dann bei der Begegnung mit Schopenhauer, aber dort wesentlich besser dokumentiert! - zu identifizieren! - Auf die Art, wie er es bekannter Weise ja immer wieder tat, man denke an seine „geistigen“ Verhältnisse zu Arthur Schopenhauer und Richard Wagner zur Zeit seiner Begeisterung für die beiden, - aber alles zu seiner Zeit!
Die sich für den Pubertierenden N ergebende Gleichzeitigkeit von „Welt“-Erlebnis in der bei aller Coolness fraglos auch N überwältigt habenden Realität Nürnbergs mit Emersons „geistiger“, weit über alles N bis dahin Bekanntgewordene hinausgehenden „Welt“-Sicht in hochtrabendsten, nie zuvor vernommenen Tönen, Sprüchen und Sphären - von deren Unglaublichkeiten gleich mehr! - erwies sich für N als ein „intellektuell“ nur mit gigantischen Risiken zu bewältigendes Gemisch, zumal es niemanden gab, mit dem der knapp Siebzehnjährige die dabei zutage getretenen intimen, geheimzuhaltenden, ehrgeizigen, so völlig offenen, vermessenen und verführerischen, reizvoll verlockenden und ihn auch zutiefst erschreckenden Fragen und Weiterungen hätte besprechen können.
Die vor kurzem erst zur „Lieben Mutter“ gewordene „Mamma“ (von N grundsätzlich mit doppeltem m geschrieben, was im Lateinischen und medizinisch „Brust“ bedeutet) kam, besonders nach dem Osterkrach mit der heftigen Abwehr und sicherlich recht rabiaten Verteidigung ihres Heiligsten - das dann zwangläufig abermals hätte angegriffen oder doch in zweiflerischem Sinne hätte berührt werden müssen - für so heikle Themen, wie Emerson sie in N aufgewühlt hatte, nicht in Frage und vor Gleichaltrigen wollte und konnte N sich in für ihn derart grundsätzlich empfindsamen Zusammenhängen schon gar keine Blöße geben, war er doch auf nichts mehr bedacht, als darauf, von niemandem in seinen Wahrheiten beurteilt und vielleicht derentwegen „heruntergesetzt“ 6.1.89 und kritisiert werden zu können! Dazu kam, dass N gerade in diesen Tagen, einen mit sehr persönlich gefärbten Bekenntnissen belasteten deutschen Aufsatz über Hölderlin in Form eines „Briefes an meinen Freund, in dem ich ihm meinen Lieblingsdichter zum lesen empfehle“ BAW2.1 verfasst hatte und dafür vom Lehrer einen unangenehmen Rüffel erhalten hatte.
In seinem Aufsatz hatte N Hölderlin in leidenschaftlich höchsten Tönen gepriesen:
„Diese Verse (um nur von der äußeren Form zu reden) entquollen dem reinsten, weichsten Gemüt [man beachte die argumentative „Flucht“ in die Unüberbietbarkeit der Superlative!], diese Verse, in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit ….. diese Verse, bald im erhabensten Odenschwung einherwogend, bald in die zartesten Klänge der Wehmut sich verlierend ….. so kennst du denn also nicht den Empedokles, dieses so bedeutungsvolle dramatische Fragment, in dessen schwermütigen Tönen die Zukunft des unglücklichen Dichters, das Grab eines jahrelangen Irrsinns, hindurchklingt, aber ….. in der Erhabenheit und Schönheit der darin auftauchenden Gestalten auf mich einen ähnlichen Eindruck macht, wie der Wellenschlag des erregten [aber doch nur vom Wind aufgewühlten!] Meeres. In der Tat, diese Prosa ist Musik, weiche schmelzende Klänge, von schmerzlichen Dissonanzen unterbrochen, endlich verhauchend in düstren, unheimlichen Grabliedern ….. In anderen Gedichten erhebt uns der Dichter zur höchsten Idealität und wir fühlen mit ihm, dass diese [in ihrer superlativ äußersten Wirklichkeitsferne!] sein heimatliches Element war ….. Auch im „Hyperion“ [der in einem selbstbekennerischen Roman Hölderlins die Hauptfigur abgibt, die sich in der Sehnsucht nach griechisch heroischer Klassizität verzehrt] schleudert er scharfe und schneidende Worte gegen das deutsche „Barbarentum“ [eine Rolle, in der N selbst sich wiederfand und später gefallen wollte!]. Dennoch ist dieser Abscheu [Ns eigener!!] vor der Wirklichkeit mit der größten Vaterlandsliebe vereinbar …..
In dem nicht vollendeten Trauerspiel „Empedokles“ [über einen 494-434 v. C. gelebt habenden griechischen, vorsokratischen Philosophen, der aus wohlhabender Familie stammend ein begabter Redner war und unter anderem der Verfasser eines weitgehend verlorenen, einmal ca. 5.000 hexametrische Zeilen umfassenden Gedichts „Über die Natur“ gewesen ist: In diesem schilderte er „Liebe“ und „Hass“ - also Zu- und Abneigung? - als die Urkräfte in einer Welt, die aus den vier Elementen „Erde“, „Wasser“, „Feuer“ und „Luft“ bestünde. Der Sage nach soll er sich bei seiner superlativlastigen Suche nach der Wahrheit freiwillig - aus romantischem Lebensekel damals schon? - in den Krater des Ätna auf Sizilien gestürzt haben. In diesem Trauerspiel, das auf extreme Weise Ns Wesen entsprach und seine Phantasie auch zu eigener Produktion anregte] entfaltet uns der Dichter [Hölderlin] seine eigene Natur. [Und die folgende Aussage dazu war nun aus Ns ureigenster Lebensauffassung heraus bewundernd und sehnsüchtig nach dergleichen formuliert und wie ein allerpersönlichstes Bekenntnis nicht zu unterdrücken!] Empedokles’ Tod aus Götterstolz, aus Menschenverachtung [so wollte N es sehen!], aus Erdensattheit und Pantheismus [einer Allgottlehre, der Ansicht, dass Gott in Allem wäre]. Das ganze Werk hat mich immer beim Lesen [denn N hielt das für ein hehres Ideal!] ganz besonders erschüttert; es ist eine göttliche [N an sein längst schon eingewöhntes „Herrscheramt“ gemahnende] Hoheit in diesem Empedokles BAW2.2ff [was alles Ns eigenes Lebensgefühl spiegelte und ihm nahe legte, sich in diesem - dem seinen gleichen Gefühl! - bestätigt sehen zu dürfen] …..
Ns Hymnus auf Hölderlin und die Würdigung von dessen Figuren, verrät viel von Ns eigenem Seelenleben zu jener Zeit. Paul Janz fasste den Inhalt des Aufsatzes auf ähnliche, allerdings kürzere Weise zusammen und meinte dann, N „erdreistete sich, die Gewalt der Verse und Rede Hölderlins zu preisen und gegen die herkömmliche Meinung zu verfechten“ J1.79 [Dabei spielte für N sicherlich die Lust am argumentativ abgesicherten Widersprechen mit! - Das sollte nicht unbeachtet bleiben, denn es ist dabei an Deussens Bemerkung zu denken, wo jener schilderte: „N erhob sich und gab eine jener verwegenen Konjekturen [mutmaßlich richtigere Lesarten] zum Besten, welche nicht nur die Überlieferung, sondern auch den Autor selbst zu verbessern bemüht sind“ DL.72 worin Ns - „den Anderen“ längst aufgefallene! - Neigung zur Geltung kam, dem eigenen Dafürhalten eine höhere Bedeutung zuzuweisen als dem, was ihm aus der gegebenen Wirklichkeit entgegentrat und was sich zu einem guten Teil mit anderen Worten auch als Besserwisserei bezeichnen ließe.
Ns Hölderlin-Aufsatz kann auch als ein direkter Vorläufer von Ns Darstellungen der Figuren Schopenhauer und Richard Wagner in seinen letzten beiden „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ gelten, wo er ebenfalls seine höchsteigenen Ideale in andere Existenzen übertrug, d.h. projizierte! - Janz fügte an sein Urteil über Ns Hölderlin-Aufsatz noch eines über N selber an - selbstverständlich ein hochachtungsvolles: „Wie sehr spricht N hier schon von sich selbst, wenn er von seinem Dichter spricht! J1.79
So, wie jedes Mal, wenn N für etwas begeistert war! - Er sprach ja nur von sich selber und schilderte alles stark selbstmittelpunktlich von seinem eignen Empfinden in die Höhe getrieben und mit irgendetwas Unverfänglichem maskiert! - Seinen Hölderlin-Aufsatz schrieb N, was selten so genau festzustellen ist, am 19. Oktober 1861, einige Wochen nach der Nürnberg-Reise, zu einer Zeit, in der er intensiv mit dem neu entdeckten Emerson innerlich vollauf beschäftigt war, d.h. schon sehr unter dem Eindruck von dessen N süchtig machenden Selbstherrlichkeiten. Janz behandelte den „Aufsatz-Fall“ auf befremdliche Weise anachronistisch vor Ns Bekenntnis zu seinem „Herrscheramt“, was zwar auch an einem Oktobertag - allerdings bereits drei Jahre vorher! - geschehen war, als „es“ zwischen den oberen Umfassungsmauern des Schönbergturmes mit dem alleinigen Hauptdarsteller N über die Bühne ging und also dessen längst schon „herrscheramtlich“ eingestellte Wesens- und Gefühlsgrundlage bei dem Hölderlinaufsatz eine grundlegende Rolle in der Verteilung der Wertschätzungen zu spielen hatte. Darum geht es aber bei diesem umfangreichen Einschub nicht: Es geht vielmehr um die Reaktion des Lehrers auf dieses deutlich gemachte, so sehr persönlich offene Bekenntnis Ns zu Hölderlin, seinem damaligen „Lieblingsdichter“, der in jener Zeit offiziell wenig angesehen war: Denn das Urteil des Lehrers wirkte auf N frustrierend wie ein Keulenschlag. Es lautete mit Kommentar dazu in den Worten von Paul Janz:
Unter diesen Aufsatz schrieb ihm der korrigierende Lehrer ….. »Ich möchte dem Verfasser doch den freundlichen Rat erteilen, sich an einen gesünderen, klareren, deutscheren Dichter zu halten«“. Im Übrigen gab er ihm freilich die Zensur II bis IIa. Das genügte N, um nie mehr etwas von dem, was ihn wirklich bewegte, seinen Lehrern zu zeigen und von ihnen den Abstand zu nehmen, den er empfand.“ J1.80
Wenn dem so war, wie Paul Janz es beurteilte, wie viel weniger konnte es da unter den Lehrern einen geben, mit dem N über seinen Gefallen und sein Entzücken an den oft dem Größenwahn naheliegenden Sprüchen Emersons hätte sprechen können? - Verbunden obendrein mit der Notwendigkeit diesen dann auch über seine geheimsten Gefühle, Absenzen, „herrscheramtlichen“ Glücksmomente und die ihn immer wieder mal heimsuchenden „Erlebnisse des Allzusammenklangs“ ins Vertrauen zu ziehen?
So blieb N für die Auseinandersetzung seiner glaubensbereiten Begeisterung für Emerson nur dieser selbst - gewissermaßen als gottgleich „letzte Instanz“! - für das und zu dem, was jener N an Lebensgeheimnissen offenbarte und woran N - als neuestes Schul- oder sogar „Lebensgesetz“! - weil es so ungeheuer vorteilhaft für ihn ausgefallen war! - nur allzu gerne blind, fest und vor allem unerschütterlich glauben und darauf auch vertrauen wollte, so, wie seine Mutter es mit ihrem Gott und dem ihres Vaters und ihres Mannes - und damals jedenfalls offiziell alle Welt! - für richtig hielt!
In Ns Umfeld fehlte jemand, der ihm im Umgang mit Emerson als neutrale Instanz, als weiser, verständnisvoller Ratgeber und Vermittler zwischen so extremen Positionen hätte behilflich sein und ihm „reinen Wein“ hätte einschenken können! So allein gelassen und vor allem auf sich selbst bezogen, wie er ohnehin war, musste sich der eher leidenschaftliche N, der von sich aus gar nicht zu Distanz und Umsicht geschaffen war, hilflos in Emersons Wahrheiten verbeißen, verheddern und verrennen, zumal er gerne sein intuitives Dafürhalten für richtiger hielt als die überlegenswerten Aussagen auch anderer namhafter Autoren! - Dass es für N in dieser Situation keine korrigierende Stimme gab, führte ihn bei seiner schwer zu bremsenden Neigung oder Begabung oder auch ausgemachten Schwäche in eine sich damit schützen wollende ziemlich weit ausufernde Besserwisserei. In seiner vereinsamten Situation blieb N nur, Emerson fest, wachsam, eifersüchtig und missgünstig einzuschließen in seinem Herzen: Nie über ihn zu reden. Nie ihn zerreden und keinen Zweifel an ihm in sich aufkommen lassen! - Weil in solchem Fall sein „Halt-an-nicht-mehr-als-nur-an-sich-selbst“ zusammengebrochen wäre! Der einzige, der in diesen Bereich einen kleinen, schlitzbreit winzigen Einblick gewährt bekam, war der gleichaltrige, etwas später erst mit N enger verbundene Pfortaer adlige, erzkonservative Kamerad Baron Carl von Gersdorff. Von diesem mehr nachdem er spürbar in Ns Lebenskreis getreten war.
In Emersons „Essays“ behandelt das erste Kapitel unter dem Titel „Geschichte“ vieles, was N ein gutes halbes Jahr später wortgetreu in seine Aufsätze über „Fatum und Gesichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“ übernehmen sollte. Das erste Kapitel der N wohl spätestens ab Anfang 1862 in deutscher Sprache verfügbaren „Führung des Lebens“ ist sogar mit dem Wort „Fatum“ überschrieben und wurde von N - mit noch weiteren Emerson-Inhalten! - ebenfalls ausgiebig - sowohl wörtlich als auch als Anregung für eigene Gedankenkombinationen! - verwendet.
Ns viele Einzelheiten sehr ausführlich behandelnder Biograph Paul Janz hatte - an Äußerlichkeiten des Biographischen klebend? - merkwürdigerweise zu Emerson so gut wie nichts zu berichten. Das erscheint insofern verständlich, als einerseits die in vollem Umfang erkannte Existenz Emersons für das „Ansehen“ Ns äußerst gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen muss und andererseits von N her diese so verborgen gehandhabt wurde, dass erst die unabhängig von N einem zur Kenntnis gekommene detaillierte Kenntnis der beiden speziellen Emerson-Schriften ein distanzierendes Verhältnis zu N erzwingen, denn sie versetzen in die Lage, mit weit geöffneten auf die wahren Inhalte, Voraussetzungen, Bedingungen und Beeinflussungen für und von Ns „Philosophie“ und Leben zu blicken. Dadurch wird zerplatzt zwangsläufig der Traum vom ungeheuersten Denker-Heroen des Neunzehnten Jahrhunderts wie eine Seifenblase, - ohne für irgendwelche Anbetungsgelüste etwas übrig zu lassen. Janz hielt stattdessen für die Zeit von Ns Emerson-Infektion lieber eine sehr schemenhafte „Bedeutung“ der Ermanerich-Sage für außerordentlich wichtig, was aber für N nur eine kurze Episode geblieben war und im Vergleich zu Emersons Dauer-Wirkung so gut wie keinerlei Folgen heraufbeschwor.
Um nun auf den Kern zu kommen: Es drängt sich längst schon die Frage auf, was N denn bei Emerson so Eindrucksvolles gelesen hat - oder gelesen haben könnte! - was so umwerfend war und so überwältigende Spuren davon in Ns ganzes Leben und Schaffen grub? Glücklicherweise gibt es zur Dokumentation dessen eindeutig von Ns Hand stammende „Quellen“ und das ist: 1.) das, was er selbst in seinen Emerson-Exemplaren angestrichen beziehungsweise unterstrichen hat und 2.) das, was er an Textstellen vor allem aus Emersons „Essays“ in eins seiner vielen Notizbücher übertragen hat, - sowie 3.) das, was er in seine Emerson-Exemplare hineinschrieb und 4.) das, was er an diesen Texten - in welcher Form auch immer - kommentiert und verändert hat. Außerdem spielt die Kenntnis von dem, was N an Emerson nicht schätzte - nämlich die in wesentlich nüchterner Wortwahl verfassten späteren Werke insgesamt! - bei der Beurteilung dessen, wo für N die Schwerpunkte seiner Hochschätzung Emersons gelegen haben, eine nicht unwesentliche Rolle; - vor allem bei der Eingrenzung von dem, was für N an Emerson von wirklich tragender, beispielloser und unverzichtbarer „Gültigkeit“ war!
Zeitlich sind die Bestandteile dieser „Dokumente“ nicht in jedem Fall zweifelsfrei zu bestimmen und voneinander zu trennen. Wegen dem Diebstahlsverlust der Reisetasche 1874 sind alle auf das erhalten gebliebene Handexemplar der „Essays“ auf die Zeit danach beschränkt. Darauf allerdings kommt es nicht sonderlich an. Bedeutsam und zugleich eindrucksvoll ist, dass und wie N mit dem Unter- und Anstreichen sowie dem Abschreiben und Kommentieren beziehungsweise Verändern der Texte Hinweise darauf lieferte, warum diese für ihn so unglaublich bedeutsam waren. Anhand dieser „Aktenlage“ kann in Kenntnis von Ns „Entwicklung“ bei aller Vorsicht, auf das geschlossen werden, was den jungen N an Emersons Texten beeindruckt haben kann und beeindruckt haben muss, denn derlei wird auch aus vielen „Gleichklängen“ erfahrbar; - was jeweils mit einer gewissen Schwankungsbreite des „wie intensiv das jeweils über die Bühne ging“ verbunden ist.
Zwei weitere Fragen treten hier in den Vordergrund. Zum Ersten: Was hat N veranlasst, Emerson so geheim zu halten, dass er mit einigen speziellen Ausnahmen tatsächlich so gut wie vollkommen dem Blickfeld der meisten N-Biographen und N-Kommentatoren verborgen blieb? Und zum Zweiten, - was eigentlich eine eigene Fragestellung ausmacht: Wieso hat Emerson überhaupt auf N einen so übermäßigen Einfluss gewinnen können, dass er für den größten Kritiker oder gar Verneiner, den die Sonne angeblich je gesehen hätte, einen so gut wie „heiligen“, das heißt außerhalb jeder Kritik stehenden Status erlangen konnte?
N hat einige Wochen, ja Monate gebraucht, um Emersons „Essays“ zu „verdauen“, ihn sich einzuverleiben, sich in ihnen zu erkennen, breit zu machen, anzunehmen, wie sehr er, N, sich bei ihm, Emerson - wie bei niemandem sonst und auf Jahre hinaus! - ja lebenslang „zu Hause fühlte“ 9.588. N fand seine eigene, ihm in etlichen Punkten auch selbst fragwürdige Existenz, sein „So-Sein-wie-er-war“ bei, von und durch Emerson auf phantastische Weise „erklärt“ und „berechtigt“! - Dazu gehört zuerst einmal und in Einzelheiten zu erfahren, was N bei Emerson las. Deshalb folgen hier hintereinander weg in Auszügen die Aussprüche, welche N als „von höchster Instanz gegeben“ bei Emerson aufnahm und darin sich selbst und sein Eigenstes wiederfand!
Es sind sicherlich Sätze dabei, zu denen sich seitens N weder An- noch Unterstreichungen - die wegen das Diebstahlverlustes des 1. Handexemplars ja erst von dem Dreißigjährigen stammen! - nachweisen lassen, die aber von ihrem Inhalt her, auch nach Form- und Wortwahl für Ns Leben und seine Absichten als richtungweisend anzusehen sind, als ob oder sogar weil N sich und sein Leben ganz offensichtlich danach gerichtet hat! - Das in ihnen Beschriebene wirkt, als gäben sie ein Stück weit seine Lebensbeschreibung wider, direkt und speziell gemünzt auf ihn und passt für keine andere geschichtliche Figur bisher vollkommener als eben auf ihn. Solche Art Sätze - vielfach mit Kommentaren versehen! - und entsprechend der selektiven Wahrnehmungsweise Ns herausgezogen aus ihrem ursprünglichen Emerson’schen Zusammenhang, gibt es zuhauf. All das, was „dazwischen liegt“, wurde von N gleichsam „überlesen“ und übergangen, weil es Ns Illusionen und Emotionen nicht weiter reizte, herausforderte und ihm nicht dienlich sein konnte! - samt allem, was seinen Absichten gegenüber Widersprüche enthielt. In dieser Absicht und auf diese Weise unmittelbar hinter einander in die ungeteilte, unabgelenkte Aufmerksam gestellt, ergeben Emersons Sätze einen anschaulichen Eindruck von dem, was da auf den - alles unter „herrscheramtliche“ Zusammenhänge stellenden und auf derlei begierigen jungen N mit ungeheurer Wucht einprasselte, - wie in dem Regenguss, in dem er, die Kappe zum Schutz unter die Schiefertafel gehalten, einstmals eines seiner ersten „Schulgesetzte“ fand.
Die in Ns Texten immer wieder unauflöslichen, trotzdem aber friedlich nebeneinander liegenden logischen Unverträglichkeiten des einen Teils seiner Aussagen zu Anderen kennzeichnen auch Ns Lektüre Emersons, wie eben seine aphoristischen Produktionen. Es ist auffällig, wie viel an „Unauflösbarem“ N - in seinen Aphorismen und Aussagen genauso wie bei Emerson! - überhaupt nicht störte, so lange das ihm „Nützliche“ darin ihm wichtig genug erschien, über „Nichtiges“ einfach hinweg zu gehen und hinweg zu sehen. Später, viel später erst, nach dem Herbst 1881 etwa, als ihm „Zarathustra“ mit all dem, was an diesem Drum und Dran hängen sollte, durch die Gedanken spukte, machte sich N in und zu seinen Emerson-Bänden etliche erhalten gebliebene Notizen, Randbemerkungen und Auszüge, brachte Zustimmung und gelegentlich zaghafte Einwände zum Ausdruck und änderte - „verbesserte“ also oftmals - Emersons Gedankengänge in noch weit schwindelndere, extremere Höhen. Darauf wird eingegangen, um zu zeigen, wie N das bei Emerson Gelesene interpretierte. Im Wesentlichen aber sei erst einmal vorgeführt, was N bei Emerson unerwartet aber mit Offenbarungsgewalt entgegentrat.
Es empfiehlt sich, all das sehr wörtlich zu nehmen, um nachzufühlen, was in dem sich damit identifizierenden N wirklich vor sich ging, als er Emerson las, denn er nahm all das auch wörtlich, - sehr sogar! - Dafür gab es - für ihn! - überzeugende „Gründe“ über die zu reden sein wird. Dem ersten „Essay“ oder Kapitel Emersons, „Geschichte“ überschrieben, ist als Motto ein recht eigenartig wirkendes Gedicht vorangestellt. Emerson hat es wohl selbst verfasst, denn es ist ihm kein Dichtername beigegeben. In seiner zweiten Strophe lautet es:
I am owner of the Sphere,
Of the seven Stars and the solar year,
Of Caesar’s hand, and Plato’s Brain,
Of Lord Christ’s heart, and Shakespeare’s strain.
Sinngemäß übersetzt lauten die Zeilen: Ich bin der Eigner der Himmelssphären [der laut mittelalterlichen Vorstellungen kristallenen Gewölbe an denen die sogenannten Wandelsterne, der Mond und die Sonne und die anderen Planeten des Sonnensystems „befestigt“ waren], Eigner auch des Siebengestirns [der Plejaden, die für die Menschen seit jeher von großer Bedeutung und auch auf der rund 4.000 Jahre alten, in Nebra gefundenen bronzenen Himmelsscheibe abgebildet waren!]. Eigner also auch, des Sonnenjahres [des vollkommenen Umlaufs der Erde um die Sonne! ebenso], von Caesars Hand und Platos Verstand, von Jesus Herz und Shakespeares Kraft.
Von Ns Seite her ist zu der Fülle der in den wenigen Zeilen geltend gemachten Ansprüchen nichts Spezifisches überliefert!
In dem Buch der „Essays“, von dem N selbst 20 Jahre später noch notierte, dass er sich nirgends sonst wo „so zu Hause“ gefühlt hätte - aber wo sonst fühlte sich N irgendwie „zu Hause“? – Emerson bot Ns extrem selbstsüchtiger Natur schon gleich mit den ersten Zeilen eine seiner vielen, auf Ns Veranlagung zum „Herrscheramt“ ungemein verführerisch wirkenden Maßlosigkeiten, in welchen ihm gleichsam angeboten wurde, er dürfe - und könne auch! - sich mühelos aufgrund eigenen Gutdünkens lediglich! - unter anderem als Besitzer des Siebengestirns fühlen. Dabei ist zu bedenken, dass dieser „Sternenhaufen“ im Sternbild „Stier“, wohl sehr anders als in unserem GPS-orientierten Heute, seit ewigen Zeiten schon von universaler Bedeutung war, und als Orientierungspunkt der Menschen schon auf der bislang ältesten erhaltenen Himmelsdarstellung in unmissverständlicher Bedeutung enthalten ist. N findet sich hier - in diesem Buch! - mit der Hand Caesars, dem Hirn von Plato, dem Herzen von Christus und der Dichterkraft Shakespeares in seinen ihm zuzutrauenden Fähigkeiten - auf Augenhöhe gleichsam! - dem allen gleichgesetzt! Und nicht zu vergessen ist überdies, dass diese „gewaltige“ Begegnung N wohl - als noch nicht einmal 17-Jährigem auf einer Reise nach Nürnberg widerfuhr und ihm kein angemessener Kraftakt möglich war, sich nicht auf diese „Schmeichelei“ einzulassen, die doch viel mehr waren, bedeuteten und versprechen sollten, als einmal „nur“ einen neuen „Luther“ abzugeben.
N las - und da ist all das, was Er unterstrichen hat, überall kenntlich gemacht - des Weiteren:
Es ist ein Geist, der alle Menschen beseelt. Jeder Mensch steht diesem Geist offen und Allen die desselben Geistes sind. Der, welcher einmal das Recht der Vernunft empfangen hat [und da war N sich sicher, dass er dazugehören würde!], ist ein Bevorrechteter im Reiche des Gedankens [wer aber wäre das und wer wäre das nicht? - Und wer wäre es, der das - nach der Gnade Gottes oder nach Gutsherrenart? - entscheidet?] Was Plato gedacht hat, kann auch er denken, was ein Heiliger gefühlt hat, kann auch er fühlen [was waren das für Versprechungen!]; was zu irgendeiner Zeit irgendeinem Menschen begegnet ist, das kann er verstehen. Wer Zutritt hat zu diesem allumfassenden Geiste, ist ein Teil dessen, was ist oder getan werden kann, denn dieser [der „allumfassende Geist“!] ist das einzig unumschränkt wirkende Wesen. EE.1
Warum sollte N das - in jeder Beziehung und in äußerstem Maße! - für sich und als das Ergebnis seiner „Vernunft“ in Form von „Herrscheramtsgefühlen“ nicht geltend machen? Insbesondere die von N nach 1874 wohl nochmals unterstrichene Formel vom „allumfassenden Geiste“ wird für ihn in Parallele zu seinen Momenten des Allzusammenklangs von großer Bedeutung gewesen sein! Wer sollte ihm also sein selbstkritikarmes Dies-alles-für-richtig-Halten - was schließlich ohne Leistungsnachweis ja nur ein beliebiges Dafürhalten war! - wehren? - N wäre ja verrückt gewesen, wenn er dieses, seinem Wesen so vollkommen entsprechende Angebot - lediglich aufgrund unsicherster Selbstkritik! - ausgeschlagen hätte! Textgläubig und schulgesetzbedürftig wie er nun einmal war, erlebte er hier - und des Weiteren noch vielerlei! - Offenbarungen, denn es kam ja noch viel mehr. Überdies gilt es zu bedenken, dass in Ns Zeit die religiöse Gläubigkeit durch eine Unzahl völlig neuer Gedanken erschüttert wurde. Man denke nur daran, wie die absolute Neuartigkeit der wissenschaftlich fundierten Evolutionstheorie von Charles Darwin, 1809-1881, mit dessen Werk über „Die Entstehung der Arten“ seit 1859 ins Wanken geriet und immer weniger des Althergebrachten eine letzte Gültigkeit beanspruchen konnte! Neues lag in der Luft, - von vielen Seiten her, - was eine Orientierung auf herkömmliche Art verständlicherweise erschwerte. Erst einmal aber weiter mit dem, was von Emerson her auf N hernieder kam:
Im Menschen ist die ganze Enzyklopädie aller Tatsachen enthalten [also auch in ihm, N!]. Eine Eichel genügt zur Erschaffung von tausenden von Wäldern und Ägypten, Griechenland, Rom, Gallien, Britannien, Amerika sind schon im ersten Menschen begründet. Epoche auf Epoche, Feldzüge, Königreich, Kaisertum, Republik, Demokratie sind nur Verbindungen des vielfältigen Geistes mit der mannigfaltigen Welt [und von diesem - davon war N überzeugt! - hatte er mehr als genug! Jedenfalls mehr als genug, um alle in die Tasche zu stecken!]. Dieser menschliche Geist schrieb Geschichte [die aber immer erst hinterher ihren Verfasser fand!] und der männliche [wie der von N] liest sie. Die Sphinx muss ihr eigenes Rätsel lösen [wie Jedermann!]. Wenn die ganze Geschichte in einem Menschen enthalten ist [und das war für N sicherlich eine sehr gefährliche Perspektive!], so lässt sich Alles aus individueller Erfahrung erklären [wie N es in seiner Art zu „philosophieren“ betrieben hat, indem er meinte, aus seinen „individuellen Erfahrungen“ heraus als Weltgesetz gelten zu können!]. Die Stunden unsres Lebens stehen mit allen Jahren in Verbindung. EE.2
Zu diesem Absatz hat N Anfang 1882 eine ihm daraus zugekommene oder gewonnene „Erkenntnis“ in sein Notizbuch geschrieben, doch zuvor sei darauf hingewiesen, was das Jahr 1882 für N, in dem viele Notizen zum wieder und wieder gelesenen Emerson entstanden sind, zu bedeuten hatte: 1882 erschien seine Aphorismensammlung mit dem Titel „Die fröhliche Wissenschaft“. Dieses „Werk“ enthält, nach vielen vergeblichen Versuchen, endlich in der „neu“ aufgewärmten Idee einer „Ewigen Wiederkehr des Gleichen“ endlich die echte, wahre Grundlage nicht nur seiner, sondern - seiner Meinung nach! - aller „Moral“ - in dem Aphorismus mit der Nummer 341, betitelt „Das Größte Schwergewicht“, - als, Ns „künftiges Richtmaß“ dessen, was für die sich höher entwickelnden Menschen zu gelten hätte und N infolgedessen als so gut wie schon inthronisierter neuer Welterlöser anzusehen sei und sich ohne Weiteres auch schon als solcher fühlen könne. Seine Notiz aus Emersons Anregung lautet:
In jeder Handlung ist die abgekürzte Geschichte alles Werdens. ego 9.666 [Ich]
Dieses „ego-ich“ am Ende bedeutete: „das galt - auch oder gar besonders! - für ihn“! Damit aber hatte N den Inhalt Emersons in umgedrehtem Sinn auf sich persönlich bezogen: Nicht „was den Menschen prägt“, sondern „wie der Mensch prägt“ war daraus geworden, - und dazu ganz bewusst dahinter das angefügte „Ich“ der Person N! - Als Rechtfertigung dafür, dass und wieso Er, N, durch den Verlauf der Geschichte legitimiert wäre, - zum Beispiel zu seinem „Herrscheramt“! Und aus diesem heraus wäre dann seine „Handlung“ als „abgekürzte Gesichte alles Werdens“ zu deuten?
Jede Revolution war zuerst nur ein Gedanke in der Seele eines Einzelnen und sobald derselbe Gedanke sich bei einem Zweiten findet, so ist das der Schlüssel zu einer Ära. Jede Verbesserung war einst nur das stille Dafürhalten eines Menschen und wenn es erst wieder das stille Dafürhalten [totalitär!] aller geworden ist, so ist damit das Rätsel der Zeit gelöst. Dem, was mir erzählt wird, muss, um dass es mir glaubwürdig erscheint, etwas in meinem Innern entsprechen. EE.2f
In diesem Gedankengang wurzelte Ns Überzeugung, mit seinen Gedanken auf elementare Weise Vordenker für die Menschheit sein zu können oder dies gar sein zu müssen: Also galt es alle dazu zu bringen, so zu denken wie Er! - Was er sich ohnehin kaum anders vorstellen konnte, wie sich später an etlichen Beispielen zeigen wird. In dem Absatz, der N beeindruckt hatte, kamen übrigens „die Anderen“ schon von Emerson her nicht vor. Die „Wahrheit“ der darin enthaltenen Aussagen beruht eben auf diesem Fehlen „der Anderen“!
Der Besitz irdischer Güter ist hemmend für den Geist und lässt große Taten, die tief im Menschen verborgen liegen [und da fühlte N sie in sich!], nie ans Tageslicht kommen ….. EE.3
Damit rechtfertigste N sein undistanziert besitzverachtendes, den „Geist“ überbewertendes Einsiedlerleben zwischen Bett, Stuhl Tisch und Spind in gemieteten Kammern und „Höhlen“, sein Leben lang. 1882 notierte sich N hierzu unten auf der Seite 3 seines Emerson-Buches:
Wir ehren und schützen alle Machtansammlungen, weil wir sie einst zu erben hoffen - die Weisen. Wir wollen ebenso die Erben der Moralität sein [mit seiner Moral auf der Grundlage der „Ewigen Wiederkehr“!], nachdem wir die Moral [in welcher aber „die Anderen“ - die N nicht interessierten! - einbezogen waren!] zerstört haben. 9.620
Da herrschte schon in gefährlicher Selbstverständlichkeit eine ungehörige Portion Rücksichtslosigkeit!
Wir sympathisieren mit den erhabenen Momenten der Geschichte, mit den Entdeckungen, mit der widerstrebenden Kraft, die dem Menschen innewohnt ….. EE.4
Das Element der Erhebung, der Erhabenheit spielte stets eine wesentliche, immer wiederkehrende Rolle in Ns Beziehung zu anderen Menschen und zur Hoch- und Überschätzung seiner selbst. Hier entdeckte er bei Emerson wieder, was ihm selbst als ihm eigener ästhetizistischer Zug zur Rechtfertigung dessen, was ihm - seinem Dafürhalten nach! - im Wesen lag. Aber „das Leben“ besteht nicht nur aus diesen Momenten und dem eigenen Leben!
Ich glaube nicht, dass jemand die Geschichte im richtigen Sinne liest, der noch denken kann, dass dasjenige, was er heut zu Tage tut, eine weniger tiefe Bedeutung hat, als das, was sich in früheren Jahren mit Menschen zugetragen hat, deren Name weithin erklungen ist [aber es gibt weit mehr Menschen als diese, die Emerson herausgehoben hat!]. Die Welt ist da zur Erziehung jedes einzelnen Menschen. EE.5 [Nur zu dem aber, was N richtig schien?]
Zu eigener Anwendung machte N in einer „Abschrift“ in sein Heft mit Emerson-Aussagen daraus Anfang 1882 wieder ganz auf seine Person bezogen: Das, was ich heute tue, hat eine so tiefe Bedeutung als irgendetwas Vergangenes. 9.666
Hat es das? Es kann und könnte! Muss aber nicht! Von dem, was N daraus machte, war bei Emerson eigentlich nicht die Rede. Zu beachten ist auch, dass N sich hier ausschließlich auf sein Urteil zu verlassen gedachte, nicht auf das „der Anderen“, denn diese kamen in seinen Wertungen nicht als irgendwie wesentlich vor, denn Er wusste, was gut wäre und das musste für „die Anderen“ genügen; - was eben Ns totalitäre Seite war!
Er [von Emerson aus war „hier jeder“ Leser gemeint!] würde sehen, dass er die ganze Geschichte in eigner Person durchleben kann. Er müsste Macht und Gewalt sich ganz zu eigen machen, sich weder vor Königen noch vor irgend einer andern Oberherrschaft beugen [wofür damals zum Beispiel ein „Napoleon“ in so lebendiger Erinnerung stand, wie heutzutage ein Hitler, Stalin oder Mao Tse-tung], sondern wissen, dass er über der ganzen Erd- und Völkerkunde steht; er müsste den Gesichtspunkt, von welchem aus die Geschichte gewöhnlich gelesen wird ….. auf sich selbst übertragen und sich fest in die Überzeugung hineinleben, dass er der Hof selbst ist ….. EE.5
Daraus machte N Anfang 1882 - als inzwischen fast 40-Jähriger! - in einer Notiz:
Ich will die ganze Geschichte in eigner Person durchleben und alle Macht und Gewalt [als „Wille zur Macht“ dann?] mir zu Eigen machen, mich weder vor Königen noch irgendeiner Größe beugen. 9.666 [mit bloßen Worten das alles? Denn mehr Macht stand N doch nicht und nie zu Gebot!]
Was Emerson allgemein festzustellen beabsichtigte, bezog N - typisch für ihn, auf seine selbstmittelpunktlich-autistische Weise! - unmittelbar auf sich persönlich, wie ein Programm, - so, als ob es seine erklärte eigene Absicht gewesen wäre, genau danach zu handeln!
Ein kluger und frommer Mensch [für den N sich getrost und unumschränkt hielt!] brauchte daher nicht nach den Lobpreisungen der Welt auszusehen [Ausschau zu halten]; er hört sie wohl, aber sie sind nicht für ihn, er hört in ihnen nur das seinem Ohr viel lieblicher tönende Lob des Charakters, dem er nachstrebt und das er in jedem Wort vernimmt, was diesen Charakter betrifft, ja mehr noch, in jedem Faktum, - im dahineilenden Flusse wie im wogenden Korn. Das Lob ist sichtbar da, überall wird Gott die Ehre gegeben, Liebe entströmt der stummen Natur, den Bergen und dem Licht des Firmaments. EE5
Auch zu dieser Stelle von Emersons Text machte sich N Anfang 1882 eine Notiz, veränderte wieder den Text, in diesem Fall von „er“, wie Emerson meinte, auf „ich“, wie N sich in diesen Text - ihn korrigierend! - gekleidet sah:
Ich höre wohl die Lobpreisungen der Welt, aber sie sind nicht für mich: ich höre in ihnen nur das meinem Ohre viel lieblicher tönende Lob des Charakters, dem ich [entsprechend seinem „werde der du bist“ FW.270] nachstrebe und das ich in jedem Wort, in jedem Faktum vernehme - im dahineilenden Flusse und im wogenden Korne. 9.666
Die Tatsachen, welche uns in der Geschichte entgegen getreten sind, wiederholen sich immer in unserm eignen Leben und bewahrheiten sich hier. Die ganze Geschichte ist subjektiv, mit andern Worten, es gibt eigentlich keine Geschichte, sondern nur Biographie. Jeder Mensch muss seine ganze Aufgabe erkennen, - er muss auf den Grund gehen. Was er nicht selbst sieht, was er nicht selbst erlebt, davon will er nichts wissen ….. EE.6
Auch hierzu machte sich N im Herbst 1881 eine bemerkenswerte Notiz in eigenwilliger, wieder unmittelbar auf ihn selbst bezogener Veränderung, - indem er in Emersons Gedanken sehr eigenwillig und eigenmächtig einen „Nutzen“ einflocht, weil er diesen als sein „Ziel“ der in die eigene Hand genommenen „Vollendung der Evolution“ erkannt zu haben glaubte:
Der schaffende Instinkt der Seele zeigt sich in dem Nutzen, den wir aus der Geschichte zu ziehen wissen: es gibt nur Biographie [in aller Ausschließlichkeit nur die der Wichtigen!]. Jeder Mensch muss seine ganze Aufgabe erkennen [so wie N irgendwann - so im Laufe des Jahres 1881, am See von Silvaplana - erkannte, dass es „seine Aufgabe“ wäre, die von der Natur stümperhaft verfolgte Evolution in seine so viel vernünftigeren Hände zu nehmen und in seinem „Übermenschen“ zu einem so viel glänzenderen Ende zu führen!]. - Dieses planlose rohe widersinnige Dort und Damals soll verschwinden und an seine Stelle [unter Förderung von ihm und seiner Erkenntniskraft!] das [bessere!] Jetzt und Hier treten. 9.666
Die Geschichte muss etwas Gegenwärtiges sein [etwas Erlebtes! - etwas die Zukunft Bestimmendes! Das geht nur in der Gegenwart!], oder sie ist nichts. Jedes Gesetz, welches vom Staat verordnet wurde, deutet nur auf eine Handlung der menschlichen Schöpferkraft hin, das ist alles [und was sollte es schließlich auch sonst noch sein?]. Wir müssen in unsrer eigenen Natur den notwendigen Grund für jede Handlung erblicken [als eine für alle verbindliche, auf ein einziges Ziel hin gerichtete, selbstgestrickte Moral? - welche N in seiner übertriebenen Subjektivität mühsam finden und entwickeln wollte? - und], müssen uns klar machen, wie es sein könnte und sollte. EE.7
Denn N wollte der Zukunft seine Werte vorgeben. In diesen Emerson-Sätzen spukt ein dem autistischen Zug Ns sehr weit entgegenkommender, geradezu wild gewordener, von ihm 1881 längst erreichter Subjektivismus, den N für bare Münze nahm, - weil er zu der Zeit bereits verrückt genug war, zu glauben, dass er wissen könne, „wie es sein könnte und sollte“.
Das „Nicht Ich“ soll verbannt und mit dem [durch das] „Ich“ ersetzt werden ….. Wenn er [ein beispielhafter Mensch] sich im Allgemeinen wie im Einzelnen überzeugt hat, dass es durch einen eben solchen Menschen wie er selber, mit denselben Fähigkeiten ausgerüstet und von denselben Beweggründen getrieben, entstanden und zu dem Ende gebracht ist, zu welchem er es unter den gegebenen Umständen ebenfalls hätte bringen können, so ist das Rätsel gelöst; sein Gedanke lebt fort; durch die ganze Reihe von Tempeln und Sphinxen und Katakomben hindurch zieht er sich, einem schöpferischen Geist gleich, mit Befriedigung und wird der Seele immer wieder neu, oder ist jetzt. EE.8 [Diesen Absatz hat N zusätzlich seitlich angestrichen!]
Aus dem Jahr 1883 gibt es von N eine Notiz - nicht im direkten Zusammenhang einer Abschrift oder einer Anstreichung, aber ihrem Inhalt nach diesen Emerson-Sätzen sehr nahe! Sie lautet als Betrachtung seiner eigenen Position: Nicht den Menschen wohlzutun - das Dasein selber zu vollenden, mich als Vollender zu schauen 10.487 [das war Ns Ziel! In diesem Sinn ist Ns Notiz geradezu eine Ergänzung zu dem, was Emerson ihm vorgeschrieben hatte. Zugleich aber ist es auch ein zutage getretener Größenwahn: „Sich als Vollender zu schauen“! - und als solcher angesehen zu werden! - Als Vollender von was? Diese nachgelassene „Aussage“ Ns steht in engem Zusammenhang mit seinem „Zarathustra“. Aber auch wenn N sie seinem „Zarathustra“ in den Mund gelegt haben wollte, sprach er dies selber aus - für sich selbst gemeint! - denn eine Trennung von N zu „Zarathustra“ war und ist bei der von N gewollten Identifikation auch ihm selbst gar nicht mehr möglich gewesen!]
Zwischen dem, was Emerson in seinen Essays geschrieben und dem, was N daraus gemacht hat besteht kaum ein Unterschied. Es ist, als hätte Emerson N - auf dass es für diesen in biblischer Weise geschrieben stand! - sein Leben vorgeschrieben, wobei es den Tatsachen nach so war, dass N das von Emerson geschriebene nachgelebt und zu verwirklichen versucht hatte, weil er - aus Gründen die noch deutlich werden! - das Meiste davon für eine Offenbarung gehalten und wörtlich auf sich selber zugeschnitten genommen hat.
Die Zunahme des Verstandes besteht in der klareren Anschauung der Ursachen, welche uns über oberflächliche Differenzen hinwegsehen lässt. [Das ist eine Häufung wichtiger, wohlklingender und gehaltvoller Worte. Dennoch sagt der Satz nichts weiter aus! Dem entsprechend führt auch die Folgerung daraus zu nichts weiter:] Dem Poeten, dem Philosophen wie dem Heiligen sind alle Dinge befreundet und geweiht, alle Ereignisse nützlich, alle Tage heilig, alle Menschen göttlich. Denn das geistige Auge hängt am System und schätzt alle Umstände gering. EE.9
Derartiges, nur von Worten geleitetes, ohne auf die Realitäten zu achtendes, auch heute noch der Gläubigkeit dienen könnendes Prediger-Geschwätz hat N seitlich angestrichen, was signalisierte, dass es ihm wichtig schien. - Folglich bastelte er sich daraus, 1882, zu einer Zeit als er sich in der Tat bereits als den kolumbianisch die Welt umsegelnden Erfinder-Entdecker der letztmöglichen Weisheiten, quasi im Range eines Aristoteles fühlte, das Motto zu seinem eigentlichen Hauptwerk, den ersten vier „Büchern“ der „Fröhlichen Wissenschaft“, die aufgrund seiner darin anklingenden „Lehre“ von der „Ewigen Wiederkehr“ sowie dem Erstauftritt „Zarathustras“ als Vorbote des Übermenschen ein neues Weltbewusstsein schaffen und begründen sollte. Das unterstreicht, wie grundlegend wichtig Emersons Aussagen - noch im Jahr 1882 für den inzwischen fast 38-jährigen N und weit noch darüber hinaus! – waren. Überdies notierte er sich die Zeilen 1882 unter der Überschrift „500 Aufschriften auf Tisch und Wand für Narren von Narrenhand“ 9.673, versehen mit dem Vorspann „Emerson sagt mir nach dem Herzen“ und darüber hinaus erscheint das Motiv 1883 noch einmal, ohne allerdings Emerson zu erwähnen, im 2. Teil des „Zarathustra“ in der Mitte des „Grabliedes“, wo es als „Weisheit seiner Jugend“ von diesem Zarathustra also gesprochen heißt:
Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: „göttlich sollen mir alle Wesen sein [welche die gleichen Ziele verfolgten wie N! - so war das gemeint!].“ Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern: ach, wohin floh nun jene gute Stunde! „Alle Tage sollen mir heilig sein“ - so redete einst die Weisheit meiner Jugend [die man getrost in den Texten von Emersons verorten kann!]. Wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede! 4.143 [womit N im „Zarathustra“ über die Worte „Fröhliche Weisheit“ listig auf seine „Fröhliche Wissenschaft“, aber zugleich auch auf die häuslich familiären Probleme wegen seinem „Verhältnis“ zu Lou von Salomé verwies, um zu zeigen, wie eng das alles zu seiner Selbstdarstellung „geistig“ in Zusammenhang miteinander zu sehen wäre. Bemerkenswert dazu ist, dass N - 1883! - seiner weiteren - ebenfalls bis zur Ununterscheidbarkeit vollzogenen! - Identifikationsfigur „Zarathustra“ das von Emerson stammende Motto zu seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ als „Weisheit seiner Jugend“ in den Mund gelegt hat; - womit belegt ist, dass die „Weisheit seiner Jugend“ sich auf N zum Zeitpunkt „Nürnberg 1861“ bezieht, was erkennen lässt, wie wenig N sich a) seither geistig entwickelt hatte und b) wie wenig er zu der Zeit fähig war, Unterschiede machen zu können zwischen sich, Zarathustra, Emerson und dem „Deuter“ all seiner - Ihn darstellenden! - Lebensgrundsätzlichkeiten!
Die Natur ist wie eine sich verändernde Wolke, die immer und doch niemals dieselbe ist [diesen Satz hatte N in seinem Exemplar seitlich markiert]. Wie der Dichter zwanzig Fabeln schreibt, die alle eine Moral haben, so drückt sie den Gedanken in unendlich verschiedenen Formen aus. Wunderbar schön leuchtet der Geist durch die Roheit und Zähheit der Materie hindurch [kann das der „Geist“, da er in Einsteins Formel E=mc2 doch gar nicht enthalten ist?]. Allein allmächtig schafft er, dass alle Dinge seinem Zwecke dienen. EE.9f [Womit unterstellt worden war, dass der Geist über die Materie allmächtig wäre, was aber voraussetzt, dass er diese bis in seine letzten Strukturen hinein physikalisch verstehen würde, woran damals überhaupt nicht zu denken war und wovon N - selbst als Ahnung davon! - meilenweit entfernt gewesen ist.]
Der Geist ist es, der identisch ist und nicht die Tat. Nur indem er sich in die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele [die aber jede ein System für sich darstellt!] versenkt, aber keineswegs durch eine mühevolle Akquisition [Anschaffung] vieler Kenntnisse und Geschicklichkeiten [sondern durch die tief sitzende, angeborene „innere Allzusammenklangs-Überzeugtheit“ von sich selbst?], erlangt der Künstler die Macht, in andern Seelen die in ihnen schlummernde Tatkraft zu wecken. EE.12 [Dazu notierte sich N 1882, wieder unmittelbar auf sich selber bezogen und als eine gleichsam physikalische Tatsache hingestellt: Der Künstler hat die Macht, die in anderen Seelen schlummernde Tatkraft zu erwecken. 9.667 [Das und daran hat N, vor allem in seinem Dichten am „Zarathustra“ geglaubt! Er zielte damit darauf ab, dass er - als Künstler und Dichter des „Zarathustra“! - die allerdings vollkommen illusionäre! - Kraft haben würde, die in „den Anderen“ laut Emersons Versprechen „schlummernde Tatkraft zu erwecken“, was dazu führen müsste, dem - was er selber für ach so richtig und wichtig hielt! - zur Verwirklichung zu verhelfen! Und unter diesem Zeichen kämpfend fiel Er mit und als „Zarathustra“ - in der Vorrede bereits! - wie wild geworden unvermittelt über den Leser her mit der für ihn nicht zu umgehenden Forderung, endlich „den Menschen zu überwinden“, um den „Übermenschen als Sinn der Erde“ 4.14 zu preisen.
Es heißt, dass man bei gewöhnlichen Seelen nach dem rechnet, was sie tun, bei den edlen Seelen [hoch lebe Ns Zweierleimaß, das hier bestätigt wurde!] nach dem, was sie sind [in Ns Fall also nach dem, was sie zu sein meinen!]. Und warum? Weil eine Seele, deren ganzes Sein [wie N es von der seinen behaupten zu können glaubte, sonst hätte er daraus nicht im Herbst 1882 nicht seine Weisheit notieren können: „Man hat es verlernt: es gibt keine Tugend für Alle, es gibt höhere und niedere Menschen: gleiche Rechte für Alle ist die ausbündigste Ungerechtigkeit.“ 9.535 - Emersons Text „zur deren ganzes Sein“ ging fort mit den Worten] ein tief innerliches, gleichsam durchgeistigtstes [superlativiertes! - sich selbst aber nur intensiver als all „die Anderen“ erlebendes!] ist, durch jedes ihrer Worte wie durch jede ihrer Handlungen, ja sogar durch ihre Mienen und Gebärden dieselbe Kraft und dasselbe Gefühl für Schönheit [und Bewundert-werden?] in uns erweckt, welches eine Gemäldegalerie oder ein Antikenkabinett bei uns hervorzurufen pflegt. EE.12f [Damit war N reinster „Zucker“ und Honigseim für seine Neigung zur Selbstbewunderung und Selbstbeweihräucherung geboten!]
Das geistige Nomadentum ist die Gabe der Objektivität oder die Gabe überall [ästhetizistische] Augenweide zu finden. Wem dies gegeben ist, der ist überall zu Hause. Jeder Mensch, jedes Ding ist ein Fund, ein Studium für ihn, ja gleichsam sein Eigentum und die Liebe, die ihn so für Alles gleich beseelt, glättet seine Stirn, zieht ihn zu den Menschen hin und lässt ihn [N beispielsweise?] in ihren Augen [in den Augen „der Anderen“] schön und liebenswürdig erscheinen. EE17
Dazu notierte sich N im Jahr 1882:
Das geistige Nomadentum ist die Gabe der Objektivität oder die Gabe überall Augenweide zu finden [was hat das miteinander zu schaffen? ästhetizistische „Augenweide“ und „Objektivität“?]. Jeder Mensch, jedes Ding ist mein Fund, mein Eigentum: die Liebe, die ihn für Alles beseelt, glättet seine Stirn. 9.667
Dabei übernahm N den ersten Satz Emersons ohne sich anschließend an dessen Inhalt zu halten! Das Folgende verkürzte er, bezog es direkt auf sich selbst durch die zweimalige Veränderung des neutralen „ein“ auf „mein“ und verzichtete auf alles, was auf die Anerkennung einer gleichberechtigten Existenz „der Anderen“ hätte schließen lassen, - aber in Emersons Aussage relativierend vorhanden war!
Noch innerhalb des Essay-Kapitels „Geschichte“ hatte Emerson geschrieben:
Der griechische Standpunkt ist die Ära des verkörperten Seins, der Vervollkommnung der Sinne, - des geistigen Wesens, das sich wunderbar schön entfaltet in strenger Übereinstimmung mit dem Körper, von dem es umgeben ist. Hier existierten jene [illusorisch überidealisierten Vorstellungen von] menschlichen Formen, die dem Bildhauer das Modell gewährten zu einem Herkules [Herakles, Sohn des Zeus mit Alkmene, der verführten Frau des Königs Amphitryon!], Phöbus [der Sonnengott Apollo, ebenfalls ein Sohn des Zeus allerdings mit der verführten Artemis/Diana, Göttin der Jagd, des Mondes und der Geburt] und Jupiter [Zeus, Gott des Himmels und oberster aller griechischen Götter. Sonderbarerweise nennt Emerson in dieser Idealisierung der Griechen lauter männliche Figuren, an Frauenbildnisse dachte Emerson, der Frauen ganz allgemein eine nachrangige Wichtigkeit gewährte, weniger. Für N entsprach dies ganz dem, was ihm in seiner, das Griechentum verherrlichenden „humanistischen“ Schulung, eingetrichtert wurde]; nicht den Formen gleich, die wir im Überfluss in den [minderwert „jetztzeitigen“!] Straßen moderner Städte finden und bei denen die Gesichtszüge gewöhnlich völlig unklar und verwischt sind, sondern deren [enorm idealisierten] Züge untadelhaft, in scharfer Begrenzung gehalten und vollkommen symmetrisch waren [dabei gab es, in Plastiken überliefert, auch außerordentlich „hässliche“ Menschen in dieser Illusion von überedeltem Griechentum!], wo die Augenhöhlen so gebildet sind, dass es dem Auge unmöglich sein würde, mit schielendem Blicke nach dieser oder jener Seite hinzusehen und zu diesem Zweck der Kopf sich ganz wenden muss. EE.18
Emerson offenbarte hier einen romantisch überhöhten Glauben an die Erscheinung von Vollkommenheit bei den Griechen als ob sie alle die schönsten Statuen hätten abgeben können und es angeblich liebten, das Vollkommene, Schöne, Bewundernswerte, Vorbildliche darzustellen, um es dem auch ihnen sehr wohl bekannten Unvollkommenen gegenüberzustellen. Und N schluckte dies und übernahm es als seine eigene Meinung.
Auch in diesem Absatz Emersons - hier aber besonders! - fällt auf, wie ein griechisches Ideal, das bis in heutige Tage über einige Statuen, meist als römische Kopien, im Bewusstsein geblieben ist, direkt und unmittelbar unserer Realität gegenüberstellt wird und diese Realität dabei schlecht abschneidet, in entsprechend negativ bewertenden Worten, wie „gewöhnlich“, „unklar“, „verwischt“ - wie von N unterstrichen! - gegenüber „untadelhaft“ und „symmetrisch“, also stilisiert und überhöht, gefeiert und gleichsam für anbetungswürdig befunden. Auf abendländischen, einige Jahrhunderte alten Altarbildern sehen die abgebildeten Menschen auch zumeist nicht aus wie die „auf der Straße“.
Zudem hier angeführten Absatz notierte sich N, ausgehend vom letzten Satz - bezeichnenderweise übrigens! - Anfang 1882 in sein Notizbuch, das etliche Emerson-Sprüche aufzunehmen hatte - und wieder in bedenklicher Weise unmittelbar auf seine Person bezogen:
Es muss meinem Auge unmöglich sein, mit schielenden Blicken [hier-]hin und dahin zu sehen: sondern immer muss ich den ganzen Kopf mitdrehen - so ist es vornehm. 9.667
Das war eine Notiz von geradezu idiotischem „Gehalt“! Und geschmäcklerisch bis zum Letzten. Mit dieser unkritischen Nachäfferei hatte er die Grenze zur Dummheit eigentlich überschritten. Dieses Schlaglicht eitler Egozentrik und selbstgefälligem Vornehmtun ist - bei einem, der 1882 ja längst Philosoph und sogar „Überphilosoph“ sein wollte! - kaum zu überbieten. N offenbarte damit nichts als dümmliche Dünkelei!
Dieser Auszug aus einem Emerson-Text ist für N auf zweierlei Weise typisch: Erst einmal bezog er von dem Gelesenen wieder einmal das, was ihm besonders gefiel, streng auf sich selber und zweitens war er dabei so sehr mit sich und seinem „Vornehm-Tun“ - dem er je älter je mehr eine hohe Bedeutung einräumte! - beschäftigt und ausgefüllt, dass er Emersons gesamte, doch sehr bedeutsame „Einleitung“ zu der ihn ansprechenden Aussage wieder einmal „unbeachtet“ ließ. Warum?
Dieser Auszug von letztlich ja nur einer relativ beliebigen Aussage/Idee/Ansicht Emersons - er lieferte N viele dieser Art! - spricht über N, in den schon wieder eng auf ihn selbst ausgerichteten Interessenbereich hinein, Bände! N erwies sich da wieder einmal als gar nicht in der Lage, bei der Betrachtung „der Welt“ von sich als deren einzigem Mittelpunkt abzusehen. Nebenbei tat er so, als ob zwischen a) seiner verklärenden „Griechen-Überschätzung“, wie sie sich besonders 1871, in der Zeit von Ns „Geburt der Tragödie“ (von dieser später mehr!) bemerkbar machte, mitsamt der von seiner Seite dazugehörigen, ausgeprägten Missachtung aller Gegenwärtigkeit und b) gegenüber der unmittelbaren Gegenüberstellung der beiden! - seither nicht zweieinhalb Jahrtausende auch geistiger Geschichte vergangen waren! - Diese Ausblendung „geistiger Evolution“ stammt von N selber. Emerson hat sie Alles in Allem nicht vorgesehen. N aber behauptete im Zuge dessen, was ihn gefühlsmäßig bewegte, die Griechenverehrung, -Tradition und -Kultur als Vorbild - und deshalb fortzusetzen: Als eine absolut „erlaubte“, gebildete, „vornehme“ Weltanschauung, die ihm zur Zeit seiner Notiz, Anfang 1882, zu einer nicht weiter erwähnenswerten und zu hinterfragenden Selbstverständlichkeit geworden war! Weil er mit all seinen Vorstellungen, Ideen und Absichten immer am schon einmal Dagewesenen klebte. Es fehlte ihm die Phantasie, etwas Neues zu denken, - was er mit seiner Neigung zu Maßlosigkeiten übertünchte.
Was Emerson relativ distanziert einem hochidealisierten Griechentum zuschrieb, beanspruchte N in seiner Übernahme für sich und meinte - entsprechend seinen Illusionen! - sich damit zu einem Vertreter griechischer Tugend, Schönheit und Vornehmheit machen zu können. Mit irgendwelchem Bezug zur Realität hat auch das bei N wiederum nichts zu tun. Der etwas gar nicht wirklich vorhanden Gewesenes beschreibende Emersontext geht aber, nach dem, was N davon - auf sich bezogen! - zu „seinem Eigentum“ machen wollte, folgendermaßen weiter:
Der Charakter jener Zeit ist ein schlichter und einfacher aber dennoch großartiger. Besondere Anerkennung zollte man den persönlichen Eigenschaften, dem Mut, dem Anstande, der Selbstbeherrschung, der Gerechtigkeit, der Kraft, der Behendigkeit, einer lauten Stimme und dem kräftigen Bau des Körpers [und was es gegebenenfalls noch mehr sein könnte an illusionären Herrlichkeitsklischees! Diese Sätze sind von N am Rande angestrichen!]. Man kannte weder Luxus noch Eleganz. Eine nur dünne Bevölkerung und die Bedürfnisse, die jeder Mensch hat, bringen es mit sich, dass Jeder sein eigener Knecht, Koch, Fleischer und Kriegsmann wird [womit Emerson die nicht unerhebliche Sklavenhalterei der Griechen und deren aristokratische Verächtlichkeit gegenüber körperlicher Tätigkeit unter den Teppich kehrte!] und die Gewohnheit, sich mit dem Nötigsten selbst zu versehen, macht den Körper zu außerordentlichen [ungewöhnlichen, seltenen, bewundernswürdigen!] Leistungen fähig. Solcher Art ist Agamemnon [Bruder des Königs von Sparta, Menelaos, der verheiratet war mit Helena, die mit Paris durchbrannte nach Troja, was bekannter weise den von Homer beschriebenen und die griechische Kultur in erheblichem Maße bestimmenden „trojanischen Krieg“ auslöste!] und der Diomed des Homer [der Thrakerkönig Diomedes, ein mutiger Teilnehmer am trojanischen Krieg] und nicht sehr verschieden davon ist das Bild, welches Xenophon [426-401 v. C., ein aus Athen stammender Schriftsteller, Geschichtsschreiber, Philosoph und Schüler des Philosophen Sokrates, Heerführer und sogar Gutsherr, Bewunderer Spartas und Verächter der Demokratie] von sich selbst und seinen Landsleuten entwirft ….. EE.18
Ns Vorstellungen von griechischer Lebenswirklichkeit entsprechen exakt dem von Emerson hier entworfenen Bild. Er war - darüber hinaus! - nie zu einer realistischeren Einschätzung des Griechentums mit all seinen neben seiner Größe durchaus vorhandenen Fragwürdigkeiten vorgedrungen.
Seltene, außerordentliche Männer stehen zuweilen unter uns auf und enthüllen Tatsachen, die uns bis dahin noch unbekannt waren [was N durchaus vorbildlich und nachahmenswert fand!]. Von Zeit zu Zeit sind auch von Gott gesandte Männer erschienen und haben ihre Sendung vollbracht, die auch der Geringste unter uns vernommen hat. EE.21
Da ging es um messianische, welterlösende Charaktere, wie Religionsstifter beispielsweise, mit zu bewundernder Vorbildlichkeit und entsprechendem Einfluss für superlative Jahrtausende! Das kam Ns maßloser Neigung zum „Herrscheramt“ entgegen, wäre ihm wohl zu gefallen und würde überdies sämtliches ihm seit eh und je zugetrautes und vorgehaltenes Luthertum in jeden nur denkbaren Schatten stellen!
Die Geschichte soll nicht länger ein totes Buch sein. Sie soll Fleisch werden in jedem wahren und verständigen Menschen [zu denen sich rechnen zu dürfen durchaus ein Anspruch des jungen N war!]. Du sollst mir nicht durch Sprachkenntnis und Titel einen Katalog geben von allen den Büchern, die du gelesen hast, du sollst mich fühlen lassen, was du durchlebt hast. [Was Du durchlebt hast! Das hat der natürlich nur für und von seinen Gefühlen lebende N unterstrichen:] Der Mensch soll ein Tempel des Ruhmes sein. Er soll einhergehen, wie die Poeten jene Göttin beschrieben haben, in einem Gewande, das ganz und gar mit Malereien wunderbarer Begebenheiten und Erfahrungen bedeckt war [dies hat N seitlich zusätzlich angestrichen, denn dieses „Bild“ hatte ihm besonders gefallen! Emerson aber fuhr fort:] seine eigene Gestalt soll durch das erhöhte geistige Wesen, dessen Ausdruck im äußeren Menschen sich nie verkennen lässt, jenes bunte Gewand wiedergeben. Ich muss in ihm die Vorwelt [der Griechen, die N beschlossen hatte, für vorbildlich zu halten?] wiederfinden können; in seiner Kindheit das goldene Zeitalter; die Früchte der Erkenntnis, den Argonautenzug [in der griechischen Mythologie und Literatur der mit vielerlei Abenteuern gespickte Raubzug des Jason und etlicher Helden, um aus Kolchis, einem Kulturzentrum in einer antiken Landschaft südlich des Kaukasus zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, ein goldenes Vlies, ein goldenes Widderfell zu erbeuten] ….. Er [der Mensch, der auf der gleichen Emersonseite „die Strahlen des Weltalls in einem Brennpunkt sammelt“] soll der Priester des Pan [eines antiken griechischen Hirtengottes und Zwitterwesens aus einem Menschen mit dem Unterleib eines Ziegenbocks] sein und in niedere Hütten die göttliche Gnade des Morgensterns tragen und alle die gepriesenen Wohltaten des Himmels und der Erde. EE.29f
Zu diesen erzromantischen Bildern und Wunschvorstellungen, die mit dem Ausdruck „Der Mensch“ eigentlich alle Menschen meinte, machte N sich Anfang 1882 eine Notiz, in der er die allgemeinmenschliche Feststellung auf „Er“ verkürzte, also auf nur einen oder doch ganz wenige bezog:
Er [dieses bewundernswerte Prachtexemplar!] soll ein Tempel des Ruhmes sein, er soll einhergehen, in einem Gewande, das ganz und gar mit Malereien wunderbarer Begebenheiten und Erfahrungen bedeckt 9.668 ist.
N ließ offen, wer mit seinem „Er“ gemeint sein könnte, sollte, dürfte. Sicher war nur, dass dies ein elitär Besonderer gewesen sein sollte. Er, der Große, der Ruhmreiche, der rettende Rätsellöser soll einhergehen, nicht in einem Gewand „wie“ die Göttin, sondern - in eben diesem Gewand! Was bei Emerson distanziert geschildert wurde, beanspruchte N - deutlich abweichend! - in direkter, absoluter, undistanzierter Identifizierung!
So weit Emersons 1. Kapitel „Geschichte“ in den Essays. Das darauffolgende 2. Kapitel, unter der Überschrift „Selbstvertrauen“, bot N weit vollreifere Sprüche zur Labsal seiner Seele. Da stand für ihn, eine neue Welt eröffnend, zu lesen:
Ich las vor einiger Zeit Verse von einem berühmten Maler, die durchaus originell waren und nichts Hergebrachtes an sich hatten. Beim Lesen solcher Zeilen fühlt sich die Seele immer getroffen, mag der Gegenstand sein, welcher er will. Das Gefühl, welches sie uns einflössen, ist mehr wert, als irgendein Gedanke, den sie vielleicht enthalten [sehr genau dazu passend ging es auch bei N grundsätzlich weit mehr um Gefühle, die ihn erfüllten, als um Gedankliches, das in einer gewissen Unabhängigkeit vom Gefühlten einen Überblick über die logischen Zusammenhänge des Gefühlten erlauben würde! und nun kommt es in einer waghalsigen Formulierung dick: N hat davon reichlich Gebrauch gemacht:] Deinem eignen Gedanken Glauben zu schenken, zu glauben, dass was für dich in deinem innersten Herzen wahr ist, dass das für alle Menschen auch wahr sei, - das ist Genie. EE.32
Tatsächlich? Dieser losgelassene Freibrief für subjektivierteste Freigeisterei war für Ns „Herrscheramtlich“ gefärbte Grundeinstellung zum Leben ein „gefundenes Fressen“! Ohne dass er sich in seinem Handexemplar dazu An- oder Unterstreichungen leistete, notierte er sich dazu - 20 Jahre später noch! - Anfang 1882 in verkürzter und bestimmterer, aber ansonsten wenig veränderter, weil schon von Emerson in ausreichend persönlicher Form vorgebracht so gut wie wortwörtlich übernommen:
Deinem eigenen Gedanken Glauben schenken - glauben, dass was für dich in deinem innersten Herzen wahr ist, auch für alle Menschen wahr sei: das ist Genie 9.668
Das traf den Punkt, der in Ns Seele immer wieder bewirkte, sich mit „der Welt“ und „der Menschheit“ geradezu zu verwechseln! Genau nach diesem „Rezept“ hat N seine selbstmittelpunktliche „Philosophie“ gestaltet und „gelebt“, denn das war es, was N besonders unter seinem „Genie“ verstand und verstehen wollte, denn er fand das schon in der vorgegebenen Form auf ihn persönlich bezogen: Allerdings war es - ohne jede logische Verankerung „nach außen“, zu „den Anderen“ hin! - nichts als Wahnsinn! - weil jeden ohne Bezug zur Realität, in der Er ja nicht das war wofür er sich halten wollte! - Im Genuss seiner Selbst in hoch erhabenen, berauschten Höhen eingebildeter Allgemeingültigkeit, war er auch hier zu weit gegangen, - ohne es allerdings zu bemerken! Solche „ihn berechtigenden“ Emerson-Sprüche zementierten Ns Vorstellung davon, dass sein Denken, Fühlen, Urteilen „für alle Menschen“, ja für die gesamte Menschheit nicht nur erlaubt waren, sondern sogar zu gelten hätte und gelten müsste. - Dieses Beispiel ist eines der wenigen Fälle, wo N einen ganzen Satz Emersons in Bezug auf sich selbst wortwörtlich so übernahm wie er gegeben war. Für gewöhnlich formulierte er um, um das von Emerson Vorgegebene auf sich selber maßzuschneidern!
Bei Emerson steht, indem er gesteht, dass er vor einiger Zeit las: wie immer distanziert, der Text eines anderen, - Gedanken dazu, - alles offen. N aber langte zu, ohne Distanz, ohne Einwände und Einschränkungen, ohne Bezugnahmen auf Äußeres und ohne „die Anderen“, ja meist sogar ohne den Ideengeber, hier Emerson, des Weiteren in Betracht zu ziehen! Er übernahm von dem Gefundenen was ihm gefiel als absolute Wahrheit und genau das ist nicht „Genie“, sondern bedenkenlos wahnsinnige Inanspruchnahme: Es ist paranoide Einseitigkeit, ausschließlich eigene „Wahrheiten“ kennen und gelten lassen zu wollen, denn nichts sonst verbirgt sich in dieser spontanen aber radikalen Übernahme. Zusammen mit Emersons nachfolgendem, von N aber auch zu persönlich genommenem „Sprich deine geheime Überzeugung aus und sie wird die allgemeine sein, denn immer wird das Innerste zum Äußeren, - und unser erster Gedanke wird uns zurückgebracht durch die Trompeten des [keinen Widerspruch zulassenden] jüngsten Gerichts“. EE.32f Dieser „Grundsatz“ entsprach Ns späterem „Philosophieren“ und bildet, wieder einmal, eine von Emerson stammende oder sogar vorgegebene Beschreibung von Ns Verhalten! - Für N konnte daraus nichts anderes werden, als hoffnungslos anmaßende Selbstüberschätzung, denn im Bereich des Tatsächlichen füllte er diese Wunschvorstellung mit nichts aus!
In jedem Werke des Genies erkennen wir unsere eigenen verstoßenen Gedanken wieder: sie kommen zurück zu uns mit einer gewissen entfremdeten Majestät. EE.33
Auch diesen Satz, den N zusätzlich seitlich markierte, übernahm er 1882 als einen von besonderer Bedeutung für sich selbst in seine Notizen. 9.668
Wir drücken uns meistens nur halb aus und schämen uns jenes göttlichen Gedankens, welcher durch Jeden von uns repräsentiert wird [nur ist die „Göttlichkeit“ eines jeden nicht gleich der „Bedeutsamkeit für einen jeden“!] ….. Ein Mann fühlt sich erleichtert und froh, wenn er sein Herz ganz seiner Arbeit hingegeben und nach seinen besten Kräften gewirkt hat; was er auf andere Weise gesagt oder getan hat, wird ihm keine Befriedigung gewähren ….. In dem Versuch verlässt ihn sein Genie; keine Muse steht ihm bei, kein Erfindungsgeist, keine Hoffnung. Vertraue dir selbst: Jedes Herz vibriert [bebt, schwingt] diesem eisernen Nerv zu. Nimm die Stelle an, die die göttliche Vorhersehung dir bestimmt hat; ….. Große Menschen haben es immer so gemacht und auf kindliche Weise sich dem Genius ihres Zeitalters anvertraut, unverhohlen ihr Bewusstsein zeigend, dass das Ewige sich in ihrem Herzen regte, durch ihre Hände schaffte und in ihrem ganzen Wesen vorherrschend sei. EE34
Ja, - wenn solche „Gebrauchsanweisung“ zur Erfüllung des Großseins immer einfach umzusetzen wären! N notierte sich dazu Anfang 1882:
Wir drücken uns meist nur halb aus und schämen uns des göttlichen Gedankens, der durch uns [und durch ihn, N, so hat er es sich nebenbei sicher gedacht!] repräsentiert wird. - Man muss sein ganzes Herz der Arbeit hingegeben haben: im bloßen Versuch verlässt uns unser Genie; keine Muse, keine Hoffnung steht uns bei. 9.669
Den ersten Satz übernahm N beinahe wörtlich; mit einer winzig kleinen Veränderung, - dadurch, dass er die Worte „durch jeden von uns“ ersetzte, indem er „jeden“ - was ja auch „die Anderen“ betreffen konnte! - fallen ließ und sich mit einem bloßen, mehr auf ihn selbst bezogenen „durch uns“ zufrieden gab. Damit verschob er das, was Emerson vorgegeben hatte, um eine deftige Prise persönlicher auf sich selbst. Derlei war typisch für ihn. Eine ähnlich geringfügige, scheinbar nicht viel bedeutende Veränderung ins vollkommen Persönliche vollzog er durch das Weglassen des „wenn“ und dann gleich noch einmal, indem er Emersons Einbezug „der Anderen“ in den Worten „jedes Herz“, welches bei Emerson „vibrierte“, ausschloss und es durch das exklusivere, alleinstehende, seinem Autismus entgegenkommende „sein“ und „uns“ im Sinne von „seines/meinesgleichen“ ersetzte, was auf alle Fälle etwas anderes bedeutete und auch bedeuten sollte als das, was eigentlich in Emersons Text die Absicht war. Das alles war, wenn nicht von Anfang an, so doch spätestens 1882 für N Programm!
Wer ein Mann sein will, muss ein Nonkonformist sein. Wer unsterbliche [dies ist zu beachten!] Triumphe ernten will, muss sich nicht bei dem Namen der Kraft aufhalten, sondern muss erproben, ob es wirklich Kraft sei. Nichts ist endlich heilig als die Lauterkeit allein unserer eignen [ach so selbstmittelpunktlichen!] Seele. Sprich dich vor Dir selber frei und du bist des Beifalls der Welt gewiss. EE.36
Nach solcherlei „schulgesetzartigen“ Vorschriften hat N sich gerichtet. Derlei war ihm Befehl zu dem, was in seinen Augen im Leben als „vornehm“ MA1.45 zu gelten hatte. Das zu verwirklichen hat ihm im Sinn gelegen; - ohne dass er allerdings etwas Schöpferisches zustande brachte - außer „Nonkonformismus“, d.h. Widerspruch bis zum Gegenteil betrieben hatte, - was bei ihm zur programmatischen „Umwertung“ um ihrer selbst willen wurde. Und das abschließende „Sprich dich vor Dir selber frei und du bist des Beifalls der Welt gewiss“ war N Ansporn, auch seine eigene, eine aus seinem Geist gekommene „Moral“ - im Widerspruch zu allem Vorgefundenen! - zu suchen und, wie er meinte, auch zu finden! Zum Beispiel in seinem „Grundsatz“ aus dem Frühjahr 1884 „Nichts ist wahr, Alles ist [ihm vor allem!] erlaubt“ 4.340, wovon er dazumal glaubte, überzeugt sein zu dürfen. Genau dazu passte, was Emerson auf der nächsten Seite, als wäre das ausschließlich auf N persönlich gemünzt, geschrieben hatte und N dort, ihm die Augen für autistisch Eigenstes öffnend, zu lesen bekam:
Kein Gesetz kann mir geheiligt sein, als das meiner Natur. Gut und schlecht sind [„Jenseits des Guten und Schlechten“ 10.540 ] nur Namen, die sich leicht diesem und jenem unterlegen lassen. Einzig recht ist das, was mir naturgemäß ist und allein unrecht das, was gegen meine Natur ist [das war N absolut aus der und in die Seele geschrieben!]. Ein Mann muss sich jeder Opposition in der Weise gegenüber stellen, als ob jedes Ding außer ihm selber nur ein titulares [nur betitelt, aber ohne Funktion und tiefer greifende Bedeutung] und ephemeres [flüchtiges] wäre. Beinahe schäme ich mich, wenn ich daran denke, wie leicht wir uns Ordenszeichen und Namen, großen Sozietäten [Genossenschaften, wirtschaftlichen Vereinigungen] und toten Institutionen fügen. EE.37
Dies hatte N sich am rechten Rand zusätzlich dick markiert! Darüber hinaus notierte er sich Anfang 1882 die ersten beiden Sätze als wichtig und wesentlich für sich selbst in sein Notizbuch unter diejenigen, die er sich bis dahin bereits herausgeschrieben hatte. 9.669 Unmittelbar verstärkend dazu passte, was zwei Seiten weiter bei Emerson zu lesen stand und was wieder danach klingt, als hätte N es in und mit seinem Leben wörtlich, als sein eigenes „Selbstvertrauen“, wie dieses Kapitel von Emerson überschrieben war, umzusetzen versucht:
Mein Leben sollte eines ohne Gleichen [einmalig, vorbildhaft, bewundernswert und epochemachend!] sein; es sollte ein Wohltun [welch herrlich „moralisch“ und positiv klingendes Wort, ein Wohltun], ein Kampf, ein Sieg, ein Wunder sein [zu allgemeinem Erstaunen! - Ohne N allerdings zu verraten, womit diese leere und hohle Großmannssuchtsformel für „die Anderen“ sinnvoll und nutzbringend, auszufüllen sei!]. Erstlich fordere ich den augenscheinlichen Beweis [der woraus bestehen sollte?], dass du ein Mann bist und übertrage dann jene Anforderung vom Manne auf seine Handlungen ….. Für ein Privilegium zu bezahlen, da wo ich ein ausdrückliches Recht auf dasselbe habe, darein kann ich niemals willigen. Wenig und geringe, wie meine Gaben auch sein mögen, so bin ich doch wirklich und bedarf zu meiner eignen Beglaubigung, wie zu der meiner Mitmenschen keines weiteren [von außerhalb seiner selbst kommenden] Zeugnisses. EE.39
Auch wenn das dem „cogito ergo sum“ des Descartes nahe zu liegen schien, war es doch etwas himmelschreiend anderes! Das waren subjektivisch wildgewordene Sätze, die auf Ns - maßlos selbstmittelpunktlich! und maßlos unselbstkritisch - aus der Bahn geratenes Gefühlsleben zugeschnitten waren: Zu dem was darauf folgte, machte N sich wieder eine Notiz. Emerson schrieb nämlich anschließend:
Meine Aufmerksamkeit muss sich allein auf das richten, was mir [totalitär und durch niemanden zu kritisieren!] als das Rechte bei meinem Tun erscheint, aber nicht auf das, was die Leute denken. Diese Regel, die im wirklichen wie im geistigen Leben gleich schwer zu beobachten ist, bezeichnet den ganzen Unterschied zwischen Erhabenheit und Niedrigkeit [zwischen „Herrscheramt“ und Beherrschten, zwischen Oben und unten, zwischen N und dem Rest der Welt!]. Dies ist umso härter, weil du solche, die deine Pflicht besser zu kennen glauben als du selbst, überall finden wirst. Es ist leicht in der Welt sich nach der Welt Meinung [zu] richten [da es davon doch so viele verschiedene gibt?]; es ist leicht in der Einsamkeit unserer eigenen Meinung [zu] folgen [weil einem dort niemand widerspricht!]; aber groß ist der, der mitten im Gewühl der Welt mit vollkommener Klarheit die Freiheit, die uns die Einsamkeit gewährt, [an der Ausbildung seiner unvergleichlichen „Freigeisterei“?] festhält. EE.39
„Klärend“ wirken könnte hier die recht zynisch formulierte „Feststellung“: „Alle Leute reden von sich. Nur ich, ich red’ von mir!“ - Wie immer ging es auch hier um Ns Zentralproblem mit dem er durchaus nicht alleine war, sich aber normalerweise zumeist nicht auf so ausgeprägte Weise bemerkbar macht, wie bei N - eben gegen den Rest der Welt! - da jeder auf seine Weise dieses Problem vom Ich in der ihn/mich umgebenden Welt in sich trägt: „Ich will ich selber sein!“ Was aber dazugehört ist die Frage, zu wie viel Kompromissen man bereit und fähig ist! Das war Ns altes, ewiges Lied. Er wollte so gut wie 100% „Eigentum“ und dabei kam bei ihm die „Moral“ ins Spiel, die Wertung, die „Rangordnung“! Das, was er den Anderen voraus hatte bzw. zu haben glaubte! In Wirklichkeit war das - von seiner Maßlosigkeit dabei abgesehen! - nicht viel! Sein ausgeprägtes „Wo ich bin, ist oben“! „Erhabenheit“! Und unten? Das ist bei „den Anderen“, bei deren Niedrigkeit! So einfach ist das, wenn man seelisch und in autistisch gefärbter Gefühlsblindheit in die Lage gesetzt ist, alles nach eigenem Gutdünken festgelegt sehen zu wollen. Was davon bleibt, ist Beliebigkeit - für Jeden! Nicht nur für den, der diese Ansprüche stellt, denn er müsste diese dann nämlich auch gewähren!
Die zuvor gemachten Vermutungen bestätigte N mit seiner ästhetizistisch durchsetzten, sich der Emerson‘schen Wortwahl bedienenden Notiz zu den letzten Emerson-Zeilen Anfang 1882:
Dass ich allein an das denke, was mir als mein Rechtes erscheint, aber nicht an das, was die Leute dazu denken - bezeichnet den Unterschied zwischen Erhabenheit und Niedrigkeit. Dies ist umso härter, weil du solche, die deine Pflicht besser zu kennen glauben als du selbst, überall finden wirst. Groß ist der, der mitten im Gewühl der Welt mit vollkommener Klarheit die Freiheit, die uns die Einsamkeit gewährt, festhält. 9.670
Die Freiheit in Einsamkeit! Dafür mag diese Moral geschaffen und auch brauchbar sein. Das für N typische aber ist: Diese Inhalte für sich in Anspruch zu nehmen, ohne sie in gleicher Weise „den Anderen“ gewähren zu wollen! Etwas Derartiges verriet er mit keiner Zeile, waltete da doch die Selbstverständlichkeit seines Zweierlei-Maß, welches - egal auf welche Weise in irgendeine Praxis übersetzt - nicht der menschlichen Natur entsprechen kann und folglich immer auf das hinauslaufen muss, was im „Dritten Reich“ - einschließlich der vielen „Auschwitze“! - zu erleben war.
Missverstanden! Das ist so recht das Wort eines Toren. Ist es denn so schrecklich, missverstanden zu werden? Pythagoras wurde missverstanden und Sokrates und Jesus und Luther und Kopernikus und Galilei und Newton und jeder lautere und weise Geist, der jemals Fleisch ward. Groß sein ist missverstanden sein. EE.42f Bei wem aber liegt es, missverstanden zu werden? Doch bei den Unverständigen!
Den letzten Satz hatte sich N bereits 1878 als erwähnens- und merkenswerte „Berechtigung“ aufgeschrieben 8.540, ohne diesen Satz von Emerson sonderlich persönlich zu nehmen, wie sonst eigentlich alles. Er setzte aber, ohne dies besonders deutlich werden zu lassen, die „Größe“ dem „Missverstanden-sein“ gleich, so dass für ihn psychologisch auch gegolten haben dürfte, dass „missverstanden zu werden“ an sich schon „Größe“ bedeutet. Davon bestimmt war sein später immer wieder und je länger, umso betonter ausgeübtes Verfahren, im umwertend genauen Gegenteil dessen, was Gültigkeit unter den Menschen besaß: nämlich die eigentliche Wahrheit und das Richtigere finden zu wollen.
Handle aufrichtig [was von Emerson her kaum den Begriff „selbstsüchtig“ oder im Sinne von „auf sich selbst gerichtet“ umfasst haben dürfte] und was du schon auf diese Weise vollführt hast, wird dich rechtfertigen. Jede Größe appelliert immer an die Zukunft. Wenn ich groß genug sein kann, um jetzt recht zu tun und den Augenschein zu verachten, so muss ich schon so viel Rechtes vorher getan haben, dass dasselbe mich jetzt verteidigen kann ….. Verachte den äußeren Schein und du wirst es immer können. Die Charakterstärke tritt dann von selbst ein. Alle die vergangenen Tage voll Tugend übertragen dann ihr geistiges Wohlsein auf diesen. Woher kommt das majestätische Wesen der Helden ….. Allein durch das Bewusstsein einer Reihe großer Tage und Siege, die hinter ihm liegen. EE.44
Das war die Verabsolutierung des Subjektiven. Den zweiten Teil dieses Absatzes hat N sich, mit typisch verkürztem Bezug auf sich selber, Anfang 1882 in sein Notizbuch geschrieben und das bedeutete, wie in alle den anderen Fällen, dass ihm der von ihm auf seine Weise und als weise verstandene Inhalt besonders zugesagt hatte:
Die Charakterstärke tritt von selber ein [nach dem Motto: „Die hat man eben“! - Als Engelchen so gut wie als Mafiaboss!]: die vergangenen Tage voll Tugend übertragen dann ihr geistiges Wohlsein auf dich. Durch das Bewusstsein einer großen Reihe von Siegen kommt das majestätische Wesen des Helden. 9.670
Das Maß von Ns Selbstmittelpunktlichkeit ist abzulesen an der Art, wie er sich Emerson in der Übernahme dienstbar machte! - Neben viel subjektiv empfundener Größe gibt es aber - allerdings aus sehr anderen Empfindungen heraus beurteilt! - vieles, was aus vielerlei Gründen als „schlecht“ geraten beurteilt werden kann. Ohne allgemeinverbindliche Maßregeln sind da jeder Art Willkür und Unrecht Tür und Tor geöffnet: wegen diesem „majestätischen“ Gebaren! - Worauf N nicht Bezug nahm, war das in Emersons Text doch als Vorteil ausgewiesen durch die Worte „Aufrichtigkeit“, „Rechtfertigung“ und „Zukunft“, in einer maßlosen Unbegrenztheit bis in die „Ewigkeit“: Das aber waren die „Elemente“ von Ns in der zweiten Hälfte des Jahres 1881 und abschließend 1882 formulierten „Lehre der Ewigen Wiederkehr“! - Alles nur Zufall bei einem so weit gespannten Geist, wie dem von N? Oder waren das eher Festgefahrenheiten, die begeistert zu „schulgesetzlichen“ Regeln erklärt wurden, zu denen nebenbei keine anderen Gedankenlinien aufkommen sollten?
Lasst uns der glatten Mittelmäßigkeit und der grauenhaften Zufriedenheit der Zeiten mit sich selbst die Stirn bieten und unsern Tadel aussprechen und der [bösen, „jetztzeitigen“] Gewohnheit, dem Handel und den Beamten jene Tatsache unter die Augen halten, welche das Resultat der ganzen Geschichte ist, dass ein großer verantwortlicher Denker und Handelnder überall ist [aber wohl im Sinne von „sein kann“ gemeint war; - andernfalls würde der Sinn fraglich], wo nur ein Mann sich regt; und dass ein rechter Mann keiner anderen Zeit noch anderem Ort angehört, sondern den Mittelpunkt der Dinge bildet [identisch mit Ns angeborener, stark ausgeprägter Selbstmittelpunktlichkeit!?]. Wo er ist, da ist Natur [„oben“ - gewissermaßen, - was aber sehr zu bezweifeln ist, denn es gibt in diesen - einem ausgewachsenen Größenwahn sehr ähnlich sehenden Zuständen! - auch unnatürliche Irrtümer verheerendster Art]. Er ermisst euch [nach dem Sinn von „ermessen“, also „Maß nehmen“ nach eignem Gutdünken! - also euch, als Leser] und alle Menschen und alle Begebenheiten. Ihr seid gezwungen, seine Standarte [das Maß seines „Herrscheramtes“ - bis zur „Gleichschaltung“!?] anzunehmen ….. Der Charakter, das Wesen ….. nimmt von der ganzen Schöpfung Besitz. [Dies hatte N am rechten Rand mit einem zustimmend anmerkenden Strich versehen.]
Der Mensch muss so hoch dastehen [wie hoch? - Für N konnte die Antwort dafür nur superlativ lauten! - Und woran sollte das vernünftigerweise - und von wem vor allem! - gemessen werden?], dass alle Umstände vor ihm unbedeutend sind, - alle Mittel von ihm in den Schatten gesetzt werden [jedoch bedarf es unter Umständen und zumeist dafür doch nur eines entsprechenden Dünkels!]. Alle großen Menschen sind und handeln so. Jeder wahrhafte Mann ist [rein ästhetizistisch gesehen!] eine Ursache, ein Land und ein Zeitalter; er bedarf unendlichen Raum, Zahlen und Zeit, um seinen Gedanken völlig auszuführen [wenn schon alles an Ihm so riesig ist, warum sollte es dann nur ein - und auch schnell totalitärer! - Gedanke sein?]; und die Nachwelt scheint wie eine Prozession seinen Schritten zu folgen [was ein Volltreffer in Ns sehnlichstes Wünschen gewesen ist!]. Ein Mann Cäsar ist geboren und Jahrhunderte nachher haben wir noch ein römisches Reich [das aber vor Cäsar auch schon Jahrhunderte lang bestanden hatte!]. Christus ist geboren und Millionen Menschen wachsen ihm zu und hängen ihm an, dass wir in der Tugend und höchsten Menschenwürde nur immer ihn wiederfinden. EE.45
Zu diesem umfangreichen Absatz notierte N, der für sich etwas Gleiches wünschte, Anfang 1882 auszugsweise, verkürzt und selbständig fortfahrend, wie er „seinen“ Emerson verstanden hatte:
Der rechte Mann ist der [unbedingt auch autistisch verursachte?] Mittelpunkt der Dinge: er nimmt von der ganzen Schöpfung Besitz, er erinnert an keinen Anderen, alle Umstände werden von ihm [durch sein „Herrscheramt“! - unbedeutend und in den] Schatten gestellt, er bedarf unendlichen Raum, Zahlen und Zeit, um seine Gedanken auszuführen [was ja alles fix übertrieben scheint - oder? In der Wirklichkeit ereignet sich dergleichen nur partiell und in erheblich kleineren Dimensionen]: - die Nachwelt folgt wie eine Prozession seinen Schritten. 9.670f
Und in einer solchen - erträumten! - Position wäre Er, N, gern „allen Menschen voraus“ gewesen! Im Anführen einer solchen „Prozession“ wollte N „in der Tugend und höchsten Menschenwürde“ sein „Herrscheramt“ wiedererkennen! - Mit superlativster Gültigkeit für Jahrtausende! Was ihn dazu trieb, 2 Jahre nach dieser Notiz, aus Venedig, an seinen Freund Franz Overbeck in Basel zu schreiben:
Ich will so Viel von mir, dass ich undankbar gegen das Beste bin, was ich schon getan habe; [mit dem nicht weiter überraschenden, für ihn typischen Zusatz:] und wenn ich es nicht so weit treibe, dass ganze Jahrtausende auf meinen Namen ihre höchsten Gelübde tun, so habe ich in meinen Augen Nichts erreicht. 21.5.84
Das war eine von vielen Früchten, die der Einfluss Emersons durch Jahrzehnte hin auf N bewirkte!
Die Anziehungskraft, welche jede selbständige Handlung ausübt, wird erklärt, wenn wir nach dem Beweggrunde des Selbstvertrauens fragen ….. Welches ist das ursprüngliche Selbst, auf welches ein allgemeines Vertrauen gegründet werden kann? ….. Die Frage leitet uns zu der Quelle hin, aus der uns auf einmal das Wesen des Genies [für das sich N - als Primus, der er immer wieder war - doch gerne hat halten wollen!], das Wesen der Tugend [und damit der Vorbildlichkeit, - was auch ein wesentlich eingebildeter Zug von Ns Charakter war] und das innerste Wesen des Lebens, welches wir Spontaneität [aus eigenem Antrieb zu handeln] oder Instinkt nennen, entgegen leuchtet. Wir bezeichnen diese ursprüngliche Weisheit [von der N sich doch in seinem „Herrscheramt“ erfüllt fühlte wie sonst kaum einer] als sinnliche Erkenntnis [oder ist es nur unreflektierte, dünkelnde Überzeugtheit von sich selbst gewesen?], während die Erkenntnis aller der Lehren, die wir später empfangen, uns nur anerzogen sind. EE.47f
Mit dem vorvorletzten Wort „nur“ scheint Emerson in Bezug auf die Erkenntnis doch der Spontaneität und dem Instinkt den Vorzug gegeben zu haben! Es gibt von ihm massenhaft Aussagen, die in Richtung eher pathetischer Größe und Selbstherrlichkeit in hemmungslose Superlativierungen weisen, - wie auch hier, wo er fortfährt:
In jener tief verborgenen Kraft, jenem letzten [wieder einmal superlativen!] Tatbestand, über welchen hinaus die Analyse nicht gehen kann, finden alle Dinge ihren gemeinsamen Ursprung [und das war, so abstrakt wie das beschrieben war, doch etwas, unter dem N sich etwas sehr Konkretes vorstellen konnte! Das war etwas, das N - schon immer! - bewiesen fand: In seinen Momenten der „Erleuchtung“ nämlich, wenn sich in seinen Empfindungen für kurze Momente alle Widersprüche der Wirklichkeit auflösten in beglückendem Allzusammenklang! - Im Zusammenhang damit sind die folgenden Ausführungen mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis zu nehmen:] Denn das Gefühl des Seins, welches in stillen Stunden, wir wissen nicht wie [nämlich so, wie seine Absenzen über ihn kamen!], in der Seele sich regt, ist nicht unterschieden von Sachen, von Raum, von Luft, von Zeit, von Menschen, sondern ist [in einem lichtdurchfluteten Zustand des Gefühls für eine überall geltende Harmonie!] eins mit diesem allen und geht offenbar aus derselben Quelle hervor, aus der ihr [das dies erleben könnende] Leben und Sein auch hervorgeht.
Es liegt - schon von Ns ererbten und ihm bisher unerklärten Anlagen her! - nahe, dass er, entsprechend den von Emerson genannten „sich in stillen Stunden, wir wissen nicht wie, regenden“ Zuständen des Wahrnehmens, wo nicht mehr „unterschieden werden kann zwischen Sachen, Raum, Zeit, Luft und Menschen“ - sich Momente des widerspruchlosen Allzusammenklangs ergaben! - Derlei „Zustände“ und „Momente“ des Erlebens von lichtdurchflossener, alles zusammenklingen lassender „Harmonie“, kannte N aus eigener Erfahrung heraus und hier bekam er für diese durch Emerson eine vorteilhafte, ihn als Erwählten erscheinen lassende Erklärung! - Durch Emerson wurde N etwas zuvor Verunsicherndes, ein Defekt letzten Endes, in einen Segen umgedeutet. Darin, dass Emerson N das Unerklärte seiner Existenz auf plausible und zudem noch auf schmeichelhafteste Art „verstandesmäßig“ zugänglich machte, lag die Macht Emersons über N begründet: Gerade solche Sätze Emersons, wie die letzten, hatten für N eine durchschlagende und durch nichts zu ersetzende Bedeutung! Sie erklären, dass und auch warum N sein Leben lang an Emerson vollständig kritiklos hängen bleiben musste, denn ein Abwenden hätte bedeutet, die Basis seiner gesamten Existenz als eine zu Recht gegebene Sonderstellung zu zerstören! Was Emerson N zu bieten hatte, rührte an sein Lebens- und Erlebens-Geheimnis, das ihm zuvor von niemandem auf derart vorteilhafte Weise enträtselt worden war und das galt es a) aufs Strickteste geheim zu halten und b) zu bewahren!
Emersons Text mündete noch in die Sätze:
Erstlich haben wir gleichen Teil an dem Leben, [was eigentlich ja für eine „Gleichheit“ der Menschen als Lebewesen gesprochen hätte! - aber davon wollte N nichts wissen und deshalb überging er wohl das, was seitens Emerson noch folgt, nämlich:] durch welches alle Dinge existieren und später, wenn wir sie als Erscheinungen in der Natur sehen, vergessen wir, dass wir die Ursache ihrer Existenz mit ihnen geteilt haben. Hier liegt der Urquell des Handelns und des Denkens. EE.48
Von Emerson her liegen dessen Aussagen - wenn nicht gar gleichartige Erlebnisse wie bei N! - altüberkommene Vorstellungen von einem nicht unbeseelten Unterschied zwischen Ding und „Ding an sich“ zugrunde, dass nämlich eine Allumfassende „höhere“, metaphysische Weltwirklichkeit in einem irgendwo schwebenden „Geiste“ auf eine vor beziehungsweise von einem Gott „gefertigte“ Weise vorhanden wäre und dass das Individuum aus diesem seinen ihm „teilweise“ zustehenden, also seinen persönlichen Anteil aus der „Gesamtheit“ des „An sich seienden“ irgendwie zugeteilt - oder lediglich von mehr oder weniger Glück begleitet - „zu fassen“, zu erfahren, zu erleben oder zu „realisieren“ bekäme: Eine Art „ptolemäisches Weltbild“ gegenüber der später erst sich durchsetzenden Erkenntnis, dass neben dem Leben kein irgendwo herumschwebender „Geist“ existiert, von dem ein denkender Mensch - auf weiß Gott was für eine Weise „nabelschnürlich“ angeschlossen - neben seiner ganz offenbar materiellen eine ebenso offenbar aber auch - doch auf geheimnisvollere Weise funktionierende - „geistige“ Existenz sichergestellt erhält.
Dieser Kommentar ist angebracht angesichts der Fülle verführerisch übertriebener „Idealismen“, die Emerson N und nicht nur ihm hier zu höchst beliebigem - nämlich auch fragwürdigem! - Gebrauch angeboten hat. Dazu sehr im Gegensatz wirkt heute weit eher die Einsicht plausibel, dass das Leben im Sinne modernerer Vorstellungen - analog zum jedermann gebräuchlich gewordenen Einsatz von Hard- und Software - einfach und schlicht im Wesentlichen als weitgehender „Umgang mit Informationen“ zu begreifen sei, - weil es neben der Energie und der Masse in unserer Welt etwas über diese beiden rein physikalischen Größenordnungen Hinausgehendes gibt: Nämlich die gleich bedeutenden und viel bewirken könnenden! - zum Leben - als dessen Voraussetzungen sogar! - elementar dazugehörenden, in irgendeiner Form verfügbaren Informationen! Von den äußersten Anfängen seiner Entwicklung her bedeutet Leben „Umgang mit Informationen“! So, wie der „Umgang mit Informationen“ an Leben gebunden ist und es ohne Leben keinen Umgang mit Information gibt, so bedeutet das, dass es diesen „außerhalb“ des Lebens befindlichen „Geist“ nicht gibt. Demzufolge sind irgendwo undefiniert herumschwebende Geistesmassen für das Funktionieren der Welt durchaus entbehrlich. Aber das nebenbei. In Emersons Text geht es im nächsten Beispiel, auf der gleichen Seite sogar, um gleiche Zusammenhänge:
Hier [am „Urquell des Handelns und Denkens“, meinte Emerson, lägen auch] die Feuerbläser jener Inspiration [der „Einhauchung“, Eingebung, Erleuchtung in oft göttlich erlebtem oder diesem zugeschriebenen Sinn - mit dem diese jederlei Beweisführung ent- oder überhoben sind!], welche dem Manne Weisheit verleiht, jener Inspiration des Menschen [jener sinneserweiternden „höheren“ Wahrnehmung? Oder bloß der felsenfest unumstößlich vorgefassten, starrsinnigen Überzeugtheit über die auch jeder Idiot zu verfügen mag?], welche nicht abgeleugnet werden kann ohne Irreligiosität und Atheismus. Wir besitzen ein immenses Begriffsvermögen, welches uns zu Organen seiner Tätigkeit und zu Empfängern seiner [also aus höheren Sphären stammenden?] Wahrheit macht. Wenn wir das Rechte und Wahre erkennen [woran? - wenn nicht an einem Bezug auf „die Allgemeinheit“?], so tun wir selbst nichts dazu, sondern lassen zu, dass sich die Strahlen desselben einen Weg [durch uns hindurch oder wie ein böses Gespür in uns hinein?] bahnen. Wenn wir fragen, woher dies kommt [und davon auszugehen ist, dass N damals in seinem Exemplar die mitgegebene Druckfehlerberichtigung auf Seite VI des Bandes ordnungsgemäß nachvollzogen hat, so muss er weiter gelesen haben:] und in der Seele forschen, - so ist die ganze Metaphysik und die ganze Philosophie im Irrtum. Das Dasein oder Nichtdasein desselben ist Alles, was wir bestätigen können. Jeder Mensch unterscheidet zwischen den Handlungen, die einem freien geistigen Willen entstammen und denen, die aus einem unwillkürlichen Bewusstsein [der Inspiration als dem „Feuerbläser“ unüberprüfbarer Wahrheitsüberzeugungen] hervorgehen. Und diesem unwillkürlichen Bewusstsein, weiß er, muss er sich ganz unterwerfen. In dem Ausdruck desselben kann er irren, aber er weiß, dass diese Dinge so sind und gleich Tag und Nacht nicht bestritten werden können. EE.48f
Was den Inhalt dieses Absatzes betrifft, so kann es sich bei dem Beschriebenen „Feuerbläser der Inspiration“ ebenso gut - und dann weit weniger idealistisch! - auch um Starrsinn und Unbelehrbarkeit handeln! Bei einem dermaßen gewagten Verfahren wie dem der „Inspiration“ - und in diesen Dimensionen! - sollte ein Jeder stets eingedenk bleiben, dass „sein“ inspirativ angesprochenes Unbewusstes ihm selbst und nicht irgendeiner Göttlichkeit aus herumschwebenden „Geistigkeiten“ angehört - und diesem etwa hörig wäre! - Und dass Er, der - wie hier beschrieben! - „höheren Orts“ derart von „Wahrheit“ inspiriert, den Anschluss an „das Allgemeingültige“ sowohl zu suchen als auch zu finden hat, dürfte wohl, um seine eigene Einzigartigkeit mitsamt dem, was ihn da jeweils „inspirierte“, im Bereich der Realität anzusiedeln, zu bewegen und zu bewerten hat und dass sich dies als Selbstverständlichkeit versteht!
An dieser Stelle und auf dem hier erreichten Kenntnisstand des Lesers über Ns sozusagen „geistige Situation“ zur Zeit von dessen „Emerson-Infektion“, ist Anlass gegeben, das ausführliche Eingehen auf diese Emerson-Stellen noch einmal zu begründen: Es ist wichtig, zu verstehen, „was hier vor sich ging“, als N diese Passagen, beginnend 1861 als „Vorspeise“ zu seinen „Emerson-getränkten Jugendaufsätzen“ - dann aber immer wieder! - bis in die Entstehungszeit des „Zarathustra“ hinein und sogar weit über diesen hinaus, bis an sein „denkerisches“ Ende - las, vertiefte, kommentierte und dazu seine in vielfacher Weise auf ihn selbst bezogenen Notizen machte:
In Allem handelt es sich dabei um sehr genau zu nehmende Schicksalstexte, insofern, als dass N sich von ihren Inhalten - durch Andersgeartetes unbelehrbar! - unbeirrbar und unkorrigierbar bis an sein geistiges Ende sowohl in seinem „Denken“ als auch in seinem Handeln fesseln und bestimmen ließ und dass zu seinen Handlungen und seinen „Werk“-Texten in Form der wortgenau passenden Notizen für seine Gebundenheit an Emerson in ausreichender Menge Beweise vorliegen, was mehr ist, als Vermutungen und Unterstellungen so hier und da auf ähnliche bis gleichartige Inhalte hin. Wie sehr diese Emerson-Texte auf N wirkten, hat er selbst, überzeugt davon, dass niemand diesen Tatbestand entdecken würde, unfreiwilligerweise immer wieder bezeugt, wie es ebenso auch an den nachfolgenden Beispielen erkennbar wird. Mit den von Emerson her geprägten Sprüchen, das heißt genau genommen ja damit, dass N diese Sprüche als für ihn lebensbestimmende „bare Münze“ nahm, - dass er an ihnen kleben blieb und diese unrealistischen Klischees als pure Wahr- und Weisheit bewertete, - so sehr, dass er sich nicht wieder von ihnen zu lösen vermochte: Darin offenbart sich die Quelle und Struktur von Ns Wahn, der bereits 1861, bei dem so ungefähr Siebzehnjährigen also, Fuß fasste und quasi von Anfang an den Ablauf seines „denkerischen“ Lebens bestimmte!
Das Bewusstsein ist nichts Grillenhaftes, sondern etwas Unvermeidliches. Wenn ich einen Strich sehe, so werden meine Kinder ihn nach mir sehen und im Laufe der Zeit die ganze Menschheit, - obgleich vielleicht Niemand vor mir ihn gesehen hat. Denn mein Bewusstsein von demselben ist eben so sehr Faktum, wie die Sonne. EE.49
Dieser zuvor nie gesehene „Strich“ Emersons war bei N das „Herrscheramt“ und später nicht nur die „Ewige Wiederkehr“, sondern auch „Zarathustra“ und der von Ihm im Sommer bis Herbst 1883 als „Vollender“ 10.487 der Evolution zu bewerkstelligende Aufstieg des Menschen zur Idiotie des „Übermenschen“! Damit bestätigte Emerson N mit seinen hochsubjektivistischen Überzeugungen, Großes zu „denken“ und damit „richtig zu liegen“. N tat dies oft, mit so vielen Sätzen in so vielen Zusammenhängen, vor allem bezüglich gewisser Erlebnisse, die für N anderweitig sonst noch keine so einleuchtende Erklärung gefunden hatten wie durch Emersons Geschwätz. Darauf ist gelegentlich noch zu verweisen, - schließlich beruhte Ns Liebe, Vertrauen und auch seine - unbegreifliche und unbeschreibliche! - kritiklose Hochachtung Emerson gegenüber gerade in diesem höchst persönlichen und hochemotional belasteten Bereich, zu dem die zuletzt genannte „Sonne“ mit der anlässlich der Inspirations-Beschreibung und auch sonst immer wieder anschaulich vorgebrachten Aufhebungen aller Gegensätze und der „notwendigen Farbe“ auch der bei N immer wiederkehrende „Lichtüberfluss“, das „Von Licht umgürtet sein“, in Verbindung stand.
Die Beziehungen der Seele zu dem göttlichen Geist sind so [so superlativ] rein, dass es profan wäre, da noch nach einer Vermittlung zu suchen. Es müsste so sein, dass, wenn Gott spricht, er uns nicht mehr mit einer einzelnen Sache bekannt macht, sondern mit allen Dingen [mit allen Dingen! Unter Aufhebung aller Widersprüche, getaucht in gleißendes Licht, gleich als ob im biblischen Midian, bei den schließlich von Gideon besiegten Midianitern „ein Busch mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehret“? 2.Moses.3,2 Das heißt, dass Emerson N hiermit nahelegte, dass die bewussten, verschwiegenen „Allzusammenklangsmomente“ solche göttlichen Eingebungen wären? N erlebte Emersons Ausführungen als eine hochgradig verweltlichte, ja fast „wissenschaftlich“ nüchtern dargelegte „Religion“, die ihm unklare eigene aber durchaus wesentliche Erlebnisse als begnadete Begabung oder - wie im letzten Textbeispiel - als „Anteil an göttlich nicht hinterfragbarer Wahrhaftigkeit“ - „erklärte“!]; dass in der ganzen Welt seine Stimme gehört würde; dass Licht, Natur, Zeit, Seelen, aus dem Mittelpunkt des gegenwärtigen Gedankens hervorgingen und umherverbreitet würden und dass das Ganze neu datiert und aufs Neue erschaffen würde. Immer wenn ein Geist schlicht und einfach ist und eine göttliche Weisheit empfängt [wie beispielsweise N, der im inspirierten Moment seiner „Empfängnis“ der Moral und Lehre der „Ewigen Wiederkehr“, im August 1881, wieder einmal Bekanntschaft gemacht hatte mit dem selbstkritiklosen Sturme von Freiheits-Gefühl, von Unbedingtsein, von Macht, von Göttlichkeit 6.340], dann schwinden die alten Dinge [wie die „alte“, N so verhasste, „christlich-verdorbene“ Nächstenliebe-Moral, der gegenüber er nicht Herr, sondern nur Knecht sein konnte!], - alle Hilfsmittel, Lehrer, Leitfaden, Tempel stürzen zusammen; er lebt nun und zieht Vergangenheit und Zukunft in die gegenwärtige Stunde [und findet sich in dieser hoch erhoben, „allen Menschen voraus“ 14.8.81 und zwischen alt und neu, als „etwas Entscheidendes und Verhängnisvolles, das zwischen zwei Jahrtausenden steht“ 12.2.88] alle Dinge werden gleichsam heilig durch die Verbindung mit ihm, - eins so sehr wie das andere. Alle Dinge sind hierdurch bis zu ihrem Mittelpunkt aufgelöst und in dem allgemeinen Wunder verschwinden unbedeutende und einzelne Wunder. Dies ist und muss sein. EE.49
So hatte N das gelesen und so hatte er das aller Wahrscheinlich nach - passend zu seinen Lebensumständen - verstanden: So jedenfalls lösen sich so gut wie all seine im Leben vorhandenen Widersprüchlichkeiten in einem gewissen Wohlgefallen auf! In solchen Stimmungen, Konflikten und Zusammenhängen hat N 1882 seinen Emerson, sein lebenslanges Leib- und Magenbuch - in dem er sich wie nirgends sonst „zu Hause, und in meinem Hause fühlte“ 9.588, gelesen, immer wieder, - als sein heiliges Buch! Er hat die Inhalte interpretiert und wie mehrfach demonstriert immer unmittelbar auf sich, auf seine Person bezogen! Alles sprach ihn an, sein Wollen, seine Bedeutung, die Befriedigung seines „bis zum Defekt getriebenen Ehrgeizes“ NR.320, all das, was ja schließlich, wenn man genauer hinsieht, sein Schicksal wurde, bis hinauf zu seinem Gott-Sein als mildem Endpunkt einer Entwicklung, die von Anfang an so unrealistisch war, wie seine „Ideen“, die er neben seinen um sich schlagenden Kritik-Massen hervorgebracht hat: Seine Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“ und seinem „Züchtungsauftrag“ für einen künftigen „Übermenschen“, dem der Mensch so etwas sein sollte, wie dem Menschen der Affe: „Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.“ 4.14
Die Jahrhunderte sind die Verschworenen gegen den gesunden Verstand und gegen die Majestät der Seele. Zeit und Raum sind nur physiologische Farben, die das Auge sich macht, aber die Seele ist Licht; wo sie ist, da ist es Tag, wo sie war, ist Nacht; und die Geschichte ist eine Ungereimtheit und eine Injurie [eine Beleidigung durch Worte und Taten], wenn sie irgendetwas mehr ist, als eine erheiternde lehrreiche Erzählung oder Parabel meines Seins und Werdens. [Auch diese Zeilen wurden Anfang 1882 von N zu einer Notiz zusammengezogen, waren also für N von Wichtigkeit! - Hier wurde N – erkennbar an der Unterstreichung! - geradezu vorgelebt, wie sehr, wie gründlich, wie nachhaltig diese Weisheiten auf seine eigene Person zu beziehen waren!] Der Mensch ist schüchtern und apologetisch [parteiisch]. Er geht nicht mehr aufrecht. Er wagt nicht zu sagen: „Ich denke“, „ich bin“ [nach dem französischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes, 1596-1650, dem Begründer des frühneuzeitlichen Rationalismus mit und unter Zugrundelegung des berühmt gewordenen Satzes „cogito, ergo sum“: „Ich denke, also bin ich“ - auch], sondern befragt einen Heiligen oder einen Weisen [oder, wie N, einen Emerson!] ….. er lebt nicht in der Gegenwart, sondern mit zurückgewandtem Auge bejammert er die Vergangenheit oder ….. er steht auf den Zehenspitzen, um etwas von der Zukunft sehen zu können. Er kann nicht glücklich und lebensfroh sein, ehe er nicht ebenfalls mit der Natur in der Gegenwart lebt, erhaben über die Zeit. Dies sollte wohl verständlich genug sein. Dennoch seht, wie mancher gewaltige Verstand es gleichsam nicht wagt, Gottes Stimme zu hören, wenn diese nicht in der Phraseologie [in eigentümlichen Redewendungen] von ich weiß nicht welchem David, Jeremias oder Paulus [also in Wendungen irgendeiner biblischen Größe] zu ihm spricht. EE.50f
Aus diesem Textabschnitt, der sich über eine ganze Seite zieht, notierte sich N Anfang 1882, diesmal ohne diesen wesentlich stärker auf sich selbst zu beziehen als ohnehin vorgegeben war, - aber verkürzend:
Die Geschichte ist eine Ungereimtheit und eine Injurie, wenn sie mehr sein will als eine erheiternde Erzählung und Parabel meines Seins und Werdens. - Mit rückwärtsgewandtem Auge bejammert er [wer? Vielleicht doch längst schon er selber?] die Vergangenheit oder steht auf den Spitzen der Zehen, etwas von der Zukunft zu erspähen. Aber er sollte mit der Natur in der Gegenwart leben, erhaben über die Zeit. 9.671 [Die Abwandlung von „sehen zu können“ in das persönlich engagiertere „erspähen“ und das „Aber er sollte“ statt „ehe er nicht ebenfalls“ zeigt ein weitergehendes „Sich-Identifizieren“ mit dem, was für N bei Emerson vorzufinden war.]
Die „Geschichte als erheiternde Parabel seines Seins und Werdens“! Das hat N sicher gefallen. Doch was für ein wunschgetriebenes Lebensgefühl muss man haben, um derlei auf sich selbst zu beziehen? Hier, bei Emerson, durfte N erfahren, dass derlei legitim und möglich wäre und lebte dabei in dem Glauben, kraft seines längst eingenommenen „Herrscheramtes“ auch ein Recht auf solche Art Perspektiven zu haben. In diesem gottgleichen Gefühl lag sein Glück und es fehlte dazu eigentlich nur sein sonst gelegentlich an den Rand geschriebenes „ego“ zur seligen Bestätigung dieser Umstände!
Wenn wir ein neues Bewusstsein haben [wie N sich mittels seiner „Philosophie“ bemühen wollte, es unter den „Masken“ a) beflissentlicher Kritik, b) der „Übermenschenzüchtung“ und c) der Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“ unter die Leute zu bringen], so werden wir mit Freuden das Gedächtnis von seinen aufgehäuften Schätzen wie von altem Schutte befreien [„von altem Schutt“ bezeichnet genau Ns Einstellung zu allem, was vor ihm gedacht und für richtig gehalten worden war und - nun mit Emersons Segen! - durch ihn erneuert und berichtigt gehören sollte, - alles nach seinen Maßen und Wertung!] ….. Wenn du dem Guten nahe bist, wenn du Leben in dir fühlst, - nicht auf einem dir schon bekannten oder bezeichneten Wege [oh nein, - um das Maß der Superlative voll zu machen, musste es schon etwas sehr Eigenes, nie zuvor Dagewesenes sein!]; du sollst nicht die Fußstapfen Anderer zu entdecken suchen [wie N es vorerst dennoch mit Schopenhauer und auch mit Richard Wagner versuchen sollte, weil ihm bis dahin noch nichts Eigenes zu finden gelingen würde!] ….. so soll dir der Weg, der Gedanke, das Gute etwas völlig Fremdes und Neues sein [darin Kolumbus gleich, der, um eine neue Welt zu finden, bereit war, ins Nichts hinauszusegeln; ein „Gleichklang“, auf den sich N noch oft stolz und gerne berufen sollte - sich aber in Ermangelung von wirklich Neuem mit superlativen Maßlosigkeiten behelfen musste!]. Es soll alles andere Sein ausschließen. Du nimmst den Weg vom Menschen, nicht zum Menschen [wobei die Betonung jeweils auf „vom“ und „zum“ zu liegen hatte. Und sollte in diesem „vom“ schon vorgegeben gewesen sein, dass N darin die Aufforderung sah, den Menschen in Spekulation auf den Übermenschen überwinden zu wollen oder zu sollen?]. Alle, die jemals existiert haben, sind die diesem Gedanken treulos gewordenen Minister. Es soll aber für uns nichts Furchterregendes haben. Furcht und Hoffnung stehen beide gleich tief unter ihm. EE.51f
„Tief unter ihm“, von den Höhen der Schönburg aus war das von dem über alles und alle erhabenen Überflieger längst gefühlt und selbstverständlich geworden! Das las N bis in die Tiefen der Möglichkeiten hinein; - nicht alles auf Anhieb, aber bei späterem Wiederlesen sicherlich so, dass seine Idee „den Weg vom Menschen“ zu nehmen hätte - „zum Übermenschen hin“! - würde das bedeuten müssen und damit war ihm - von Emerson her! - von vornherein Recht gegeben! So sehr, dass er sich mit Nachdruck auf den richtigen Pfad gelenkt fühlen durfte. Im Zarathustra werden genau diese Sätze eine auffällige Bedeutung bekommen, indem N hervorheben sollte, wie sehr er der Erste war, der den „Weg seiner Philosophie“ betrat und auch gegangen wäre und dieser danach „allen Anderen“ - im von Emerson her betonten Zusammenhang! - versperrt sein musste, weil eben dieser Weg - von N! - bereits begangen und mit ungeheuren „Fußstapfen“ versehen wurde. Er schrieb dazu - und das war nach 1882: „Du gehst deinen Weg der Größe; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuß selber löschte hinter dir den Weg aus und über ihm steht [nach dem an dieser Stelle bereits gefundenen „Emerson’schen Gesetz“!] geschrieben: Unmöglichkeit.“ 4.194 Und dies nicht darum, weil das Ziel dieses Weges - in Ns Fall der zum Übermenschen! - schlichtweg und überhaupt eine „Unmöglichkeit“ war, sondern weil dieser „Weg der Größe“ - zu Ns ewigem Ruhm und Herrlichkeit! - jedem anderen verschlossen sein musste: Weil doch - nach N und Emerson! - niemand auf diesem „schon bekannten oder bezeichneten Wege“ und damit in die „Fußstapfen Anderer“ - also Ns! - tretend, nicht zu eigener Größe - seiner Größe vergleichbar! - gelangen könne! Ja, bis in so feine gedankliche Verästelungen hinein war N mit dem Wahn der Einmaligkeit seiner Existenz in den Gültigkeiten der Sätze Emersons beschäftigt und gefangen. So grundlegend galt für ihn was da - für ihn! - bei Emerson - auf dass es erfüllet werde? - geschrieben stand!
Wir erkennen noch gar nicht, dass Tugend [nur?] innere Stärke ist und dass der Mensch oder eine Verbindung von Menschen, die zur schöpferischen Urkraft [die N sich fraglos zutraute und in Anspruch nahm!] hindurchdringen, nach dem Gesetz der Natur alle Städte, Nationen, Könige, die Reichen und die Dichter, die nicht im Werden begriffen sind, überwältigen und beherrschen müssen [dies hatte N seitlich mehrfach dick angestrichen!]. Dies ist denn die endliche Wahrheit, zu der wir eben so schnell durch diese wie durch jede andere Lehre gelangen, nämlich das Aufgehen aller Dinge in dem hoch gelobten Einen [in dem unter Aufhebung aller Widersprüchlichkeiten das All und Alles harmonisch zusammenklingt! Es lief an so vielen Stellen, in so vielen Wendungen immer wieder auf dasselbe hinaus!]. Die Tugend [der inneren Stärke, wie soeben definiert!] ist der Regierer, der Schöpfer, die Wirklichkeit. Alle wirklichen Dinge sind dasselbe nach dem Grade, in welchem sie die Tugend [der von N durchaus gefühlten Stärke] besitzen. EE.53
Die Tugend als nicht genauer bestimmte Größe irgendeiner „Stärke“ deren es viele gibt?! - Man darf darunter verstehen, was immer man will. Auch wieder das Eine, den Allzusammenklang, ein „Zustand“ der in den „Gemeinsamkeiten“ zwischen Emerson und N eine so herausragende Rolle spielt. Daraus stellte N sich Anfang 1882 folgende in jeder Hinsicht verkürzte und verkürzende, auf sich selbst zugeschnittene Notiz zusammen:
Tugend ist innere Stärke: ein Mensch [wie N selber, - das war sicher gemeint!], der zur schöpferischen Urkraft durchdringt, überwältigt nach dem Gesetz der Natur alle Städte Völker Könige, die Reichen und die Dichter. 9.671