Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 20

Оглавление

Wieder war für N - und bei weitem nicht in gleichem Maße für „alle Anderen“ auch! - das Maß für diese Tugend nur in seinem „Selbst“ verankert. „Es“ und Er gelangten nicht über ihn selbst hinaus! N blieb bei einem Menschen. Einzahl! In Gedanken bei sich und „Es“ bestand betont aus dem, was Er fühlte! Seine schöpferische Urkraft war gemeint! - mit deren Wahrheit er „die Anderen“ überwältigen mochte und sich sogar dazu gezwungen fühlte, das zu tun, wie er es ein Jahr nach seiner Notiz, 1883, an seine mütterliche Freundin Malwida von Meysenbug schreiben sollte. Da hieß es, wie er glaubte, es bei Emerson „gelernt“ oder zumindest doch einleuchtend und „schön“ gefunden beziehungsweise anempfohlen bekommen zu haben:

Man soll sein Ideal vom Menschen durchsetzen, man soll mit seinem Ideal seine Mitmenschen wie sich selbst zwingen und überwältigen: und also schöpferisch wirken! 15.7.83

Dabei wäre doch zuerst einmal in aller Grundsätzlichkeit zu fragen gewesen: Was ist eigentlich dieses „Gesetz der Natur“, das Emerson da und auch sonst oft und mit ihm, in nachplappernder Weise N, für ihre „Logik“ in Anspruch nahmen? Einfach so? Wozu? Gemeint ist es von beiden - letztlich in totalitärem Sinn! - dem sich auch Emerson häufig geneigt erwies: Immer zugunsten des Einen, Vereinheitlichenden, Problemlösenden und Er-lösenden, Widersprüche aufhebenden, aber auch „gleichschaltendem“ letztlichen Phantom von einem „Ideal“, das hier als „Wahrheit“ angeführt wurde, weil auch Emerson nicht wusste, was es denn wirklich bedeuten sollte, denn auch er besaß nichts weiter, als nur seine eigenwilligen Überzeugungen, - wie jedermann! Aber Überzeugungen sind nicht etwas, das sich in jedem Fall mit dem Begriff „Erkenntnis“ bezeichnen ließe!


Lasst uns den auf uns eindringenden Haufen von Menschen, Büchern und Institutionen [alles, was von außen auf den eher autistisch geneigten N einstürmte!] erstaunt und bestürzt machen durch eine einfache Darlegung der göttlichen Wahrheit EE.53 [die N mit totalitärer Heftigkeit in sich rumoren fühlte!].

Auch dahinter steckten nicht mehr als fromme Wünsche; und wohl auch die Träume all derer, die den „Stein der Weisen“ suchten. - Nur dass Keiner ihn fand! Was sollte diese „göttliche Wahrheit“ - hinausgehend über das Menschliche, das all unsere Vorstellungen umgibt! - darstellen können? Der Antrieb dazu, hinter „Ihr“ her zu sein, verbarg sich in dem nur allzu menschlichen Verlangen, „Recht zu haben“ gegen alle Anderen; ein autoritärer, tyrannischer Zug, der „sich selbst“, seine eigene „einfache Darlegung“ in für N typisch maßloser Weise als Superlativ gegen alles Andere stellen wollte - und irgendwo in jedem von uns eine stille Glut bewahrt und gelegentlich, bei dem einen oder anderen, zu lodernden Feuern aufzuflammen vermag.


Aber nun sind wir [verglichen mit dem, was wir idealer und vorstellungsweise sein könnten!?] Lumpengesindel. Der Mensch hat weder Ehrfurcht vor dem Menschen, noch fühlt die Seele sich getrieben, bei sich stehen zu bleiben und sich mit dem geistigen Ozean in Verbindung zu setzen, sondern sie geht hinaus, um von den Urnen der Menschen sich einen Becher Wassers zu erbetteln. Wir müssen allein gehen. Isolierung muss einem wahren [in Idealen hängen bleibenden] Zusammensein vorausgehen. Ich liebe die Kirche mit ihrer feierlichen Stille, ehe der Gottesdienst beginnt, mehr als irgendeine Predigt EE.54 [was ein begeisterter Aufruf zu absolutem Subjektivismus war!].

Das entsprach Ns Sinn und Zuschnitt. Sein eigenes „Ding machen“, abseits von „den Anderen“. Diese Sätze enthalten nichts, was Ns Tun und Lassen widersprechen würde. Sie werden ihm deshalb gefallen haben. Es darf als sicher gelten, dass N sich von Emerson in keiner seiner ihm eigenen Neigungen widersprochen sah. Im Gegenteil, die Zustimmung ging - für den sonst doch so überaus kritischen N! - in etlicher Hinsicht zu weit. Er hat sich in dem Buch nicht umsonst „so zu Hause und in meinem Hause gefühlt als“, 9.588 - so sehr sogar, dass er meinte, es „nicht loben zu dürfen“, wollte er doch die Einmaligkeit dieser Harmonie nicht mit unheiligen Worten berühren; - während er doch sonst überall an so Vielem so viel auszusetzen fand! Es gibt erschreckend wenige Figuren in den Jahrtausenden der Weltgeschichte, von denen N glaubte, dass er ihnen dauerhaft etwas zu verdanken haben könnte und bereit gewesen wäre, das zuzugeben: Vielleicht zählten dazu Voltaire, Montaigne und eine knappe Handvoll von überschätzten Zeitgenossen, denen das „Verdienst“ zukam, dass er sie kaum kannte, wie übrigens auch von Renaissance-Figuren wie der hochrangige Gewaltverbrecher Caesare Borgia einer war.


Wirf deine Seele nicht fort an das Irdische [was starke Anklänge an das Verhalten von Kirchenvater Augustinus und dessen Hang zu „Höherem“ aufscheinen lässt]; lass dich nicht so tief herab [hinsichtlich oben und unten kannte N sich aus, schließlich hatte er sich längsten schon für das Schönburger Zinnen-Oben entschieden!]; behaupte deine Würde; bleibe in deinem eigenen Himmel [in deiner Verherrlichung des Elitären, was notwendigerweise Einsamkeit bringen muss]; lass dich nicht auch nur auf einen Augenblick in ihre [als niedrig und misslich erachteten] Zustände und Begebenheiten, in ihr Geschrei, das einen trostlosen Anschein hat, ein, sondern lass das Licht deines inwendigen Gesetzes [das Gütesiegel Deines „Mach-es-wie-ich“!] in ihre Verwirrung dringen. Die Macht, die die Menschen besitzen, mir Verdruss zu machen, gebe ich ihnen selbst durch ein schwaches Genaunehmen von meiner Seite. Kein Mensch kann anders als durch mein Handeln mir nahe kommen. „Was wir lieben, das ist unser, aber durch das Verlangen danach berauben wir uns desselben.“ EE54.f

Diese Anleitung zu einer sich abkapselnden „Muschel-Moral“ hat N am Rande, zum Teil sogar stark, angestrichen. Dazu machte er sich Anfang 1882 zwei Notizen, die eng zusammenhängen. Die zweite zuerst:

Die Macht, die die Menschen besitzen, mir Verdruss zu machen gebe ich ihnen selber. Lass dich nicht so tief hinab, behaupte deine Würde [respektiere aber auch die Würde „der Anderen“! - Das hätte korrekterweise dazugesetzt sein müssen!]; lass dich nicht einen Augenblick auf ihre Zustände auf ihr Geschrei ein: lass das Licht deines inwendigen Gesetzes [das ja nicht als allgemeinverbindlich gelten muss!] in die [grundsätzlich und nicht nur lt. Emerson eigentlich „ihre“] Verwirrung dringen. 9.672

Aus dem ursprünglichen „herab“ bei Emerson machte N - wie typisch! - ein von ihm aus gesehen „folgerichtiges“hinab“, denn wo Er war, war oben! Von dort konnte er sich nur hinab lassen, was wohl nicht die Position Emersons bzw. der Übersetzerin war. Wieder ging es um „Macht“, um die Berechtigung der Abgrenzung, also um „Rangordnung“ und um das, was heraushob aus des Lebens Gewöhnlichkeit! Es ging um das Höhere, das zu Erstrebende, die gewisse Teilhabe am Göttlichen, - letzten Endes. Sprüche wie „Das Licht deines inwendigen Gesetzes“ nahm N als Bestätigung und Rechtfertigung und günstige Auslegung und Deutung seiner „Zustände“ und „Anfälle“, die ihn glauben ließen - vor allen Anderen! - über geheime und begnadete Kraftquellen und Zugänge zur ewig selig machenden, absolut einzigen Wahrheit verfügen zu können.

Und nun das, was er sich zuerst zu dieser Emerson-Stelle notiert hatte und von dem aus auf das Zweite, „um das wir uns berauben“, kam:

Was wir lieben, das ist unser [wessen sonst?]: aber durch das Verlangen darnach berauben wir uns desselben. 9.671

Es dürfte wahrscheinlich sein, dass N der allgemeine, in engem Zirkelschluss leicht auf sich selbst zu übernehmenden Ich-Bezug des letzten Teils von Emersons Absatz dazu angeregt hat, doch auch den ersten Teil zu übernehmen und „sich passend“ zu machen. Damit klar wurde, um welche Umwertungsart von „Verlust“ es ging: War N doch ein Meister im Verzichten, - auf alles, woran „den Anderen“ gelegen war, wenn es nur darum ging, dabei in großem, umwertenden Stil vor allen Anderen zur Geltung zu kommen! Alles in allem ist es schon merkwürdig, dass und auch wie sehr so viele Emerson-Sätze auf so direkte Weise auf N zutreffen und ihn und seine Inhalte und seinen Werdegang geradezu prophetisch beschreiben. Bloßer Zufall kann das bei Ns Verehrung für diesen Schriftsteller - auch bei seiner sklavischen Gebundenheit an ihn! - bei seiner Verschwiegenheit über ihn! - und bei der vielfach wortgleichen Identität der Äußerungen kaum sein!


Ich habe harte Anforderungen an mich selbst zu machen und einen vollkommenen Maßstab dafür [„vollkommen“ doch wohl nur insofern, als N, dies lesend, sich selbst in nichts widersprechen würde und froh sein konnte, dass ihm seine reinste Lust hier auf so himmelhochstürmende, erhebende, ihn adelnde Art umschrieben wurde!]. Er [dieser Maßstab] leugnet den Namen der Pflicht manchem, was Pflicht genannt wird, ab [denn was Pflicht für ihn war, mochte er - Emerson und das gefiel N, wie bei Byrons Manfred! - nur selber festlegen]. Aber wenn es mir gelingt, mich vor diesem [dem Maßstab] meiner Schuld zu entledigen [kindlich unschuldig zu bleiben oder ausreichend gerechtfertigt in seinen Verletzungen der Pflicht], so darf ich mich wohl dem allgemeinen Gesetzbuch entziehen. [So haben Emerson - und damit auch N und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Himmler, Hitler, Goebbels und viele Andere! - es sich auch zurechtgelegt! Sich „dem allgemeinen Gesetzbuch entziehen“; - Versuche dazu, - das Aufstellen neuer Gesetzestafeln nach Ns „Geschmack“, bildet schließlich den Hauptteil von Ns „philosophischen Taten“, - und lag damit auf der Linie der Handlungen eines jeden Verbrechers!] Wenn irgendjemand noch denken kann, dass dies Gesetz ein nicht laxes ist, so lass ihn das Gebot desselben nur einen einzigen Tag befolgen. EE.56

Was Emerson hier in der Tragweite „des Gebotes“ auf einen einzigen Tag zu beschränken gedachte, - das gedachte N für seinGebot“ auf die Ewigkeit auszuweiten! Es wirkt immer wieder erstaunlich, wie innig sich die Zusammenhänge Ns zu Emerson in ihren Abhängigkeiten und Widersprüchen zeigen! In unmittelbarer Verbindung dazu folgt bei Emerson:


Und in Wahrheit verlangt es ein gottähnliches Wesen von dem, der sich von den gewöhnlichen Motiven der Humanität [dem gleichen Recht für alle!] losgemacht hat und es wagt, sich als dem eigenen Wächter zu trauen [genau dies wird N auf, in und mit seinem Lebensweg Wirklichkeit werden lassen: Er wird es „wagen sich [!] von den gewöhnlichen Motiven der Humanität loszumachen“ und - vor sich selbst! - „ein gottähnliches Wesen“ werden, - wobei das dazu angeblich notwendige „Gottähnlich-werden“ für N eigentlich gar nicht nötig war, weil ihn dieser Schritt, infolge des grundsätzlichen Außer-Acht-lassens „der Anderen“ keinen Pfifferling an Kosten verursacht hat!]. Hochherzigkeit, Willenstreue und klarer Verstand, das müssen seine [letztlich idealistischen, relativen und ihn „den Anderen“ gegenüber zu nichts verpflichtenden] Eigenschaften sein, wenn er mit dem rechten Ernst sich selber Lehre, Gesellschaft und Gesetz sein will, so dass ein einfacher Vorsatz bei ihm eben so viel ist, wie bei Andern die eiserne Notwendigkeit EE.57 [eine großartige Phrase, die alles in allem jeder Kriminelle oder Terrorist für sich in Anspruch zu nehmen vermag: „sich selber Lehre, Gesellschaft und Gesetz sein“ wollen! Mehr nicht? N hatte diese Stelle seitlich am Rande angestrichen und damit als „für sich von Bedeutung“ kenntlich gemacht!].

Überdies notierte sich N dazu Anfang 1882 in teilweise wortwörtlicher Übereinstimmung - weil er dafür keine eigenen, besser passenden Worte fand! - dies wie ein nun mal gegebenes Faktum darzustellen:

Es verlangt ein gottähnliches Wesen von dem, der sich von den gewöhnlichen Motiven der Humanität [was N - in seiner Existenz ohne „die Anderen“! - keine intellektuellen Umstände machte!] los gemacht hat. Hochherzigkeit Willenstreue und ein klarer Verstand: das müssen seine Eigenschaften sein, wenn er sich selber Lehre [oder vielleicht doch „Lehrer“? - mit wieder einmal vergessenem letzten Buchstaben, was ihm in seinen Notizen gelegentlich passierte] Gesellschaft und Gesetz sein will: so dass ein einfacher Vorsatz bei ihm ebenso viel ist wie bei Anderen die eiserne Notwendigkeit. p.57. 9.672

Wieder galt a) die Verkürzung auf seine Person und b) das Zweierleimaß, wie N es unter angeborener Bevorrechtigung gegenüber „den Anderen“ immer für sich in Anspruch nahm: Er oben in selbstherrlichem Glanze, „die Anderen“ unten in der Pflicht, als seine „Verfügungsmasse“! Das kam ihm entgegen, berechtigte ihn zu der Rolle, die er, koste es was es wolle, „herrscheramtlich“ zu spielen gedachte. Deshalb haben ihm diese Emerson-Sätze ja auch so ausnehmend gefallen, was die stark aufs Eigene hin gewendeten Betonungen in den schriftlichen Übernahmen belegen! - Auch wie selbstverständlich es für N als „modern“ empfundenem „Denker“ war, sich nicht erst kurz vor seinem Zusammenbruch, sondern schon und allerspätestens seit Anfang 1881 mit „gottähnlichen“ Wesensmerkmalen in Betrachtung seiner selbst zu beschäftigen und damit zu identifizieren. - Zusätzlich hatte N sich die Nummer der Seite 57, bei der das Ausgangsmaterial in seiner „Emerson-Bibel“ stand, vermerkt.


Unsere Zeit lässt keine großen und vollkommenen Menschen unter uns aufkommen [was zuerst einmal an den Maßstäben des Betrachters liegt und die böse Jetztzeitigkeit nur sehr langsam Patina entstehen lässt und inzwischen eine große, gebildete, kritisch eingestellte Öffentlichkeit entstanden war, gegen die jeder von irgendwem vertretene Größen-Anspruch antreten und auch bestehen musste! Überdies konnte das keine „objektive“ Feststellung sein, da derlei Urteile zu einem großen Teil mehr von der Subjektivität des Beurteilenden als von Fakten bestimmt zu sein pflegt]. Wir bedürfen sowohl Männer wie Frauen, welche das Leben und die gesellschaftlichen Zustände umschaffen sollen [worin Ns Umwertungswahn begründet und angestoßen war!] und wir müssen sehen, dass die meisten Naturen [für N die „Überflüssigen“, die „Viel-zu-Vielen“ 4.55, „die Anderen“ eben] insolvent sind [in dem Sinne, dass sie nichts leisten, nichts „schaffen“ können, was sie also in ihrer Durchschnittlichkeit gegenüber einer auf Genies spekulierenden Anforderung schuldig bleiben, weil sie], kaum ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können, dabei von einem Ehrgeiz beseelt sind, der ganz außer Verhältnis zu ihrer ausübenden Kraft steht und die so nichts anderes wissen, als sich zu krümmen und betteln zu gehen unaufhörlich Tag und Nacht. EE.57

Auch diese maßgebenden Emerson-Sätze schienen, wie so viele andere von ihm, geradezu nur für N geschaffen worden zu sein: Der letzte enthält bereits lange vor N dessen Klagen über die „Kleinheit des gegenwärtigen Menschen“ 4.274, dem - wenn überhaupt! - nur als „Über- und Untergang“ 4.17 für den „Übermenschen“ irgendein Wert zugesprochen werden konnte. Darin wurzelte der gigantische Ehrgeiz des größtmöglichen „Umschaffens“, das nichts anderes darstellte als die von N als sein Werk und sein „Wille zur Macht“ in Angriff genommene „Umwertung aller Werte“ 5.409 und eben sein Ehrgeiz „bis zum Defekt“ NR.320, von dem N beseelt war, - sowie auch, dass dieser „ganz außer Verhältnis zu seinen [Ns!] ausübenden Kräften stand“. Auch der Rest des Satzes konnte sich gut und gerne auf Ns maßlos zersetzende Kritik an allem und jedem, was als „nicht von ihm anerkannter Wertin dieser Welt bestand, beziehen.


Unser Haushalt ist bettelarm; unsre Kunst, unsre Beschäftigungen, unsre Heiraten, unsre Religion [womit trotz der häufigen Benutzung des Wortes „unsre“ jedoch „die Anderen“ gemeint waren, denn weder Emerson - und noch viel weniger N! - schlossen sich ein in das, was sie als Allgemeinzustand nur zu gerne kritisierten! Sie standen als Beobachter grundsätzlich und zweifelsfrei „darüber“!], wir haben sie nicht gewählt. Wir sind Prunk-Soldaten. Den stürmischen Kampf mit dem Schicksal, wo unsre innere Kraft geboren wird, den scheuen wir. [Auch dies hatte N seitlich dick angestrichen! Dabei bezog sich das letzte „wir“ auf die Allgemeinheit, in die auch Emerson sich selbst nicht eingeschlossen sah!]. Wenn unsre jungen Anfänger zuerst in ihren Unternehmungen fehlschlagen, so verlieren sie alles Vertrauen [vor sich und bei anderen]. Wenn ein junger Kaufmann falliert [in Konkurs geht], so sagen die Menschen er ist ruiniert. Wenn das auserlesene Genie auf einer unserer Schulen studiert und nicht gleich ein Jahr nachher ein Amt in den Städten oder Vorstädten von Boston oder New York hat, so finden seine Freunde ….. [und so weiter, - nur um zu zeigen, dass Emerson sich hier - sehr pathetisch zwar - aber immerhin doch, auch mit realistischen Fragen des alltäglichen Lebens beschäftigt hat.]

Unter Auslassung der Worte „Religion“ und „Prunk-Soldaten“ notierte sich N Anfang 1882 - und das war damals sein letzter Eintrag zu den beiden ersten Kapiteln aus Emersons „Essays“! - Wort für Wort und war also bis auf den letzten Buchstaben einverstanden mit dem, was Emerson ihm vorgekaut hatte:

Unser Haushalt ist bettelarm; unsere Kunst, unsere Beschäftigung, unsre Heiraten - wir haben sie nicht gewählt [und übernahm kritiklos:] sondern die Gesellschaft hat sie für uns gewählt [was so ohne weiteres ja nicht stimmte: Denn dieser Umstand ergab sich aus dem Vorhandensein „der Anderen“, deren Existenz N sich beharrlich weigerte zu gebührender Kenntnis zu nehmen!]

Was hatte N sich aber gedacht? Dass er in eine Welt des „tabula rasa“, - also auf eine freie, durch nichts voreingenommene, ihm zu freier Verfügung übergebene „Tischfläche“ geraten wäre und niemand als er selber zu bestimmen hätte, wie er sich zwischen seiner Geburt und seinem Tod - die beide letztlich absolut seine Privatangelegenheit waren! - realistischer Weise zu benehmen oder aufzuführen hätte, da er „im Leben“ doch nur als ein „durchreisender Gast“ gegenwärtig war und sich den Gepflogenheiten der „Gastgeber“ - seiner „Nebenmenschen“, wie Emerson sie gelegentlich nannte - zwar nicht bedingungslos zu unterwerfen, aber sich doch mit ihnen, die zu einem guten Teil schon länger „da waren“ als er, immerhin doch zu arrangieren hatte?

Und dann schwatzte N - noch 1882! - wortwörtlich nach, was Emerson - zum Teil dick unterstrichen! - vorgegeben hatte:] Den stürmischen Kampf mit dem Schicksal, wo unsre innere Kraft geboren wird, den scheuen wir 9.672 [„wir“! - das waren „Die Anderen“! Denn Er wollte doch diesen „stürmischen Kampfnicht scheuen! Auch wenn gerade Er - der ja später! - einem solchen „Kampf mit dem Schicksal“ eigentlich weitgehend enthoben war, indem er wegen Dienstunfähigkeit eine „Rente“ bezog und ihm somit gewährt war, unbelastet durch die Sorgen um seine Existenz, seinem zersetzenden und zerstörerischen Hobby zu frönen].


Ns Notizen zeigen durchweg eine gewisse, herdentriebartige Zustimmung und anverwandelnde Identifikation mit dem, was Emerson vor-geschrieben hatte: Ohne von seiner Seite her je einen kritischen Blick darauf zu werfen, dass er damit - wie jeder andere! - bereit dazu war, in eine wie auch immer geartete, aber bestehende - durch Emerson vorgedachte Welt! - einzutreten, was er - sofern dies von der Gesellschaft bestimmt war! - offensichtlich als eine empörende Tatsache empfand: Grad so, als ob er zum Ausdruck bringen wollte: „Wieso ist diese Welt nicht von vornherein nach meinen Maßen eingerichtet?“

So heroisch, wie er es für sich angelegt sehen wollte war „das Leben“ auch für ihn nicht wirklich, sondern nur „schriftlich“, erschrieben, ausgedacht, zurechtgelegt, entworfen, gewünscht und behauptet. - Aber darüber hinaus? Was hat er als Philosoph geleistet? Was für Erkenntnisse hat N zum Wohlergehen der Menschheit zustande gebracht? - außer dass er die Wirklichkeit bis in den Grund hinein kritisierte - in „Büchern“ und Buchstaben auf stets geduldigem Papier! Zwei angeblich so überaus „großartige Ideen“ hat er sich abgerungen: die „Ewige Wiederkehr“ FW.341 und die „Züchtung des Übermenschen“ JGB.251, die beide auch von vollkommen unverbesserlichen N-Enthusiasten als reiner Unsinn erachtet werden. Er wollte den größtmöglichen Aufwand an „innerer Kraft“ aufbringen! Wofür? Ausschließlich zu einer Verwirklichung seiner eigenen Größe! Für seine Bedeutendheit! Zur Darstellung dessen, was er - aus seinem Blickwinkel heraus! - glaubte „vor allen Menschen voraus“ zu haben. 14.8.81


In der Praxis hat N „philosophiert“ wie der jüngere Emerson vor dem amerikanischen Sezessionskrieg. Er hat seinen jeweiligen Meinungen freien Lauf gelassen und sich nicht die Bohne darum geschert, wie diese Einzelmeinungen zu einem - auch für „die Anderen“ vertretbaren Zusammenhang! - zueinanderpassen; Er hat seine diversen Blickwinkel dargestellt, mehr nicht; und das ohne je über diese hinaus ins Allgemeine hinein nachzudenken! Er hat nirgends abgewogen - und unter Einbezug der Welt um ihn her - logisch begründet, sondern immer nur aus seiner instinktiven, nicht als solche erkannten Selbstmittelpunktlichkeit heraus Behauptungen aufgestellt; so, wie im von „Zarathustra“ angesagten Erlösungs-„Prinzip“: „so wollte ich es“, „so will ich es“, „so werde ich’s wollen!“ 4.181

„Schön“ machen nannte er das: Schönheit! „Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss4.157. Bedauerlich nur, dass N zum „Inhalt“ seines maßlosen Wollens nichts anderes als lediglich seine eigene Größe als Thema vor Augen stand.


N hat sich - und eigentlich ist das erstaunlich! - nur zu den ersten beiden Kapiteln der „Essays“ von Emerson noch Anfang 1882, 39 abschreibende und zusammenfassende, stets streng auf ihn selbst bezogene Notizen gemacht. Randbemerkungen, An- und Unterstreichungen hat er sich dagegen zu 19 von 20 Kapiteln - mit Ausnahme des Kapitels mit der Überschrift „Liebe“ geleistet: In diesem Kapitel, dem 5. mit einem Umfang von gut 15 Seiten, findet sich dermaßen auffällig Nichts - aber auch absolut überhaupt nichts! - was N auf irgend eine Weise angesprochen oder auch abgestoßen hätte. Zu dem, was Emerson zum Thema Liebe zu sagen hatte, fehlte N einfach jederlei Erlebnisfähigkeit! Nichts davon „erreichte“ Gleichklingendes in ihm und so blieben diese Seiten von Ns Anstreichungen jungfräulich unberührt. Ansonsten aber gibt es viele Emerson-Stellen, die N „wie aus dem Gesicht geschnitten“ waren. Eine nicht unbeträchtliche Reihe davon sind noch anzuführen; - zuerst noch aus dem 3. Kapitel „Selbstvertrauen“:


Lasst einen Stoiker [einen Anhänger der seit etwa 300 v. C. weit verbreiteten Strömung der griechischen Philosophie, welche die wirkende Kraft im Ganzen der Welt als Gottheit erkannte, welche die Welt als allverbreiteten Hauch, als Weltseele und die menschliche Existenz einschließende Weltvernunft in innerer und absoluter Notwendigkeit - die zugleich absolut zweckmäßig wäre - durchdringt. Daraus entstand die Forderung: Lebe in Übereinstimmung mit der als göttlich erkannten Natur selber vernunftgemäß, was als sittliches Handeln galt: Eingeschlossen darin war der Wille zur Selbstbehauptung und Selbsterhaltung, denn sich selbst zu fördern galt zugleich als Förderung des allgemeinen Wohls. Alle Sünde und Unsittlichkeit war nichts als Selbstzerstörung, Verlust der eigensten Menschennatur und Krankheit der Seele, - was für N hinsichtlich seiner eigenen Krankheitsbeachtung von nicht unerheblicher Bedeutung war. Das richtige Verhältnis vernunft- und naturgemäßen Begehrens und Meidens zwischen den Extremen verbürgte für den Stoiker das wahre menschliche Glück. Noch heute ist die stoische Ethik, besonders in der angelsächsischen Welt lebendig. Ihr entspricht das Erziehungsideal des „Gentleman“, welches N mit seinen egozentrisch veranlagten Extremen aber zerbrechen sollte und wollte. Lasst einen solchen also] aufstehen, damit er die menschlichen Hilfsquellen entdecke, damit er den Menschen sage, dass sie keine niederhängenden Weiden sind, sondern aufrecht stehen müssen und können; dass mit der Übung im Selbst-Vertrauen ihnen neue Kräfte kommen werden; dass der Mensch das Fleisch gewordene Wort ist, geboren, das Wohl der Nationen mit begründen zu helfen, so dass er sich unseres Mitleids schämen sollte und dass in dem Augenblick, wo er aus sich selbst handelt, indem er die Gesetze, die Bücher, seinen ganzen Götzendienst und alle Gewohnheit zum Fenster hinauswirft, - wir ihn nicht mehr bemitleiden, sondern ihm danken und ihn hochschätzen - und der, der solche Lehre erteilt, wird dem Leben des Menschen wieder zu seiner Größe und zu seinem Glanz verhelfen und sein Name wird einen ewigen Klang haben in der Geschichte. EE.58

Dies alles hatte N beidseitig, links und rechts, zum Teil sogar sehr dick angestrichen und sein auf ihn selbst bezügliches „ego“ daneben geschrieben, zur Bestätigung dafür, wir sehr er dies auch als für ihn selber gültig erachten - und auch erfüllen? - wollte.


Wer auf eigenen Füßen steht und sich selbst zu helfen weiß, der ist Gott und den Menschen willkommen. Ihm sind alle Pforten geöffnet [aber das hat N bei der geringen Nachfrage nach dem, was er schrieb, nicht so erleben können!]. Aller Lippen jauchzen ihm zu, alle erdenkliche Ehre wird ihm zu Teil und Aller Augen folgen ihm mit Verlangen. Unsere Liebe umfasst ihn, weil er ihrer nicht bedarf. Jeder Einzelne kommt zu ihm, um ihm Höflichkeiten und Lobeserhebungen zu sagen, weil er seinen eigenen Weg gegangen ist und ihm unsere Missbilligung völlig gleichgültig war. Die Götter lieben ihn, weil die Menschen ihn hassten [war das ein echter logischer Schluss?]. „Dem ausharrenden Sterblichen“, sagte Zoroaster [es ist Emersons zweite Erwähnung dieses Namens, der so viel wie Ns Namensversion „Zarathustra“ bedeutet! Allerdings hat Emerson sich seinen „Zoroaster“ 1861 noch nicht als den Inbegriff eines „Weisen“ vorgestellt, was für N später dann, 1882, wahrscheinlich den Ausschlag gab, seinen Namen - statt den von „Manfred“ - für seinen erdichteten Weisen „Zarathustra“ zu wählen. Diesem ausharrenden Sterblichen also] „sind die Götter zu helfen bereit“. EE.60

Auch diese Stelle hatte N mehrfach angestrichen um ihre besondere Gültigkeit für ihn selber kenntlich zu machen!


In männlichen Augenblicken da fühlen wir, dass unsere Stelle da ist, wo die Pflicht [gegenüber wem oder was? Oder ist es wieder nur die „Lust“ gewesen? - die] uns ruft und dass die sorglosen Zufalls-Menschen [„die Anderen“, die unerträglich „Zögernden und Saumseligen“ 4.27, „Überflüssigen“ und „Viel-zu-Vielen“ 4.55, die nicht so wichtig genommen werden müssen, wie man selbst?] uns dahin folgen sollten, wie sie nur könnten [war aber N nicht selber ein Zufalls-Produkt, wie all „die Anderen“? Sicher fühlte er sich nicht als solches, - als einer wie alle Andern! Die Zufalls-Produkte sind immer „die Anderen“, niemals man selbst! Er war es natürlich nicht! Obgleich er die Zufälligkeit seiner Existenz mit allen anderen teilte und hinsichtlich Emerson auch nicht mehr als nur ein Mitläufer war!]. Die Seele ist kein Reisender; der Weise bleibt mit seiner Seele zu Hause. Und wenn seine Bedürfnisse, seine Pflichten ihn bei irgend einer Gelegenheit aus seinem Hause und selbst nach fremden Ländern hin rufen, so ist er dennoch zu Hause und verliert sich nicht selbst und lässt es die Menschen durch den [geschmäcklerisch vornehmen?] Ausdruck in seinen Zügen fühlen, dass er als Missionar der Weisheit und Tugend einhergeht [wie es N schon als „kleiner Pastor“ zu eigen war und nach außen kehrte!] und Städte und Menschen wie ein Herrscher, nicht aber wie ein Schmuggler oder Lakai besucht. EE.62

Auch davon konnte N sich aus tiefstem Selbstverständnis heraus bestätigt fühlen, dass er etwas Anderes war und vor allem mehr als die Anderen zu gelten hatte! Von N war auch dies am Rande angestrichen.


Stehe auf eigenen Füssen; ahme niemals nach. Das, was du selbst gegeben hast, kann dir jeden Augenblick auf die vielfältigste Weise die Macht zur Veredlung eines ganzen Lebens verleihen, aber das adoptierte Talent eines Andern gewährt dir nur einen augenblicklichen, halben Besitz. Das Beste, was ein Jeder zu leisten vermag, kann nur sein Schöpfer ihn lehren EE.63f

Das hieß, dass „das Beste“ nicht zu erlernen ist, sondern in einem steckt, ohne zu lernen, - ohne sich um die „umgebende Welt“ kümmern zu müssen! - Auch das hat N verinnerlicht und seitlich angestrichen, - ohne zu realisieren, dass er - mit der Akzeptanz dieses Satzes eben - nicht „auf eigenen Füßen“ stand, sondern zu seinen eigenen Gunsten „das adoptierte Talent eines Andern gewähren“ ließ, was allen Bildungsbemühungen Hohn sprach und nicht weiter führte, als bis zu verrückten Einzelgängern, die über nichts tiefere Einsichten besaßen.


Alle brüsten sich damit, dass die gesellschaftlichen Zustände veredelte und vervollkommnete sind; aber kein Einzelner nimmt zu an Vollkommenheit EE.64

Auch dies hat N seitlich markiert. Es war für Ns „Ehrgeiz bis zum Defekt“ NR.320 ein Zentralproblem: Sein ewiges „Exzelsior“, höher hinauf, edler werden, weiser werden, bis zu dem Unfug seiner inhaltsleeren, zum „Übermenschen“ strebenden Forderung „Werde, der du bist“! - was ja ganz hübsch „nach was klingt“: als selbstgefälliges Empfinden des zwangsläufigen Erfahrungszuwachses im Laufe des Alterns und Zuwachses an Jahren, der gerade ihm - was zu denken gibt! - in seinem sturen „Verhaftet-bleiben“ an und in Emersons „Weisheiten“! - eigentlich nicht gegeben war! Überdies: Sollte die Bewertung des eigenen Ich nicht unbedingt nur von diesem betrieben werden, sondern, was viel realistischere Ergebnisse bringen würde, „den Anderen“ überlassen bleiben; - was die nämlich an der Leistung eines Einzelnen zu schätzen wissen!


Eine eigentümliche Gleichheit macht sich zwischen den großen Männern aus den frühesten und denen der letzten Jahrhunderte bemerkbar; und die ganze Wissenschaft, Kunst, Religion, Philosophie kann keine größeren Männer erziehen, als die Helden des Plutarch [45-125 n. C., ein griechischer Schriftsteller und Verfasser zahlreicher biographischer und philosophischer Schriften, der in der Gegenüberstellung bedeutender Griechen und Römer die Gleichwertigkeit der griechischen und römischen Kultur betonte], drei oder vierundzwanzig Jahrhunderte vor uns. Nicht einmal mit der Zeit schreitet unser Geschlecht fort [bis hierher hatte N Emersons Text links am Rand - sicherlich anerkennend gemeint! - angestrichen] ….. Der, welcher in Wahrheit zu ihrer Schule gehört, will nicht ihren Namen führen, sondern ganz sein eigener Mann und seinerseits wieder der Gründer einer Partei sein. Die Künste und Inventionen [Erfindungen] einer Periode sind nur ihre zeitgebräuchliche Tracht, die die Menschen weiter nicht kräftigt [kräftigen tun die angesammelten Erfahrungen von Generation zu Generation denn sie gehören nicht alleine nur Einem!]. Die Nachteile, die die Maschinerie mit sich bringt, heben ihr Gutes wieder auf. EE.66

Für seine „Übermenschenzüchtung“ hätte N bei Emerson also lernen - zumindest jedoch lesen können! - wie falsch seine Hoffnungen waren! Aber darum ging es ihm nicht, denn er wollte sich sein so völlig unrealistisches Mittel nicht nehmen lassen, groß zu erscheinen, - im Befolgen von Emersons vorzeichnenden Höhenflügen! Er pickte sich heraus, was seinem eigentlich wahren Interesse - als etwas Besonderes zu gelten nämlich! - dienlich sein konnte. Die eigenartige Hochschätzung des Griechentums gegenüber der pauschalen Geringschätzung seiner Jetztzeit mit der bedenklichen Ausblendung von so gut wie allem, was zeitlich - ungefähr 20 Jahrhunderte lang! - dazwischen lag, ist ebenfalls von Emerson vorgezeichnet, - so wie das Einfach-drauflos-behaupten, das N von Emerson übernommen hat, denn es gibt bei Emerson allenfalls beispielhafte Analogien, Entsprechungen, Ähnlichkeiten mit denen er argumentierte, aber nirgends fand er für irgendeine seiner Behauptung angemessene Beweise: Es schien ihm eben alles so, wie er es beschrieb! In dieser Hinsicht hat sich „das Denken“ und die Art zu argumentieren heutzutage an ganz anderen „Spielregeln“ zu orientieren, als zu Emersons und zu Ns Zeiten.


Nur dann ist der Mensch stark und trägt den Sieg davon, wenn er alles Äußere von sich abtut und standhaft auf eignen Füßen steht. EE68

Auch diese Zeilen hat N seitlich stark Angestrichen. Aber auf welchen Füßen glaubte er selber zu stehen? Auf eigenen etwa? Wo er doch mit Schwung, Begeisterung und absoluter Unwiderruflichkeit dabei war, in den Fußstapfen von Emerson - auf der Stelle! - zu treten. Die Intensität der Benutzung, der Zustimmung und des bei ihm außerordentlich seltenen vorsichtigen Zweifels ist - mit Ausnahme des Kapitels „Liebe“ - von Ns Seite her unterschiedlich, aber insgesamt massenhaft über die Kapitel von Emersons „Essays“ verteilt.


Die für N typischen Auszüge sind unbedingt noch fortsetzen, denn von den insgesamt 448 Seiten, die Emersons „Essays“ beanspruchen, endet das - für Ns Anfang 1862 verfassten Jugendaufsätze so wichtige und an Auszügen so reiche 2. und längste Kapitel „Selbstvertrauen“ auf Seite 69. Das macht nur gerade 15% der gesamten „Essays“ aus! Dabei ist zu bemerken, dass die hier angeführten An- und Unterstreichungen nicht Ns „Geisteszustand und Begeisterung jener Jugendzeit, sondern nach 1874 die des frühestens 30-jährigen und älteren betreffen!

Aus den verbleibenden rund 85% oder 379 Seiten, ist der Vollständigkeit halber noch etliches anzuführen, um zu zeigen, wie unabsehbar bedeutsam Emersons Aussagen für Ns Denk- und Lebensweg tatsächlich gewesen sind. Um dem Schwergewicht Emerson nicht allzu großen Raum zu geben, aber doch die gebührende Übersicht zu bieten, seien aus den folgenden 18 Kapiteln doch die für N allerwichtigsten Aussagen Emersons ausgewählt, vorgeführt und erläutert:


Zum 3. Kapitel „Vergeltung“ ab Seite 70 bis 96 der „Essays“:

Der, welcher durch Macht oder durch Willen oder durch den Gedanken groß ist und Tausende übersieht [das ausübt, was N unter seinem „Herrscheramt“ verstand und verwirklichen wollte und von der Höhe des Schönburgturmes herunterblickend sich vorstellte, für die Welt zu sein], hat die Verantwortlichkeit für ein solches Übersehen. Mit jedem Influx [der Wechselwirkung von Leib-Seele, Körper-Geist] von Licht [enlighten - erleuchten, aufklären, also „neuartiger Erkenntnis“] kommt neue Gefahr für ihn. Hat er Licht [aber da spielten für N auch die Lichteindrücke der Allzusammenklangs-Momente hinein!], so muss er von dem Licht Zeugnis ablegen und immer jene Sympathie, die ihm so volle Befriedigung gewährt noch übertreffen durch seine Treue gegen jede neue Offenbarung des unerschöpflichen Geistes ….. Hat er alles, was die Welt liebt, bewundert und beneidet? Er muss alle ihre Bewunderung für nichts erachten und sie entkräften durch ein treues Festhalten an der Wahrheit [oder an dem, was er so dafür hält!] und muss ein Sprichwort und ein Gegenstand des Auszischens für die Spötter werden EE.75 [was ja Ns Neigung zum „wert- und wahrhaftigkeits-steigernden, „Dürer‘schen“ Ritter-Tod-und-Teufels-mäßigen Märtyrertum - näheres dazu später! - für seine einmal „gewählten“, übernommenen und bedingungslos ausgeführten „Schulgesetze“ in der „Organisation“ und Zusammensetzung seines Lebensgefühls durchaus entgegenkam. Man wird sehen. Hier muss die Andeutung dessen, was kommen und noch zu voller Entfaltung gelangen wird, genügen].


Der ist groß, der am meisten wohlzutun vermag. Der ist niedrig - und das ist das einzig Niedrige im ganzen Universum [also wohl pöbelhaft, wie Emerson wenige Seiten weiter behauptet] - in dieser Hinsicht etwas zu empfangen und nichts wieder zu geben ….. was wir empfangen, muss wieder gegeben werden, Strich für Strich, Handlung für Handlung, Heller für Heller, wem es nun auch sei. Sieh dich vor, dass nicht zu viel Überfluss in deiner Hand bleibt. EE.86

Es gibt kaum überzeugende Äußerungen von N, dass er von irgendjemandem etwas empfangen hätte, denn er wusste eh alles in möglichst maximaler Umkehrung besser, als es bis zu ihm hin „gewusst“ und für richtiggehalten worden ist. Dabei ist auch an die Beobachtung des Schulkameraden Deussen zu erinnern, dem die „Verbesserungsneigung“ Ns früh aufgefallen war. Dagegen steht jedoch eine Unmasse von Äußerungen Ns, dass er „gegeben hätte“ wie nie einer zuvor - und vielen hat er das ja auch, indem er ihre elitären Illusionen von Erhebung und Besonderheit kitzelte, so dass sie, an ihrem „neuralgischen“ Punkt getroffen, kritik- und willenlos dahinschmolzen und ihre dankbare Gegengabe in Gefolgschaft, Anbetung und Heiligenverehrung „veredelten“ und ihm vergolten.

Gegeben hat N - seiner Meinung nach! - beispielsweise der Menschheit das tiefste Buch aller Bücher, seinen „Zarathustra“ in allen vier [dennoch unvollständig gebliebenen] Teilen von 1882 bis Anfang 1885 und dieser wiederum gab, sich anfänglich mit der Sonne vergleichend, viele Erklärungen unter diesem Schema ab:

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind 4.11 und: Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk [nämlich den „Übermenschen“, dessentwegen der von N ungeliebte, verachtete, ihm Ekel erregende Mensch zu überwinden sei!] 4.13 und: Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich [weil aller Nutzen für N ein Makel war!], leuchtend ist sie und mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend. 4.97 und: Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es nicht Entartung? [Ein Lieblingswort Ns und des „Dritten Reiches“!] - Und auf Entartung raten wir immer, wo die schenkende Seele fehlt. 4.98 und: Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das [ihm!] Liebste tun. 4.106 und: Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt !“ - also rate ich Denen, die nichts zu verschenken haben. Ich aber bin ein Schenkender: gern schenke ich, als Freund den Freunden. 4.114 [Das war typisches Missionarsgehabe - aus dessen typischen Bedürfnis des „Mach-es-wie-ich - dann ist in Deinem mein Glück gesichert“!] und: Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein müsse, denn Nehmen. Das ist meine Armut, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; 4.136 [womit er sich erhöhen wollte, - in Emersons Sinn! Trotzdem klagte er aber lieber, weil das heroischer aussah als das einfach nur strahlende Glück:]

Aber ich lebe in meinem eigenen Licht, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen 4.136 und: Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, das er die Scham verliere; wer immer austeilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austeilen. 4.137 [So spricht einer, der nicht „Nehmen“, das heißt aber auch: nichts von „den Anderen“ akzeptieren kann!] Und: Nacht ist es, ach dass ich Licht sein muss! 4.138 und: Du gehst deinen Weg der Größe 4.194 Diese Behauptung erscheint vier Mal hintereinander! - denn es war der „Weg“, der für N daraus bestand, sich mit seiner „Lehre“ an die Menschheit zu verschenken! - Von oben herab, - naturgemäß!]

Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, - wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben! 4.250

Da übernahm N fast wörtlich was von Emerson vorgegeben war; - womit es denn der Beispiele dafür, wie lange dieser Emerson-Grundsatz für N vorrangig gelten sollte - obgleich es deren noch viel mehr gäbe! - sein Bewenden haben mag.


Sogar Ns - allerdings vor allem über eine Alkoholreklame - berühmt gewordener Satz „Aus der Kriegsschule des Lebens. - Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. GD.8 aus seinem letzten „Schaffensjahr“, 1888, war ihm von Emerson her vorgegeben. Dort heißt es:

Im Allgemeinen ist jedes Übel, dem wir nicht unterliegen, eine Wohltat für uns. EE.89

Die Textstelle hat N zusätzlich zur Unterstreichung seitlich rechts mit zwei Stichen versehen.


Ein Pöbelhaufe ist eine Gesellschaft von Körpern, die sich freiwillig der Vernunft berauben und deren Handlungen derselben vollständig zuwiderlaufen. Der Pöbel ist der freiwillig zum Tier herniedersteigende Mensch. EE.90

Diese „Feststellung“ Emersons war Grundlage für viele Werturteile Ns im Laufe seines „Philosophierens“ und Wertens. Es gilt für „die Anderen“! Ganz pauschal! Nicht aber für seine eigenen logischen Defekte und seine „pöbelhaften“, nämlich als Argumente benutzten Pöbeleien, die sich mit den Jahren häufen. Je älter N wurde und je mehr er merkte, dass seine Ideen keine sonderliche Nachfrage hervorriefen. Den „Durchbruch“ von Ns „Philosophie“ bewirkte schließlich nicht er, sondern seine geschäftstüchtige und in nichts zimperlich vorgehende Schwester, um ihren Nutzen an Geld und Ansehen aus dem Erbe des Bruders zu ziehen.


In Emersons Kapitel über „Geistige Gesetzte“ fühlte N sich auf besondere Weise angesprochen, liebte er doch alles, was in irgendeiner Form als „Schulgesetz“ anzusehen war. Da heißt es beispielsweise:

Jeder Mensch sieht, dass er jener Mittelpunkt ist, von wo aus Alles mit gleichen Vernunftgründen bejaht oder verleugnet werden kann. EE.102

Wieso hat N - wenn auch nicht schon als knapp Siebzehnjähriger, da wäre er überfordert gewesen, aber immerhin später doch! - hier nicht seine unergründliche und unversiegbare Freude sowie Begabung zur Kritik walten lassen? Wieso hat er nicht erkannt, dass das Erleben dieser von Emerson aufgetischten „Tatsache“ etwas anderes ist und auch sein muss, als die - schon für philosophische Eingangsübungen notwendige! - logische Durchdringung dieses jedem gegebenen Eindrucks? Und dass eben dieser Eindruck nicht als Grundlage für eine moderne Philosophie taugen kann, weil darin die für eine allgemeine Betrachtung so notwendige „Gleichheit in der Ungleichheit“ all dieser unendlich vielen Mittelpunkte innerhalb der „Unendlichkeit der Möglichkeiten“ unberücksichtigt geblieben ist - und - wenn sie denn berücksichtigt würde! - zu einer ganz anderen Philosophie hätte führen müssen, als N sie als wild gewordenen Subjektivismus geboten hat, - denn nur einen solchen wollte er seiner eigenen Größe zuliebe, unbedingt bieten und durchsetzen! Auch davon später mehr. Hier nur so viel, dass Ns Neigung in diese Richtung von Emerson her ausgiebige Unterstützung fand.


Die im Zarathustra viel benutzte „Formel“ zur direkten Ansprache an seine Leser beziehungsweise an Zarathustras Zuhörer „O, meine Brüder“ hat Emerson ihm im Kapitel „Geistige Gesetze“ vorgemacht: EE.103

15 Zeilen weiter las N:

Für dich gibt es eine Wirklichkeit, eine Stelle wo du hingehörst und entsprechende Pflichten. Stelle dich in die Mitte des Stromes von Macht und Weisheit [wie sie N doch immer wieder zufloss in seinen „gewissen“ Momenten des Lichtüberflusses und des allzusammenklingenden Glücks], welcher als Leben in dich hinein sich ergießt; stelle dich in den vollen Mittelpunkt jener Strömung [das hieß so viel wie: „bejahe diese Zustände als dein Eigen“!], dann bist du ohne Anstrengung zum Rechten, zur Wahrheit und zu einer vollkommenen Zufriedenheit getrieben. Dann schlägst du alle deine Widersacher. Dann bist du die Welt, das Maß für Recht, für Wahrheit und Schönheit. EE.103

Hier sang Emerson - wie so oft! - sein vermessen hohes Lied auf die Subjektivität und die Beliebigkeit ohne von N kritisiert zu werden. Im Gegenteil: N wird davon zu seinem persönlichen Vorteil höchst angetan gewesen sein, denn dass er in seinem „Herrscheramt“ als Philosoph ein Weltenrichter sein wollte, hat er oft seinen Papieren und in seinen Briefen auch engsten Freunden anvertraut, ohne dass diese sich viel dabei dachten, zumindest ihm gegenüber keine Reaktionen zeigten, denen ein ernstes Bedenken zu entnehmen gewesen wäre.


Bis er es nicht bis dahin bringt, dass er sich Andern in seiner vollen Größe und Proportion als weiser und guter Mensch mitteilen kann, eher ist ihm seine Bestimmung noch nicht klar geworden. Er muss in derselben einen Ausfluss für seinen Charakter erblicken, dass er sich in ihren Augen wegen seiner Handlungen rechtfertigen kann. EE.105

Auch diese Textstelle hat N seitlich markiert. Von Emerson her war das gleichsam eine „Aufforderung zum Tanz“, etwas Besonderes, Außergewöhnliches zu vollbringen und darzustellen! Um auf diese Weise vor allen Anderen, so, wie er sich fühlte, als etwas Besonderes zu gelten! N hat Emersons Sprüche immer wieder in maßloser Übertreibung auf sich selbst bezogen und notierte sich im so vieles in ihm aufwühlenden und anregenden Herbst 1881:

Meine Art krank und gesund zu sein, ist ein gutes Stück meines Charakters - es rechtfertigt sich und mich. 9.620

Rein aus ihm selbst heraus! Wieder einmal! Alles bezog sich für ihn - sofern es von Nutzen war! - immer nur auf ihn selber: Ohne jeden Bezug auf etwas, das außerhalb seiner Existenz vorhanden und/oder von Bedeutung wäre. Nirgends bei N „erscheint“ neben dem „philosophisch-metaphysischen“ Stichwortgeber Emerson als eine auf dieser Welt vorhandene, Ihn relativierende Instanz außerhalb seiner selbst! Aus seinem Satz lässt sich herauslesen, wie sehr N sein „Leiden“ - vor allem als Kopfschmerzanfälle, die ihn bis zur Verzweiflung plagen und martern sollten! - im Zusammenhang mit der „Besonderheit seines Seins“ - sogar als deren Opfer und Preis! - empfand. Beides gehörte mit dem Dritten, mit seinen „Zuständen“, seinen Allzusammenklangs-Momenten, die ihm von Emerson in vielen Formen als etwas ihn Auszeichnendes erklärt worden waren, zusammen. Zu der eigentlichen Emerson-Aussage dieses Beispiels passt eine Aussage Ns aus dem Jahr 1882, sie ist aus dem gleichen Geist heraus formuliert. Am 15. Juli 1882 schrieb N an seinen ihm längst sehr fern geratenen ehemaligen Busen-Freund Erwin Rhode:

Mein lieber alter Freund, es hilft nichts, ich muss Dich heute auf ein neues Buch von mir vorbereiten [auf die da gerade erscheinen sollende „Fröhliche Wissenschaft“] ….. Jetzt gibt es einen eigenen Studienplan und hinter ihm ein eigenes geheimes Ziel [die ihm nie gelungene wissenschaftliche Begründung seiner Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“!], dem mein weiteres Leben geweiht ist - es ist mir zu schwer zu leben, wenn ich es nicht im größten Stile tue [gemäß der Vorgabe Emersons „sich Andern in seiner vollen Größe und Proportion als weiser und guter Mensch mitzuteilen“!] im Vertrauen gesagt, mein alter Kamerad! …..

Zwei Jahre später schrieb N in gleichem Sinn, aber deutlicher ins Maßlose getrieben, zum einen an seinen treuesten Freund Franz Overbeck, der zwar lange schon Kenntnis von Ns bis „zum Defekt betriebenen Ehrgeiz“ NR.320 hatte, aber von Ns tatsächlichem Wahn nichts ahnte, sondern sämtliche Überspanntheiten Ns verständnisvoll tolerierte, - am 25. Mai 1884:

Ich will so viel von mir [aber eigentlich hätte er schreiben müssen: für mich! - denn für niemanden sonst hat er das „müssen“!], dass ich undankbar gegen das Beste bin, was ich schon getan habe [zum Beispiel die „Zarathustra“-Teile 1 - 3!]; und wenn ich es nicht so weit treibe, das ganze Jahrtausende auf meinen Namen ihre höchsten Gelübde tun, so habe ich in meinen Augen [in Wahrnehmung seines „Herrscheramtes“ - als Weltregierender und zu der Zeit 1884 längstens schon größenwahnsinniger] Nichts erreicht. Einstweilen - habe ich auch noch nicht einen einzigen Jünger.“

Zum anderen schrieb er, wie zum Beweis dafür, dass das nicht nur ein Ausrutscher, eine Entgleisung, eine vorübergehende geistige Störung war, kurz darauf, in der ersten Juniwoche 1884, an seine mütterliche Freundin Malwida von Meysenbug in Rom unter Anderem:

Meine Aufgabe ist ungeheuer [die er sich selber zugewiesen hatte: maßlos und in jeder Beziehung superlativisch ausgelegt um alles darüber Hinausgehende seitens „Anderer“ von vornherein und für alle Zeiten auszuschließen und/oder gering achten zu dürfen!]; meine Entschlossenheit aber [ist] nicht geringer. Was ich will, das wird Ihnen mein Sohn Zarathustra zwar nicht sagen [er war zu der Zeit noch längst nicht bereit, vollkommen aus sich, das heißt über superlativistische Andeutungen heraus- und hinauszugehen!], aber zu raten aufgeben; vielleicht ist es zu erraten. Und gewiss ist dies: ich will die Menschheit zu Entschlüssen drängen, welche über die menschliche Zukunft entscheiden und es kann so kommen, dass einmal ganze Jahrtausende auf meinen Namen [und nicht mehr auf den von Jesus Christus oder irgendwelchen anderen „Göttern“!] ihre höchsten Gelübde tun.

Das war es - wie sich aus vielerlei Anlässen noch zeigen wird! - worum es N bei allem, was er tun würde, gehen und wozu ihm das, was als seine „Philosophie“ gilt, dienen sollte! All das, was - durch Jahrzehnte hindurch! - streng im von Emerson vorgegebenen und diesen erfüllenden „Geist“ entstehen sollte! So steht es auch als Notiz aus der Zeit „Frühjahr 1884“ in seinen Notizen:

Meine Aufgabe [die ihm von niemandem gestellt war und ihm überhaupt niemand stellen konnte! - Es gibt kein Wort von N, mit dem er sich eindeutig dazu geäußert hätte - denn in Wahrheit war das Wort „Aufgabe“ für ihn nichts anderes als eine Verleugnungsvokabel für das unbedingt zu vermeidende, dort aber hingehörende Wort „Lust“! Für sein Bedürfnis, seinen Zwang, eben]: die Menschheit zu Entschlüssen zu drängen, die über alle Zukunft entscheiden! 11.118


Im Zuge der hier allgemein gepflegten und offenbar werdenden hochsubjektiv gestrickten Beliebigkeit der Ansichten ist an Ns Einschätzung seiner selbst prinzipiell schwerlich viel auszusetzen. Jeder sieht sich, wie ihm behagt. Die ernsthaft zu stellende Frage ist aber doch, welche Gültigkeit ein auf derart extreme Weise nur auf N selbst bezogenes und beruhendes Selbst-Verständnis haben kann, - wird doch sein wahrer, auf eine gewisse „Wirklichkeit“ ausgelegter Wert hauptsächlich vor, in und von „den Anderen“ gebildet, denn nur vor jenen kann man „etwas“ wirklich - mit Wirkung nämlich! - sein! Ausschließlich allein auf und vor sich selbst gestellt - nur auf eignen Kredit hin! - ist eh alles mit „einem selbst“ so spurlos gründlich vorüber als wäre es nie gewesen! Was aber konnte von Einem bleiben, wenn „die Anderen“ derart gründlich aus der eigenen Weltsicht ausgeschlossen wurden, wie bei N? - Nur der Irrtum über eine Philosophie, die - außer für N krampfhafte Orientierungsversuche abzugeben! - nie eine gewesen ist!


Was dein Herz für groß hält, das ist groß [dies aber nur für Dich! Nicht in gleichem Maß auch für „die Anderen“!]. Die Emphase [die Begeisterung] der Seele hat immer Recht [ebenso: nur für Dich! - Denn die Emphase Deiner Seele kann sich für und über andere Seelen auch gewaltig irren! Sogar über sich selbst!]. An alle Dinge, die seiner Natur und seinem Genius angenehm sind, hat der Mensch das höchste Recht [wenn er nebenbei gleiches „den Anderen“ zubilligt, wovon aber hier - gleichsam N gegenüber, der dies las - nichts geschrieben steht und auch von ihm im Entferntesten niemandem außer ihm selber eingeräumt wurde!]. Allenthalben mag er sich nehmen, was zu seinem geistigen Vermögen gehört [was allerdings für den Genius so gut gilt wie für den Idioten!], er kann gar nichts anderes nehmen und wenn ihm alle Türen geöffnet wären, noch kann eine menschliche Macht ihn hindern, so viel zu nehmen wie er will [dabei jedoch sollte man es nicht unbedingt belassen, denn diese „Weisheiten“ hat Emerson in einem reichlich fatalistisch geprägten Stil von sich gegeben und in seinen nach der Katastrophe des amerikanischen Bürgerkrieges von 1861 bis 1865 entstandenen Werken auch nicht wiederholt, - weshalb N alles andere von Emerson unbedeutend erschien!]. Es ist vergeblich, ein Geheimnis vor Jemand bewahren zu wollen, der ein Recht hat, es zu wissen. Es wird sich selbst verraten. EE.108

Als knapp Vierzehnjähriger hatte N geschrieben:

Ein Spiegel ist das Leben. In ihm sich zu erkennen, Möcht’ ich das erste nennen, Wonach wir nur auch streben.!! geschrieben vom 18. August bis 1. September 1858 BAW1.32

Das war ziemlich genau zu der Zeit des langen Gedichtes bezüglich der Gelüste und Genüsse eines „Herrscheramtes“ auf den Schönburger Turmeszinnen und beinhaltete die unverbrüchlich beibehaltene, allein gelten sollende Ich-Aham-ahamkara-Perspektive BAW1.245, die den in seiner extrem unüberlegten Ichbezogenheit autistisch veranlagten N zu vielfach fragwürdigen Schlüssen gegenüber der Lebensrealität verleitete.

Unten auf Emersons Seite 108, wo diese himmelschreienden Tiraden für N zu lesen waren, schrieb er im Herbst 1881:

Gesetzt mein Buch [damit dürfte er sein damals letztes, die „Morgenröte“, gemeint haben!] existierte nur noch in den Köpfen der Menschen, so wäre alles in gewissem Sinn aus deren Gedanken und Wesen - es wäre eine „Summe von Relationen“. Ist es darum nichts mehr? Gleichnis für alle Dinge. Ebenso unser „Nächster“. Dass ein Ding in eine Summe von Relationen sich auflöst, beweist nichts gegen seine Realität. 9.620

War das, über den Versuch, mit diesem „geistigen Schlenker“ zu so etwas wie einer „allgemein gewordenen Gültigkeit“ zu kommen, überhaupt logisch? Dazu gehört aus der gleichen Zeit Ns Notiz:

Ein Ding, ganz allein [ohne etwas, das es „superlativiert?], würde gar nicht existieren - es hätte gar keine Relation. Z.B. mein Buch. 9.579

Das klingt nach „wäre da nicht noch etwas“? - Es sind „die Anderen“, an die N sich - auf diese Weise! - zu „erinnern“ schien, sie aber in der „Relation“ zu sich selbst nicht recht unterzubringen verstand: Beides übrigens 1881 und nur wenige Seiten entfernt von der Eintragung zu „Emerson“, wie sehr und inniglich er sich „in einem Buch so zu Hause und in meinem Hause gefühlt“ hatte. 9.588


Jeder muss seinen eignen Maßstab anlegen [aber auch darauf achten, dass ihm dieser nicht völlig aus einem vertretbaren Verhältnis zur Weltwirklichkeit - in der es nun einmal auch „die Anderen gibt! - gerät!]. Es ist eine universale Maxime [ein Grundsatz, - wie Beispielsweise Immanuel Kants „kategorischer Imperativ“, an den sich alle in gleicher Weise zu halten hätten!] und wohl des Annehmens wert, dass ein Mann die Freiheit haben darf, die er sich nimmt [was zum einen garantiert nur für ihn, nicht aber auch für die unerwähnt gebliebenen Frauen, - zum anderen aber für alle! - zu gelten hat, so dass folglich, zu aller Zufriedenheit, gehörige Grenzen dieser immensen Freiheiten zu ziehen wären! N aber las - seinem auswählenden Benehmen nach! - vor allen Dingen:] Nimm den Platz und die Stellung ein, auf die du ein unfragliches Recht hast und alle Menschen werden sich darin finden [oder auch nicht, denn Ansichten beruhen auf einem Verhältnis der Gegenseitigkeit und werden auszufechten sein]. Es muss Ordnung in der Welt sein [nur welche oder wessen? - das ist es doch, worum die Auseinandersetzungen jeder Gegenwart gehen!]. Das Anlegen des eignen Maßstabs an die Dinge lässt im Manne immer eine tiefe Sorglosigkeit zurück [aber ist diese Art „Sorglosigkeit“ in Wirklichkeit nicht die Voraussetzung für die vorgetragene Art des Maß-Anlegens? - Ein Helmut Schmidt, Jahrgang 1918, beispielweise hat auf die Frage nach seiner Kanzlerschaft nicht wie Gerhard Schröder, Jahrgang 1944, geantwortet, dass es „Spaß mache“]. Held oder Faseler, die Sache bleibt dieselbe. Der Maßstab, den du selbst an dein Tun und Sein legst, wird sich gewiss immer daraus ersehen lassen, ob du dies Tun und Sein gern umgehen möchtest und deinen Namen verleugnen, oder ob du dein Werk [wie N später dann beispielsweise seine Lehre der „Ewigen Wiederkehr“ oder seinen „Zarathustra“!] an der konkaven Sphäre des Himmels sichtbar werden lässt [oder lassen möchtest!], wo es eins ist mit dem Umlauf der Sterne. EE.112f

Neben diesen Text hat N - zu welcher Zeit? - groß, deutlich und jeweils dick unterstrichen „Ecce homo“ geschrieben! Mit diesem aufgeblasenem Wortschwall hat Emerson Ns schon seit drei Jahren in dem Knaben festsitzende Neigung zum Schönburger „herrscheramtlichen“ Größenwahn auf wahrlich verführerischste Weise gebauchklatscht - und auf ihn gewirkt, wie ein alle Sinne und jede Art Logik benebelndes Narkotikum: „Sich an der konkaven Sphäre des Himmels sichtbar werden zu lassen, wo man eins ist mit dem Umlauf der Sterne“! Toll! Gewaltig! Unüberbietbar! Ein Superlativ ganz besonderer Art! - Nur wie stellt man es an? Was muss man bieten, um die Leute das von einem glauben zu machen und glauben zu lassen?! Das war - mehr als jede Art „Luther“! - fürderhin Ns Problem: Etwas darzustellen, was seine Fähigkeiten jedoch - wie die eines jeden Anderen übrigens auch! - hoffnungslos überfordern musste!

Zum hier an den Rand geschriebenen „Ecce homo“ - das von anderem Kaliber ist, als das sonst gelegentlich an den Rand geschriebene „ego“! - ist die Frage offen, wann das geschah. Es gibt - veröffentlicht mit der „Fröhlichen Wissenschaft“ im August 1882, unter den Gedichten des Abschnitts „Scherz, List und Rache“, Nummer 62, ein mit diesen Worten überschriebenes Gedicht über die Flammengestalt Ns [näheres später!], wo sich noch eine gewisse Distanz zu ihm selbst verrät, indem er die Bewunderung der beiden Worte nicht auf sich, sondern auf die Flammengestalt legte. Erst unmittelbar vor seinem geistigen Ende, in den letzten Monaten des Jahres 1888 bezog N diese Worte als eindeutiges „Seht her“! auf sich selbst.


Dieselbe Wahrheit erstreckt sich auf jegliches Erteilen von Lehren. Durch sein Handeln lehre der Mensch und nicht anders [diese Zeile hat N auch wieder seitlich markiert!]. Wenn er sich selbst Rechenschaft geben kann, kann er auch lehren, aber nicht durch Worte. Der lehrt, der gibt und der lernt, der empfängt. EE.113

Auch das liest sich im Nachhinein wie eine Gebrauchsanweisung zu Ns Leben und Wirken. Alles aus Emersons Hand und ohne Hinweise auf einen Beipackzettel bezüglich „Nebenwirkungen und Risiko“ in Laien und Narrenhände gegeben! Zu unverantwortlichem Gebrauch!


Die Lehre, welche uns aus allen diesen Beobachtungen wird, ist, zu sein und nicht zu scheinen. Willigen wir darein. Lasst uns unser aufgeblasenes Nichtsein dem Wege, den alles Göttliche bei seinem Kreislaufe nimmt, entrücken. Lasst uns die Weltklugheit [der verhassten „Jetztzeitigkeit“!] verlernen. Lasst uns gering sein vor dem Herrn und lernen, dass Wahrheit allein groß und reich macht [denn Emerson war im Grunde ein bescheidener, gläubiger Christ] ….. Sei eine Gabe und ein Segen. Scheine mit wirklichem Licht und nicht mit dem erborgten Reflex von Gaben. Gewöhnliche Menschen sind immer Entschuldigungen andern Menschen gegenüber; sie beugen den Kopf, sie entschuldigen sich mit weitschweifigen Auseinandersetzungen [wie N es mit seinen ewig nicht wirklich zu einem Abschluss gebrachten „Werken“, die den Anschein von Größe „beweisen“ sollten, letztlich ja tat!], sie häufen Schein auf Schein, weil [inhaltlich] die Substanz fehlt. EE.119 [Nämlich etwas, das auch außerhalb seiner Existenz verlässlichen Bestand gehabt hätte!]

Unten auf dieser Seite notierte sich N im Herbst 1881:

Meine Philosophie - den Menschen aus dem Schein herauszuziehen auf jede Gefahr hin! [denn nur bei ihm war die Wahrheit und seine Zwecke heiligten immer seine Mittel! Alles andere war Irrtum für ihn! - Was aber nichts anderes war, als paranoid wahnhafter Fanatismus!] Auch keine Furcht vor dem Zugrundegehen des Lebens! 9.620

Insgesamt war das gemeint! - Superlativiert und zum Äußersten gebracht, wie immer! - All sein Argumentieren diente nur dazu, dass Er, N, Recht behielt gegenüber dem „Rest der Welt“! - Dafür mochte „das Leben zugrundegehen“. Wobei die Benutzung seines Lieblingswortes: das „Zugrundegehen“! - in seiner ganzen Wucht Ns zutiefst destruktiver Natur entsprang und entsprach!


Die Tatsache meines Hierseins zeigt mir ganz klar, dass der Geist [sich ausdrücken wollend, aber als ein in sonderbarer Warteposition irgendwo herumschweifendes „Wesen“] auf dieser Stelle eines Organs bedurfte [was immer noch der Vorstellung gehorchte, dass es eine sonderbare „Instanz des Geistigen“ gäbe, die – vielleicht mit 2 libellenartigen Flügelchen versehen? - „höheren Orts“ für das irgendwem „Notwendige“ sorgen würde?]. Soll ich den Posten nicht annehmen? [Von N unterstrichen, was zeigt, wie nahe ihm diese Frage samt eigner Beantwortung ging!] Soll ich mich verstecken, Winkelzüge machen und mich ducken mit meinen unpassenden Entschuldigungen und meiner falschen Bescheidenheit und mir einbilden, mein Hier sein wäre unschicklich? weniger schicklich als das des Epaminondas [des bedeutendsten Feldherrn Thebens, um 418-362 v. C. - Er wurde, trotz wechselvoller Rückschläge bis wieder zum gemeinen Soldaten hinunter, immer wieder Oberbefehlshaber des antiken thebanischen Heeres und erreichte, dass Theben eine vorherrschende Machtstellung auch gegenüber den Persern erlangte] und des Homer [des hypothetisch mythischen griechischen Dichters der „ersten“ Epen abendländischen Kultur, der „Ilias“ und der „Odyssee“, ca. 850-700 v. C.] ….. und der Geist [ohne dazugehörige „Person“, als eine etwas beabsichtigende „Wolke“ irgendwo und wie?] kenne nicht seine eignen Bedürfnisse? ….. Außerdem, ganz abgesehen von der Sache, bin ich nicht unzufrieden. Der gute Geist gibt mir allezeit Nahrung, erschließt mir jeden Tag neue Kraft und neue Freude. Ich will nicht auf unedle Art dieses unendliche Gute von mir weisen, weil ich gehört habe, dass es Andern in anderer Gestalt gekommen ist. EE.121 [Etliches in diesem Absatz wurde von N auch am Rande mehrfach angestrichen. Neben den letzten Satz schrieb N sogar ein großes „Ja!“.]

Da N so gut wie alles unmittelbar auf sich bezog, sah er sich hier in einer Position, wo er nicht „mit unpassenden Entschuldigungen“ kneifen wollte. Ihm war daran gelegen, die Position zu halten, auf dass seine Leistung als eine heroische „eins werde mit dem Umlauf der Sterne“! - Mindestens so weit hat sein Ehrgeiz gereicht! Nur immer wieder traf ihn die insgeheim notwendige Frage: Wie stelle ich’s an? Wie und womit? Was hatte N zu bieten oder: Was könnte er, in „herrscheramtlichem“ Widerspruchsgeist zu bieten haben?


Die reiche Seele liegt in der Sonne und schläft und ist Natur [so, wie N es liebte in der Sonne zu liegen!]. Denken ist Handeln. EE.121 [Daneben schrieb N wieder einmal ein anerkennendes „Ecce homo“!].


Lasst uns, wenn wir durchaus große Handlungen haben müssen, unsere eignen dazu machen. [Diesen Satz markierte N seitlich mit zwei dicken Strichen!]. Jede Handlung ist von einer unendlichen Elastizität [Dehnbarkeit, Federkraft, Biegsamkeit, Schwung, Spannung und Schnellkraft] und die geringste lässt zu, dass die himmlische Luft [sich?] ausdehne, bis sie die Sonne und den Mond verdunkelt. Lasst uns durch Treue den einen Frieden zu erlangen suchen. Lasst mich meine Pflicht erfüllen. EE.122

Was eine etwas ungewöhnliche Ausdrucksweise war. Wieder aber klingt es danach, als hätte N es sich zum Programm genommen, - um auf „Teufel komm raus“ Größe und Großartigkeit vorzuführen!


Wir sind die Photometer [Lichtmesser], wir das reizbare Blattgold und Blattzinn, vermöge dessen die Anhäufungen des subtilen [zarten, feinen, scharfsinnigen] Elements gemessen werden. Wir erkennen aus jeder der Millionen Vermummungen heraus die authentische Wirkung des wahren Feuers EE.123 [was letztlich ziemlich leichtfertig dahergeredet war].

Dazu recht gut passend notierte sich N im Herbst 1881 auf der Rückseite des Titelblattes: „Sei eine Platte von Gold - so werden sich die Dinge auf dir in goldener Schrift einzeichnen“ [was ebenso leicht und töricht dahergeredet war, als würde man empfehlen „Sei ein Diamant und alle werden Dich lieben!“ Ein gewisser Eduard Baumgarten, der N als „Philosophen“ höchlichst bewundert hat und 1956 in einer kaum beachteten, psychologisch wenig tief gehenden Studie auf den „unterschätzten Einfluss Emersons auf N“ hinwies, vermerkte zu den auf gefährliche Weise ichbezogenen Übernahmen von Emerson-Aussagen in Ns Notizen - ohne diese Ichbezogenheit wahrzunehmen! - an dieser Stelle lediglich: „Die durchgängige Innigkeit der Transponierungen [im Musikalischen ist das die Übertragung von einer Ton- oder Instrumentenart in eine andere] der Texte Emersons in die eigenen Ns zeigt hier übrigens - für musikalisch interessierte Beobachter dieser geheimnisvollen Werkstattvorgänge - auch eine lustige Nuance [winzige, beiläufige Kleinigkeit]: neben der starken Sinnverschiebung [auf die ja jeweils besonders hinzuweisen gewesen wäre!] fand zugleich eine thüringisch-sächsische [kaum einen hörbaren Unterschied zwischen weichem und hartem „B“ oder „P“ zulassende] Lautverschiebung statt: „Blattgold“ gegenüber „Platte von Gold“ B.20 [Das verrät doch, gemessen an dem, was ungesagt blieb, einen wahrhaft „innigen“, ja geradezu „goldigen“ oder vergoldenden „Humor“!].


Auf das von N scheu übergangene und unberührt liegen gelassene Kapitel „Liebe“ folgt bei Emerson eins über „Freundschaft“, in dem es wieder viele Stellen gibt, wo N viele Emerson-Aussagen geradezu „vom Schlitten gerissen“ haben. Alle Stellen, die eine unwirklich hoch idealisierte Art Freundschaft im Stil von Schillers „Bürgschaft“ umreißen, - wo es um Tod und Leben und höchste und letzte Dinge in Sachen Freundschaft geht: Davon hat N einiges auf sich bezogen und als Freundschaftsbezeugung von seinen Freunden erwartet und sogar verlangt, - auf der Grundlage seines Zweierleimaß selbstverständlich! Denn Er war es, der die Richtlinien legte - ohne sich freilich selber nach diesen zu richten. Da Gefühl bei N alles war, kam es darauf an, N erkennen zu lassen, woran er mit „seinen Freunden“ war.


Stolz muss ich auf die Vorzüge meines Freundes sein, als wären es meine eignen, - schwärmerisch, zart und mit klopfendem Herzen muss ich seine Tugenden auf mich übertragen. EE.143

Geht das überhaupt? Und mit welchem Nutzen?


Die Gesetze der Freundschaft sind große, harte und ewige, von gleichem Gewebe wie die der Natur und [der] Sitten. EE.146

In Wirklichkeit ist derlei wohl halb so wild und gute Freundschaften auf viel weniger Dauerhaftes gegründet, als diese rein theoretisch idealisierten, unerfüllbar grenzwertigen An- und Ausnahmen glauben machen und es sich vor allem wegen dem darin enthaltenen Übertreibungsfaktor nur lohnt, sie überhaupt zu notieren.

Lasst unsere Aufmerksamkeit nicht auf jenen kindischen Luxus gerichtet sein; sondern lasst uns aufs strengste unsere eigne Würde im Auge haben; lasst uns unserm Freunde mit vollkommenem Vertrauen entgegentreten, in Betreff der Wahrhaftigkeit seiner Gesinnung sowohl, wie der durch nichts zu erschütternden Festigkeit seiner Grundsätze. EE.148

Immer ist das so unbedingt ideal und damit ins Theoretische, raus aus den praktischen Möglichkeit gerückt. Was ist denn Wahrhaftigkeit, wenn sie vor allem die eigene Würde im Auge hat? - Parteiisch! Und wer so hohe Voraussetzungen schafft, darf sich nicht wundern, wenn er schmerzlich einsam bleibt und in Sehnsucht nach dem Unmöglichen schmachtet.


Auch nicht um einen Schritt ist der Mensch der Lösung des Rätsels seiner Bestimmung näher gerückt. Von ein und derselben Schwachheit des Geistes wird in dieser Beziehung das ganze Universum der Menschheit betroffen. Aber die harmonische Reinheit und Lauterkeit der Freude und des Friedens die mir in der Vereinigung mit der Seele meines Bruders wird [dies überdies seitlich mehrfach angestrichen!], das allein ist die Nuss, gegen die die ganze Natur und alles Wissen nichts als Hülse und leere Schale ist. Glücklich ist das Haus, das einen Freund unter seinem Dache beherbergt! Ja, ihn nur einen einzigen Tag in seinen Mauern aufnehmen zu können, dazu möchte es eigens gebaut werden, gleich einem Triumphbogen oder einer Ehrenpforte. Glücklicher ist es, wenn er das Heilige solcher Verbindung kennt und ihre Gesetze ehrt. EE.148f

Zu diesen maßlos wirklichkeitsfremden Auslassungen notierte sich N im Herbst 1880 unter Bezugnahme auf die betreffende Seite: „Die Freundschaft höher herauf heben. NB Emerson 149“ 9.315

Die Freundschaft hinaufheben - zu ihm hin! - in die illusionären Sphären praktischer Unmöglichkeit! Um auf diese Weise, dass alles nicht gut genug für ihn wäre, seine Einsamkeit, sein Sich-nicht-anschließen-können zu rechtfertigen? Dem Prinzip nach wird hier die Freundschaft zu den sauren, zu hoch hängenden Trauben des Fuchses in der Fabel des berühmten französischen Schriftstellers Jean de La Fontaine, 1621-1695.


Zwei Bestandteile sind es, die die Freundschaft begründen helfen und beide stehen so hoch da, dass ich nicht weiß, welche ich höher stellen soll [das entsprach Ns „superlativen“ Schwierigkeiten!]. Einer ist die Wahrheit. Ein Freund ist ein Wesen mit dem ich wohl aufrichtig sein kann [aber wohl aus ehrlicher Freundschaft heraus auch nicht unbedingt immer!] Vor ihm kann ich laut denken. Ich befinde mich endlich einem so wahren und mir gleichgesinnten Menschen gegenüber, dass ich selbst die letzte Hülle, die noch zwischen uns ist, die der geringsten Verstellung und Höflichkeit und der Nebengedanken, die sich zu machen der Mensch niemals [eben!- drum!] unterlassen kann [denn mit der erstrebten 100%-igkeit wird das nie vollkommen klappen!], wohl fallen lassen und mich so einfach und in solcher Ungeteiltheit zu ihm stellen kann, wie ein chemisches Atom sich zum andern stellt. Aufrichtigkeit ist ein erlaubter Luxus, gleich Diademen [Stirn- oder Kopfschmuck] und Vollmachten, aber nur ersten Ranges, das Erlaubtsein im Sprechen der Wahrheit, das nichts mehr über sich erblickt, dem es irgendwie zu huldigen oder selbst nur beizustimmen geneigt wäre. EE.149f

Das zuletzt Unterstrichene hat N auch am Rande mit mehreren Strichen markiert. Dazu notierte er sich auf dieser Emerson-Seite 149, im Herbst 1880: Dies ist die Sache und nicht nur das Gleichnis. Mein Verdacht, dass wir eine Sprache für chemische Tatsachen haben. 14.638

Was immer N sich dabei gedacht und gemeint haben mag. Aber: „Eine Sprache für chemische Tatsachen“? Ns Anmerkung verrät da eine der vielen „logischen Lücken“ in seinem Denken: Erst einmal die Unklarheit im Umgang mit der Unterscheidung von „Gleichnis“ und „Sache“ und dazu noch die letztlich irrsinnige Annahme, dass es eine „Sprache für chemische Tatsachen“ geben könnte! Das ist wohl alles sehr aus der Luft gegriffen und realitätsfern, denn „die Sprache“ kann alle Themen bewältigen, ohne deshalb physikalisch, geographisch, chemisch oder schlichtweg „sprachlich“ werden zu müssen!


Jeder Mensch ist wahr, so lange er mit sich allein ist. So wie aber eine zweite Person dazu kommt, beginnt eine Art Heuchelei. Wir parieren und wehren die Annäherung unserer Nebenmenschen ab durch Komplimente, Klätschereien, sonstigen Zeitvertreib oder durch Geschäfte. Unsere Gedanken wissen wir auf hundertfältige Weise vor ihnen zu verbergen. Ich habe einen Mann gekannt, der unter einem gewissen religiösen Fanatismus diese Maske abwarf und alle Komplimente und alles konventionelle Wesen bei Seite setzend, zu dem Gewissen eines Jeden, der ihm in den Weg kam, redete und das mit großer Einsicht und auf wunderschöne Weise. EE.150

Ab „Unsere Gedanken“ hat N auch hierneben dicke Markierungen angebracht. Der Bezug auf „jeden Menschen“ kam bei N sicherlich nicht gut an. Das lag weit außerhalb seines Interesses. Dennoch gilt das, was Emerson hier über die von N geliebte Einsamkeit ausführte auch für N, den lieben, netten, überaus höflichen und rücksichtsvollen Gesprächspartner, der sich zurücknahm bis zur Selbstverleugnung, um sich dann, in seiner wiedergewonnenen „Einsamkeit“, in der Parallelwelt seines „philosophierenden Herrscheramtes“ und seinem beliebigen Verfügen über „die Anderen“ geradezu rauschhaft hinzugeben, des Glaubens, dass es seine Aufgabe sei, die Menschheit mit seinen notzüchtigenden „Erkenntnissen“, mit seinem „Willen zur Macht“ und seinen Absichten zur „Züchtung des Übermenschen“ zu beglücken und zu „überwältigen“; - all das erst später, nicht schon als knapp 17-jähriger Pfortaer Schüler!


Nur indem du deinen ruhigen Weg gehst, wirst du Großes erreichen [wonach N sich ja unbedingt sehnte! Es sei an den noch 1883 erdichteten, viermalig vorkommenden „Weg der Größe“ 4.194, den er im dritten Teil des „Zarathustra“ beschritt, erinnert], selbst wenn du nur Geringes vertrittst. Man wird von dir reden. Du erklärst dich, und in der Weise, dass du dich dadurch außer dem Bereich alles dessen setzest, was deiner irgendwie unwürdig wäre und dich zu den Erstgeborenen der Welt aufschwingst [das war ja gewaltig!], jenen seltenen Pilgern, von denen immer nur einer oder zwei zur Zeit in der Natur gefunden werden [na? - wenn das, „an den richtigen Mann“ gebracht, nicht die höchsterreichbaren Superlative bietet, die „das Leben“ zu vergeben hat? Damit aber nicht genug; Emerson setzte seinem Extrem-Vergleich noch einen drauf] und vor denen die[jenigen], die wir gemeinhin die Großen nennen, zu bloßen [winzigen, Fliegenfrosch erbärmlichen!] Erscheinungen und Schatten herabsinken. EE.159

Das war es doch, worum N sich lebenslang bemühen sollte! In seiner Vorstellung ist ihm ja auch gelungen, was ihm, seiner Meinung nach, das Recht gab, sich mit seiner und in seiner von allem Bisherigen extrem abgesetzten „Gedankenwelt“ und Weltbewertung, als „der erste Geist des Zeitalters“ 9.10.88 fühlen zu können und dies auch verkünden zu dürfen; - zum Beispiel gegenüber dem Dirigenten Hans von Bülow, dem er schrieb: „Sie haben auf meinen Brief nicht geantwortet ….. Ich denke, Sie haben einen Begriff davon, dass der erste Geist des Zeitalters [aber aufgrund von was eigentlich? Aufgrund seines unmäßigen „Willens zur Macht“? - Oder weil er den „Übermenschen“, die „Ewige Wiederkehr“ oder die „Umwertung aller Werte“ erfunden hatte? - und als ein derartiges Wundertier] Ihnen einen Wunsch ausgedrückt hatte“ 9.10.88 oder an seine mütterliche Freundin Malwida von Meysenbug mit den Worten: „Ich bin in Fragen der décadence, die höchste Instanz, die es auf Erden gibt“ 18.10.88. Da gilt das Gleiche: Aufgrund welcher Leistung?

Den N-Begeisterten galt derlei als völlig normal! Alles was N dachte und tat, beruhte in seiner Bedürftigkeit nach „Schulgesetz“ und höchster Anerkennung; - in den weitaus meisten Fällen aufgrund von Emerson-Sätzen, die er zu ernst genommen hatte, weil er sie vollkommen kritiklos immer unmittelbar auf die Einzigartigkeit der Gegebenheiten seiner Existenz bezog. Es gibt viele weitere Beispiele dafür; - und damit „Beweise“, die Ns Wirklichkeit erklären und seine Schauspielerei dem Leben gegenüber „verständlich“ machen: Die beliebige Ausdeutbarkeit Emersons gab ihm den „Rahmen“, die Beliebigkeit seiner ausufernden Subjektivität zu „rechtfertigen“ und diesen Vorgang vor der Welt als eine große „philosophische Leistung“ aufscheinen zu lassen.


Lassen wir ab von dieser Idolatrie [diesem Götzendienst] ….. Ja, lasst uns selbst unsern liebsten Freunden Lebewohl sagen [wie der zum Ausschließlichen neigende N es immer wieder - nicht nur mit Richard Wagner! - tat] und sie zum Kampf herausfordern, indem wir sagen: „Wer seid Ihr? Last mich los: ich will nicht mehr abhängig sein.“ [Dennoch aber hat N sich immer wieder schmerzlich nach Menschen gesehnt, die von ihm abhängig wären, nach „Jüngern“!] Ach! siehst du nicht, du mein Bruder, dass wir uns in dieser Weise nur trennen, um uns in einer andern schöner und edler [idealeren, überhöhteren, excelsiorisiert unwirklicheren!] wiederzufinden und dass wir nur desto mehr einer dem andern angehören werden, je mehr wir uns selbst angehören? Ein Freund ist mit dem Janus-Kopfe [mit 2 Gesichtern zugleich nach vorne und zurück blickend] behaftet: er sieht in die Vergangenheit und in die Zukunft. Er ist das Kind aller meiner vergangenen und der Prophet aller meiner zukünftigen Stunden. Er ist der Vorläufer von einem größeren Freunde. Es ist das Göttliche, was sich in ihm reproduziert. EE.159f

Immer auf der Flucht aus der Wirklichkeit in superlativ hochstilisierte Ideale, die zur Rechtfertigung und Entschuldigung dienen konnten, - da für ihn mit der Realität nicht vernünftig zurechtzukommen war?


Im 7. Kapitel „Klugheit“ haben N unter anderem folgende Stelle angesprochen:

Aber die Kultur, die den hohen Ursprung der scheinbaren Welt offenbart und die Vervollkommnung des Menschen zum Ziel ihres Strebens gemacht hat [hat sie das? Ohne Beweise bleibt die Aussage eine bloße Behauptung, weil es dem Verfasser so schien oder es als Argument so haben wollte!], stellt alles andere, wie Gesundheit und körperliches Sein nur als Werkzeug hin. Sie sieht in der Klugheit keine besondere Geistesfähigkeit, sondern einen Namen für Weisheit und Tugend, die sich mit dem Leibe und seinen Bedürfnissen abgibt. [Von hier ab hat N den Text am Rande markiert:] Wirklich gebildete Menschen fühlen und sprechen nicht anders, als dass ein großes Geschick, die Durchführung einer zivilen oder sozialen Maßregel, eine würdevolle und gebietende Haltung nur Wert hat als Beweis von der Energie des Geistes. Wenn ein Mensch seine Balance verliert und sich in eine Lebensweise oder [in puritanischer Lust-Feindlichkeit, wie sie vielen Religiösen eignet!] irgendwelche Freuden versenkt um ihrer selbst willen, so mag er ein ganz gutes Rad oder eine Nadel abgeben, aber er ist kein gebildeter Mensch. EE.165

Gegen dergleichen hatte N sich versichert, indem er glaubte, sich hinsichtlich der „Vervollkommnung des Menschen“ mit dem Ungeheuer des „Übermenschen“ um das künftige Schicksal der Menschheit „verdient“ machen zu können! - Das war zumindest etwas, das so leicht nicht von „jemand Anderem“ zu übertreffen war. Und völlig neu schien diese „Idee“ zu sein, obgleich sie es nicht war, denn sie folgte, wenn auch als eine Perversion, der uralten Vorstellung vom Menschen als „Krone der Schöpfung“ und dessen „näher mein Gott zu Dir“, was es nur ein wenig oder auch ewig zu übertrumpfen galt!


Auch eine so triviale Stelle, wie die folgende hat N aus irgendwelchen Gründen dermaßen gefallen, dass er sie am Rande mit einem langen Strich markierte und sogar „bravo“ daneben schrieb:

Wir essen das Brot, das uns auf dem Felde wächst. Wir leben durch die Luft, die um ins her weht und wir werden vergiftet durch zu kalte oder zu heiße, zu trockne oder zu nasse Luft. Die Zeit welche uns bei ihrem Herannahen so unbesetzt, so unteilbar und göttlich erschien, ist mit Kleinigkeiten und Lumpereien zersplittert und verbracht. Eine Tür muss angestrichen, ein Schloss repariert werden [etwas, um das sich N sein Leben lang nicht und niemals gekümmert hat!]. Ich bedarf Holz, oder Öl, oder Mehl, oder Salz; es raucht im Hause, oder ich habe Kopfschmerzen [worin, bezogen auf Letzteres, N allerdings reichlich Erfahrung gesammelt hat]; dann die Steuern; und eine Sache, die [in der Nachbarschaft oder Familie?] mit einem Menschen ohne Herz und Kopf abgemacht werden muss; und die wurmende Erinnerung an ein ungerechtes oder sehr albernes Wort, - die frisst Stunden weg. Wenn wir auch nach unsern besten Kräften tun, der Sommer will doch seine Fliegen haben. Gehen wir im Walde spazieren, müssen wir die Moskitos ernähren. Gehen wir zum Fischfang aus, müssen wir auf einen nassen Rock gefasst sein. Dann ist für müßige Personen das Klima ein großes Hindernis. Wir denken oft daran, dass wir uns nicht mehr ans Wetter kehren wollen, aber doch blicken wir immer wieder auf die Wolken und den Regen EE.166f [was alles ja leicht zu beanstandende, lästige Berührungspunkte sind, - neben den „großen Rosinen im Kopf“ gegenüber der so unendlich deprimierenden „Realität“ des Lebens!].


Aufmerksamkeit widmete N auch Sätzen wie diesem, den er unterstrichen hat und seitlich markierte:

Mit Menschen von losen und unvollkommenen Begriffen umgehen zu müssen, ist Essig für die Augen. EE.168

Waren aber die Begriffe, mit denen N selber philosophisch jonglierte, nicht mehr als nur unvollkommen?


Ebenso wirkten auf ihn Aussagen wie die folgenden, - mehrfach links und rechts am Rande angestrichen:

Wir müssen die höchste Klugheit zu Rate ziehen und fragen, warum Gesundheit und Schönheit und Genie [die N höchst persönlich, nämlich seinen Ästhetizismus und seine Herrlichkeit betrafen] nur noch ausnahmsweise da sein sollen, anstatt eine Regel der menschlichen Natur zu sein? [Ohne sich zu vergegenwärtigen, dass es sich hier um rein relative Bezugnahmen und Vergleiche handelte?] Wir kennen die Beschaffenheit der Tiere und Pflanzen wie die der Naturgesetze nicht durch unsere Sympathie für dieselben [hier hatte N „gut“ daneben geschrieben]; dies bleibt der Traum des Poeten. Poesie und Klugheit sollten [in unrealistischer Sehnsucht nach illusionären Idealen!] immer übereinstimmend sein. Die Dichter sollten Gesetzgeber sein; das heißt, das Zivil-Gesetzbuch und die tägliche Arbeit sollten von der kühnsten lyrischen Begeisterung nicht insultiert [beleidigt, beschimpft, angegriffen] und geschmäht, sondern von ihr verkündet und getragen [also auch idealisiert und ästhetisiert] werden EE.170 [weil N sich als Gesetzgeber sah und glaubte, das als Dichter auch sein zu können!].


So solltest du dich ebenfalls deinen Zeitgenossen gegenüber in keiner falschen Stellung befinden, indem du irgendeine Neigung zur Feindseligkeit oder Bitterkeit in dir aufkeimen lässt [„Ja“ hatte N daneben geschrieben und dazu die Stelle mit einigen Markierungen versehen!]. Obgleich deine Ansichten [wie N es doch stets praktizierte] den ihrigen geradezu entgegenlaufen, so nimm dennoch an [schauspielere notfalls!], dass eine Identität des Gefühls da sei, nimm an, dass du genau dasselbe sagtest, was Alle denken und in solchem Erguss des Geistes und der Liebe rolle dann deine paradoxen Sätze zu einer festen Säule auf, ohne auch nur einen Zweifel dabei zu hegen. So wenigstens wirst du dahin kommen, dass du dich frei äußern kannst. Die natürlichen Bewegungen der Seele sind so viel besser als die willkürlichen, dass du dir im Streite nie gerecht werden wirst. EE.177

Das Ganze wurde von N seitlich mehrfach markiert, was zum Ausdruck bringt, dass es ihm wichtig war.


Im Kapitel „Heroismus“ hat N weniger an- und unterstrichen, als bei ihm, als ausgewiesenem „Heroismus-Fan“ zu vermuten war:

Der Große lässt sich nie dazu herab, irgendetwas wichtig zu nehmen [wie N sich selbst nicht herabließ aus seinen superlativistischen, für „vornehm“ MA1.366 erachteten Höhen?]; alles muss so leicht und heiter sein wie der Gesang eines Kanarienvogels [oder, wie bei N immer wieder der Tanz „auf den leichten Füßen des Zufalls“! 4.209] und wenn es das Bauen von Städten wäre oder die Ausrottung alter und verderbter Kirchen und Nationen, die der Erde Jahrtausende hindurch ein Ärgernis gewesen sind EE.189 [mit mehrfacher seitlicher Markierung!].


Auch das Folgende hat N - unter etlichem anderen! - seitlich angestrichen:

Bleibe deiner eignen Handlungsweise treu und wünsche dir selbst Glück, wenn du etwas Ungewöhnliches und Extravagantes getan hast [dieser Forderung ist N ja weitgehend nachgestiegen!] und die Monotonie eines nur die Schicklichkeit achtenden Zeitalters gebrochen hast. Es war ein vorzüglicher Rat, der einer jungen Menschenseele gegeben war: „Tue immer das, was dir am schwersten scheint.“ EE.192

Auch diese Empfehlung hat N in vollem Auskosten der darin relativ waltenden Subjektivität immer wieder für sich in Anspruch genommen und dabei eine Unzahl von Belegen geliefert, wie viel ihm an der Erfüllung auch dieses „Schulgesetzes“ gelegen war! Er hat mit der stöhnend vorgebrachten Behauptung immer wieder beschworen, wie viel ungeheure „Selbstüberwindung“ ihn vieles im Leben gekostet hat! Es lag für ihn aber auch immer eine große, verschwiegene Lust darin, seinem Widerspruchsgeist fortwährend wieder Zucker zu geben!


Im 9. Kapitel mit dem Titel „Die höhere Seele“, gab es wieder etliches, was N unmittelbar angesprochen hatte, weil er vieles auf geheimnisvoll zu verschweigende, sehr intime Weise ganz direkt auf sich, auf seine Wünsche, auf die Verwirklichung seines „Herrscheramtes“ und auf seine von ganz persönlichen „Momenten“ durchzogenen „Lebensumstände“ beziehen konnte. Vieles hat er darin angemerkt und dazu auch einige Notizen geschrieben, wobei er jeweils Vorsicht walten ließ, um sich in seinen Extrem-Forderungen nicht lächerlich zu machen!

Emerson setzte vor dieses Kapitel - wie er es bei den „Essays“ in etwa der Hälfte der Fälle tat - einige Gedichtzeilen eines nicht mehr zu ermittelnden und im Original von 1858 unübersetzt gelassenen Dichters. Dessen recht „geheimnisvoll-abwegig“ anmutende Zeilen stimmen sensibel auf Emersons nachfolgenden Text ein, - auch auf die recht ungewohnte Wege und Themen berührenden Auslassungen:


But souls that of his own good like partake, Doch Seelen, die an seinen Gütern teilhaben

He loves as his own self; dear as his eye liebt er wie sich selbst; teuer wie sein Auge

They are to Him: He’ll never them forsake sind sie ihm: Niemals wird er sie lassen.

When they shall die, then God himself shall die: Wenn sie sterben werden, stirbt Gott selbst,

They live, they live in blest eternity. Henry Moore. Sie leben, leben in gesegneter Ewigkeit.


Emerson lieferte in diesem Kapitel einen nicht gerade einfach und eingängig lesbaren Text. Für den „normalen“ Leser ist darin stellenweise nur höchst vage und unsicher zu deuten, was er des Genaueren gemeint haben könnte, ja, sogar worum es ihm überhaupt ging. Er berichtet darin von einer „höheren Seele“, also nicht von deren gewöhnlicher Weise erlebbaren „Zuständen“, wie ein jeder sie erfahren und kennen mag. Nein! Es ging versteckt, verborgen und unklar um irgendwie schwer beschreibbare, seltene „Ausnahmezustände“. Aus diesem Grund erweist sich dieses Kapitel - hier und für N! - als besonders aussagefähig und wichtig:


N war mit all seinen Sinnen und in allen Belangen ständig auf die Ausnahme, die Seltenheit, das ästhetizistisch „Besondere“, Extreme, einmalig Ausgefallene, dem - wenn überhaupt! - vor allem über Superlative nahe zu Kommenden, in besonderer Weise auch auf die niemandem in vollem Umfang zugängliche Ewigkeit und ebenso den unerreichbaren „Übermenschen“, das absolute Genie und fernste Grenzwerte erpicht und aus und geradezu versessen. Dazu gehörte - was er „allen Menschen voraus“ hatte oder haben könnte und wollte: - sein mit niemandem geteiltes oder zu teilendes „Herrscheramt“, das ja auch Ausnahme bedeutete: Nämlich Herr über „die Anderen“ zu sein und nicht - ohne einen eigenen „Willen zur Macht“! - einem „Herrn über sich“ dienen zu müssen. Das ist, mit platten Worten die psychologisch empfindlich versponnene Ausgangssituation, um zu verstehen, wie N speziell diesen Text Emersons verstanden haben wird, - beurteilt nach der Art, wie er es im Umgang mit anderen Texten bewiesen hat.


Das Kapitel über „Die höhere Seele“, im Original „The Over-Soul“, also die „Über-Seele“ beginnt mit leicht zu überlesenden, rätselgespickten Beschreibungen von „Momenten“ und „Erfahrungen“ aus „Zuständen“, deren wahre Bedeutungen, Ursachen und folglich auch sich daraus ergebende weitere Zusammenhänge, Emerson selbst nicht ganz klar gewesen zu sein schienen, was die unklar verschwommene Darstellung erklärt. Zur Deutung von Ns Abhängigkeit von und gegenüber Emerson, - wie er dessen Texte auslegte und sich dabei in sie hineininterpretierte! - seien an diesem Textbeispiel einige Hinweise zu nicht so ohne weiteres dem Text zu entnehmende Informationen vorgebracht. Emerson schrieb zu Beginn des Kapitels über diese zuvor nie so betrachtete „höhere Seele“ das Folgende, wobei jeder Satz aufmerksam zu betrachten ist, denn es gilt zu verstehen oder doch zumindest zu ahnen, was sich für N darin verbarg und offenbarte, - was er an Verborgenem darin für sich fand. Emerson begann sein Kapitel über die „Die höhere Seele“ also mit den gewichtigen Worten:

Also schrieb Friedrich Nietzsche:

Подняться наверх