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a) Gewalt

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Gewalt ist jede als körperlicher Zwang empfundene Kraftentfaltung zur Ausschaltung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands.[28] Unerheblich ist, ob die Einwirkung unmittelbar oder nur mittelbar als körperlicher Zwang empfunden wird.[29] Es macht also keinen Unterschied, ob ein Vermieter seinen unliebsamen Mieter dadurch zum Auszug zwingt, dass er ihn mit Körpergewalt vor die Tür setzt, oder ob er im Winter die Fenster aushängt, sodass ein weiteres Wohnen unmöglich wird.[30]

Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung) wird als ausreichend angesehen, wenn die zu nötigende Person dem Dritten so nahe steht, dass sie sich dadurch beeinflussen lässt und der zu Nötigende die dem Dritten angetane Gewalt als Zwang empfindet.[31]

Der Gewaltbegriff hat eine bewegte Geschichte hinter sich.[32] Heute geht das BVerfG jedoch davon aus, dass eine Vergeistigung des Gewaltbegriffs im Hinblick auf Art. 103 II GG ausgeschlossen ist und bloß psychisch vermittelte Gewalt daher nicht unter den Gewaltbegriff des § 240 StGB fällt. Merken Sie sich zur Historie des Gewaltbegriffs zunächst Folgendes:[33]

- Ausgangspunkt war der klassische Gewaltbegriff des Reichsgerichts → körperliche Kraftentfaltung von Seiten des Täters.
- Erste Aufweichung auf Täterseite durch den BGH → körperliche Tätigkeit genügt, Kraftaufwand nicht mehr erforderlich.
- Zweite Aufweichung auf Opferseite durch das Laepple-Urteil[34] → psychisch vermittelter Zwang genügt, d. h. vergeistigter Gewaltbegriff (Verfassungsmäßigkeit wurde durch die erste Sitzblockade-Entscheidung des BVerfG[35] bestätigt).
- Rückbegrenzung durch das BVerfG[36] (Zweite Sitzblockade-Entscheidung) auf Opferseite → körperliche Zwangswirkung auf Seiten des Opfers erforderlich (moderner Gewaltbegriff).
- „Umgehung“ dieser Einengung des Gewaltbegriffs durch den BGH[37] → Zweite-Reihe-Rspr. → in Sitzblockadefällen ist zwar nicht der erste ankommende Autofahrer genötigt, jedoch gilt dies für die in zweiter Reihe und dahinter stehenden Autofahrer, da sie sich einer unüberwindbaren physischen Barriere gegenüber sehen.
- Diese Zweite-Reihe-Rspr. des BGH wurde durch das BVerfG als verfassungskonform bestätigt und dies ausdrücklich als Nötigung in mittelbarer Täterschaft qualifiziert (näher dazu unten Rn. 150).[38]

Achtung Klausur: Im Rahmen der Fallbearbeitung sollte man gerade in Fällen, in denen man Gewalt wegen der fehlenden Möglichkeit einer Vergeistigung des Gewaltbegriffs ablehnt, die historische Entwicklung des Gewaltbegriffs kurz nachzeichnen (eine klausurmäßige Darstellung liefert sogleich der Demonstrations-Fall, Rn. 149 f.).

Die Auswirkungen der zweiten Sitzblockadenentscheidung dürfen allerdings in der Prüfungsarbeit auch nicht überschätzt werden: Das Bedrohen mit einer Pistole kann immer noch als Gewalt begriffen werden, sofern man auf die durch die Bedrohung ausgelöste physische Angstreaktion abstellt. Die Frage hat jedoch keine größere praktische Bedeutung, weil jedenfalls im Vorhalten der Pistole auch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel zu sehen ist.[39] Bemerkenswerter ist die Tatsache, dass das BVerfG[40] im Rahmen des Straßenverkehrs bei einem zu dichten Auffahren die Bejahung von Gewalt i. S. d. § 240 StGB für möglich gehalten hat. Begründet wurde dies damit, dass sich zunächst die den Auffahrvorgang ausmachende dynamische Bewegung des Kraftfahrzeugs ohne Weiteres als Kraftentfaltung begreifen lasse, die auch im Betätigen des Gaspedals als unrechtsrelevantem Verhalten gesehen werden könne. Sofern die Auswirkungen dann körperlich empfunden würden, also zu physisch merkbaren Angstreaktionen führten, liege darüber hinaus auf Opferseite ein körperlicher Zwang vor, der – auch gemessen an verfassungsrechtlichen Maßstäben – Gewalt darstellen könne. Dabei müsse der Fahrzeugführer bei bedrängender Fahrweise grundsätzlich auch damit rechnen, dass sein Verhalten zu Furchtreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer führen kann (näher und zwingend nachzulesen zu dieser Entscheidung Jäger, AT, Rn. 13). Erst recht kann natürlich abruptes Abbremsen auf der Autobahn gewaltbegründend sein, weil das Auto eine unüberwindliche physische Barriere für den Hintermann bildet.[41] Auch Einsperren kann unter den Gewaltbegriff subsumiert werden, da hierdurch ein physisches Hindernis geschaffen wird. Sie sehen also: man darf die zweite Sitzblockadenentscheidung nicht verallgemeinern!

Vgl. im Übrigen zu dem Fall, dass A auf einen Fußgänger zufährt, der sich in eine Parklücke gestellt hat, um diese für einen anderen PKW freizuhalten, die klausurmäßige Lösung in Jäger, AT, Rn. 128 f.

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