Читать книгу Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, eBook - Christian Jäger - Страница 130

D. Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme nach §§ 239a, 239b StGB

Оглавление

161

Bitte lesen Sie sich zunächst im Gesetz diese qualifizierten Fälle im Rahmen der Freiheitsdelikte genau durch![100]

Merken muss man sich sodann, dass sich der BGH um eine einschränkende Auslegung der §§ 239a, 239b StGB bemüht hat.

Zunächst ist der BGH dabei davon ausgegangen, dass diese Vorschriften nicht anwendbar sind, wenn das bloße Sichbemächtigen oder Entführen unmittelbares Nötigungsmittel für eine Vergewaltigung, sexuelle Nötigung oder räuberische Erpressung ist und eine über das so begründete Gewaltverhältnis zwischen Täter und Opfer hinausreichende Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens nach der Vorstellung des Täters nicht eintreten soll. Bemächtigt sich der Täter des Opfers oder entführt er es allein zu dem Zweck, es zu vergewaltigen, sexuell zu nötigen oder zu erpressen, und verwirklicht er diese Absicht innerhalb des genannten Gewaltverhältnisses, so sei er nur nach §§ 177, 178 oder §§ 253, 255 StGB zu bestrafen.[101]

Der sodann mit dem Verhältnis zwischen §§ 239a, 239b StGB einerseits und §§ 177, 178 sowie §§ 253, 255 StGB andererseits befasste Große Senat des BGH[102] urteilte jedoch anders: Ihm zu Folge ist die Anwendung des § 239b I Hs. 1 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen in Fällen, in denen der Täter sein Opfer zum Zwecke einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung entführt oder sich seiner bemächtigt. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt, die durch die Entführung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene Lage in funktionalem und zeitlichem Zusammenhang[103] zur qualifizierten Drohung auszunutzen und durch sie zu nötigen.

Beispiel: A, der als Beschuldigter zu einer polizeilichen Vernehmung geladen worden war, ging davon aus, dass ihn C verraten hatte. Deshalb beschlossen A und sein Freund B, den C dafür zu strafen. Entsprechend ihrem gemeinsamen Tatplan zerrten sie den C mit Gewalt in den Wagen des A und fuhren mit ihm in einen Wald. Dort schlug A ihn zu Boden, woraufhin B ihn an beiden Armen hochzog und festhielt. A schnitt dem C mit einem Messer ein „V“ für „Verräter“ deutlich sichtbar in die Brust. Dabei forderten sie ihn auf, die Angaben bei der Polizei zurückzuziehen und künftig zu schweigen.[104]

Lösung: Der BGH hat hier die Verwirklichung einer gemeinschaftlich begangenen Geiselnahme nach §§ 239b I Alt. 1, 25 II StGB verneint, da C auf die Drohung und Aufforderung von A und B, seine Angaben zurückzuziehen und künftig zu schweigen, noch während der andauernden Bemächtigungslage keine entsprechende zusagende oder sonst zustimmende Erklärung abgegeben habe. Daher fehle es am erforderlichen funktionalen Zusammenhang, der nur dann gegeben ist, wenn der Täter die Bemächtigungslage zur qualifizierten Drohung ausnutzt, um durch sie zu nötigen. Gegeben sind jedoch im vorliegenden Fall die Tatbestände der mittäterschaftlichen Freiheitsberaubung (§§ 239 I Alt. 2, 25 II StGB), der mittäterschaftlichen Nötigung (§§ 240, 25 II StGB), der mittäterschaftlichen gefährlichen Körperverletzung (§§ 224 I Nr. 2 u. 4, 25 II StGB) sowie wegen der entstellenden Vernarbung der schweren Körperverletzung (§§ 226 I Nr. 3, II, 25 II StGB).

Darüber hinaus stellt der Große Senat im Zweipersonenverhältnis besondere Anforderungen an die Bemächtigungssituation, um zu verhindern, dass §§ 239a, 239b StGB mit ihrer Mindeststrafe von 5 Jahren andere Freiheitsdelikte, wie z. B. § 177 StGB, im Hinblick auf die Strafbedeutung gänzlich verdrängen und um zu vermeiden, dass z. B. der Täter, der sich seines Opfers durch Vorhalten einer Pistole bemächtigt, es aber noch nicht zu einer bestimmten Handlung aufgefordert hat, nicht nur wegen versuchter Nötigung, sondern wegen vollendeter Geiselnahme strafbar ist. Zur Korrektur dieser kriminalpolitischen Unzuträglichkeiten schränkt der Große Senat die Tatbestände der §§ 239a, 239b StGB vor allem in den Fällen des Sichbemächtigens in der Weise ein, dass er verlangt, dass der Bemächtigungssituation „eigenständige Bedeutung“ zukommt. Anders als die Entführung schaffe das Sichbemächtigen vielfach keine derartige Lage; denn eine Lage, die ausgenutzt werden soll, setze eine gewisse Stabilisierung voraus, was nicht der Fall sei, wenn der Vergewaltiger oder räuberische Erpresser nur mit vorgehaltener Pistole zum Geschlechtsverkehr oder zur Herausgabe von Geld zwingt, da hier die abgenötigte Handlung ausschließlich durch die Bedrohung mit der Waffe durchgesetzt wird, ohne dass der Bemächtigungssituation eigenständige Bedeutung zukommt.

Achtung Klausur: Die Rechtsprechung hat zum Ergebnis, dass §§ 239a, 239b StGB auch im Zweipersonenverhältnis gegeben sein können, dort aber – wegen der einschränkenden Auslegung des „Sichbemächtigens“ – häufiger in Form der Entführung und seltener in Form des Sichbemächtigens.

Für das Dreipersonenverhältnis (Sorge des Dritten um das Wohl des Opfers) hat die Entscheidung keine einschränkende Bedeutung, da dort grds. von einer Stabilisierung auszugehen ist. [105]

Abschließend noch drei Beispiele zur Veranschaulichung:

162

Beispiel 1:[106] A und B sahen, wie sich die F nach einem Konzertbesuch an ihrem Auto erbrach. Sie fassten den Entschluss, die F zu vergewaltigen. Dazu wollten sie sie auf ein Getreidefeld an eine schlecht einsehbare Stelle schaffen. A fragte die F, ob ihr schlecht sei. Die F bejahte dies, woraufhin A ihr Hilfe anbot, sie über die Schulter legte und in das Feld zu B trug. Die F ließ dies in ihrer Arglosigkeit geschehen. Auf dem Feld entkleideten A und B die F jedoch gewaltsam und vollzogen an ihr unter Androhung des Todes den Geschlechtsverkehr. Strafbarkeit von A und B?

163

Lösung: Eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlicher sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall (Vergewaltigung) nach §§ 177 V i. V. m. VI, 25 II StGB ist gegeben, da A und B eine Lage der F ausgenutzt haben, in der diese der Einwirkung der Täter schutzlos ausgeliefert war (Klausurhinweis: § 177 VI StGB ist als Regelbeispiel nach der Schuld zu prüfen!). §§ 239 I Alt. 2, 25 II StGB treten hinter §§ 177 V i. V. m. VI, 25 II StGB zurück. §§ 240, 25 II StGB (Nötigung, das Entkleiden und den Geschlechtsverkehr zu dulden) sowie §§ 241 II, 25 II StGB (Bedrohung mit dem Tode) treten hinter § 177 StGB zurück. Fraglich ist, ob auch eine gemeinschaftliche Geiselnahme nach §§ 239b, 25 II StGB in Frage kommt. Seinem Wortlaut nach ist der Tatbestand der Geiselnahme erfüllt. Fraglich ist jedoch, ob §§ 177, 253 StGB etc. eine Anwendung des § 239b StGB ausschließen. Der Große Senat verneint eine derartige grundsätzliche Verdrängung, verlangt aber, dass der Entführungs- bzw. Bemächtigungssituation „eigenständige Bedeutung zukommt“ (Entführung setzt Ortsveränderung voraus, Bemächtigung nicht, sodass bei der Alternative des Sichbemächtigens diese eigenständige Bedeutung seltener gegeben sein wird). Eine Lage, die ausgenutzt werden soll, verlangt nämlich nach Auffassung des Großen Senats eine gewisse Stabilisierung. Vorliegend ist von einer Entführungssituation mit selbstständiger Bedeutung auszugehen, weil A und B die F bewusst auf das schlecht einsehbare Feld hinausgetragen und diese Situation zu der weiteren Drohung, sie zu töten, ausgenutzt haben, um die F zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu bewegen. A und B sind daher strafbar wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme nach §§ 239b, 25 II StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit gemeinschaftlicher Vergewaltigung.

164

Beispiel 2:[107] A wollte, dass sich der Richter R für ihn einsetzt. Er suchte R daher auf und bedrohte ihn mit einer geladenen Pistole, wobei er ihn aufforderte, ihm zu helfen. R weigerte sich zunächst. Als ihm A jedoch die Pistole an die Schläfe drückte, erklärte R sich bereit, die Forderungen des A gegenüber den Behörden zu notieren. Unter weiteren Drohungen gab R schließlich sein Ehrenwort, sich für die Durchsetzung der Forderungen stark zu machen. A ging davon aus, dass R sein Ehrenwort als Richter halten werde und sah damit einen Teil seiner Pläne erreicht. Nach ca. 2 Stunden verließ er R. Strafbarkeit des A? § 241 StGB ist nicht zu prüfen.

165

Lösung: In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen Geiselnahme nach § 239b I Alt. 1 StGB. A hat physische Gewalt über R erlangt und sich damit seiner bemächtigt. Angesichts der hohen Strafdrohung des § 239b StGB im Verhältnis zu anderen Delikten gegen die persönliche Freiheit ist diese Vorschrift jedoch im Zweipersonenverhältnis zwischen Täter und Opfer einschränkend auszulegen. Zwischen dem Sichbemächtigen und der beabsichtigten Nötigung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestehen. Der Täter muss also beabsichtigen, die durch die Entführung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene Lage zur qualifizierten Drohung auszunutzen und durch sie zu nötigen. Dafür muss sich die Bemächtigungslage bis zu einem gewissen Grad „stabilisiert“ haben. Vorliegend war dies nach Auffassung des BGH deshalb der Fall, weil die sukzessive gesteigerten Drohungen des Täters mit der Pistole eine stabilisierte Bemächtigungslage geschaffen hätten (dabei sei auch der zeitliche Rahmen von 2 Stunden als Stabilisierungsfaktor zu berücksichtigen). Fraglich ist allerdings, ob A diese Lage auch ausgenutzt hat, da das Verhalten des Opfers (sich stark zu machen für die Forderungen des A) erst zu einem Zeitpunkt erfolgen sollte, zu dem die Bemächtigungslage bereits beendet war. Der BGH bejahte dennoch eine Strafbarkeit nach § 239b StGB, indem er auf das dem R abgepresste Ehrenwort abstellte, das A während und in Folge der Bemächtigungssituation erreicht hat.[108] Ein Teilerfolg genüge bereits für die Bejahung des § 239b StGB. Gleichzeitig hat A eine Nötigung nach § 240 StGB verwirklicht, die jedoch hinter § 239b StGB zurücktritt.

166

Beispiel 3: A und B beschlossen, C in seinem Haus zu überfallen. Ausgerüstet mit Sturmmasken und Fesselungsmaterial läuteten sie an seiner Haustür. Als der ahnungslose C öffnete, überwältigten sie ihn mit mehreren Faustschlägen. Gemeinsam banden sie dem C die Hände auf dem Rücken zusammen. Während A damit begann, das Haus zu durchsuchen, kniete B auf dem am Boden liegenden C und verlangte Geld. Der völlig verängstigte C war bereit, den Tätern den Weg zu dem im Haus befindlichen Tresor zu zeigen. Daraufhin ließ B es zu, dass er aufstand, mit ihnen zum Tresor ging und die Zahlenkombination mitteilte. A und B öffneten schließlich den Tresor und entnahmen Bargeld (in Anlehnung an BGH NStZ-RR 2010, 46).

167

Lösung: Der BGH sieht hier grundsätzlich den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs in Mittäterschaft, §§ 239a, 25 II StGB, als verwirklicht an. Der geschilderte Geschehensablauf (Überfall, Fesselung und Erzwingung der Tresoröffnung) lege es nahe, dass A und B bereits eine stabile Bemächtigungslage geschaffen hatten, der die vom Tatbestand geforderte eigenständige Bedeutung zukomme, und sie dies auch erreichen wollten, die Tat also in der Absicht begingen, die Sorge des C um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Damit habe die Fesselung nicht nur als Mittel zur Begehung eines Raubs gedient. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich A und B des C nicht bereits in Erpressungsabsicht bemächtigt hätten, so sei zumindest die Tatbestandsalternative des § 239a I Hs. 2 StGB („geschaffene Lage … zu einer solchen Erpressung ausnutzt“) verwirklicht. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1b StGB (Fesseln!) stehen dazu in Idealkonkurrenz.

Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, eBook

Подняться наверх