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I. Geschütztes Rechtsgut des § 113 StGB und Verhältnis zu anderen Delikten

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Die Vorschrift dient nach h. M. dem Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen und der hierfür berufenen staatlichen Organe (doppeltes Rechtsgut). Obwohl § 113 StGB also kein Delikt zum Schutze der persönlichen Freiheit ist, erfolgt seine Behandlung an dieser Stelle, weil es sich um ein besonderes Nötigungsdelikt handelt und auch das Verhältnis zu § 240 StGB umstritten ist. Bis zur Erhöhung des Strafrahmens des Abs. 1 mit Wirkung ab dem 5.11.2011 handelte es sich bei § 113 StGB um eine Privilegierung gegenüber § 240 StGB,[113] welche vom Gesetzgeber gerade damit begründet wurde, dass sich der Bürger, der sich einer Vollstreckungshandlung eines staatlichen Organs ausgesetzt sieht, in einem affektähnlichen Zustand befinde, der eine geringere Strafdrohung rechtfertige.[114] Auch nach der Angleichung des Strafrahmens, welche damit begründet wurde, dass die Kriminalstatistik hinsichtlich des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eine besorgniserregende Steigerungsrate aufwies,[115] besteht aber immer noch Spezialität,[116] sodass § 240 StGB bei Nötigung mit Gewalt hinter dem gleichzeitig verwirklichten § 113 StGB zurücktritt (so neuerdings zu Recht der BGH zu einem Fall eines Veterinäramtsarztes [Vollstreckungsbeamter], dem bei seinem Verlangen um sog. Tiernachschau vom Besitzer der Tiere Prügel angedroht wurden[117]). Allerdings ist aufgrund der Strafrahmengleichheit nunmehr strittig, ob es sich bei § 113 StGB noch um eine Privilegierung handelt.

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Letzteres wird vor allem dann relevant, wenn die Anforderungen des § 113 StGB unterschritten werden, also der Vollstreckungsbeamte beispielsweise nicht gewaltsam, sondern durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt wird. Hier ist sodann fraglich, ob auf § 240 StGB zurückgegriffen werden kann, weil § 113 StGB den Widerstand durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht erfasst. Das Problem wird verdeutlicht durch folgenden

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Fall 12: Demonstrant D blockiert mit weiteren Aktivisten eine Autobahn. Polizist P schreitet daher zu einer rechtmäßigen Festnahme. D widersetzt sich dieser Festnahme jedoch, indem er dem P mit Selbstverbrennung droht. P entfernt sich daraufhin tatsächlich. Strafbarkeit des D? (Selbstverbrennungs-Fall nach OLG Hamm NStZ 1995, 547[118])

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Lösung:

I. In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 I StGB.

1. Objektiver Tatbestand

a) P war ein zur Vollstreckung berufener Amtsträger.

b) Die Festnahme stellt auch eine Vollstreckungshandlung nach § 113 StGB dar.

c) Als Tathandlung müsste D jedoch Widerstand mit Gewalt (§ 113 I Alt. 1 StGB) oder durch Drohung mit Gewalt (§ 113 I Alt. 2 StGB) geleistet haben.

Beides ist vorliegend nicht der Fall; vielmehr hat D nur mit Selbstverbrennung gedroht.

2. Ergebnis: Die Tathandlung des § 113 StGB ist damit nicht erfüllt.

II. Fraglich ist, ob sich D wegen Nötigung nach § 240 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht hat.

1. Eine Nötigung liegt hier in Form einer Drohung mit einem empfindlichen Übel vor. Die Ankündigung der Selbstverbrennung ist nämlich geeignet, einen besonnenen Durchschnittsbeamten zu der gewünschten Unterlassung der Festnahme zu bewegen.

2. Die Drohung hat auch das Nötigungsziel verwirklicht, da sich P tatsächlich entfernt hat.

3. Rechtswidrigkeit nach § 240 II StGB

a) Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, da die Festnahme laut Sachverhalt rechtmäßig gewesen wäre. Insbesondere ist § 34 StGB nicht einschlägig, da D die Festnahme hinnehmen musste, zumal er die Gefahr für eine Freiheitseinbuße durch die nicht genehmigte Versammlungsteilnahme selbst herbeigeführt hatte (vgl. Schluss aus § 35 I S. 2 StGB).

b) Das Verhalten des D ist auch i. S. d. Zweck-Mittel-Relation allgemein verwerflich, da ihn nach der Gesamtrechtsordnung eine Duldungspflicht hinsichtlich einer rechtmäßigen Festnahme trifft.

4. Auch Entschuldigungsgründe für das Verhalten des D sind nicht erkennbar.

5. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 240 StGB liegen damit insgesamt vor. Fraglich ist allerdings, ob ein Rückgriff auf § 240 StGB überhaupt möglich ist, wenn § 113 StGB wegen Fehlens einer dort geforderten Tathandlung ausscheidet.

– Nach einer teilweise in der Literatur und vor allem in der Rspr. vertretenen Auffassung war ein solcher Rückgriff auf § 240 StGB möglich; jedoch war der Strafrahmen dann dem § 113 StGB zu entnehmen. Begründet wurde dies vor allem damit, dass nur auf diese Weise Strafbarkeitslücken geschlossen würden und zudem der Privilegierungsfunktion Rechnung getragen werden könne.[119]

– Nach einer insbesondere in der Literatur vertretenen Meinung war dagegen eine Anwendung des § 240 StGB ausgeschlossen, wenn die Nötigungsmittel unterhalb der Schwelle des § 113 StGB bleiben. Begründet wurde dies damit, dass nur so die Privilegierungsfunktion des § 113 StGB erhalten bleiben kann.[120] Nunmehr ist jedoch fraglich, ob § 113 StGB nach der Strafrahmenangleichung gegenüber § 240 StGB noch privilegierend wirkt. Dies wird teilweise, gerade unter Verweis auf die Strafrahmenangleichung, verneint.[121] Teilweise wird jedoch die Privilegierung aus den für den Täter günstigeren Irrtumsregeln des § 113 III, IV StGB hergeleitet.[122]

– Stellungnahme: Von einer allgemein privilegierenden Wirkung des § 113 StGB gegenüber § 240 StGB kann zwar nach der Strafrahmenanpassung nicht mehr ausgegangen werden. Jedoch wirkt § 113 StGB in seinem Tatbestandsumfang nach wie vor insofern privilegierend, als dort die Nötigung mit einem empfindlichen Übel gegenüber einem Vollstreckungsbeamten nicht aufgenommen wurde. Aus der Untätigkeit des Gesetzgebers lässt sich daher ableiten, dass er zwar eine strafzumessungsrechtliche, aber gerade keine tatbestandsmäßige Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes im Auge hatte. Dies aber spricht für eine tatbestandliche Sperrwirkung des § 113 StGB. Bei Unterschreiten der Anforderungen des § 113 StGB ist daher § 240 StGB nach wie vor unanwendbar.[123]

6. Ergebnis: D hat sich daher nicht nach § 240 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

Achtung Klausur: Auch in Fällen, in denen aufgrund der Irrtumsregelung des § 113 III StGB die Strafbarkeit nach § 113 StGB ausscheidet, kann ein Ausschluss der Anwendbarkeit des § 240 StGB oder eine Anwendbarkeit des § 240 StGB unter Anwendung des Strafrahmens des § 113 StGB weiterhin mit dem Argument der Privilegierungsfunktion bejaht werden, da auch diesbezüglich weiterhin eine partielle Privilegierung besteht (s. o.). Hier könnten mit entsprechender Argumentation Punkte gesammelt werden.

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