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Schritt 5: Die Identifikation mit dem Körper beenden und den Körper durchlässig werden lassen
ОглавлениеDer fünfte Schritt ist tatsächlich sehr wichtig. Ich nenne ihn „Den Körper durchlässig werden lassen“. Viele spirituell Suchende hören dem Lehrer entweder nur zu oder sitzen in der Meditation und wollen vielleicht auch alles auftauchen lassen. Wenn aber der Atem nicht frei fließen kann, wenn der Ton nicht von alleine da sein kann, wenn die Muskulatur nicht frei ist, so dass der Brustkorb, die Seiten, der Rücken und der Atem sich nicht frei bewegen können, dann ist es nicht möglich, alles auftauchen zu lassen. Wenn z.B. beim Weinen die Luft angehalten wird, dann kann sich die Traurigkeit nicht vollständig lösen. Ein bisschen löst es sich, ein bisschen Dampf wird abgelassen, aber die Traurigkeit ist weiter da. Nur wenn der Atem frei ist, kann sich die ganze Anspannung, die ganze Energie lösen. Dann kann der Körper freier werden und die Traurigkeit auch wirklich verbrennen. Wenn man Gefühle lässt, wie sie sind, dann verbrennen sie. Genauso ist es mit den anderen Gefühlen: bei der Freude kann man, wie ich sagte, Angst haben zu explodieren. Wenn der Atem frei fließen kann, gibt es keine Angst zu explodieren. Ich meine damit nicht, dass man jetzt tief atmet, sondern dass man gar nicht atmet, weil man nur den Körper atmen lässt.
Wir machen eine kleine Übung5 dazu. Mache die Augen zu. Atme zuerst wieder zwei oder drei Mal mit einem Seufzer, den du weniger machen, sondern vielmehr geschehen lasse sollst, aus. Aber ein hörbarer Seufzer. Also: Ein bisschen machen, ein bisschen anschieben, aber nur ein bisschen. Es ist gewissermaßen so, wie wenn ich mich nach dem Winter wieder auf die Schaukel setze oder das Kind daraufsetze – sie ist über den Winter ein bisschen eingerostet, da muss ich erst kräftiger anschieben und dann kann die Schaukel von alleine schaukeln. Jetzt weiter den Mund geöffnet haben und wahrnehmen, wie der Atem fließt. Fließt er in den Bauch, in die Brust? Und wo hat der Atem Schwierigkeiten? Fließt er in den Rücken, in die Seiten, ins Becken? Wo fällt es dir nicht leicht? Man kann oft sehr gut merken, wo der Impuls entsteht, zu atmen, statt das dem Körper zu überlassen. Immer wieder Impulse, die auftauchen, nicht berühren und den Atem fließen lassen, ohne etwas zu tun. Ihn noch nicht einmal beobachten, nur geschehen lassen. Und jetzt wieder wahrnehmen, was du fühlst. Es gibt die herkömmlichen Gefühle und dann gibt es Erfahrungen, die tiefer sind als Gefühle: Ruhe, Stille, Frieden, Weite. Das sind Erfahrungen, die sind tiefer als Gefühle. Man muss eigentlich sagen: Was fühlst du oder was erfährst du Tieferes? Oder: Welche Stimmung ist da? Und jetzt, wenn du da etwas ausgemacht hast, lass einen Ton entstehen, den du nicht tust. Wenn wir das Wort „Stimmung“ haben, wissen wir sofort, da ist „Stimme“ als derselbe Wortstamm, weil Stimme und Stimmung praktisch identisch sind. Ein Ton, den man nicht macht, sondern den man geschehen lässt, der das Gefühl nicht nach außen bringt, nicht weghaben will, sondern der die Möglichkeit gibt, tiefer in das Gefühl hineinzusinken. Und dann trau dich ruhig, einen Ton zu machen. Keinen langen Ton, jeder lange Ton wird gemacht, sondern nur so das Ausatmen begleitend, im Sinne von „Haaaaa“ (3-mal). Und dann darauf achten, dass der Ton hilft, das Gefühl tiefer zu fühlen. Und gleichzeitig kann der Ton Anspannung, die da ist, wegschmelzen. Dann kannst du noch der Frage Raum geben: Wie leicht fällt es mir, geschehen zu lassen, oder wie schwer? Wie leicht fällt es mir, mich dem zu überlassen, was geschieht? Oder: Wie viel Angst habe ich, die Kontrolle aufzugeben?
Diese Arbeit mit dem Körper hat sehr viel damit zu tun, geschehen zu lassen. Ich denke, dass die Atemarbeit notwendig ist. Alle vorgegebenen Übungen, wie im Yoga, im Feldenkrais oder in der Alexandertechnik, sind weniger geeignet. Im Daoismus hat sich eine Schule des Yogas über die Jahrtausende entfaltet, in der Bewegungen im Körper6 entstehen. So wie der Ton jetzt eben entstand, ohne dass etwas getan wurde, können auch Bewegungen entstehen, wo der Körper bewegt wird, ohne dass man etwas tut.
Aufwachen hat etwas mit Loslassen der Kontrolle zu tun. Alle Übungen, die mich kontrollieren, stehen dem Aufwachen im Weg. Man muss sich klar darüber sein, was man will und wohin das führt.