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5. Der Herstellerbegriff als unbestimmter Rechtsbegriff?

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Um beurteilen zu können, welcher Maßstab an die Auslegung des Herstellerbegriffs zu legen ist, ist vorab zu klären, ob der Herstellerbegriff gegebenenfalls als unbestimmter Rechtsbegriff einzustufen ist. Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff handelt es sich um einen Begriff in einer Norm, der auslegungsbedürftig, weil vage ist, und dessen objektiver Sinn sich nicht sofort erschließt.145 Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist für eine Dehnung beziehungsweise Erweiterung des Begriffs zugänglich und kann daher mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.146 Diese Ausfüllbarkeit eines unbestimmten Rechtsbegriffs ist vom Normgeber bewusst gewählt.147 Ein unbestimmter Rechtsbegriff wird daher nicht nur ausgelegt, sondern kann vom Normanwender auch mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.148 Folglich entscheidet die Beurteilung darüber, ob es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, über den Maßstab der Auslegung.

Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff in einer europäischen Richtlinie werden die EU-Mitgliedstaaten zu den Interpreten, welche die mehrdeutigen Formulierungen der Norm – die unbestimmten Rechtsbegriffe – ausfüllen.149 Das führt dazu, dass eine Auslegung an europäischen Zwecken und Zielrichtungen der Richtlinie wieder eingeschränkt wird, da dem interpretierenden Mitgliedstaat vom europäischen Gesetzgeber bewusst ein Freiraum dafür eingeräumt wurde, den unbestimmten Rechtsbegriff mit eigenen Wertungen zu füllen. Die Motive und Ziele des nationalen Gesetzgebers treten bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs dadurch wieder in den Vordergrund.

Vorliegend ist der Herstellerbegriff legaldefiniert. Daraus ist zu schließen, dass die Konkretisierung des Begriffs nicht dem Mitgliedstaat überlassen werden sollte, sondern vielmehr hat der europäische Normgeber den Herstellerbegriff selbst konkretisiert. Dass die Konkretisierung des Normgebers womöglich selbst nicht konkret genug ist, ändert nichts daran, dass der Normgeber nicht den Willen dazu hatte, die Konkretisierung durch den Normanwender vornehmen zu lassen. Demnach ist der Herstellerbegriff kein unbestimmter Rechtsbegriff im vorgenannten Sinne, wodurch sich die teleologische Auslegung des Herstellerbegriffs grundsätzlich am Sinn und Zweck des europäischen Produktsicherheitsrechts auszurichten hat.

110 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 213 f. 111 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap 4, Ziff. 2 f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 146 ff., 172 ff. 112 Raisch, Juristische Methoden, S. 103 f. 113 Raisch, Juristische Methoden, S. 138; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 23. 114 Raisch, Juristische Methoden, S. 139. 115 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 638; Bumke, Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49. 116 Raisch, Juristische Methoden, S. 140. 117 Schwacke, Juristische Methodik, S. 125 ff. 118 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 254. 119 Der Begriff „Kandidat“ entstammt der modernen Sprachphilosophie, siehe dazu: Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 194 ff.; Heinrich Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe: Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks, S. 282. 120 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 195. 121 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 18; Meier/Jocham, JuS 2015, 490, 490 f.; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 64. 122 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 199 f. 123 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 29 f. 124 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 130. 125 Es kann sich dabei um die Laiensphäre handeln, um Juristen oder Experten, zum Beispiel Ingenieure. 126 Raisch, Juristische Methoden, S. 140 f. 127 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 221. 128 Raisch, Juristische Methoden, S. 140. 129 Als weiteres Beispiel lässt sich der Bienenstich anführen. 130 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 221. 131 Auch die Herstellereigenschaft nach den Fallgruppen 3 und 4 ist jeweils eine Fiktion, vgl. dazu Teil F II. 3. b) sowie die Fallgruppe 5, vgl. dazu Teil F II. 4. a). 132 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 215; BGHZ 63, 261, 264 f.; EuGH, Urteil vom 10.04.1984 – Rs 14/83 (von Colson und Kamann), S. 1891. 133 Siehe dazu instruktiv Teil B I Nr. 2. 134 Schucht, EUZW 2014, 848, 848. 135 Beispielsweise sind die festgelegten Produktkennzeichnungspflichten in den deutschen ProdSVen stellenweise strenger als in den zugrunde liegenden EU-Richtlinien. 136 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 183 f.; Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 216. 137 diFabio, NJW 1990, 947, 947 ff. 138 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 317; Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 216. 139 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 220; EuGH, Urteil vom 10.04.1984 – 14/1983 (von Colson und Kamann) = Slg. 1984, 1891. 140 Busse, Die Methoden der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht als richterliches Instrument der Interpretation von nationalem Recht, S. 590. 141 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 699. 142 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 195 f. 143 Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S. 275 ff. 144 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 214; anders nach der objektiv-strengen Theorie, wonach die Absicht des Gesetzgebers zur Umsetzung der Richtlinie bloßes Motiv und damit nicht auslegungsfähig ist. 145 Jestadt: Erichsen/Ehlers/Burgi, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 24. 146 BVerfGE 103, 142, 156. 147 Fischer, Rechtsvergleich zur Umsetzung von Artikel 4a der Richtlinie 89/655/EWG ins nationale Rechtssystem repräsentativ ausgewählter EU-Mitgliedstaaten, S. 12; Schmidt, Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Privatrecht, S. 106. 148 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 136 f.; Fischer, Rechtsvergleich zur Umsetzung von Artikel 4a der Richtlinie 89/655/EWG ins nationale Rechtssystem repräsentativ ausgewählter EU-Mitgliedstaaten, S. 12. 149 Hager, Rechtsmethoden in Europa, S. 250 f.

Der Hersteller im europäischen Produktsicherheitsrecht

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