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4.5 Theorie

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In der „Theorie der ethischen Gefühle“ (Smith 2010) entwickelt und untersucht Smith psychologische und soziologische Annahmen zum menschlichen Verhalten und Handeln. Diese Untersuchungen bilden die Grundlage für seine ethischen, politischen und ökonomischen Theorien in seinem Werk „Der Wohlstand der Nationen“ (Smith 1993). Smith verknüpft dort eine sozialpsychologische Entwicklungstheorie der Gesellschaft mit einer ökonomischen Wachstumstheorie, die erklären soll, wie in einer Tausch- und Marktwirtschaft der Wohlstand zunehmen wird. Die „Theorie der ethischen Gefühle“ bildet die Grundlage für Smiths Entwicklungstheorie der Gesellschaftsorganisation, und diese stellt wiederum das Fundament für die Tausch- und Markttheorie dar, die er in „Der Wohlstand der Nationen“ entfaltet. Zwischen beiden Untersuchungsfeldern bestehen für Smith enge Wechselbeziehungen. In gemeinsamen Grundregeln über das Verhalten des Menschen und über die Errichtung und Nutzung gemeinsamer Einrichtungen zeigen sich diese Wechselwirkungen. Erkennbares Ziel aller Theorien von Smith ist es, Gegensätze aufzuheben und Gleichgewichte herzustellen (vgl. Eckstein, in: Smith 1994, LIII–LXVI).

(1) Das Eigeninteresse der Menschen: Smith stellt an den Anfang seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ folgende These:

„Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein“ (Smith 2010, 5).

Wir freuen uns, wenn sich andere freuen, wir leiden mit, wenn andere leiden. Nach Smith ist es möglich, sich aufgrund der eigenen Vorstellungskraft in die Lage eines anderen zu versetzen und ihn durch Nachdenken zu verstehen. Die Anteilnahme an dem Erleben anderer nennt Smith Sympathie: Wir selbst empfinden nach, was der andere fühlt, indem wir uns im Geist an seine Stelle setzen. Smith setzt Sympathie niemals mit Wohlwollen gleich.

Handlungen und Haltungen anderer werden nach Smith moralisch gebilligt, wenn man mit den Gefühlen des Handelnden sympathisieren kann. Unsere eigenen Handlungen bewerten wir, indem wir uns fragen, ob ein unparteiischer Zuschauer mit unseren Motiven sympathisieren würde. Durch Abstraktion und Verallgemeinerung gelangt man von der individuellen Billigung oder Missbilligung zu einem übergeordneten Maßstab für allgemein gültige moralische Urteile.

„Wie es das erhabene Gesetz des Christentums ist, unseren Nächsten zu lieben, wie wir uns selber lieben, so ist es das erhabene Gebot der Natur, uns selbst nur so zu lieben, wie wir unseren Nächsten lieben, oder was auf das Gleiche herauskommt, wie unser Nächster fähig ist, uns zu lieben“ (a. a. O., 34).

Das auf Eigenliebe beruhende Streben der Menschen – für Smith ist es ein „ethisches Gefühl“ – wird auf vierfache Weise begrenzt (vgl. Recktenwald 1993, XLI):

(a) Das natürliche Mitgefühl oder Interesse für den anderen (Sympathie) schränkt egoistisches Handeln ein. Es hält den Einzelnen davon ab, einem anderen unrecht zu tun, ihm etwas wegzunehmen oder vorzuenthalten, was ihm gehört. Dieser Sinn für Gerechtigkeit ermöglicht Gemeinschaft.

(b) Darüber hinaus müssen freiwillig Regeln der Ethik und Gerechtigkeit anerkannt werden, da die Sympathie als Kontrollinstrument nicht ausreicht. Die Menschen vermögen diese Regeln aus Erfahrung im Zusammenleben und durch Vernunft herauszufinden.

(c) Da diese Regeln letztlich auch noch nicht ausreichen, muss ein System positiver Gesetze durch Sanktionen die Einhaltung der Regeln der Gerechtigkeit erzwingen. Diese Aufgabe ist von einer gemeinsamen Einrichtung, dem Staat, zu übernehmen.

(d) Im wirtschaftlichen Bereich begrenzt die Konkurrenz ausuferndes Streben.

Smith führt den Ursprung der ethischen Gefühle auf Gott oder die Vorsehung zurück, keineswegs aber auf die Vernunft des Menschen. Vernunft und Nutzen werden von Smith als Mittel in seine Theorie integriert. Die Regeln der Gerechtigkeit werden zwar durch Erfahrung und aufgeklärte Vernunft entdeckt und auch ihr Nutzen erkannt, aber letztlich ist es Gottes Weisheit, die das Handeln der Menschen lenkt. Smith schließt sich hier einem optimistischen Welt- und Gottesbild an, wie es Thomas von Aquin und andere vor ihm gelehrt haben.

(2) Die Entwicklung der Gesellschaft: In seiner Entwicklungstheorie unterscheidet Smith analytisch-erklärend vier Zustände oder Stadien in der gesellschaftlichen Entwicklung und begründet die jeweiligen Veränderungen:

(a) Die Menschen erwerben auf der untersten Entwicklungsstufe, der „Jagd“, ihren Lebensunterhalt, indem sie frei lebende Tiere jagen und im Übrigen nehmen, was sie finden können. Die Lebensgemeinschaften sind klein und leicht überschaubar. Da Privateigentum keine Rolle spielt, bedarf es auch keiner besonderen gemeinsamen Einrichtungen, um es zu schützen. Armut ist weit verbreitet und macht die Menschen gleich.

(b) Im zweiten Stadium, dem „Hirtentum“, zähmen die Menschen Tiere und halten sie zur Nutzung. Hierzu sind größere Menschenverbände und Weideplätze notwendig. Das Halten von Herden führt zwangsläufig zu Privateigentum an Vieh. Dieses Privateigentum kann vermehrt oder verringert werden. Daraus entstehen Ungleichheiten in den Gemeinschaften. Es entstehen einseitige Abhängigkeiten und alle Arten von sozialen Spannungen und Konflikten zwischen Armen und Reichen. Eine gemeinsame Einrichtung der Reichen wird notwendig, um den erworbenen Besitz gegen Übergriffe zu schützen. Da angehäuftes Vermögen vererbt wird, entstehen Über- und Unterordnung durch Eigentum und Geburt bzw. Familienzugehörigkeit. Ansehen, Einfluss und Macht einzelner Familien können dadurch größer werden.

(c) Im dritten Stadium, dem „Ackerbau“, bearbeiten die Menschen den Boden und nehmen ihn in Besitz. Das Bodeneigentum wird von Menschen systematisch und gezielt zum Lebensunterhalt genutzt und in der Familie weitervererbt. Besitz und Nutzung des Bodens führen zu Macht und Ungleichheit. Der Grund- und Bodenbesitz Einzelner hat erhebliche soziale und politische Folgen: Besitzlose werden von den Besitzenden ökonomisch und rechtlich abhängig. Die Besitzlosen können ihren Lebensunterhalt nur noch durch den Tausch mit persönlichen Diensten erhalten. So wird die Macht der Herren in ihren Ländereien unbegrenzt. Die besitzenden Herren sorgen für gemeinsame Einrichtungen, um sich selbst und ihren Wohlstand zu beschützen.

(d) Im vierten Stadium, der modernen „Tausch- und Handelswirtschaft“, kann der Lebensunterhalt durch Tausch auf dreierlei Weise gewonnen werden: Für die Leistung von Arbeitskraft wird Lohn, für die Nutzung von Boden Rente und für die Nutzung von Kapital Gewinn gezahlt. Mit seinem Einkommen kauft der Einzelne die notwendigen und angenehmen Dinge des Lebens, also alles das, was er benötigt, um seine ökonomische und soziale Position zu verbessern (vgl. Smith 1993, 3). Die Besitzverhältnisse und die Struktur der Gesellschaft verändern sich. An die Stelle einseitiger Abhängigkeit tritt nun eine gegenseitige Abhängigkeit. Dadurch wächst die rechtliche und persönliche Freiheit des Einzelnen und der gesellschaftlichen Schichten.

(3) Die Tausch- und Handelswirtschaft und der Staat: In der modernen Tausch- und Handelswirtschaft übernimmt für Smith der Austausch von überschüssigen (den Eigenbedarf wesentlich übersteigenden) Erzeugnissen auf sich ausbreitenden Märkten die zentrale Funktion in der Versorgung der Menschen mit allen notwendigen und erwünschten Waren.

Der Wohlstand liegt in der Arbeit begründet, aus der sich der Wert einer Ware ergibt. Jeder Mensch lebt durch Tausch und ist bis zu einem gewissen Grad Händler. Der menschliche Tauschtrieb und die Arbeitsteilung sind die Basis der Produktivität.

(a) Nach Smith entsteht die Arbeitsteilung – genauso wie das Streben nach ökonomischem und sozialem Aufstieg – zwangsläufig aus einer natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen. In einer zivilisierten Gesellschaft ist der Mensch ständig und in hohem Maße auf die Mitarbeit und Hilfe anderer angewiesen. Durch Wohlwollen der anderen wird er diese Hilfe nicht erreichen, viel eher, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht. Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: „Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst.“ Smith sagt:

„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen, außer einem Bettler, und selbst der verläßt sich nicht darauf“ (a. a. O., 17).

Das entscheidende Motiv für die Bildung von Wohlstand in einem Land ist, dass der Einzelne danach strebt, seine ökonomische Lage und seinen sozialen Rang zu verbessern: Materielle und ungreifbare Werte bestimmen menschliches Verhalten. Dadurch werden die produktiven Kräfte eines Landes wirtschaftlich und kulturell entwickelt, und der öffentliche Wohlstand nimmt zu. „Es handelt sich dabei um einen geläuterten, einen aufgeklärten und einen sozialen und rechtlichen Regeln unterworfenen Egoismus“ (Recktenwald 1993, XLI). Die der Arbeitsteilung folgende Spezialisierung fördert durch wiederholte Übung und Konzentration die Geschicklichkeit bei der Arbeit und damit die Produktivität. Die Arbeitsteilung ist für Smith – unterstützt durch das Eigeninteresse – der eigentliche Motor der Entwicklung. Sie stößt dort an Grenzen, wo der Tauschmarkt nicht mehr ausgeweitet werden kann, denn ohne Gelegenheit zum Austausch verliert die Arbeitsteilung ihren Sinn. Smith sieht in einer öffentlich geförderten Erziehung und Bildung breiter Schichten ein wirksames Mittel gegen die aus der Arbeitsteilung resultierende Monotonie und Entfremdung bei der Arbeit.

(b) Das Wirtschaftsleben wird nach Smith durch einen Mechanismus gesteuert, der immer wieder zum Ausgleich drängt. Smith nimmt an, dass die Eigeninteressen jedes Einzelnen, seine Situation zu verbessern, durch ein in der Natur wirkendes (teleologisches) Ordnungsprinzip das Gesamtwohl optimieren, wenn man diesen Kräften freies Spiel lässt. Dieses Ordnungsprinzip wird bisweilen mit der Metapher „von einer unsichtbaren Hand geleitet“ beschrieben (a. a. O., LXXII). Die Vorstellung von einer in der Welt bestehenden natürlichen Ordnung, die trotz gelegentlicher Störungen unser Leben zum Besten wendet, und die dieser Vorstellung vorausgehende Idee, dass eine „unsichtbare Hand“ die höchst egoistischen Eigeninteressen kombiniert, um das Gemeinwohl zu verbessern, ziehen sich durch sein ganzes Buch „Der Wohlstand der Nationen“ hindurch. Mit diesen Vorstellungen knüpft Smith wiederum an diejenigen von Thomas von Aquin und anderen an:

„Der einzelne ist stets darauf bedacht, herauszufinden, wo er sein Kapital, über das er verfügen kann, so vorteilhaft wie nur irgend möglich einsetzen kann. Und tatsächlich hat er dabei den eigenen Vorteil im Auge und nicht etwa den der Volkswirtschaft. Aber gerade das Streben nach seinem eigenen Vorteil ist es, das ihn ganz von selbst oder vielmehr notwendigerweise dazu führt, sein Kapital dort einzusetzen, wo es auch dem ganzen Land den größten Nutzen bringt“ (Smith 1993, 369).

(c) Auf die „unsichtbare Hand“ vertrauend, die alles zum Besten lenkt, fordert Smith höchstmögliche Freizügigkeit im Wirtschaftsleben innerhalb eines Staates und im Handel zwischen den verschiedenen Staaten. Der Staat, das heißt die Regierung, soll möglichst nicht in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen:

„Gibt man daher alle Systeme der Begünstigung und Beschränkung auf, so stellt sich ganz von selbst das einsichtige und einfache System der natürlichen Freiheit her. Solange der einzelne nicht die Gesetze verläßt, läßt man ihm völlige Freiheit, damit er das eigene Interesse auf seine Weise verfolgen kann und seinen Erwerbsfleiß und sein Kapital im Wettbewerb mit jedem anderen oder einem anderen Stand entwickeln oder einsetzen kann“ (a. a. O., 582).

Unter der Bedingung, dass natürliche Freiheit in einem Lande herrscht, der moralische Selbstschutz im Volke intakt ist und Wettbewerb und Rechtsordnung das ökonomische Verhalten disziplinieren, sind Staatseingriffe in den Wirtschaftsablauf, aber keinesfalls der Staat selbst überflüssig, weil sonst der Wohlstand des Gemeinwesens abnimmt (vgl. Recktenwald 1993, LXII). In der Regel beeinträchtigt nach Smith jede sektorale und gruppenegoistische Interessenpolitik des Staates den Wohlstand aller. Der Staat muss nach Smith aber gemeinsame Einrichtungen schaffen, die mächtig genug sind, um das Land gegen Angriffe anderer Staaten zu schützen und jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft soweit wie möglich vor Ungerechtigkeit oder Unterdrückung durch andere Mitbürger zu schützen, um Streit gerecht zu schlichten und jene lebensnotwendigen Güter – wie Schulen, Universitäten, Straßen, Brücken usw. – anzubieten, die von Privatpersonen nicht angeboten werden, weil sie daraus keinen Eigennutz ziehen können (vgl. Smith 1993, 612). Die Liste der von Smith für gerechtfertigt gehaltenen Staatseingriffe ist lang. Sie reicht von der Regulierung des Bankgeschäfts und der Kontrolle der Zinsen über Steuern zur Eindämmung des Alkoholkonsums bis hin zur Förderung von Kunst und Kultur. Der „unsichtbaren Hand“ ist also eine deutlich sichtbare Hand zur Seite gestellt (vgl. Kurz 1991).

(4) Die Armen und die Armut: Naturgemäßes, an der Eigenliebe orientiertes Handeln ist für Smith zugleich nützlich, vernünftig und sittlich. Einzel- und Gemeinwohl werden von Smith gleichgesetzt. Wenn der Staat es zu Wohlstand gebracht hat, dann nehmen alle Mitglieder des Staates am Wohlstand teil. Nach der optimistischen Theorie von Smith darf es eigentlich keine Armut und keine Armen in einem Staat geben. Nach Smith kann man es nämlich nicht als Nachteil für ein Land betrachten, wenn auch für Dienstboten, Tagelöhner und Arbeiter die Lebenslage verbessert wird, denn keine Nation kann blühen und gedeihen, deren Bevölkerung weithin in Armut lebt. „Es ist zudem nicht mehr recht als billig, wenn diejenigen, die alle ernähren, kleiden und mit Wohnung versorgen, soviel vom Ertrag der eigenen Arbeit bekommen sollen, dass sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und anständig wohnen können“ (Smith 1993, 68). Eine großzügige Entlohnung der Arbeiter ist daher Bedingung für den Wohlstand der Nationen.

Fragen der Armenpflege und Fürsorge spielen in diesem Wirtschaftsliberalismus keine Rolle, da für Smith Armut das Ergebnis einer nur vorübergehenden Arbeitslosigkeit ist. Wenn Menschen dennoch arm und hilfsbedürftig sind, muss ihnen – so meint Smith – von den Gemeinden, in denen sie wohnen, zweckmäßig geholfen werden. Das vorrangige Ziel muss dabei aber immer bleiben, ihnen Arbeit zu beschaffen und sie wieder in den Produktionsprozess einzugliedern. Für Smith bleibt jemand arm, weil er keine Arbeit hat, und es für ihn schwierig ist, sich außerhalb seiner Heimatgemeinde anzusiedeln und dort eine Arbeitserlaubnis zu bekommen; denn die Gemeinden – sie sind zum Unterhalt der Armen verpflichtet und befürchten, dass die neuen Zuwanderer weiterhin arbeitslos bleiben – wollen Arbeitslose nicht aufnehmen, um so eine zu erwartende finanzielle Belastung zu vermeiden. Wenn jemand aus einer Gemeinde von dieser schuldhaft vertrieben und in einer anderen nicht aufgenommen wird, so verstößt das für Smith gegen die natürliche Freiheit und gegen die Gerechtigkeit, weil diesem Mensch damit die Lebensgrundlage genommen worden ist (vgl. a. a. O., 118 ff.).

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