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5.6 Bedeutung für die Soziale Arbeit

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Aus allen Teilen Europas kommen bereits um 1810 zahlreiche BesucherInnen nach Iferten, um Pestalozzis Unterrichtsmethoden kennenzulernen; und die preußische Schulreform wird auf seine Ideen aufgebaut. Fichte, Fröbel, Diesterweg und andere verbreiten seine Thesen zum erziehenden Unterricht und setzen sie in die Tat um. Dann lässt das Interesse allerdings wieder schnell nach, und Pestalozzis Methodik wird sogar als überholt angesehen. Bereits 1846 wird bei der Feier zum 100. Geburtstag Pestalozzis mehr von seiner positiven Wirkung auf die Volksbildung gesprochen als von seinen konkreten Reformideen (vgl. Liedtke 1979, 185). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die sozialpädagogische Bedeutung Pestalozzis wiederentdeckt und hervorgehoben. So befassen sich Paul Natorp (vgl. 2.1) und Herman Nohl (vgl. 2.8) nicht nur ausführlich mit Pestalozzis Schriften, sondern setzen bei ihm mit ihren eigenen Theorien an. Zum 250. Geburtstag Pestalozzis wird für eine Pädagogik, die sich auf Pestalozzi bezieht, festgestellt:

„Statt wie die modernen Wissenschaften objektivierende Distanz zu erzeugen, baut sie fiktional zumindest auf bewundernde Unmittelbarkeit und erzieht. Statt eine öffentlich verfahrende moderne Wissenschaft ist die Pädagogik in der Tradition Pestalozzis ein von innen heraus verkündendes Zeugnis. Statt auf Erfahrung, Irrtum und Korrektur setzt sie auf gute Absicht, wiederholten Mißerfolg und Beharrlichkeit“ (Osterwalder 1996, 162).

Auf die Schriften Pestalozzis berufen sich heute viele (Sozial-)PädagogInnen; es dürfte kaum ein anderes pädagogisches Werk geben, das derart ideologisiert und kanonisiert, das heißt jedes historischen Bezuges enthoben worden ist (vgl. Osterwalder 1996). Und es können für kontroverse Auffassungen stützende Passagen in Pestalozzis Schriften gefunden werden. Das umfangreiche und unsystematische Werk Pestalozzis enthält ja selbst zahlreiche Widersprüche: Seine Erziehungsgrundsätze sind einmal patriarchalisch und autoritär, dann wieder partnerschaftlich und liebevoll; sein Denken ist einmal rational aufklärend und dann wieder kindlich gläubig; mitunter revoltiert er gegen den Staat und eine ungerechte Regierung, dann wieder fügt er sich gehorsam in das Machtgefüge ein. Die Begründung von Erziehung aus einer vorgegebenen, alles umfassenden abgeschlossenen Ordnung ist allerdings eine Konstante in Pestalozzis politischem, pädagogischem und religiösem Denken (vgl. a. a. O.). Das sozialreformerisch-sozialpädagogische Engagement Pestalozzis kann heute weiterhin herausfordernd und warnend zugleich wirken. Seine Aussagen über Gesetzgebung und Kindermord bergen auch heute noch politischen Sprengstoff in sich, werden aber – wie viele andere seiner gesellschaftskritischen Äußerungen – nicht zur Kenntnis genommen. Eine Herausforderung für sozial Tätige ist die von Pestalozzi gelebte Verknüpfung von privatem Leben, beruflicher Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit. Und eine Warnung ist das Leben Pestalozzis für jeden, der strahlenden Triumph für sich in der Sozialen Arbeit gewinnen möchte, besteht doch Pestalozzis Wirkung vermutlich nicht zuletzt im „Triumph des Scheiterns“ (Albert von Schirnding).

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