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1.1 Warum »Schuldenberatung und Schuldenprävention als Soziale Arbeit«?

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Sich mit Schulden auszukennen, ist eine praxisorientierte Kernkompetenz der Sozialen Arbeit, die sich im beruflichen Handeln mit Klient*innen sehr oft einsetzen lässt. Dabei geht es nicht nur darum, im Rahmen spezialisierter Schuldenberatungsstellen Hilfen anzubieten. Schuldenberatung bedeutet auch, Unterstützung zur Bewältigung wirtschaftlicher Probleme auch dort zu geben, wo Menschen sich in unterschiedlichsten Lebenssituationen und mit unterschiedlichsten Problemen hinwenden: an Hilfeangebote für Jugendliche und jungen Erwachsenen, für Familien und Erziehungsberatung, der Straffälligen-, Sucht- und Obdachlosenhilfe, in öffentlichen Sozialdiensten bis hin zu Unterstützungsangeboten älterer Menschen. Die entscheidende Kompetenz ist es daher, Expert*innenwissen zu Verschuldung in unterschiedliche Hilfeangebote und Hilfeprozesse der Sozialen Arbeit so einzubeziehen, dass dabei der Charme einer professionellen Beratung und Intervention nicht verloren geht.

Dass jedoch durch Expert*innenwissen die Professionalität der Sozialen Arbeit nicht zwangsläufig geschaffen oder erhöht, sondern auch unschärfer oder verloren gehen kann, zeigt gerade die Vielschichtigkeit von Schuldenberatung auf. Ihre Brillanz, im Einzelfall tatsächlich das Problem der Verschuldung hilfesuchender Haushalte lösen zu können, was zu einer beträchtlichen Wertschätzung durch die Ratsuchenden führen kann, macht sie in der Disziplin der Sozialen Arbeit eher unnahbar. So ist Schuldenberatung oft mit dem Makel des Normativen eines schuldenfreien Lebens behaftet und muss sich gelegentlich auch den Vorwurf gefallen lassen, Erfüllungsgehilfe der Gläubiger*innen zu sein. Einen eindeutigen Bezug »Schuldenberatung ist Soziale Arbeit« herzustellen und fachlich zu begründen, ist daher das zentrale Anliegen dieses Buches.

Nun ist die Soziale Arbeit nicht die einzige Profession, die bei Verschuldung helfen will oder kann. Das Feld der rechtsberatenden Berufe ist groß, und immer wieder entwickeln sich Beratungsangebote, die im rechtlichen Graubereich der gewerblichen Schuldenregulierung oder der nicht erlaubten Rechtsberatung Hilfe anbieten. Doch was rechtlich möglich, unmöglich erlaubt oder verwehrt ist, soll nicht Gegenstand dieses Buches sein. Ganz im Gegenteil, die Erarbeitung dieses Buches beruht auf der Maßgabe, die Schuldenberatung nicht anhand juristischer Aspekte vorzustellen. Das Anliegen ist vielmehr, den genuinen sozialarbeiterischen Gehalt zu explorieren: Was ist bei der Beratung von verschuldeten Menschen wichtig, wenn die Kernanliegen der Profession der Sozialen Arbeit mitgedacht werden und das Fundament der Beratung bei Verschuldung darstellen sollen. So zeigt sich, dass aus dem juristisch geprägten Thema Verschuldung und Schuldenberatung ein über das Setting Einzelhilfe hinausreichendes Anliegen unserer Profession wird: Ungleichheit zu bekämpfen und Bedingungen für einen gelingenden Alltag und eine gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen.

Gerade unter dem Aspekt, trotz Verschuldung einen gelingenden Alltag zu ermöglichen, ist die jüngere Geschichte der Schuldenberatung eine Erfolgsgeschichte. Insbesondere ihre politische Einflussnahme hat dazu geführt, den Schuldner- und Pfändungsschutz auszubauen bis hin zur Durchsetzung von Restschuldbefreiungsverfahren in den meisten europäischen Ländern, die seither umfassende Möglichkeiten der Entschuldung mit sich bringen und den Betroffenen wieder gleichwertige gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Vieles von dem, was heute an Interventionen zur Verfügung steht, wurde durch Schuldenberatungsstellen, Wohlfahrtsverbände, Konsument*innenschutzorganisationen und Hilfswerke sozialpolitisch erarbeitet und durchgesetzt. Schuldenberatung entstand somit durch Organisationen, bei denen die Soziale Arbeit vielfach eine zentrale Rolle bei der Formulierung und Durchsetzung sozialpolitischer Forderungen einnimmt und entsprechende Hilfen angeboten werden. Die Frage ist jedoch, ob sich der sozialarbeiterische Gehalt der politischen Arbeit der Verbände und Organisationen auch in der alltäglichen Beratungspraxis zeigt und anhand welcher Aspekte dies reflektiert und dargestellt werden kann. Hier lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem Professionalisierungsdiskurs der Sozialen Arbeit. Soweit sich dieser in den letzten Jahren entwickelt und konkretisiert hat, bietet er Orientierungshilfe dafür, inwiefern das, was in der Schuldenberatung und in der Beratungspraxis der Sozialen Arbeit zu finanziellen Schwierigkeiten angeboten und geleistet wird, professionelle Soziale Arbeit darstellt.

Schließlich geht es in diesem Buch und im Alltag der Schuldenberatung auch um Schuldenprävention und dem damit verbundenen Bestreben, Verschuldung zu verhindern oder bestimmten Betroffenengruppen einen mündigen Umgang mit Schulden zu ermöglichen. Auch wenn sich die Schuldenprävention durch die Entwicklung einer Vielzahl didaktischer Materialien zu einem augenscheinlich bunten Feld der Präventionsarbeit entwickelt hat, sind die Erfolge der jüngeren Geschichte hier weitaus geringer als die der Einzelhilfe und Einzelfallberatung. Die Praxis der Schuldenprävention bleibt vor allem die zielgruppenspezifische Ausrichtung der Angebote, die professionelle Haltung der Akteur*innen der Präventionsarbeit und der Wirkungsnachweis solcher Programme und Maßnahmen schuldig. Dies zu klären, in Anlehnung an die Erkenntnisse und Erfahrungen der Sucht- und Gewaltprävention, und die Professionalität der Schuldenprävention zu schärfen, soll einen weiteren Beitrag dieses Buches zur Professionalisierungsdiskussion der Schuldenberatung als Soziale Arbeit leisten.

Um die genannten inhaltlichen Anliegen leisten zu können, gilt es auch, den Fachdiskurs innerhalb der Schuldenberatung zu analysieren und kritisch in den Blick zu nehmen. Dabei fällt auf, dass in den vergangenen Jahren nur noch wenige Veröffentlichungen zum Aspekt der Sozialen Arbeit in der Schuldenberatung erfolgten. Kritische Fragen an den Wissenschaftsdiskurs zur Sozialen Arbeit werfen auch auf, dass im aktuellen »Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik« von Otto und Thiersch (Otto et al. 2018) der in den vorangegangenen Ausgaben enthaltene Beitrag zu Schuldenberatung (vgl. Proksch 2001: 1527–1531) nicht mehr erscheint. Wurde die Schuldenberatung aufgrund ihrer oft dominanten juristischen Prägung inzwischen aus dem Feld und dem wissenschaftlich geführten Fachdiskurs der Sozialen Arbeit verwiesen? Dieser Eindruck verfestigt sich bei der Lektüre genau der Buchpublikationen der letzten Jahre, die im Titel eigentlich einen direkten Bezug der Schuldenberatung zur Sozialen Arbeit versprechen (Schruth et al. 2011, Gastiger 2012). Deren Beiträge reichern vor allem die Rechtsberatungspraxis der Schuldenberatung an, nicht aber die methodischen Fragen der Beratung und Intervention durch die Soziale Arbeit. Hier markiert der Beitrag »Professionalität und Entfremdung« (Mattes/Lang 2015), das Buch »Soziale Schuldnerberatung – Prävention und Intervention« (Ansen 2018) und die Aufsätze des Themenhefts »Schulden und Schuldnerberatung« (Sozialmagazin 2020) eine Trendwende innerhalb des Fachdiskurses, wenngleich das Profil der Schuldenberatung als Soziale Arbeit durch einen neuen Terminus, den der »Sozialen Schuldnerberatung«, verwässert wird (Glatzel 2020, Ansen 2018). Somit ist in den letzten Jahren eine Rückbesinnung und ein wachsendes Bedürfnis der Fachpersonen der Schuldenberatung zu erkennen, sich nach vielen Jahren der juristischen Profilierung wieder auf die eigentliche professionelle Heimat der Sozialen Arbeit zurückzubesinnen (vgl. Mattes 2020: 23f).

Schuldenberatung und Schuldenprävention als Soziale Arbeit

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