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»Du kannst die Goethestraße hochfahren und dann rechts rein.«

»Doreen, ich weiß, wo der Heckenweg ist.« Norbert schielte aus den Augenwinkeln zu seiner Beifahrerin. Sie hatte den Kopf nach rechts gedreht und starrte schon die ganze Zeit aus dem Fenster; so, als gäbe es am rechten Fahrbahnrand etwas Tolles zu sehen.

»Dann ist es ja gut.«

Jetzt klang sie beleidigt. Norbert seufzte leise und bremste an der roten Ampel vor der Einmündung der Kopernikusstraße. Das würde ein schöner Krampf werden – sie ständig darauf bedacht, dem Exlover – er sinnierte kurz über den negativen Beiklang des Begriffs – nicht zu nahe zu kommen, er damit beschäftigt, nicht den abgewiesenen Konkurrenten zu geben.

Die Ampel schaltete auf Grün und Norbert fuhr die Marienthaler Straße hinauf. Links hatte sich ein Lidl-Markt nebst überdimensioniertem Parkplatz breitgemacht – just an der Stelle, wo sich früher der berühmte ›Lindenhof‹ befunden hatte. Trotz zahlreicher Proteste hatten die angeblich stets auf das Wohl der Bürger bedachten Stadträte den Abriss des historischen Gebäudes schnell über die Bühne gebracht. Ein Einkaufscenter brachte auch mehr Geld ein, als ein etwas in die Jahre gekommenes Varieté.

Norbert blinkte und bog in die Goethestraße ab. Stumpfkörnige Erinnerungsbilder von der Suche nach der vermissten Madeleine Stove überwucherten seine Gedanken wie die Dornenhecke das Dornröschenschloss. Ihr Mörder, ein psychopathischer Lateinlehrer, hatte hier gewohnt.

Doreen wandte zum ersten Mal, seit sie losgefahren waren, den Kopf nach links, berührte seinen Arm und zeigte durch die Windschutzscheibe nach vorn. »Weißt du noch? Der Kippling?«

»Hm.« Norbert nickte und ließ den angehaltenen Atem mit einem Schnaufen entweichen. »Der sitzt immer noch in Untersuchungshaft.«

»Das zieht sich ganz schön lange hin, nicht?« Mit dem Drehen des Lenkrads schwenkte auch Doreens Kopf wie von einem Gummiseil gezogen, wieder nach rechts.

»So ist das.« In Norberts Brust machte das Herz einen Stolperschritt und fing sich wieder, während er versuchte, die Hausnummern zu erkennen.

»Da vorn. Übernächster Eingang.« Seine Kollegin klang kurzatmig.

»Ist gut.« Der Kadett fuhr jetzt nur noch Schritttempo, bremste und rollte in eine Parklücke.

»Da wären wir.« Doreen riss an der Klinke, gab der Beifahrertür einen Stoß und schwang beide Beine gleichzeitig hinaus. Norbert blieb noch einen winzigen Moment lang sitzen und folgte ihr dann. »Ich nehme gleich den Spurensicherungskoffer mit.« Er ging um das Auto herum und öffnete den Kofferraum.

»Hallo Doreen! Guten Tag, Herr Löwe!« Paul Freiberger klang aufgeräumt. »Kommt rein!« Er gab Norbert die Hand. Sein Händedruck war fest, die Handfläche trocken. Es schien ihm nichts auszumachen. Machte dem Typ überhaupt jemals etwas zu schaffen?

Der Detektiv und seine Kollegin folgten dem hochgewachsenen Mann durch den Flur ins Wohnzimmer.

»Nehmt Platz, bitte.« Der ausgestreckte Arm wies in Richtung Sofa. Norbert ließ sich nieder und spürte, wie sein Hinterteil in den weichen Polstern versank. Doreen zog es vor, auf einem Sessel zu sitzen. Paul Freiberger zog einen würfelförmigen Sitz unter der Tischplatte hervor und hockte sich darauf. Jetzt bildeten sie ein klassisches Dreieck, Paul und Norbert saßen sich frontal gegenüber, Doreen im 60-Grad-Winkel zu ihnen. Hieß die frontale Sitzposition Konfrontation? ›Konfrontation‹ enthielt ›Front‹. Irgendwie würde das schon seine Bedeutung haben.

»Wie geht denn das jetzt weiter?« Der Journalist lächelte und beugte sich, die Ellenbogen auf den Knien, nach vorn.

»Wir müssen uns den Keller ansehen.«

»Den Keller, na klar. Wollen wir gleich ...?« Noch im Sprechen erhob sich Paul Freiberger und blieb neben dem Couchtisch stehen.

»Moment noch. Zuerst ein bisschen Papierkram.« Bei diesen Worten ihres Kollegen erwachte Doreen aus ihrer Erstarrung und wühlte in ihrer Handtasche nach einem Stift. Wie eine brave Sekretärin nahm sie dann von Norbert ein Klemmbrett mit Vordrucken entgegen und hielt es wie einen Schild vor sich, noch immer beharrlich darum bemüht, Pauls Blicken auszuweichen.

»Papierkram?« Der Journalist nahm wieder Platz und betrachtete die abgeschabte Rückseite des Klemmbretts.

»Ein sogenannter ›Delikterfassungsbogen‹. Das hätten wir eigentlich schon gestern im Büro aufnehmen sollen.«

»Was es alles gibt.« Paul Freiberger schüttelte den Kopf.

»Es gibt auch noch Personalerfassungsbögen.« Norberts Grinsen verschwand sofort wieder, als ihm einfiel, mit wem er hier so charmant plauderte. Das war nicht irgendein netter Klient, sondern Doreens Exlover. »Machen wir uns an die Arbeit.« Nacheinander besprachen sie die geforderten Fakten und Doreen trug alles in das Formular ein.

»Haben Sie noch Gebrauchsanweisungen oder Fotos von den verschwundenen Sachen?«

»Da müsste ich in Ruhe nachsehen.« Paul Freiberger lächelte entschuldigend. Mit den kleinen Grübchen, die sich dabei bildeten, sah er aus wie der Herzensbrecher der Nation. Der Säureball in Norberts Bauch blähte sich auf und verbrannte die Magenwände.

»Falls ich etwas Derartiges finde – reicht das, wenn ich es morgen vorbeibringe?«

»Ja. Sie können es uns in den Briefkasten stecken.«

»Gut. Ich werde nachher meine Schubladen durchwühlen.« Noch einmal erschienen die Grübchen.

»Dann wollen wir uns mal den Keller vornehmen.«

Im Keller herrschte trotz der Beleuchtung Dämmerung. Es roch nach feuchtem Putz und Kartoffelschalen.

»Hier entlang.« Pauls Stimme klang durch den Hall noch sonorer. »Da links, das ist meiner.«

Norbert machte zwei Schritte nach vorn, stellte sich neben Paul Freiberger und betrachtete die Holzlatten. »Nicht besonders einbruchssicher.«

»Da haben Sie recht. Aber normalerweise ist die Zwischentür zum Treppenhaus verschlossen.«

»Das Vorhängeschloss war unbeschädigt, sagten Sie?«

»Für mich sah es so aus und die Polizei hat auch nichts gefunden. Aber das hat, glaube ich, nichts zu bedeuten. So ein billiges Ding kann man wahrscheinlich schon mit einem gebogenen Draht aufmachen.«

»Das stimmt. Sagen Sie mir, hat es Sinn, hier-«, Norbert richtete den Zeigefinger auf das Vorhängeschloss, »an der Tür und im Keller Fingerabdrücke zu sichern?«

»Ob es Sinn hat? Müssten nicht Sie das entscheiden?«

»Nun, ich habe mich wohl unklar ausgedrückt. Wenn bei Ihnen viele Besucher ein- und ausgehen, Freunde oder Verwandte Ihren Keller mitbenutzen, die Zahl der möglichen Personen und damit der verschiedenen Fingerabdrücke hoch ist, bringt es nichts, diesbezügliche Spuren sicherzustellen. «

»Ach so. Tja. Eigentlich geht hier niemand außer mir ein und aus.«

»Dann versuchen wir unser Glück.« Norbert hatte sich schon hingehockt und ließ die Schlösser des Koffers mit einem metallischen Klacken aufschnappen. »Ich nehme zuerst Abdrücke vom Schloss und dann vom Türrahmen. Das Holz wird nicht viel bringen.« Er erhob sich mit einem kleinen Ächzen wieder und schraubte die Glasdose mit dem grauschwarzen Pulver auf. »Ist das eine Finsternis! Doreen leuchte mir bitte mal.«

Paul Freiberger trat nach hinten und streifte dabei mit seinem Oberarm Doreens Brust. Sie atmete scharf ein, knickte wie ein Klappmesser nach vorn, tastete nach der Taschenlampe, richtete sich auf, drückte den Schalter und zielte in Richtung Kellertür.

»Hoppla. Pass auf, dass du nicht hinfällst.« Der Lichtstrahl zitterte ganz leicht, aber Norbert schien es nicht zu bemerken. »Zum Vergleich bräuchten wir Ihre Abdrücke dann natürlich auch.« Er bewegte den buschigen Pinsel mit gleichmäßigen Drehbewegungen über das Messing. »Das machen wir aber oben.«

»Das ist alles?« Paul Freiberger ließ seinen Blick über den Couchtisch schweifen. Norbert nickte und nestelte den Bogen mit den Fingerabdrücken des Journalisten in die Hülle. »Für heute ja. Obwohl ...« Er hielt kurz inne. »Sie vermuten doch, dass es jemand aus dem Haus gewesen sein könnte? Sehen Sie eine Möglichkeit, unauffällig an Fingerabdrücke von diesen Leuten ranzukommen?«

»Zum Vergleich? Keine schlechte Idee.« Die Grübchen erschienen und Norbert blickte schnell zu Doreen, die jedoch davon nichts mitbekam, weil sie das Muster auf ihrem Wasserglas studierte.

»Ich denke darüber nach.«

»Gut. Darf ich schnell noch mal auf Ihre Toilette gehen?« Norbert hievte sich vom Sofa hoch.

»Aber klar doch! Die rechte Tür.«

Norbert verschwand im Bad, während Paul und Doreen im Flur stehen blieben.

»Morgen Abend hole ich dich um neunzehn Uhr bei dir zu Hause ab.« Paul Freiberger sprach mit gedämpfter Stimme, während er den Zeigefinger unter Doreens Kinn legte, es leicht anhob und sie so zwang, ihn anzusehen.

»Das wirst du nicht tun.«

»Wir gehen schön essen und reden über alte Zeiten. Oder möchtest du gern ins Kino?« Er redete einfach weiter, als habe sie ihm keine Antwort gegeben. Die Fingerspitzen glitten vom Kinn nach unten.

Im Bad rauschte die Spülung.

»Nichts von alledem! Lass mich in Ruhe, Paul!« Man konnte Doreen die Anstrengung anhören, leise zu reden.

»Punkt sieben werde ich bei dir klingeln.« Die Hand fiel von ihrem Hals ab.

»Ich werde nicht da sein. Vergiss es!« Doreen drehte sich um und hantierte mit fahrigen Fingern an den Knöpfen ihrer Jacke.

»So, kann losgehen.« Norbert schloss die Badtür hinter sich. Seine Kollegin stand, den Kopf halb abgewandt, in der Tür, der Journalist sah in seine Richtung. »Vergessen Sie nicht, uns die Gebrauchsanweisungen für die gestohlenen Sachen zukommen zu lassen!« Die beiden Männer reichten sich die Hand. Doreen war schon ins Treppenhaus vorangegangen. Hatte sie sich gar nicht verabschiedet? Norbert folgte ihr, dachte dabei darüber nach, dass der Besuch in Paul Freibergers Wohnung sie wahrscheinlich mehr mitgenommen hatte, als sie zugeben wollte und beschloss, den Namen des Journalisten in den nächsten Stunden nicht mehr zu erwähnen.

Rachegöttin

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