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»Herr Bergmann wird zufrieden sein.« Norbert lochte die letzten beiden Seiten und heftete sie in dem erbsengrünen Ordner ab. »Alles fein säuberlich dokumentiert.« Zum Abschluss blätterte er den Hefter noch einmal von vorn nach hinten durch und nickte bei den Fotos. »Schon das hier ist mehr als eindeutig.«

Doreen kam um den Schreibtisch herum und schaute über seine Schulter auf die eingeklebten Bilder. Drei Männer vor einem weißen Kastenwagen. Neben ihnen, auf dem grauen Beton des Parkplatzes, standen mehrere übereinandergestapelte Kartons. Einer der Männer trug eine Schiebermütze. Und genau das hatten sie auch getan – Waren verschoben. Herr Bergmann war der Chef der drei.

»Was glaubst du, wird er mit ihnen machen?« Doreen kehrte zu ihrer Schreibtischseite zurück, schielte auf die Uhr und nahm Platz. Halb drei. In ihrem Kopf pochte es.

»Sie entlassen, hoffe ich. Es herrscht kein Mangel an Arbeitskräften in der Branche.« Norbert schlug den Deckel zu und legte den Ordner beiseite. Dann stand er auf und ging in Richtung Waschbecken. »Kaffee?«

»Nein, danke. Der kommt mir schon zu den Ohren raus. Lieber ein Wasser.«

Norbert näherte den Kopf dem Wandspiegel bis auf wenige Zentimeter und musterte die vielen feinen Fältchen. Sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines Hundes am Grab seines Herrchens.

Vielleicht hatte Herr Freiberger Appetit auf Kaffee. Das würde ihnen sicher helfen, die erste Verlegenheit zu überwinden. Und Norbert konnte hin- und hereilen, beschäftigt tun und Doreen und ihren Ex dabei unauffällig beobachten. In seinem Rücken raschelten Papiere.

Norbert starrte noch einen Moment lang auf das Waschbecken, drehte sich dann um und schlurfte zu seiner Tischseite zurück.

»Ich werde mal die restlichen Unterlagen einheften.« Doreen erhob sich im gleichen Augenblick, in dem Norbert sich mit einem kleinen Ächzen niederließ. Auf dem Weg zum Wandregal verdrehte sie die Augen nach oben. Das Ganze glich einer Scharade: Sie setzte sich, er stand auf. Er nahm Platz, sie erhob sich.

Anscheinend war es ihnen heute nicht möglich, sich wie sonst gegenüberzusitzen. Doreen zog den Ordner mit der Aufschrift ›Rechnungen‹ heraus, drehte sich um, ging zu den Front an Front stehenden Schreibtischen zurück und schob ihren Drehstuhl zurecht. Würde Norbert sich erheben? Norbert blieb sitzen. Seine Augen waren stur auf den Bildschirm gerichtet, aber er schien ihren Blick zu spüren. »Mir ist noch was eingefallen.«

»Was denn?«

»Ich wollte mich informieren, wie die Web-Seiten der anderen Detekteien so aussehen.«

»Aha.« Doreen begann, Rechnungen nach dem Eingangsdatum zu sortieren. Mittlerweile war es drei viertel drei. Die unsichtbare Halskrause um ihre Kehle schloss sich fester.

»Vielleicht sollten wir auch mal über einen Web-Auftritt nachdenken.«

»Muss man dazu nicht erst einmal überhaupt eine Web-Adresse haben? Und kostet nicht schon das Geld?«

»Doro, du hast mehr Ahnung, als du immer zugibst. In Wirklichkeit bist du ein wahrer Internetfreak und hast dich die ganze Zeit verstellt.« Jetzt schaute er kurz hoch und grinste sie an, aber gleich darauf fielen seine Mundwinkel wieder nach unten und sein Gesicht nahm erneut den Ausdruck eines trauernden Bernhardiners an.

»Schön wärs. Ich habe das mal irgendwo aufgeschnappt.« Auch Doreen senkte den Blick sofort wieder auf die vor ihr liegenden Rechnungen. In ihrer Speiseröhre schien ein riesiger, trockener Mehlkloß festzustecken.

In dem kleinen Kästchen rechts unten auf dem Bildschirm wechselten die Zahlen gerade von vierzehn Uhr fünfzig zu vierzehn Uhr einundfünfzig.

Norbert schielte aus den Augenwinkeln zu Doreens über die Akten gebeugtem Kopf, dann rief er die Suchseite von ›Google‹ auf, gab den Namen ›Paul Freiberger‹ in Anführungszeichen ein und hämmerte den Mittelfinger auf die Entertaste. Die Suchmaschine lieferte mehrere Hundert Ergebnisseiten. Hastig überflogen seine Augen die kurzen Texte. Reisereportagen, Veröffentlichungen in Zeitschriften und Journalen, Kurzberichte.

Zitternd fuhr der Mouse-Zeiger nach oben, deutete auf das Wort ›Bilder‹ und verwandelte sich dabei in eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. Norbert drückte auf die linke Maustaste und eine Reihe kleiner Fotos erschien auf dem Bildschirm.

Auf den meisten waren Landschaften, Stadtansichten oder bekannte Sehenswürdigkeiten zu sehen. Auf einigen wenigen der briefmarkengroßen Bildchen befand sich ein groß gewachsener Mann mit markanten Gesichtszügen. Schnell klickte Norbert auf eins der Porträts und überflog die Quellenangabe, bevor seine Augen sich zusammenzogen und über die hagere Gestalt von Paul Freiberger glitten.

14:56 Uhr. Noch einmal musterte der Detektiv das Foto des Journalisten. Fast gutaussehend. Und er war groß und schlank. Wahrscheinlich mochte Doreen lieber große Männer. Einen Bart hatte der Typ auch nicht und er war höchstens vierzig. Norbert schnaufte mit vorgeschobener Unterlippe, schloss das Google-Fenster und senkte den Kopf, um seinen – deutlich kleiner gewordenen – Bauch zu betrachten. Nicht klein genug. Im gleichen Moment schrillte die Klingel und er sah, wie Doreen zusammenschrak. Auf ihren beiden Wangen breitete sich ein rosa Fleck wie eine sich öffnende Blüte nach außen aus.

»Hallo! Hier ist Paul Freiberger. Macht ihr mir bitte auf?« Die Stimme aus der Wechselsprechanlage klang gelassen. Norbert ließ seine Hand auf dem Türöffner liegen. Macht ihr mir auf? Seit wann duzten sich der Typ und er? Vor seinem inneren Auge eilte der Journalist die Treppe nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Und oben angekommen würde er sicher nicht einmal schneller atmen, geschweige denn asthmatisch keuchen, so wie manch anderer Mann.

Die Türklinke war kalt. Norbert klammerte die Finger um den Griff und öffnete dann mit einem Ruck. Der Mann im Tweedjackett war mindestens einen Kopf größer als er. Er stand im Halbdunkel des Flurs und grinste dabei leicht.

»Guten Tag. Eure Klingel hier oben geht nicht.« Paul Freiberger zeigte auf das runde Knöpfchen neben der Tür.

»Geht nicht? Aber ...« Norbert schob sich an dem Mann vorbei, streckte den Zeigefinger nach dem Knopf aus und schalt sich einen alten Narren, weil statt eloquenter Sätze nur Wiederholungen aus seinem Mund kamen. »Na, so was. Aber kommen Sie erst mal rein.« Er setzte noch ein ›Bitte‹ hinzu und ging voran.

Doreen hatte sich inzwischen erhoben und kam nun auf die beiden Männer zu. Das Rosa auf ihren Wangen hatte sich in Erdbeerrot verwandelt. Es wirkte mädchenhaft und gleichzeitig sehr attraktiv. Ein Hauch ihres Parfüms streifte ihren Kollegen, als sie an ihm vorüber zu dem Mann im Tweedjackett stakte. »Hallo Paul. Du bist ganz pünktlich.«

Das ›Du‹ verursachte ein scharfes Kneifen in Norberts Brust. »Bitte nehmen Sie Platz. Möchten Sie Kaffee?« Er würde den Mann unter gar keinen Umständen duzen.

»Gern.« Doreen und Paul setzten sich schräg gegenüber an das runde Tischchen, während Norbert seinen Plan in die Tat umsetzte und beschäftigt hin- und herwieselte.

Die beiden gaben äußerlich ein schönes Paar ab. Zwei große, schlanke, gutaussehende Menschen. Einfach fabelhaft. Norbert hatte Doreens – er überlegte kurz und entschied sich dann für ›Ex‹ – Doreens Ex bisher immer nur aus der Ferne gesehen.

Hinter seinem Rücken lachte Doreen leise und Norbert bemerkte, dass er nicht registriert hatte, ob sich die beiden unterhielten. Er steckte Zeige-, Mittel- und Ringfinger durch jeweils einen Tassenhenkel, machte eine abrupte Drehung, brachte das Geschirr zum Tisch, baute alles fein säuberlich auf, nahm dann Platz und goss ein. Doreen hielt ihre Handfläche über die Tasse und schüttelte den Kopf.

»Also gut. Dann wollen wir mal zum Geschäftlichen kommen.« Norbert drehte sich zu seinem Schreibtisch und angelte nach Stift und Papier. In seinen Eingeweiden rumorte es und im Hals ätzte Magensäure nach oben. Er betete, dass es nicht noch anfing, in seinem Bauch zu gluckern. Bei zwei hartgekochten Eiern eher unwahrscheinlich, aber sein Körper spielte ihm manchmal seltsame Streiche. »Was können wir denn für Sie tun?«

Rachegöttin

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