Читать книгу Rachegöttin - Claudia Puhlfürst - Страница 13

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»Pendel –

Das Ausrenken der Schultern durch Hochziehen der auf den Rücken gebundenen Arme gehört zu den grundlegenden Grausamkeiten der Folter und war jahrhundertelang gebräuchlich. [...]

Weder komplizierte Ausrüstung noch zeitraubende Ausbildung eines Folterknechts waren notwendig. [...] «

Nemesis lächelte ihr Mona-Lisa-Lächeln. Keine komplizierte Ausrüstung. Keine zeitraubende Ausbildung. Sehr gut. Beim Weiterlesen materialisierte sich vor ihrem Auge ein mittelalterlicher Holzstich. Die gefesselten Handgelenke des Opfers waren durch ein Seil weit nach oben gezogen. An den Füßen hingen Gewichte. Vor Schmerz hatte der Delinquent die Augen so verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Seine Gesichtszüge glichen denen Thoralf Pfanns.

»[...] Schulter, Schulterblatt und Schlüsselbein brachen so aus den Gelenken, eine Verletzung, die im günstigsten Fall zu bleibenden Verformungen von Brust und Rücken führte. Wurden die Gewichte jedoch verstärkt, konnte das Knochengerüst des Körpers so sehr auseinandergezogen werden, daß der gefolterte Mensch entweder gelähmt war oder starb.«

»Ist das nicht hübsch?« Die Frau zog eine Haftnotiz vom Block und klebte das kleine Zettelchen an den Rand der Seite. Hellgelb leuchtete es über dem Wort ›Pendek »Eine bemerkenswerte Methode, jemanden zu bestrafen.«

Irgendwo in ihrem Kopf rumorte die Erinnerung an ein Buch mit Folterwerkzeugen. Wo hatte sie die Abbildung eines Delinquenten mit auf den Rücken gebundenen Händen schon einmal gesehen?

Die Pendel-Methode war jedoch noch nicht alles, was unter ›P‹ stand. Vielleicht fände sich noch eine bessere Strafe für TP. Die Frau senkte den Kopf über das Lexikon und las weiter.

»Pest –

Die schwere Infektionskrankheit [...]«

Diesen Abschnitt konnte man überlesen. Eine ansteckende Krankheit würde zwar keinen Verdacht auf einen Mord hervorrufen, war jedoch für einen Laien wie Frau Pfanns nicht praktikabel. Sie blätterte um.

»Pfählen –

[...] Für diese verbreitete Folter- und Exekutionsmethode benutzte man einen Holz oder Eisenpfahl, auf den das Opfer mit weitgespreizten Beinen gesetzt wurde. Der Pfahl sollte nur mäßig zugespitzt, fast abgestumpft sein, um bei seinem Eindringen in den Leib keine lebenswichtigen Organe zu verletzen. [...] der Pfahl durchbohrte das Opfer dann vom vorher eingeölten After her und trat mit der Zeit aus der Schulter, aus der Brust oder aus dem Bauch wieder heraus. [...] Kindsmord, Notzucht, Hexerei und Zauberei waren die Delikte, die man durch Pfählen bestrafte. [...]«

Notzucht ... wenn das kein Zeichen war. Die Frau schob ihren Unterkiefer nach vorn. Diese Art der Bestrafung gefiel ihr fast noch besser als das Pendel. Das Scheusal hatte jahrelang sie mit seinem ›Pfahl‹ durchbohrt und gemartert und nun würde er erleben, wie es war, von ihr durchbohrt zu werden. Das war eine nette Umkehrung.

Schnell huschten die Finger über die Tasten und trugen bei Thoralf Pfanns in die Spalte ›Bestrafung‹ die Worte ›Pendel‹ und ›Pfählen‹ ein. Sie konnte später entscheiden, welche Methode für den Dreckskerl am geeignetsten war. Vielleicht gab es noch andere schöne Strafen mit ›P‹.

Sich vergewissernd, glitten die Augen der Frau über die Tabelle auf dem Bildschirm. Es gab derzeit in ihrer Liste nur einen Vertreter, dessen Nachnamen mit ›P‹ begann. Zärtlich strich ihre Handfläche über das Papier.

»Pfeil –

Als Fernschußwaffe [ . . . ] bestanden Pfeile [. . . ] und riefen durch Widerhaken oder Gift an den Spitzen oft tödliche Verletzungen hervor.«

Nicht verwendbar. Christine Pfanns konnte leider nicht Bogenschießen. Sie blätterte um.

»Plötzlicher Herztod von Athleten –

[...] prägten Mediziner den Fachbegriff ›sudden cardiac death of athlets‹ [...] wird als eine mögliche Spätfolge der Einnahme anaboler Steroide angesehen, [...]«

O.K. Dies fiel auch aus. Die nächsten drei Todesarten waren ›Pneumonie‹, ›Pocken‹ und ›Prager Fenstersturz‹. Sie schob den Daumen zwischen die Seiten, klappte das

Buch zu und betrachtete die Vorderseite. Katja Doubek. ›Das Lexikon merkwürdiger Todesarten‹ war von einer Frau geschrieben worden. Einer sehr gründlichen Frau. Auf der hinteren inneren Umschlagklappe lächelte eine dunkelhaarige Schönheit.

»Nun gut, Katja Doubek. Du hast fleißig recherchiert. Leider nützen mir Infektionskrankheiten und medizinische Ausnahmefälle nicht viel.« Nemesis blinzelte ihrer Schwester zu. Es schien, als zwinkere die Frau auf dem Foto zurück. »Aber es sind ja auch genügend andere Beispiele aufgeführt.« Sie klappte das Buch wieder bei ›P‹ auseinander. Der letzte Eintrag hieß ›Prügel‹ und berichtete über einen Untersuchungshäftling, der 1964 in einer Zelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses tot aufgefunden worden war. Die Aufseher hatten ihn sechs Tage lang mit Knüppeln ›beruhigt‹.

›Mit Knüppeln beruhigte‹. Christine Pfanns schnaubte. Das war lustig. Eine schöne Methode für einen vor Testosteron strotzenden Rächer, jeden beliebigen Mann zum Beispiel. Sie aber verabscheute rohe Gewalt. Eigentlich. Sie legte das Buch zur Seite und starrte auf den Bildschirm.

Ganz Zwickau war zur Zeit wegen des Gerichtsverfahrens gegen Mario Lenk in Aufruhr. Der psychopathische Kinderschänder hatte ein 6-Jähriges Mädchen entführt, missbraucht, verstümmelt und die Leiche in einem Waldstück bei Dänkritz verscharrt. Der Gerichtspathologe hatte angeblich gesagt, ihm sei noch nie eine solch übel zugerichtete Kinderleiche begegnet. Mario Lenk saß in Zwickau in Untersuchungshaft.

Vielleicht sollte Nemesis ein gutes Werk tun und den Gefängnisaufsehern die Seite über den Hamburger Häftling zukommen lassen. Das würde diese möglicherweise auf den richtigen Weg führen. Auch ein perverser Kinderschänder konnte gewiss ein wenig ›mit Knüppeln beruhigt‹ werden.

Christine Pfanns grinste kurz und verwarf den Gedanken dann. Sie hatte ihre eigenen Probleme zu meistern und wollte in diesem Fall nicht die Rächerin für andere sein. Zumal der Erfolg einer solchen Aktion fraglich war.

Es wurde Zeit, wieder zu ihren Belangen zurückzukehren. Sie überflog die Liste. Der Name ihres Exmannes weckte keinerlei Emotionen mehr. Mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln betrachtete die Frau die Buchstaben. Die Strafe für das Scheusal stand fest, aber er würde natürlich nicht als Erster an die Reihe kommen. Die Bestrafungen sollten sich von Fall zu Fall steigern. Zuerst die minder schweren Fälle, dann die wahren Verbrecher.

Vor ›TP‹ würde sich die Rachegöttin erst einmal um Nummer eins bis fünf kümmern.

Gedankenverloren kratzte sich die Frau, den Blick auf die Namensliste gerichtet, hinter dem Ohr. Ihre Augen irrlichterten zwischen Spalte eins und zwei hin und her. Die Nummerierung musste nicht zwingend der Reihenfolge der Bestrafung entsprechen. Sowohl ihre verblödete Nachbarin aus dem dritten Stock als auch die überhebliche Tussi aus dem Arbeitsamt hatten eine kleine Racheaktion redlich verdient.

Vielleicht konnte Nemesis ihre Schäfchen auch parallel behandeln. Wer legte denn fest, dass alles sukzessive erfolgen musste?

Christine Pfanns markierte die Buchstaben in Spalte zwei und drei.

Für ihre nervtötende Nachbarin wäre irgendein Gift nett. Nicht gleich der schleichende Tod, sondern etwas, das jeder für eine seltene Krankheit hielt. Es müsste demnach ein Mittel sein, das kein durchschnittlicher Hausarzt als solches erkennen würde. Eine Substanz mit diffusen Wirkungen.

Obwohl – wenn es keinerlei Spuren gab, die zu Christine Pfanns führten, konnten die Symptome auch ruhig auf eine Vergiftung hindeuten. Sie musste nur vorsichtig genug zu Werke gehen. Vielleicht verdächtigte man in diesem Fall ein Familienmitglied. Das gäbe dem Spiel eine zusätzliche pikante Note. Genießerisch glitten die Augen über den Namen der Nachbarin: Gerlind Erbstedt. ›G‹ und ›E‹.

Die Frau legte den Kopf in den Nacken und schaute kurz nach oben. Zuerst eine Strafe für Frau Erbstedt. Und dann für die dumme Kuh aus dem Arbeitsamt.

»Also, los. Schau nach bei Doubek.« Die Rachebibel wartete auf ihre geschätzte Leserin. Sie blätterte nach vorn zum Buchstaben ›E‹. E wie Erbstedt.

»E 605 –

Hinter dem Kürzel E 605 verbirgt sich eine organische Phosphorverbindung mit der chemischen Bezeichnung 0, O-Diethyl-0-(p-nitrophenyl)-thionophosphat. [...]

Das Präparat erhielt den Namen E 605 und ging nicht nur als Pflanzenschutzmittel in die Geschichte ein.«

Christine Pfanns legte die linke Handfläche auf die Buchseiten und entspannte ihre Schulter- und Nackenmuskulatur. Gleich die erste aufgeführte Möglichkeit, zu Tode zu kommen, schien außerordentlich passend. Ein Pflanzenschutzmittel. Das gab es doch sicher in jedem Gartencenter zu kaufen. Sie beugte sich wieder nach vorn, ließ die Hand weiter nach links rutschen und las weiter.

»Am Nachmittag des 15. Februar 1954 nahm die 30jährige Anni Hamann einen likörgefüllten Schokoladenpilz aus dem Kühlschrank. Beim Hineinbeißen bemerkte sie einen bitteren Geschmack, befolgte den Rat ihrer 75jährigen Mutter, die Süßigkeit auszuspucken, jedoch nicht. Wenig später wurde es Anni schwindlig, sie taumelte und brach tot zusammen.«

Die winzige Menge dieses Pflanzenschutzmittels E 605 in einer gefüllten Praline reichte also aus, um einen Menschen umzubringen. Das war viel besser, als sie gedacht hatte. Und dass gleich die erste Todesart in der Rachebibel so vollkommen passte, war ein weiteres Zeichen, dass Nemesis auf dem richtigen Weg war.

Daraus ergaben sich weitere Aufgaben. Die Frau griff nach dem gelben Haftnotizblock, riss ein Zettelchen ab und klebte es an den Rand der Seite. Auf das nächstfolgende Blatt schrieb sie mit kleinen, nach links geneigten Druckbuchstaben: Baumarkt/Pflanzenschutzmittel. Zurückgelehnt musterte die Rachegöttin ihr Spiegelgesicht. Sie sah glücklich aus.

Natürlich würde die gute Frau Erbstedt nicht gleich morgen eine Schachtel Likörpralinen in ihrem Briefkasten finden. Zuerst musste sich ihr unbekannter Verehrer erst einmal bemerkbar machen. Mit einem Kärtchen beispielsweise. Dann konnte man ihr Blumen überbringen lassen. Schließlich folgte teures Konfekt. Teuer war besser, weil der Beschenkte dann zögern würde, das Ganze als dummen Scherz abzutun.

Nemesis rollte die Mundwinkel ein wenig nach oben. Der Plan musste noch ein wenig überdacht und präzisiert werden, aber er war gut.

Der Form halber beschloss sie, auch die restlichen merkwürdigen Todesarten mit ›E‹ zu lesen. Vielleicht gab es noch andere nette Vorschläge, die sich leicht realisieren ließen.

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