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»Das ist ja widerlich.« Norbert bugsierte den nassen Stockschirm zwischen den Sitzen hindurch nach hinten in den Fußraum vor der Rückbank. Ein eisiger Tropfen fiel von seinem Haar in den Nacken und rollte unter dem Kragen in Richtung Rücken.

Er drehte den Zündschlüssel, horchte auf das mürrische Rattern des Motors und schaltete das Heizungsgebläse auf die Frontscheibe um. Während der weiße Atemdampf sich von unten nach oben verflüchtigte, erschien ein mit gehackten Kräutern bestreutes, scharf gebratenes Rumpsteak vor Norberts Augen. Er drückte den Einschaltknopf des Radios, schluckte und fuhr los.

Der Kadett fuhr die Leipziger Straße hinab. Kurz vor dem Neumarkt versuchte Norbert zu erkennen, ob die Fenster des Restaurants ›Pinocchio‹ erleuchtet waren. Er konnte sich nie merken, wann die von ihnen bevorzugten Gaststätten geschlossen hatten. Es schien Licht zu brennen. An der Ecke zur Moritzstraße befand sich außerdem noch ein weiterer Italiener. Er lächelte und wechselte von Radio PSR zu MDR-Info, um die Neunzehn-Uhr-Nachrichten zu hören.

Da die Römerstraße eine Einbahnstraße war, musste man; um in die Bosestraße zu gelangen, durch die Kreisigstraße fahren. Für einen auswärtigen Autofahrer war Zwickau ein undurchschaubares Labyrinth. Der Detektiv schlug das Lenkrad ein, um einen Bogen zu fahren und so auf der anderen Straßenseite parken zu können.

Der rechte Hinterreifen schabte am Bordstein entlang. Norbert schaltete das Licht aus und zog den Zündschlüssel ab. Die Stimme des Nachrichtensprechers erlosch mitten im Satz, noch bevor er die Wetteraussichten verkünden konnte.

Drei Hauseingänge weiter vorn ging ein Hauslicht an. Dann öffnete sich die Tür. Ein brauner Schirm wurde wie ein riesiger Pilz hinausgereckt.

Norbert spürte nicht, wie sein Rücken sich straffte. Mit nach vorn gerecktem Unterkiefer und zusammengekniffenen Augen versuchte er zu erkennen, wer da aus Doreens Eingang kam. Automatisch drückten seine Finger den Scheibenwischerhebel nach unten, aber die Wischerblätter blieben wie tot am unteren Rand der Scheibe liegen. Fieberhaft nestelte er nach dem Zündschlüssel. Zwei Personen fanden sich unter dem Pilzhut zusammen, eine sehr groß, die andere etwas kleiner. Regenfäden zerschnitten das Bild. Von unten herauf legte sich ein feiner Nebel auf die Frontscheibe. In der Jackentasche war der Zündschlüssel nicht. Der milchige Film wuchs mit jedem stoßweisen Atemzug. »Verfluchte ... Mach schon ... mach schon!« Es klang gehetzt.

Die beiden Gestalten wurden kleiner. Bei jedem ihrer Schritte wippte der Schirm. »Wo ist das verfluchte Scheißding ...« Norbert Löwe konnte seinen Blick nicht von dem davoneilenden Pärchen abwenden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er, ohne zu zwinkern, nach vorn. Jetzt überquerten die zwei die Straße und gingen weiter in Richtung Poetenweg. Seine rechte Hand fand den Autoschlüssel auf dem Beifahrersitz, schob sich darüber und blieb wie tot liegen.

Norbert versuchte, die Schlieren vor seinen Augen wegzublinzeln. Die feinen Metallzähnchen des Zündschlüssels bissen in seine Handfläche. Es war nicht nötig, die Scheibe glatt zu wischen. Den Gang der Frau würde er aus dem Weltall wiedererkennen.

Jetzt schloss Norbert Löwe die Augen. Der eiserne Ring um seine Kehle schien enger zu werden. Er versuchte, zu schlucken. Wo wollten die beiden hin? Schnell klappten die Lider wieder nach oben. Die Frontscheibe war zu Milchglas geworden.

Hastig rammte der Detektiv den Schlüssel ins Schloss, ließ den Motor an, beobachtete, wie die Scheibenwischer den Wasserwall zur Seite fegten und rieb gleichzeitig mit einem Tempotaschentuch aus der Hosentasche ein Guckloch in den feuchten Kondensnebel auf der Glasinnenseite.

Weiter vorn bogen die beiden Menschen links um die Ecke.

Immer wieder zwinkernd, manövrierte Norbert sein Auto aus der Parklücke und versuchte dabei, mit eingezogenem Hals durch den unteren, klaren Teil der Scheibe zu spähen. Die Reifen quietschten auf den Schienen der Straßenbahn. Der Kadett preschte bis zum Poetenweg vor, bremste scharf und hielt neben den wartenden Taxis.

Die beiden Personen unter dem großen braunen Schirm standen vor der Weinhandlung. Dann machten sie gemeinsam eine halbe Drehung und jetzt konnte Norbert zum ersten Mal die weißen Flächen ihrer Gesichter sehen. Die Frau schien zu lachen. Dann klappte der Mann den Schirm zu und beide betraten das Kino.

Norbert schloss die Augen und legte die Stirn auf das Lenkrad. Habe ich dich nicht heute Nachmittag erst gefragt, ob wir uns mal wieder einen Film anschauen wollen, Schneewittchen? Und was hast du mir geantwortet? ›Das können wir machen.‹ Wie nett unverbindlich! Und am selben Abend gehst du mit Paul Freiberger ins Astoria? Das ist nicht fair.

Ein Klopfen an der Seitenscheibe ließ Norberts Kopf hochschnellen. »Hallo!« Wieder klopfte es. »Sie können hier nicht parken!« Müde leierte Norbert das Fenster einen Spalt herunter. Der Mann neben dem Auto war unrasiert.

»Ich parke nicht. Ich halte nur.« Lass mich doch in Ruhe, Blödmann.

»Das ist hier nur für Taxis!«

»Ist ja gut!«

»Nichts ist gut! Jeder Heini denkt, er könne es sich hier gemütlich machen ...« Der Unrasierte schlurfte zu seinem eierschalenfarbenen Audi zurück. Norbert schluckte eine scharfe Erwiderung hinunter, fuhr ein paar Meter rückwärts, wendete dann, bog in die Bosestraße ab, hielt wenige Meter weiter vor einer Einfahrt und löste den Gurt.

Die Vorstellung begann um halb acht. Mit Vorprogramm dauerte der Film sicher zwei Stunden. Halb zehn. Das war noch nicht zu spät. Wohin würden die beiden Turteltäubchen sich anschließend begeben? Man konnte noch irgendwo etwas essen gehen. Oder nach Hause. Oder sonstwohin. Die Wischerblätter schlugen den Takt zu Norberts Gedanken. Ihn fröstelte.

Hier konnte er nicht stehenbleiben. Doreen würde seinen alten Kadett im Vorbeigehen sofort wiedererkennen.

Fahr nach Hause, alter Mann. Trink ein paar Flaschen Bier und geh ins Bett. Was hast du davon, hier zu warten? »Genau, was habe ich davon?« Norbert legte die Hände auf die Augen. Seine Fingerspitzen waren eiskalt.

Na, mach schon. Ab in die Walther-Rathenau-Straße. Betäube deinen Kummer.

Der traurige alte Mann legte den Gurt über den Bauch und ließ das Schloss einschnappen. Dann fuhr er die Bosestraße entlang bis in die Römerstraße, bog an der Moritzstraße links ab, fuhr weiter vor bis zum Poetenweg und fädelte sich schließlich in eine Lücke zwischen zwei schwarzen Mittelklassewagen ein. Von hier aus war der Eingang des Kinos gut zu erkennen. Unscharf zwar, aber es reichte. Norbert Löwe lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. Von Zeit zu Zeit blinzelte er.

Rachegöttin

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