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Mit einem Lächeln betrachtete die Frau ihre Liste. Das sah alles sehr schön akkurat und sauber aus.

Ganz links die Ziffern. Dann die Namen der Betreffenden. Daneben folgte das Delikt; das, was die Personen auf der Liste ihr angetan hatten. Schnell huschten die Augen der Frau weiter nach rechts, damit ihr Zorn beim Lesen all dieser Verfehlungen nicht zu stark wurde.

In der nächsten Spalte war die Anschrift eingetragen. Auch für Telefonnummern und E-Mail-Adressen war ein Platz vorgesehen.

Nicht bei jeder Person war die Tabelle vollständig ausgefüllt, aber das würde sich finden. Nur nichts überstürzen, schön Schritt für Schritt. Es konnte auch durchaus sein, dass noch Namen hinzukamen. Dass jemand von der Liste wieder gestrichen wurde, schien ihr eher unwahrscheinlich. Diese hier hatten alle genug Unheil angerichtet. Es gab keinen Anlass zur Begnadigung.

Die Frau hob das Kinn und betrachtete ihr Spiegelbild. Heute fand sie sich regelrecht gutaussehend. Die gelben Strahlen der Nachmittagssonne ließen winzige goldene Lichtpünktchen in ihren Augen tanzen. Zur Feier des Tages hatte sie sich heute Morgen geschminkt. Der metallisch-grüne Lidschatten verlieh ihrer Iris eine bernsteinfarbene Tönung. Die Wangen waren leicht gerötet. Es war kein Rouge nötig gewesen, allein die Vorfreude auf die kommenden Tätigkeiten hatte ihrem Gesicht die Blässe genommen.

Sehr hübsch das Ganze. Der rosa Spiegelmund lächelte zum Abschied sanft, dann wandte die Frau sich von ihrem Ebenbild ab und neigte den Kopf wieder über das Papier.

Das Beste an der ganzen Sache waren eigentlich die letzten beiden Spalten. In beiden stand außer der Überschrift noch nichts. Die eine hieß: ›Bestrafung‹, die andere war mit ›erledigt/Datum‹ gekennzeichnet. Auf die Eintragungen hier freute sie sich am meisten. Im Verlaufe der nächsten Wochen würde sich die Liste mit Inhalten füllen.

Die Frau schaltete den Rechner ein. Jetzt musste sie das Ganze in einer Datei abspeichern. So konnte man stets etwas ändern, einfügen, verbessern. Gut geplant war halb gewonnen. Nemesis überstürzte nichts.

Der Computer summte leise, während sie die Tabelle auf dem Bildschirm betrachtete. Ihre Augen verengten sich. Dann fügte sie noch eine Spalte ein und hielt kurz inne, um über die Benennung der Kopfzeile nachzudenken. ›Schadenshöhe‹ hatte etwas von Versicherungsfall. Darum ging es hier nicht. ›Dringlichkeit‹ klang nicht schlecht, implizierte jedoch ein zeitliches Muster. Und es sollte nicht darum gehen, schnell zu arbeiten. Nach all den Jahren kam es auf ein paar Tage nicht an. Jeder von ihnen würde irgendwann an der Reihe sein.

Nicht alle Angeklagten waren jedoch gleichwertig. Manche hatten ihr weniger abscheuliche Dinge angetan als andere. Demnach würde es auch nicht für jeden die gleiche Strafe geben. Schließlich tippte sie das Wort ›Bestrafungsreihenfolge‹ in das leere Kästchen. Das genügte fürs Erste. Sie konnte über den richtigen Begriff gründlich nachdenken und ihn jederzeit ersetzen.

Die Frau klickte auf ›Speichern‹ und während die Diskette ratterte, huschte ihr Blick zum Schutzumschlag des dicken Wälzers neben der Tastatur. Einhundertfünfundneunzig ›merkwürdige Todesarten‹. Sie zwinkerte Nemesis im Spiegel zu.

Nicht jeder Angeklagte in dieser Datei würde auf ›merkwürdige‹ Art und Weise zu Tode kommen. Das Beste kam immer zuletzt. Sie würde nicht gleich mit einem Mord beginnen. Zuerst die leichten Fälle, dann konnte man sich nach und nach steigern.

Die Vorfreude erhitzte ihre Wangen. Die Frau überflog die Namen in der Tabelle. Sie würde jetzt versuchen, jedem von ihnen eine Zahl in der Chronologie der Sühne zuzuordnen. Die Nummerierung war lediglich eine Richtschnur, an der man sich entlanghangeln konnte. Vielleicht kamen ja im Lauf der Zeit sogar noch Personen hinzu. Man konnte schließlich nie wissen, was noch alles geschah.

Die Ersten in der Tabelle würde sie sich gleich vornehmen. Nächste Woche schon.

Es reichte, den niedrigen Ziffern einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Es sollte eine Strafe sein, die jene zwar empfindlich traf, nicht jedoch den Verlust ihres minderwertigen Lebens mit sich brachte. Das wäre zuviel der Ehre für ein paar unbedeutende Gestalten.

Die wirklich bösartigen Menschen konnten auf ihre Bestrafung ruhig ein wenig warten.

Noch einmal glitten die Augen der Frau von oben nach unten über die Liste. Schon der bloße Anblick mancher Namen erzeugte einen rötlichen Schleier vor ihren Augen. Wenige Sekunden später kam es dann dazu, dass es in ihrem Kopf zu pulsieren begann, was letztendlich jedes Mal hämmernde Kopfschmerzen verursachte.

Nachdem ihr Blick sich einen Moment lang am Namen einer unheilbar bösartigen Person festgebrannt hatte, nahm die Frau sich vor, von ihren ›Klienten‹ in Zukunft nur noch als Ziffern auf der Liste zu denken. Nummer eins, Nummer zwei, Nummer drei – so, als habe man Häftlinge in einer Anstalt vor sich.

Sofort lichtete sich der purpurne Nebel. Das war entschieden besser. Die Frau lehnte sich zurück, überkreuzte die Arme so, dass beide Hände in den warmen Achselhöhlen steckten, und bewunderte ihren gelassenen Gesichtsausdruck im Spiegel. Sehr gut. Rasende Wut hatte noch nie zu sinnvollen Taten geführt. Kühl und gleichmütig erreichte man sein Ziel mit Sicherheit.

Nemesis lächelte ihr marmornes Lächeln. Vielleicht konnte heute schon eine kleine Exkursion den Sonntag versüßen. Nur ein kleiner Test ihrer Künste, etwas relativ Harmloses. So wäre es auch möglich, eine ihrer Verkleidungen auszuprobieren.

Die Frage war nur – wer sollte der oder die Auserwählte sein, und welches Unglück würde über den Prototyp – quasi die Nummer null – hereinbrechen?

Es war nur eine kleine Probe aufs Exempel, ein Test von Nemesis’ Fähigkeiten disziplinierter Planung und Ausführung. Die Frau speicherte ein letztes Mal, holte die Diskette heraus und schaltete den Computer aus.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer ließ sie all die Menschen, die sich ihrem Gedächtnis eingeprägt hatten, vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Es musste jemand sein, an den sie ohne aufwendige Recherchen sonntags herankam.

Vor sich hinsummend, griff die Frau nach der graumelierten Perücke ihrer längst verstorbenen Tante, wickelte die Eulenbrille mit dem roten Gestell in den kratzigen Fleecemantel ein und verstaute das Ganze in einem Stoffbeutel. Noch etwas Schminke, und die Utensilien für die kommende Expedition waren komplett.

Schön machen konnte sie sich nachher, im Auto, an einem unbeobachteten Ort. Was sollten die Hausbewohner von ihr denken, wenn sie in ihrer Verkleidung die Treppe herunterkam?

Es war soweit. Sie schlüpfte in ihre flachen Schuhe und schob die Henkel des Beutels über ihrer Schulter zurecht.

Nemesis würde eine kleine Probe ihrer Künste abliefern. Beschwingt eilte die Frau die Stufen hinab.

Rachegöttin

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