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Die Frau fuhr die Marienthaler Straße entlang und beobachtete dabei die Tachonadel, die sich bei fünfzig einpendelte. Es gab keinen Grund zur Eile.

Kurz hinter der Einmündung der Goethestraße hatte Zwickaus Ampel-Connection eine ihrer ›Großtaten‹ vollbracht. Innerhalb von höchstens fünfhundert Metern strapazierten zahlreiche, nicht synchron geschaltete Ampeln, die Nerven der Autofahrer. Stand man bei Rot am Fritscheplatz, konnte man vier von ihnen vor sich leuchten sehen. Und hinter der Kurve warteten noch weitere auf ihre nichts ahnenden Opfer.

Es war eine Heimsuchung sondergleichen. Und eine sinnlose Verschwendung von Steuergeldern dazu. Niemand jedoch hatte es bisher vermocht, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.

Und – wie nicht anders zu erwarten – zeigte die erste dieser Ampeln Rot. Die Frau hielt an.

Im Rückspiegel näherte sich eine Straßenbahn und kam an der Haltestelle zum Stehen. Niemand stieg aus. In der Bahn saßen zwei Leute, einer vorn, einer hinten.

Die Straßenbahn fuhr los; die erste Ampel zeigte sich nachsichtig und ließ die beiden wartenden Autos weiterfahren. Im gleichen Moment wechselte die zweite Ampel von Gelb auf Rot, während die nachfolgende noch Grün anzeigte.

Die Frau atmete tief durch, tuckerte ein paar Meter vorwärts und wiederholte stumm, dass sie es heute nicht eilig habe. Es kam nicht auf ein paar Minuten an. Außerdem war es für ihr Vorhaben günstiger, abzuwarten, bis es dunkel war. Im Augenblick färbte die verschwindende Sonne den Himmel mintgrün. Ein paar durchsichtige rosagelbe Wolkenschleier verliehen dem Ganzen einen unwirklichen Anschein. Der Mercedes hinter ihr fuhr schon mit Licht.

Synchron hielten Fiesta und Mercedes an der nächsten Ampel. Die Straßenbahn entschwand um die Kurve. Straßenbahnen hatten in Zwickau immer Vorfahrt.

Es wurde Grün, und die Frau gab Gas. Vor ihr leuchteten zwei weitere grüne Kreise in der Dämmerung. Noch ehe sie sich der nächsten Einmündung genähert hatte, löste Gelb Grün ab und sie musste abrupt bremsen. Das Ganze war reine Schikane.

Sie hatte schon des Öfteren darüber nachgedacht, einen Bericht über diesen teuren Unfug an den ADAC zu schicken, es bei gründlicher Überlegung dann aber als nutzlos verworfen. Das brachte auch keine Besserung.

Irgendeiner ihrer ehemaligen Arbeitskollegen hatte einmal erzählt, wie das in Zwickau ablief. Noch ehe die Planungen über zu erneuernde Straßen im Stadtrat überhaupt richtig begonnen hatten, wartete besagte Ampel-Connection bereits mit Gutachten über die dringende Notwendigkeit von Ampeln an eben jenen Stellen auf. Niemand schien das seltsam zu finden. Und niemand kam auf die Idee, die Wirtschaftlichkeit solcher Ampelanlagen zu prüfen.

Die Gutachten besagten, dass Ampeln notwendig seien und – Abrakadabra – wurden sie genehmigt und – dreimal schwarzer Kater – war die entsprechende Firma zur Stelle und installierte die Anlagen. Andere Städte hatten ausgezeichnete Erfahrungen mit Kreisverkehren gemacht. Zwickaus Stadträte interessierte das nicht.

Vielleicht war es allmählich an der Zeit, auch über eine Bestrafung der an dieser Sauerei Beteiligten nachzudenken. Sozusagen stellvertretend für Zwickaus gestresste Autofahrer.

Auch am Paulushof überquerte niemand die Straße. Kein Auto bog von der Jacobstraße aus auf die Marienthaler Straße ab. Hämisch funkelte das rote Ampelauge.

War es nicht möglich, einige dieser Verkehrsbremsen wenigstens am Sonntag abzuschalten? Die Frau fühlte, wie altvertraute Gereiztheit in ihr nach oben brodelte, und saugte Luft bis in die feinsten Verästelungen ihrer Lunge. Zorn war kontraproduktiv. Sie fuhr weiter.

Hinter ihr scherte der Mercedes ruckartig aus und zischte an ihr vorbei. Fahr du nur mit deiner Potenzkrücke. An der nächsten Ampel wartest du dann wieder auf mich. Die Frau reckte sich und betrachtete kurz ihre konzentrierte Miene im Rückspiegel.

An der Abzweigung zum Hagebaumarkt stand der Mercedes vor der ihm spöttisch zuzwinkernden roten Ampel. Habe ich es dir nicht gesagt, mein Freund? Die Frau grinste und hielt hinter ihm.

Sanft tuschte die Dämmerung die absterbenden Blätter der Forsythiensträucher grau. Im Rückspiegel glitt die Straßenbahn lautlos im Halbkreis um die Wendeschleife und hielt dann an. Mehrere Leute überquerten die Straße vor dem Heinrich-Braun-Krankenhaus und verschwanden einer nach dem anderen in der Bahn. Die Frau löste ihren Blick von den Schattengestalten und prüfte die Wegränder, bevor sie ihr Gesicht im Spiegel musterte. Noch war es nicht ganz dunkel, aber die verbliebene Helligkeit würde ausreichen, sich zu schminken. Und dann war es so weit. Das Blut strömte plötzlich schneller durch ihre Adern. Es schien ihr, als werde es durch die Anspannung dünnflüssiger. Das alberne Herz flatterte hektisch gegen die Rippen.

Alle vier Farben in der Lidschattenbox schienen mehr oder minder grau zu sein. Die zitternden Finger klaubten den winzigen Pinsel heraus und ließen ihn über die dunkelste Grau-Variante streichen. Dann fuhr die Hand nach oben und verteilte das Anthrazit reichlich auf dem Lid bis hinauf zu den Brauenbögen. Hier ging es nicht um Schönheit, sondern um Entstellung.

Die Frau tuschte auch das zweite Auge. Dann hob sie die Lidschattenbox bis dicht vor die Augen und versuchte sich zu erinnern, welches der vier Kästchen das Dunkelbraun enthielt. Ein paar dunkle Schatten unter den Augen waren sicher nett, aber es würde auffallen, wenn diese Augenränder olivgrün aussahen. Kaffeebraunen Lidschatten dagegen konnte man gut für den ›Augenschatten-Effekt‹ verwenden. Sie hatte es daheim im grellen Licht der Neonröhre über dem Badezimmerspiegel ausprobiert. Die so geschminkte Partie verlieh dem Gesicht einen kränklichen Schimmer.

Jetzt glitt der Pinsel vorsichtig über die zarte Haut unter den Augen und tönte sie dunkel.

»Guten Abend, Frau Dracula!« Die Frau schloss die Lidschattenbox, bleckte die Zähne und grinste ihr Spiegelbild an. Dann schloss sie den Mund und versuchte einen leidenden Gesichtsausdruck. Sehr schön. Nun noch den Rest der Verkleidung und dann konnte der Probelauf beginnen.

Die Gestalt in dem locker schwingenden Fleecemantel schritt forsch voran. Der weißliche Schein vereinzelter Lampen aus den Laubengängen des Heinrich-Braun-Krankenhauses reichte nicht bis auf den Weg. Die grauhaarige Frau mit der großen Brille verschwand im Dunkel des weitläufigen Geländes.

»Nun, Oberschwester Ursel, wollen wir mal sehen, ob Sie heute Dienst haben.« Die gemurmelten Worte schwebten federleicht davon und verkrochen sich dann unter den Büschen, während die Frau ihren Schritt verlangsamte, die Hände tiefer in die Taschen schob und in der Tiefe der Futterale nach den mitgebrachten Utensilien suchte.

Die Oberschwester war keine bedeutsame Person, auch wenn sie selbst fest davon überzeugt war. Die Frau hatte seit fast zwei Jahren keine Gedanken mehr auf den hageren, giftsprühenden Patientenschreck verschwendet. Für die Bestrafungsliste war sie zu unwichtig. Als Testobjekt für Nerven und Verkleidung der Rachegöttin jedoch war die barsche Ursel wie geschaffen. Nemesis gestattete sich ein kurzes Grinsen und blieb in einer dunklen Nische stehen.

Leise raunten die noch an Bäumen verbliebenen Blätter. Weiter hinten stand ein kleiner Mann im Bademantel in einer nachtfinsteren Ecke neben einer Glastür. An seinem Mund leuchtete ein roter Punkt auf und verlosch wieder; so, als führe die Zigarette ein glühendes Eigenleben. Die Frau bewegte die Zehen in den Halbstiefeln und schloss die linke Hand fester um den langen schmalen Gegenstand. Das kühle Metall erwärmte sich in ihrer Handfläche.

»Geh wieder rein. Es ist kalt. Mach schon.« Der Mann im Bademantel schien die geflüsterten Worte vernommen zu haben. Er drehte sich um und drückte den Stummel am Rand des Papierkorbs aus. Dann schlurfte er zum Eingang. Mit einem dissonanten Summen schwangen die Glastüren auf und er verschwand.

Die Frau war allein. Es konnte losgehen.

Rachegöttin

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