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»Morgen, mein Lieber!« Doreen wickelte sich aus ihrem Mantel. »Eine Kälte ist das! Man könnte fast schon Handschuhe anziehen! « Sie drehte sich zur Seite und warf einen Blick auf die dunklen Lämpchen unter der leeren Glaskanne. »Gar kein Frühstückskaffee heute?«

»Ich trinke erst mal keinen mehr. Davon kriege ich Magenschmerzen.« Norbert klang verdrießlich. »Mach dir welchen, wenn du möchtest.«

»Nicht unbedingt nötig. Vielleicht später.« Der Kollege schien einen schlechten Tag erwischt zu haben. Doreen betrachtete kurz ihre von der kalten Luft geröteten Wangen im Spiegel, ehe sie sich zu ihm umdrehte. Wie ein mürrischer Buddha saß Norbert auf seinem Großvaterstuhl, die Arme über dem Bauch gefaltet und verzog keine Miene. Sie näherte sich seinem Schreibtisch, um ihn zu begrüßen. Seine Augen waren verquollen, die Nasenspitze gerötet. Der Rest des Gesichts war bleich. »Gehts dir nicht gut?«

»Weiß nicht. Wahrscheinlich eine Grippe im Anzug.« Feiner Pfefferminzgeruch nebelte zu ihr hoch. Wortkarg war er auch noch. Der Norbert Löwe, der sonst morgens schon immer froh gelaunt an seinem Platz saß und Scherze machte, wenn sie kam, dieser Mann schien ernsthaft krank zu sein.

»Wie wäre es mit einem heißen Tee?«

»Nein, danke.« Er schlug einen Ordner auf.

»Eine heiße Zitrone?«

»Auch nicht. Lass uns arbeiten.«

»Na gut. Ich mache mich dann wieder an die Oktoberbelege.«

»In Ordnung.« Norberts Blick glitt zum wiederholten Mal über die Angaben zu den aus Paul Freibergers Keller gestohlenen Sachen. Man musste im Internet und im Pfandhaus recherchieren, ob etwas von der Ware wieder aufgetaucht war. Er las die Beschreibung der Spiegelreflexkamera erneut und schaltete dann den Computer an. Doreen hatte es anscheinend aufgegeben, sich mit ihm unterhalten zu wollen. Ihr Kopf war über die Papiere gebeugt. Von Zeit zu Zeit tippte sie etwas in den Taschenrechner ein und schrieb die Ergebnisse dann in eine Tabelle.

Bei Ebay fanden sich Hunderte von Spiegelreflexkameras. Norbert seufzte. Er würde alle Angebote betrachten und aussortieren müssen. In seinem Bauch kollerte es. Sein Frühstück hatte aus einem Glas Wasser und drei Minzbonbons bestanden, von denen ihm noch immer schlecht war. Ein heißer Tee würde das Erdbeben im Innern vielleicht besänftigen. Er schielte zu Doreen. Ihr Scheitel war schief. »Wollen wir uns einen Tee machen?«

»Jetzt doch?« Sie sah auf. Die Augen wirkten dunkler als sonst.

»Wäre vielleicht nicht schlecht. Ich mache das schon.« Norbert erhob sich hastig und ging zum Wandregal. Er ertrug es nicht, ihr in die Augen zu sehen. »Pfefferminz?«

»Was du willst.«

»O. K.« Heißes Wasser zischte aus dem Hahn in den Wasserkocher. Aus dem Spiegel blickte ihm ein gemütskranker Bernhardiner mit herabhängenden Lefzen entgegen. Ein schiefes Lächeln verstärkte den depressiven Ausdruck noch und Norbert ließ seine Mundwinkel wieder herabsacken. Es war egal, wie sein Gesicht heute wirkte. Alles war egal. Die Teeblätter in den kleinen Papierbeuteln raschelten trocken beim Herausnehmen. Auf das allmählich lauter werdende Brodeln des Wasserkochers lauschend, lief vor Norberts Augen noch einmal der Film des vergangenen Abends ab.

Das Klicken des sich abschaltenden Wasserkochers brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.

Weißer Brodem quoll aus der Ausgussöffnung nach oben. Die Blattstückchen entfalteten sich mit einem feinen Knistern und wurden mit nach oben gespült, als das heiße Wasser sie traf. Pfefferminzduft wob lichtgrüne Fäden über der Glaskanne.

Norbert ließ den Löffel in der Flüssigkeit kreisen und beobachtete, wie die Teeblätter im Strudel nach unten sanken. Es war nach Mitternacht gewesen, als die beiden Turteltäubchen einträchtig die Bosestraße entlangmarschiert kamen. Den Mann im dunklen Auto hatten sie nicht wahrgenommen. Wie oft hatte Norbert heimlich die gleitenden Bewegungen bewundert, die entstanden, wenn Doreen auf Absatzschuhen ging. Bei jedem Schritt schob sich die Hüftseite des ausgestreckten Beins nach vorn, während die andere Seite leicht zurückschwang. Immer im Wechselschritt, rechtes Becken, linkes Becken. Insgesamt ergab dies eine wiegende Hüftbewegung, die er sehr erotisch fand.

In Doreens Hauseingang waren sie stehengeblieben, und Paul Freiberger hatte den Schirm zusammengeklappt und in die Ecke gestellt, um beide Arme freizuhaben. In der Dunkelheit und aus fast fünfzig Metern Entfernung war nicht zu erkennen, wer wen zuerst küsste. Dazu kam, dass die beiden Gestalten halb im Hauseingang standen. In Norberts Brust hatte das dumme Herz geholpert und gezappelt, als wolle es aus seinem Rippenkäfig herausspringen. Die zehn Minuten, bis sich beide voneinander lösten, waren ihm wie ein Jahr vorgekommen. Dann diskutierten sie eine Weile miteinander, zumindest sah es so aus.

Schick ihn weg, klagte eine Stimme in Norberts Kopf, immer wieder: Schick! Ihn! Weg!

Als der Mann im Hauseingang den Schirm zur Hand nahm, stöhnte Norbert auf, ohne es zu merken. Seine Schultern sackten nach unten. Der Schirm wurde geöffnet, der Mann winkte kurz, blieb dann noch einen Moment auf dem Gehweg stehen und sah am Haus nach oben, ehe er sich abwandte und schnell in Richtung Poetenweg davonging.

Fünf Minuten später hatte Norbert das Auto angelassen und war langsam an Doreens Haus vorbeigefahren. Ihr Wohnzimmerfenster war dunkel. Wahrscheinlich lag sie schon im Bett und träumte süß von ihrem Galan. An diesem Abend hatte sie Paul Freiberger noch nach Hause geschickt, aber das würde nicht so bleiben, da war sich Norbert sicher. Der schlimmste Schmerz stand ihm noch bevor. Ignorier das Ganze doch einfach. Wer zwingt dich denn, deine eigene Kollegin zu beschatten?

Niemand zwingt mich.

Du weißt doch längst, was da läuft, mach dir nichts vor.

Darum geht es nicht.

Norbert, lass es. Die Gewissheit wird dich nicht glücklicher machen.

Das Gesicht im Spiegel glich dem eines Nussknackers, die Zähne fest aufeinander gepresst, an den Schläfen traten zwei Muskelstränge hervor. Der Detektiv ließ den Unterkiefer herabsinken. Er würde Doreen ab jetzt in Ruhe lassen. Sein schiefes Lächeln erreichte die Augen nicht ganz, aber Norbert versuchte es zu behalten, während er zu Doreens Schreibtisch ging und die Tasse vor sie hinstellte.

Als der Türsummer ertönte, verschüttete er die Hälfte seines Tees auf den Fußboden, fluchte und angelte nach den Tempotaschentüchern auf der Tischplatte. Hockend, mit dem Zellstoff die Pfütze aus heißem Pfefferminztee aufsaugend, hörte Norbert, wie Doreen in die Wechselsprechanlage säuselte: »Paul? Komm doch hoch!«

Rachegöttin

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