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»Morgen!« Das Begrüßungswort hallte noch einen Augenblick nach. Erst jetzt wandte Norbert sich vom Bildschirm ab und musterte seine Kollegin. »Du siehst müde aus.«

»Ich bin müde.« Doreen hasste seine morgendliche Fröhlichkeit. Wie konnte es sein, dass der eine früh nicht aus dem Bett fand und dann mindestens eine Stunde brauchte, um richtig wach zu werden, und der andere beim ersten Schrillen des Weckers jauchzend aus den Federn hüpfte? Das Leben war nicht fair. Sie hängte ihre Jacke auf den Bügel und ging zu den beiden Schreibtischen. Neben Norberts linker Hand lagen zwei Eier auf einer Papierserviette.

»Was ist denn das?«

»Mein zweites Frühstück.« Seine Mundwinkel wellten sich für einen Moment nach oben, dann rutschten sie wieder in die ›Ich-bin-beschäftigt-Stellung‹.

»Hast du keine Angst wegen des Cholesterins?« Doreen drehte sich um und hielt nach der Kaffeemaschine Ausschau.

»Das ist doch eine Erfindung der Margarineindustrie. Man hat festgestellt, dass der Cholesterinspiegel durch die Ernährung nur zu fünf Prozent beeinflusst werden kann.«

»Glaubst du das?«

»Es ist mir, ehrlich gesagt, egal. Hühnerei enthält wertvolles Eiweiß. Eiweiß braucht jeder. Und Kaffee ist übrigens auch nicht schädlich.« Norbert nickte zur Bekräftigung, hob dann die Hand und deutete in Richtung Regal. »Ich habe eine Thermoskanne gekauft. Darin bleibt der Kaffee länger heiß.« Er betrachtete die Rückseite seiner Kollegin. Ihr Hintern wirkte in der hellen Jeans flach. Schnell glitt sein Blick nach oben zu ihren Haaren, bevor sie im Spiegel sehen konnte, was seine Augen gerade fixiert hatten.

Beladen mit Kanne, Tassen und Kaffeesahne kehrte Doreen zurück, lud alles auf ihrer Seite ab und setzte sich. »Was machst du da eigentlich?«

»Ich recherchiere im Netz und informiere mich über unsere Konkurrenz.«

»Konkurrenz? Meinst du andere Detekteien in der Umgebung?«

»So ist es. Es gibt einige.«

»Und was nützt uns das, wenn wir wissen, dass es noch andere Detektivbüros gibt?« Doreen goss beide Tassen drei viertel voll und fügte bei sich noch Kaffeesahne hinzu. Norbert verzichtete seit einiger Zeit darauf. Was er daran schlecht fand, hatte er ihr noch nicht verraten.

»Mich interessiert, was die so für Fälle bearbeiten.«

»Du willst ihnen Kunden abspenstig machen?«

»Das ist ein interessanter Gedanke, Doreen, aber nein«, er nahm einen Schluck und kräuselte kurz die Nase, »da können wir eh nicht mithalten. Hör mal, was da alles aufgeführt ist:« Seine rechte Hand löste sich vom Henkel der Tasse und griff nach der Mouse. »Unterhaltsangelegenheiten, Überprüfung von Fehlverhalten innerhalb der Ehe beziehungsweise Partnerschaft, Personenüberwachung, Aufspüren von Überwachungstechnik, Observation, Videoüberwachung und andere technische Überwachungen, Anschriftenermittlung –« Norbert holte tief Luft, ehe er weiter vorlas, »– Spurensicherung und DNA-Analyse, Auffindung versteckter und vermisster Personen, Begleitschutz und Personenschutz, Beweissicherung bei Erpressung und Bedrohung, Diebstahl- und Betrugsaufklärung, Objektschutz und Objektüberwachung, Recherchen jeglicher Art, Sicherstellung von Eigentum, Sorgerechtsangelegenheiten.«

DNA-Analyse und Unterhaltsangelegenheiten. Er presste die Zähne aufeinander und lockerte den Unterkiefer gleich wieder. Sein Sohn Nils materialisierte sich vor seinem geistigen Auge.

DNA-Analyse ...

»Das ist ja gigantisch! Was ist denn mit ›Aufspüren von Überwachungstechnik‹ gemeint?«

»Augenblick, das kann ich dir genau sagen.« Wieder huschte die Hand von der Tasse zur Mouse. Das Rädchen ratterte fast unhörbar.

»Hier steht als Erklärung: ›Unterbindung von illegalen Lauschangriffen und Videoüberwachungen. Durch professionelle Einsatzmittel spüren wir jegliche Art von Überwachungstechniken auf, in Klammern: Lauschabwehr. Falls gewünscht, ermitteln und überführen wir auch den oder die Täter. ‹«

»Wer könnte denn so etwas brauchen?« Doreen trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse vor sich hin und verankerte ihren Blick dann in den Murmelaugen ihres Kollegen. Er wirkte irgendwie betrübt.

»Keine Ahnung. Der Durchschnittsbürger sicher nicht. Das ist auch gar nicht so wichtig.« Er hob die Schultern. »Ich dachte, ich finde etwas, das wir unseren Kunden auch anbieten könnten.«

»Personenüberwachung, Diebstahl- und Betrugsaufklärung oder Spurensicherung für eine DNA-Analyse haben wir doch auch schon gemacht. Und ›Recherchen jeglicher Art‹ klingt für mich ziemlich nach blabla.«

»Das ist blabla, Doro.« Norbert schob seinen Stuhl nach hinten, langte nach den Tassen und erhob sich. »Davon abgesehen, habe ich mir die Referenzen und die Herkunft dieser Detekteien angeschaut.« Laut klirrend landete das Kaffeegeschirr im Waschbecken. »Das sind Wessi-Konzerne mit Zweigstellen in allen größeren Städten. Da können zwei kleinstädtische Ossis nicht mithalten.« Den Unterkiefer nach vorn geschoben, kam er zurück.

»Könnte nicht genau das unser Vorteil sein?« Doreen betrachtete die Fältchen, die strahlenförmig von seinen Augen nach außen zogen. »Dass wir kein Großunternehmen sind? Das persönliche, sächsische Kolorit?«

»Ich bin kein Sachse.« Norberts Unterkiefer wanderte noch ein Stückchen weiter nach vorn. Dann grinste er plötzlich. »Aber ein Ossi. Jedenfalls hat mich das auf einige Ideen gebracht. Wirst schon sehen.« Die Beine seines Sessels kratzten über den Boden. »Bevor wir uns an die Arbeit machen: Wie war dein Wochenende?«

»Bescheiden. Langweilig. Und konventionell. Ich war bei meinen Eltern. Meine Mutter hatte Geburtstag.«

»War nicht so doll?«

»Wie es auf dem Dorf eben so ist, wenn jemand Geburtstag hat. Die ganze Zeit kommen Leute zum Gratulieren. Und glaube nur nicht, dass die dann gleich wieder verschwinden. Sie setzen sich fest und wollen bewirtet werden. Bis die Nächsten klingeln. Das geht den ganzen Tag. Jedes Jahr das Gleiche.« Vom Desinteresse der Mutter an ihrem ›Geschenk‹ ganz zu schweigen. Auch alle Jahre wieder – Doreen schenkte nie das Richtige. Die teure Designervase war achtlos auf dem Tisch gelandet, schamhaft versteckt hinter all den schreiend bunten, künstlich wirkenden Blumensträußen. »Und du? Wie war dein Wochenende?«

»Ähnlich deinem, was den Unterhaltungswert betrifft. Ich war zu Hause.« Norbert zog eine Schnute und hob kurz die Schultern. Er würde ihr mit Sicherheit nicht auf die Nase binden, was er tatsächlich gemacht hatte. In seinem Kopf wirbelten die Worte ›DNA-Analyse‹ und ›Unterhaltsangelegenheiten‹ durcheinander. Er senkte den Blick schnell auf den vor ihm liegenden Zettel. »Dann wollen wir mal den Plan für heute durchgehen.« Seine Finger tasteten nach dem Kugelschreiber. »Um zehn kommt Herr Bergmann.«

»Ach ja.« Der Fall war abgeschlossen. Sie mussten nur noch die ermittelten Fakten dokumentieren, ordentlich zusammenfassen und archivieren. Und eine Rechnung für Herrn Bergmann erstellen. Das bedeutete leider Bürokratenkram.

Doreen schaute auf ihren Schreibtisch. Es war höchste Zeit, Norbert über den Besuch eines weiteren Mandanten heute Nachmittag zu informieren. Sie schluckte, legte beide Handflächen über die Augen, sodass die Nase dazwischen frei blieb und holte Luft, während die Stimme in ihrem Gehirn insistierte, dass dies hier kein Kindergarten sei und Doreen kein Kind, das etwas Verbotenes getan habe.

»Heute Nachmittag kommt noch ein potenzieller Klient.« Jetzt war es heraus. Doreen nahm vorsichtig die Hände vom Gesicht, legte sie gerade nebeneinander auf die Tischplatte und hob dann erst den Blick. Norbert hatte seinen Sezierblick aufgesetzt. Die wasserklaren Murmelaugen bohrten sich direkt in ihren Kopf und tasteten nach den Gedanken.

»Noch ein Klient?« Die Wiederholung der Aussage als Frage. Auch das eine seiner Verhörmethoden. Kaum jemand konnte dem Drang widerstehen, darauf eine Antwort zu geben. Doreen war sich dessen bewusst, konnte sich aber dem Zwang ebenso wie die Mandanten nicht entziehen.

»Ja.« Sie spürte ihre verkrampften Nackenmuskeln.

»Und – sagst du mir auch noch, wer es ist?« Jetzt verwendete Norbert seine Ich-finde-das-Spiel-allmählich-lächerlich-Stimme.

»Paul.« Doreen nahm aus den Augenwinkeln noch wahr, wie sich die Augenbrauen ihres Gegenübers nach unten schoben, ehe ihr Blick zur Schreibtischplatte huschte und an den aufgeregt zappelnden Buchstaben kleben blieb.

»Der Paul?« Das ›Der‹ klang scharf. Doreen nickte nur.

»Und er kommt als Klient?« Erneutes Nicken.

»Wann?«

»Fünfzehn Uhr?« Sie formulierte es als Frage.

»Was sollen wir für ihn tun?« Der Kollege schien sich für die sachliche Herangehensweise entschieden zu haben. Zuerst einmal die Fakten erkunden. Doreen entschloss sich, einen kurzen Blick zu ihm hinüber zu wagen. Norbert saß wie ein Buddha auf seinem verschrammten Sessel, die Arme über der Brust verschränkt, das Kinn anklagend nach vorn gereckt. Sein Gesicht erinnerte sie an einen Nussknacker. »Es geht um Diebstahl. Genaueres weiß ich nicht. Ich habe gesagt, er soll vorbeikommen und dir das Problem schildern. Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust, mich damit näher zu befassen.«

»Na gut. Dann werden wir nachher sehen. Fünfzehn Uhr, sagtest du?« Seine Stimme klang gleichmütig. Doreen konnte an seiner linken Schläfe eine kleine Ader zucken sehen, während er den Terminkalender betrachtete.

»Ja. Wenn wir etwas vorhaben, soll ich noch einmal anrufen.«

»Brauchst du nicht.« Norbert klappte den Kalender zu und scheuchte die wütenden Fragen in seinem Kopf beiseite.

Nein – es interessierte ihn nicht die Bohne, wann Doreen diesen Schönling wiedergetroffen hatte. Und schon gar nicht wollte er wissen, wie dieses Wiedersehen verlaufen war. Ob sie womöglich das ganze Wochenende mit dem Schnösel verbracht hatte. Vielleicht war der Typ sogar mit bei ihren Eltern gewesen. Wenn er es recht bedachte, war Doreen vorhin bei der Schilderung der Geburtstagsfeier ziemlich wortkarg gewesen.

Norbert hatte die ganzen Monate fest daran geglaubt, dass dieser Arsch für immer in der Versenkung verschwunden sei, aber anscheinend hatte er sich getäuscht. Das Schachtelmännchen war wieder aufgetaucht. Just zu dem Zeitpunkt, als er gewähnt hatte, wenigstens in der Detektei und mit Doreen liefe alles bestens. Aber das Schicksal erteilte bittere Lehren. Es war nicht genug, dass die Sache mit seinem Sohn Nils noch immer wie ein Damoklesschwert über ihm schwebte; nein, es musste ihm noch ein weiteres kleines Schnippchen schlagen; vielleicht, um zu prüfen, was so ein alter Mann alles aushielt.

Doreen war aufgestanden und hatte begonnen, das Geschirr abzuspülen.

Der alte Mann griff nach einem der hart gekochten Eier und klopfte es rhythmisch mit der spitzen Seite auf die Tischkante.

Ihr – beide – werdet – Norbert – Löwe – nichts – vormachen. Ich – bin – ein – geschulter – Detektiv. Ich – kannkleinste – Regungen – in – eurer – Körpersprache – wahrnehmen. Ich – werde – euch – überführen.

Er legte die Eierschalen auf die Serviette und biss die Hälfte von der weißen Halbkugel ab.

Heute Nachmittag kam Paul Freiberger. Er würde hier in einem Raum mit Norbert und Doreen sitzen und reden. Und Norbert würde Augen und Ohren aufsperren. In diesem Fall war nicht das Gesagte von Bedeutung. Mimik und Gestik verrieten mehr über die Menschen, als ihnen lieb war. Besonders, wenn diese etwas zu verbergen hatten. Er begann, das zweite Ei zu schälen und betrachtete dabei Doreens gebeugten Rücken.

Ich kriege euch.

Rachegöttin

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