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Kapitel 11

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In der Toskana war Leos Vater entschlossen, den Rat seines Sohnes zu befolgen. Deshalb brach er schon zeitig mit seinem Verwalter von seinem Landsitz auf und fuhr nach Florenz.

Geduldig wartete er im Foyer des Hotels auf das Erscheinen der Dame, die sich unwissentlich in sein Herz geschlichen hatte. Gegen neun Uhr trat sie aus dem Aufzug. Diese zierliche Lady strahlte eine selbstverständliche Noblesse aus. Dabei wurde ihr attraktives Äußeres durch ihre zurückhaltende Anmut noch gesteigert. Mit einem freundlichen Lächeln trat die blonde Frau an die Rezeption.

„Ist meine Rechnung fertig?“, wandte sie sich an den graumelierten Portier. „Nach dem Frühstück reise ich ab.“

„Schade, dass Sie uns schon verlassen wollen.“ In seiner Stimme lag aufrichtiges Bedauern. „Soll ich den Mietwagen auch abrechnen?“

„Nein, damit möchte ich noch ein paar Tage aufs Land fahren und später Freunde besuchen Nach Siena und weiter nach Montepulciano möchte ich auch noch.“

Verstehend nickte er.

„Die Rechnung liegt für Sie bereit.“

„Danke. – Bis gleich.“

Nach wenigen Schritten in Richtung des Restaurants stellte sich ihr ein hochgewachsener Mann in den Weg.

„Guten Morgen, Helen.“

„Vincent ...“ Ihre geschwungenen Brauen hoben sich überrascht. „Was tun Sie denn hier?“

„Ich habe auf Sie gewartet. Aber wie ich eben hörte, wollen Sie abreisen!?“

„Inzwischen kenne ich beinah jedes historische Fleckchen in dieser wunderschönen Stadt. Bevor ich wieder nach Hause fliege, möchte ich noch die Landschaft genießen und Freunde besuchen.“

Seine dunklen Augen nahmen einen fragenden Ausdruck an.

„Wären Sie gefahren, ohne sich von mir zu verabschieden?“

„Sie haben in den letzten Tagen nichts mehr von sich hören lassen. Deshalb dachte ich ...“

„... dass ich Sie vergessen habe?“, vollendete er in leicht vorwurfsvollem Ton. „Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich Sie bedauerlicherweise vernachlässigt habe. Das hatte nichts mit Gleichgültigkeit oder Desinteresse zu tun. Ich habe häufig an Sie gedacht, Helen.“

„Ach, wirklich?“ War das leiser Zweifel oder verhaltener Spott in ihrer Stimme? „Warum?“

„Weil ich Sie vermisst habe“, gab er sichtlich verlegen zu. „Unsere Gespräche, die Museumsbesuche ... Schon unsere erste Begegnung habe ich wie ein Wiedersehen zwischen alten Freunden empfunden.“

„Mit dem alt haben Sie tatsächlich ins Schwarze getroffen. Daran gibt es nichts zu rütteln.“

„Das trifft allenfalls auf mich zu. Sie sind doch taufrisch wie ein junges Reh.“

„Vincent, Vincent ...“, tadelte sie ihn kopfschüttelnd. „Sie sind ein alter Schmeichler.“

„Nur ehrlich. – Darf ich Sie zum Frühstück einladen?“

Mit einer Hand deutete sie zum Restaurant.

„Ich wollte ohnehin gerade ...“

„Nicht hier“, unterbrach er sie sanft. „Mir wäre ein ländlicher Ort mit einer schönen Aussicht etwas außerhalb von Florenz lieber. Haben Sie Ihre Koffer schon gepackt?“

„Bevor ich runtergekommen bin.“

„Würden Sie den Portier anweisen, Ihr Gepäck holen zu lassen? Wir laden es in Ihren Mietwagen und nehmen es gleich mit. Dadurch sparen wir die Fahrt zurück in die Stadt.“

Helen kam gar nicht in den Sinn, nach seiner Rückfahrtmöglichkeit zu fragen, wenn sie gleich nach dem Frühstück weiterreiste. Sie erklärte sich mit seinem Vorschlag einverstanden und trat noch einmal an die Rezeption. Während sie auscheckte, führte Vincent zwei kurze Telefonate über sein Handy.

Schon bald waren sie auf der Straße 222 aus Florenz hinaus unterwegs. Vincent saß am Steuer und erzählte während der Fahrt durch die toskanische Landschaft von Weinorten und Burgen, die auf ihren Hügeln wie Perlen an einer Schnur aufgereiht schienen. Vorbei an Eichen- und Buchenwäldern, leuchtend gelben Sonnenblumenfeldern und hoch aufragenden Zypressen bog er schließlich von der Hauptstraße ab. Ein schmaler befestigter, von üppig wucherndem rotem Klatschmohn gesäumter Weg schlängelte sich auf ein großes Anwesen zu. Im Näherkommen erkannte Helen mehrere Gebäude, Pferdekoppeln und dahinter wie gemalt einen Weinberg. Durch das steinerne Tor lenkte Vincent den Wagen bis vors Haupthaus.

Beeindruckt schaute sie sich nach dem Aussteigen um. Sämtliche Gebäude waren aus groben Steinen gebaut; in der Mitte des Hofes stand ein mächtiger, Schatten spendender Kastanienbaum. Aber auch Zypressen, breitschirmige Pinien und sogar Mandelbäume wuchsen zwischen den Gebäuden und verliehen dem Anwesen etwas Anheimelndes. Die Luft duftete nach wilden Kräutern.

„Es ist wunderschön hier“, sagte sie beeindruckt. „Wie auf einem mittelalterlichen Gut.“

„Später zeige ich Ihnen alles“, versprach er. „Jetzt wird erst mal gefrühstückt. Sie müssen schon halb verhungert sein.“

Behutsam nahm er ihren Arm und führte sie die Steintreppe hinauf ins Haus. Bevor Helen sich noch zu der stilvollen Einrichtung äußern konnte, standen sie bereits auf der Terrasse.

Hier erfreuten üppig blühende Blumen, Olivenbäumchen, Lorbeer und Ginster in Terrakottakübeln das Auge und vermittelten mediterranes Flair. Die Aussicht auf die Pferdekoppeln, Weizenfelder und die Hügelkette mit den Burgen in der Ferne übertraf in ihrer atemberaubenden Farbenpracht jedoch alles zuvor Gesehene.

Erwartungsvoll schaute Vincent seinen Gast an.

„Habe ich Ihnen zu viel versprochen?“

„Dieser Ausblick ist überwältigend“, erwiderte sie fasziniert. „Dieses Licht – und die leuchtenden Farben: einfach paradiesisch. Hier würde ich es wahrscheinlich problemlos für den Rest meines Lebens aushalten.“

„Dann bleiben Sie“, nahm er die Gelegenheit wahr. „Nach dem Besichtigungsmarathon in Florenz könnten Sie hier wunderbar ausspannen.“

„Ein verlockender Gedanke.“ Fragend wandte sie sich ihm zu. „Glauben Sie, dass man hier ein Zimmer mieten kann?“

„Das wird nicht ganz einfach. Der Besitzer ist ein komischer alter Kauz. Ein Einsiedler, der Ihnen allenfalls seine langweilige Gesellschaft anbieten könnte. Das ist kaum zumutbar.“

Sie musterte ihn mit einem forschenden Blick. Das volle, schneeweiße, immer etwas zerzaust wirkende Haar, das wettergegerbte gebräunte Gesicht, das einen häufigen Aufenthalt im Freien verriet, und die dunkelbraunen Augen, in denen es vergnügt funkelte. Obwohl Vincent ihr gegenüber kürzlich erwähnt hatte, er bewohne ein kleines Bauernhaus, ahnte sie plötzlich, wem dieses herrliche Anwesen gehörte.

„Sagen Sie dem alten Kauz, dass ich für derartige Zumutungen sehr empfänglich bin.“

Vincent fiel ein Stein vom Herzen. Seine Befürchtung, diese kluge Frau durch seine Überrumpelungsaktion womöglich zu verärgern, erwies sich als unbegründet. Sie reagierte sogar mit Humor auf seine kleine List.

„Ich werde es ihm ausrichten“, sagte er mit feinem Lächeln und führte sie zu dem reich gedeckten Tisch unter der aufgespannten Markise. Zuvorkommend rückte er seinem Gast einen Stuhl zurecht, bevor er selbst sich setzte und den Kaffee aus einer Warmhaltekanne einschenkte.

Während sie sich dem Frühstück widmeten, sprachen sie über eine Ausstellung, die Helen in Florenz besucht hatte.

„Fast fünfundvierzig Jahre ist es jetzt her, seit ich das letzte Mal in Florenz war“, sagte Helen. „Vieles hat sich überhaupt nicht verändert. Ich bin schon gespannt darauf, ob auch in Siena die Zeit stehen geblieben ist. Damals hatte diese Stadt einen zauberhaft urbanen Charakter durch die hohen Backsteinpaläste und den dazu verhältnismäßig engen Gassen, in denen kaum ein Sonnenstrahl bis aufs Pflaster fiel.“

„Werden Sie in Siena von jemandem erwartet?“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Sie haben Freunde in der Toskana erwähnt“, tastete er sich vorsichtig an die Frage heran, die ihn am meisten beschäftigte. „Vielleicht möchten Sie sich dort sogar mit jemandem treffen, der Ihnen besonders nahe steht? Zwar haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie seit dem Tod Ihres Gatten allein leben, aber ich kann mir gut vorstellen, dass eine so attraktive Frau hartnäckig umworben wird.“

Sie antwortete nicht sofort, da sie sich fragte, woher das anscheinend immer noch vorhandene Interesse dieses Mannes an ihr rührte. Sie war längst nicht mehr so jung und naiv, zu glauben, dass sie einem Mann noch den Kopf verdrehen konnte. Mit Mitte sechzig machte sie sich keine Illusionen mehr. Zwar traf seine Annahme zu, es gäbe einige Verehrer in ihrem Leben, aber keiner von ihnen weckte etwas anderes als freundschaftliche Gefühle in ihr. In Vincents Gesellschaft hatte sie sich vom ersten Moment an auf seltsame Weise wohl gefühlt. Seit sie Witwe war, hatte sie eine derartige Anziehung nicht mehr verspürt.

Anfang der letzten Woche hatten sie zufällig in einem vollbesetzten Café an einem Tisch gesessen und waren ins Gespräch gekommen. Sie hatte ihn nach dem Weg zu den Uffizien gefragt, und er hatte sie zuvorkommend dorthin geführt. Wie selbstverständlich hatten sie sich die Gemälde dann zusammen angeschaut, ihre Eindrücke ausgetauscht und darüber diskutiert. Später hatte er sie zum Hotel zurückbegleitet und zum Abendessen eingeladen. Seitdem hatte er sie mehrmals auf ihren Exkursionen durch die Stadt begleitet. Als er sich dann nicht mehr gemeldet hatte, war sie entschlossen gewesen abzureisen, weil sie geglaubt hatte, sein Interesse an ihr sei erloschen. Überrascht hatte sie festgestellt, dass sie nicht nur enttäuscht war, sondern immer noch zu Empfindungen fähig, die sie längst nicht mehr für möglich gehalten hätte.

„Ihrem Schweigen entnehme ich, dass meine Vermutung zutrifft“, sagte Vincent in ihre Gedanken hinein. Er hätte wissen müssen, wie seine Geschlechtsgenossen auf eine so faszinierende Frau reagierten. „Es gibt in Ihrem Leben ...“

„Nein“, unterbrach sie ihn. „Bei mir ist das wie bei einem Orkan: Drumherum viel Wirbel, aber im Zentrum ist es still.“

Es gelang ihm nicht, seine Erleichterung zu verbergen.

„Demnach sind Sie völlig ungebunden? Auch zeitlich?“ Und als sie lächelnd nickte: „Bestünde die Chance, dass sich Ihr Aufenthalt hier auf Piccolo Mondo nicht nur auf ein gemeinsames Frühstück beschränkt? Ich möchte Sie einladen, länger zu bleiben, Helen. Viel länger.“

„Das klingt sehr verlockend, aber wir kennen uns doch kaum.“

„Gerade das möchte ich ändern. Wenn sich zwei Menschen begegnen, die viele gemeinsame Interessen verbinden, sollten sie nicht einfach auseinandergehen und die Gelegenheit verpassen, dass sich zwischen ihnen etwas Wundervolles entwickeln könnte.“ Seine Augen nahmen einen sehr ernsten Ausdruck an. „Ich beabsichtige nicht, Sie zu irgendetwas zu überreden oder zu drängen. Meine Einladung ist für Sie völlig unverbindlich. Es wäre einfach schön, könnten Sie sich dazu entschließen, uns ein wenig Zeit zu schenken.“

Um nicht gleich antworten zu müssen, griff sie nach ihrer Kaffeetasse und setzte sie an die Lippen. Sie täte nichts lieber, als zu bleiben, um diesen interessanten Mann näher kennenzulernen. Aber wohin würde das führen? Vincent war bestimmt nicht auf der Suche nach etwas Dauerhaftem. Auch sie hatte seit dem Tod ihres Mannes keinen Gedanken daran verschwendet, sich noch einmal zu binden. Wo lag also das Problem? Es würde höchstens auf eine Urlaubsaffäre hinauslaufen - wenn überhaupt. Vielleicht dachte Vincent aber einfach nur an Freundschaft? Jemand, der so zurückgezogen fernab der Heimat lebte, sehnte sich wahrscheinlich hin und wieder nach Gesellschaft, nach einem Menschen, mit dem er sich austauschen konnte.

„Ein paar Tage Reiseunterbrechung würden mir sicher guttun“, sagte sie schließlich. „Ich nehme Ihre Einladung unter einer Bedingung an, Vincent: Sollte sich der alte Kauz schon bald von meiner Anwesenheit überfordert fühlen, darf er nicht zögern, mich daran zu erinnern, dass meine Freunde einen Besuch von mir erwarten.“

„Abgemacht“, stimmte er voller Freude zu, obwohl er schon jetzt plante, alles dafür zu tun, um sie für immer zu halten.

Mondlicht auf kalter Haut

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