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Kapitel 15

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Antonia fühlte sich auf Usedom sehr wohl. Mühelos hatte sie den Alltag abgeschüttelt und genoss die Tage mit Leo. Sie unternahmen Ausflüge, auf denen er ihr die Schönheit der Insel zeigte. Häufig holten sie die Fahrräder aus dem Schuppen und radelten durch die Landschaft. Mehrmals täglich badeten sie in den Ostseewellen, lagen träumend im warmen Sand und brachen allabendlich mit Quincy zu einem langen Strandspaziergang auf. Oft saßen sie in den Dünen hinter dem Haus und schauten der langsam im Meer versinkenden glutroten Sonne zu. Nun wurde es rasch dunkel. Unzählige Sterne blühten am Firmament auf.

„Das ist überwältigend“, sagte Antonia mit Blick in den Himmel. „Vielleicht sehen wir heute wieder Sternschnuppen.“

„Ich muss dir etwas gestehen“, erwiderte Leo ernst. „Über mein bisheriges Leben.“

„Wird das jetzt eine Beichte über die Leichen in deinem Keller?“, fragte sie uns ließ sich zurücksinken. „Dann schließ los. Ich bin ganz Ohr.“

Auch er legte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er fühlte sich unbehaglich, weil er sich vor Antonias Reaktion auf sein Geständnis fürchtete.

„Wie soll ich dir das nur beibringen?“, murmelte er, worauf sie sich zu ihm drehte.

„Du kannst mir alles sagen, Leo. Du weißt, wie viel Wert ich auf Ehrlichkeit lege.“

Deshalb fiel es ihm ja so schwer, dachte er innerlich aufstöhnend. Er hatte längst den point of no return überschritten. Wenn er jetzt mit der Wahrheit herausrückte, würde Antonia ihm das vielleicht niemals verzeihen. Er würde es nicht ertragen, sie zu verlieren.

„Was ist, Leo? Hat dich plötzlich der Mut verlassen?“

„Vielleicht sollte ich mir mein kleines Geheimnis bis nach der Hochzeit aufsparen“, flüchtete er sich in eine ausweichende Bemerkung, die Antonia jedoch veranlasste, sich ruckartig aufzusetzen.

„Welche Hochzeit?“

„Unsere natürlich.“

„Vergiss es!“

Diese zwei Worte klangen so endgültig, dass Leo sich enttäuscht aufrichtete.

„Was spricht dagegen? Wir verstehen uns in jeder Hinsicht großartig.“ Im Licht der Sterne suchte er nach einer Antwort in ihrem Gesicht. „Was mache ich falsch? Bist du nicht glücklich mit mir? Oder liegt es letztlich daran, dass ich eben doch nur ein einfacher Gärtner bin?“

„Ach, Leo ...“ Er war so sicher, was seine Empfindungen betraf – und so unsicher, ob sie seine Gefühle wirklich im vollen Umfang erwiderte. „Es ist doch schön mit uns, so wie es ist. Eine gut funktionierende Beziehung muss nicht amtlich abgesegnet sein. Ein Trauschein ist auch keine Garantie für ein dauerhaftes Glück.“

„Hast du nie daran gedacht, eine Familie zu gründen? Ist dir dein Job so wichtig?“

„Mein Beruf bedeutet mir tatsächlich sehr viel“, gab sie zu. „Es gibt aber noch etwas sehr viel Wichtigeres in meinem Leben.“ Um Verständnis bittend schaute sie ihm in die Augen. „Bislang habe ich dir noch nicht davon erzählt, weil ich erst abwarten wollte, wie es sich mit uns entwickelt. – Erinnerst du dich an das große Zimmer unter dem Dach in meinem Häuschen?“

„Das du so sorgfältig renoviert hast? – Was ist damit?“

„Es ist für meinen Sohn.“

„Du hast ein Kind? Wo ist er jetzt? Lebt er bei seinem Vater?“

„David ist schon erwachsen“, erklärte sie lächelnd. „Er studiert in den USA – in Cambridge an der Harvard-University.“

„Eine der besten amerikanischen Universitäten“, sagte er beeindruckt. „Dein Sohn muss ein sehr intelligenter junger Mann sein, sonst hätte man ihn dort kaum genommen.“

„David legte sein Abi mit einem Notendurchschnitt von 0,7 als Jahrgangsbester ab“, entgegnete sie stolz. „Danach wollte er unbedingt nach Harvard. Eigentlich hätte ich mir das finanziell gar nicht leisten können, aber er hat ein Stipendium bekommen und meine Mutter hat sich bereit erklärt, ihren einzigen Enkel großzügig zu sponsern. Seitdem teilen wir uns die Kosten. Das ist auch der Grund, aus dem ich mein schwer verdientes Geld nicht nach Herzenslust ausgeben kann. Aber für ihn schränke ich mich gern ein. Man muss nicht immer alles haben, was man sich wünscht. Für mich ist am wichtigsten, dass mein Sohn die bestmögliche Ausbildung bekommt und dabei glücklich ist.“

„Hätte sein Vater sich daran nicht wenigstens finanziell beteiligen können?“

„Stephan starb schon vor der Geburt des Jungen“, erwiderte sie, wobei ein Schatten über ihre Züge huschte. „Ich war zweiundzwanzig, als ich schwanger wurde. Obwohl wir beide noch studiert haben, freuten wir uns auf unser Kind. Wir dachten, dass wir es schon irgendwie schaffen würden. Als ich im dritten Monat war, hatte Stephan mit einem Freund einen schweren Motorradunfall. Er lag zwei Wochen im Koma, bevor er starb.“

„Trotzdem hast du dich für das Kind entschieden“, folgerte Leo beeindruckt „Wie konntest du das mit deinem Studium vereinbaren?“

„Mit der Hilfe meiner Eltern. Mam hat mir angeboten, den Kleinen zu betreuen, wenn ich in der Uni war. Damals war sie noch nicht berufstätig und froh, wieder eine Aufgabe zu haben. Ohne ihre Unterstützung wäre ich aufgeschmissen gewesen.“

„Ein solcher Familienzusammenhalt ist bewundernswert.“ Leo rechnete in Gedanken kurz nach. „Dein Sohn ist jetzt zwanzig, nicht wahr? Hast du eigentlich nie daran gedacht, noch mal ein Kind zu haben?“

„Diese Frage hat sich für mich nicht wieder gestellt. Zwar war ich gezwungen, David allein großzuziehen, aber im Grunde bin ich der Meinung, dass ein Kind in einer richtigen Familie aufwachsen sollte. Meine Partnerschaften haben aber immer unerfreulich geendet. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht geschaffen für eine enge Bindung.“

„Eher lag es an deinen bisherigen Partnern, dass es nicht funktioniert hat. Wenn man liebt, muss man bereit sein, sich auf den anderen einzustellen. Du warst noch sehr jung, als du die Verantwortung für deinen Sohn übernehmen musstest. Auch dadurch wurdest du eine selbstbewusste unabhängige Frau. Ein Mann, der von einer so starken Persönlichkeit verlangt, sich ihm unterzuordnen, muss unweigerlich scheitern.“

„Meine Männer waren längst nicht so feinfühlig und verständnisvoll wie du, Leo“, sagte sie zärtlich und beugte sich zu ihm hinüber, um ihn sanft zu küssen. „Schade, dass wir uns nicht früher begegnet sind. Jetzt bin ich definitiv zu alt, um noch mal ein Kind zu bekommen.“

Mit nachsichtigem Lächeln schüttelte Leo den Kopf.

„Als Medizinerin solltest du eigentlich wissen, dass Frauen heutzutage oft erst in deinem Alter das erste Mal schwanger werden“, erwiderte er, um einen sachlichen Ton bemüht. „Allerdings nicht unbedingt von einem Gärtner, der vielleicht nicht imstande ist, eine Familie zu ernähren“, fügte er bitter hinzu. „Es ist eben doch fast alles im Leben vom Geld abhängig.“

„Allmählich glaube ich tatsächlich, dass du bislang nur an Frauen geraten bist, bei denen finanzielle Aspekte im Vordergrund standen“, sagte Antonia mitfühlend. „Dadurch fällt es dir so schwer, meine Sichtweise zu akzeptieren.“ Behutsam nahm sie seine Hand. „Du bist ein wundervoller Mensch, Leo. Sollte ich wider Erwarten noch mal ein Kind wollen, könnte ich mir keinen besseren Vater als dich dafür wünschen.“

„Wirklich?“ Dankbar drückte er ihre Hand. „Eine eigene Familie habe ich immer vermisst, aber mir ist nie eine Frau begegnet, die ich mir als Mutter meiner Kinder vorstellen konnte. - Bis ich dich kennenlernte.“ Während er den Arm um ihre Schultern legte, schaute er sie hoffnungsvoll an. „Wenn unsere Liebe Bestand hat – wovon ich fest überzeugt bin – kannst du dich vielleicht mit dem Gedanken anfreunden, für immer mit mir zusammenzubleiben. Dann sprechen wir noch mal übers Heiraten und Kinderkriegen. – Okay?“

„Einverstanden“, nickte sie lächelnd und schmiegte sich an ihn.

Am kommenden Vormittag mähte Leo den Rasen auf dem Grundstück. Antonia saß auf der Terrasse und las in einem Buch über die Insel. Zu ihren Füßen ruhte sich Quincy im Schatten des Sonnenschirms von einem langen Morgenspaziergang aus. Das Geräusch des Rasenmähers überdeckte das Handysignal. Das kleine Gerät vibrierte schon gefährlich nah an der Tischkante. Antonia konnte es gerade noch vor dem Absturz retten. Vom Display las sie den Namen ihrer Schwester ab.

„Hallo, Franzi“, meldete sie sich gut gelaunt. „Was gibt es? Möchtest du hören, wie uns der Urlaub vom Alltag bekommt?“

„Da du recht munter klingst, nehme ich an, dass ihr euch ausgezeichnet vertragt.“

„Gut kombiniert“, lobte sie ihre Schwester. „Wir verstehen uns großartig. Leo ist der erste Mann, mit dem ich über wirklich alles reden kann.“

„Aber ihr redet nicht nur, oder? Was macht ihr denn sonst noch?“

„Die Seele baumeln lassen, über die Insel radeln, gemeinsam kochen, kuscheln, zusammen träumen, unaussprechliche Dinge tun ...“

„Schon gut, schon gut“, unterbrach ihre Schwester sie. „Das ist ja zu schön, um wahr zu sein.“

„Neidisch?“, lachte Antonia. „Wie sieht denn bei dir die sexuelle Grundversorgung aus? Hast du den netten Bullen inzwischen dauerhaft damit betraut oder lässt du ihn immer noch am ausgestreckten Arm verhungern. Ich glaube, dass er Angst hat, du könntest ihn wieder abservieren.“

„Das habe ich bestimmt nicht vor. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft hat eben doch eine Menge für sich.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ist es nicht herrlich, wieder verliebt zu sein?“ „Wundervoll“, bestätigte ihre Schwester. „Ich weiß, dass dich mein Liebesleben brennend interessiert, aber ich habe noch andere, leider unangenehme Neuigkeiten: Der Orchideenmörder hat wieder zugeschlagen.“

„Er hat seinen Rhythmus geändert? Weißt du schon Näheres?“

„Wahrscheinlich hat er in der Zeitung gelesen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann er geschnappt wird. Immerhin wurde er nachlässig und hat nicht bemerkt, dass sein letztes Opfer noch lebte. Anscheinend wollte er so schnell wie möglich das Gegenteil beweisen.“

„Hat er wieder keinerlei Spuren hinterlassen?“

„Nein. – Nur den Buchstaben E.“

„Wer hat die Obduktion durchgeführt?“

„Dr. Reinhardt. – Siehst du darin ein Problem?“

„Absolut nicht. Er ist ein ausgezeichneter Gerichtsmediziner. Ihm entgeht garantiert nichts.“

„Das erleichtert mich“, gestand Franziska. „Wir dürfen uns nicht den kleinsten Fehler leisten, sonst können wir noch alle unseren Hut nehmen. Pit sitzt der Polizeichef im Nacken, und ich muss täglich zum Appell beim Oberstaatsanwalt antanzen. Von der Presse ganz zu schweigen. Für die ist unsere Soko schon jetzt ein völlig unfähiger Haufen.“

„Wenn die Zahl der Opfer steigt, steigen auch die Chancen, den Killer zu fassen“, versuchte Antonia ihrer Schwester Mut zu machen. „Wie allen Mördern wird ihm irgendwann ein gravierender Fehler unterlaufen.“

„Obwohl er bei seinem letzten Opfer keine so lange Vorbereitungszeit wie bei den vorigen hatte, hat er auch diesmal keine Spuren hinterlassen“, wandte Franziska ein. „Es lag nur eine knappe Woche zwischen den beiden letzten Morden.“

„Welchen Todeszeitpunkt hat mein Kollege festgelegt?“

„Mittwoch zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr.“

„Gibt es eine Verbindung zu den anderen Frauen?“

„Bislang konnten wir keine entdecken. – Noch spielt der Killer Katz und Maus mit uns, aber irgendwann werden wir ihn aufspüren. Dann sorge ich dafür, dass er für immer hinter Gittern verschwindet.“

Nach Erledigung der Gartenarbeit gesellte sich Leo zu Antonia auf die Terrasse. Das aufgeschlagene Buch lag vor ihr auf dem Tisch; sie selbst hatte sich mit geschlossenen Augen zurückgelehnt.

„Es ist schön, hier so friedlich zu sitzen“, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen. „Schade, dass wir schon in ein paar Tagen nach Hause müssen.“

„Wir können jederzeit wieder herkommen.“

„So bald kann ich nicht noch mal Urlaub nehmen. Zumal ich im nächsten Monat zu einem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Pathologie nach Paris fliege.“

„Darf ich dich in die Stadt der Liebe begleiten?“

Nun schlug sie doch die Augen auf und schaute ihn an.

„Tagsüber muss ich Vorträgen lauschen, aber man sagt, dass Paris bei Nacht nicht ganz ungefährlich für eine allein reisende Frau sein soll.“

„Demnach brauchst du jemanden, der dich vor den draufgängerischen französischen Verführern beschützt. Bestimmt gäbe ich einen brauchbaren Bodyguard ab.“

„Okay, du bist engagiert“, meinte sie lächelnd. „Jedenfalls für diese Reise.“

„Planst du noch eine? Wohin soll es denn gehen?“

„Nach Amerika. Ich möchte unbedingt auf die Bodyfarm.“

„Auf eine Schönheitsfarm?“, folgerte er irritiert. Das passte nicht zu Antonias natürlicher Ausstrahlung. „So was hast du überhaupt nicht nötig.“

„Auch ich werde nicht jünger“, scherzte sie. „Allerdings ist die Bodyfarm keine Einrichtung für Leute, die Fältchen oder Hüftspeck eliminieren wollen. Bei der Bodyfarm in Knoxville/Tennessee handelt sich um ein Freiluftgelände, auf dem etwa vierzig Tote mehr oder weniger offen in der Natur liegen. Gerichtsmediziner aus aller Welt können dort unterschiedliche Verwesungsstadien und Knochenüberreste untersuchen, etwas über Zersetzung und Insektenbesiedelung lernen und mit diesen Erkenntnissen die Liegezeit einer Leiche bestimmen.“

„Das klingt ziemlich gruselig“, meinte er erschaudernd. „Willst du dir das wirklich antun?“

„Auch das gehört zu meinem Job“, erklärte sie nachsichtig lächelnd. „Manchmal wird ein Toter erst nach Wochen oder Monaten gefunden. Der Grad der Verwesung und die Insekten in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien geben Aufschluss über die Liegezeit der Leiche. Inzwischen kann man den Todeszeitpunkt dadurch enorm eingrenzen.“

„Ist es denn so wichtig, ob jemand beispielsweise vor dreißig oder vor einunddreißig Tagen umgekommen ist?“

„Sonst könnte man den Täter nicht überführen. Stell dir vor, du hast einen lästigen Mitmenschen ins Jenseits befördert und ...“

„Ich?“, unterbrach er sie in scheinbarem Entsetzen. „Allenfalls bin ich fähig, ein Massaker unter Blattläusen anzurichten. Menschen sind mir definitiv zu groß, um sie mithilfe meiner Sprühflasche in Seifenlauge zu ertränken.“ Lausbübisch zwinkerte er ihr zu. „Dir zuliebe schlüpfe ich aber gedanklich in die Ripper – Rolle.“

„Das ist sehr zuvorkommend von dir – Jack“, ging sie darauf ein. „Du willst also deine Leiche loswerden und schaffst sie in den Wald.“

„In unseren schönen Deister?“

„Genau. Dort bedeckst du sie mit Laub, so dass sie nicht mehr zu sehen ist. Dabei bedenkst du nicht, dass durch Witterungseinflüsse wie Wind und Regen, oder durch vierbeinige Waldbewohner das Laub mit der Zeit abgetragen wird. Irgendwann stoßen Pilzsammler auf die Leiche.“

„Aber ich war schlau genug, keine Spuren zu hinterlassen“, warf er triumphierend ein. „Wie sollte man nach Wochen ausgerechnet einen netten Menschen wie mich verdächtigen?“

„Nachdem der Tote identifiziert wurde, fängt man damit an, Freunde und Bekannte von ihm zu überprüfen. Ein rechtschaffender Staatsbürger erzählt der Polizei, dass ein gewisser Gärtner häufig Streit mit dem Opfer hatte. Da die hervorragend ausgebildete Gerichtsmedizinerin anhand der forensischen Untersuchungen den Todeszeitpunkt bis auf wenige Stunden eingrenzen konnte, wird der mordlustige Gärtner schnell zum Hauptverdächtigen. Bedauerlicherweise hat er für den Tatzeitraum kein Alibi. Nach stundenlangem Verhör gesteht er schließlich seine Untat.“

„Der Mörder ist anscheinend tatsächlich immer der Gärtner“, kommentierte er. „Dank deiner so farbigen Schilderung ist mir jetzt klar, weshalb du unbedingt auf diese Bodyfarm möchtest. Hoffentlich nimmst du es mir trotzdem nicht übel, wenn ich dir meine Begleitung dorthin nicht anbiete.“

„Ich hätte dich ohnehin nicht mitgenommen.“

„Ach, nein? Warum nicht?“

„Die Bodyfarm ist nichts für ein so zartfühlendes Wesen.“

„Du hältst mich für ein Weichei“, seufzte Leo, als hätten ihre Worte ihn gekränkt. „Einen richtigen Mann würde der Anblick von Maden zerfressenen Leichen völlig kalt lassen, nicht wahr!?“

„Von wegen“, winkte sie ab. „Bei mir im Institut sind schon stahlharte Burschen umgekippt, kaum dass sie den Autopsiesaal betreten hatten.“ In einer zärtlichen Geste griff sie nach seiner Hand. „Einen Kerl aus Granit mit einem riesengroßen Ego brauche ich nicht. Ich will einen Mann, der die ganze Palette seiner Empfindungen zulässt. Der nicht nur stark und überlegen, sondern auch sensibel und verletzbar sein kann. Der über seine Gefühle spricht, anstatt sie zu verdrängen. Den genau wie mich manchmal Ängste und Zweifel überfallen.“

„Eine starke Frau, wie du es bist, hat Zweifel? Woran?“

„In erster Linie an mir, an meinen Fähigkeiten.“ Sein ungläubiger Blick veranlasste Antonia, näher darauf einzugehen. „Nimm beispielsweise den Orchideenmörder. Mit jedem neuen Opfer, das ich obduziert habe, frage ich mich, ob ich nicht irgendwas übersehen habe. Vielleicht nur ein winziges Detail, das aber dazu führen könnte, ihn zu fassen. Das sein nächstes Opfer vor einem so grausamen Schicksal bewahren könnte.“ Resigniert schüttelte sie den Kopf. „Vorhin rief Franziska an. Sie erzählte mir, dass der Killer wieder zugeschlagen hat.“

„Sicher? Mordet der Kerl nicht im Vierwochenrhythmus?“

„Jetzt nicht mehr“, verneinte sie, bevor sie von den Neuigkeiten berichtete.

„Gibt es auch diesmal keine Spuren?“, fragte Leo, und es klang verwundert. „Das erscheint mir fast unmöglich.“

„Die Körper der Opfer werden jedes Mal Zentimeter für Zentimeter mit einer Folie abgeklebt, an der jeder noch so winzige Partikel haften bleibt. Schließt man die vom Fundort der Leiche stammenden Spuren aus, findet sich absolut nichts, das Rückschlüsse auf den Täter oder den Tatort zuließe. Weder Haare, Hautzellen, Spermaspuren oder Faserreste. Es ist zum Verzweifeln!“

„Dadurch lassen wir uns den Urlaub aber nicht verderben“, sagte Leo in strengem Ton. „Ab sofort ist dein Beruf hier auf der Insel Tabuthema.“

„Okay“, stimmte Antonia sofort zu. „Erzähl mir stattdessen was Schönes.“

Sekundenlang überlegte er.

„Wie wäre es mit einer Liebesgeschichte?“

„Kennst du eine? Sie muss aber ein Happyend haben.“

„Darauf läuft es hoffentlich hinaus“, erwiderte Leo verschmitzt lächelnd. „Während du heute Morgen unter der Dusche warst, hat mich mein Vater angerufen.“

„Und?“, fragte sie gespannt. „Macht er Fortschritte bei der Dame seines Herzens?“

„Immerhin ist sie mittlerweile Gast auf seinem Landgut. Laut Paps fühlen sie sich sehr zueinander hingezogen. Allerdings sind sie bislang noch kein Liebespaar.“

„Ab einem gewissen Alter ist man wahrscheinlich vorsichtiger, weniger impulsiv. Man lässt sich Zeit, sich kennenzulernen, weil man nicht mehr fürchtet, etwas zu versäumen.“

„Meinst du, bei uns hat sich das zu schnell entwickelt?“

Einen Moment lang schaute sie ihn nachdenklich an. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Im Nachhinein: nein.“

„Im Gegensatz zu mir warst du dir deiner Gefühle anfangs aber nicht so sicher “, gab er zu bedenken, worauf sie abermals den Kopf schüttelte.

„Wahrscheinlich hatte ich nur Angst davor, mich noch mal zu verlieben“, gestand sie. „Also habe ich verdrängt, wie sehr ich dich mag. Aber jedes Mal, wenn wir uns begegnet sind, habe ich mich danach gesehnt, mehr Zeit in deiner Nähe zu verbringen.“ Leicht zuckte sie die Achseln. „Deshalb habe ich dich wohl so oft zum Abendessen eingeladen.“

„So, so“, kommentierte Leo schmunzelnd. „Das hättest du auch einfacher haben können.“

„Von wegen“, widersprach sie scheinbar vorwurfsvoll. „Du warst doch genauso beziehungsgeschädigt wie ich. Hätte ich dir sofort signalisiert, dass du der Typ Mann bist, für den ich eine Schwäche habe, hättest du den Lattenzaun um deinen Wohnsitz um einige Meter erhöht und zusätzlich einen Stacheldraht darum gezogen.“

„Möglich“, gab er ihr leise lächelnd recht. „Wie gut, dass du mir das erspart hast.“ Impulsiv griff er nach ihrer Hand und zog Antonia von ihrem Stuhl hoch. „Da Liebe bekanntlich durch den Magen geht, werden wir nun zusammen kochen. Was sagst du zu Pasta? Die wirkt bei uns beiden am besten. Das Dessert genießen wir dann im Bett.“

„Hältst du Pasta für ein Aphrodisiakum? Um deinen Appetit auf den Nachtisch zu wecken, brauche ich keine Nudeln. Mir schwebt da etwas viel Prickelnderes vor.“

„Willst du mich etwa vernaschen?“

„Für einen kriminalistischen Laien kannst du erstaunlich gut kombinieren, Leo.“ Zielstrebig zog sie ihn in die Richtung der Treppe. „Gleich stellen wir fest, ob du bei der Spurensuche genauso geschickt bist. Vielleicht steckt ein talentierter Detektiv in dir.“

„Ich kann es kaum erwarten, die Ermittlungen bei einer so aufregenden Frau aufzunehmen."

Mondlicht auf kalter Haut

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