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Kapitel 7

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Am Freitagvormittag saß Antonia im Gerichtsmedizinischen Institut vor dem Elektronenmikroskop. Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie das Eintreten des Kommissars nicht bewusst wahrnahm.

„Was gibt es denn da Schönes zu sehen?“, fragte Pit Gerlach und blieb hinter ihr stehen.

„Nichts, das die Polizei interessieren dürfte“, antwortete sie, ohne aufzusehen, denn sie erkannte seine Stimme sofort. „Was führt dich her, Sherlock Holmes?“

„Meine Ungeduld“, gab er zu. „Ist der Autopsiebericht des Toten von gestern schon fertig?“

„Selbstverständlich“, bestätigte sie und wandte sich mitsamt ihrem Drehstuhl zu ihm um. „Der Bericht müsste dir vor ein paar Minuten zugefaxt worden sein.“

Lässig lehnte er sich gegen einen Labortisch.

„Da war ich schon unterwegs.“ Sein Blick nahm einen erwartungsvollen Ausdruck an. „Hat sich mein Verdacht bestätigt?“

„Nein.“

Überrascht hob er die Brauen.

„Nein?“

„Nein“, wiederholte Antonia. „Keine Fremdeinwirkung.“

„Sicher?“

Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Wann wirst du endlich mal eine normale Todesursache akzeptieren? Der Mann ist an einem Herzinfarkt gestorben.“

„Könnte es nicht auch Gift gewesen sein? Hast du eine toxikologische Untersuchung durchgeführt?“

Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, war geeignet, ihn mehrere Meter tief in den Boden zu versenken.

„Er litt an Arteriosklerose. Ursache und Wirkung – du verstehst? Ursache: krankes Herz, Wirkung: tot.“ Herausfordernd musterte sie ihn von den blonden Locken bis zu den schwarzen Turnschuhen. „Zweifelst du etwa an meiner Kompetenz?“

„Das würde ich mir nie erlauben“, versicherte er ihr hastig. „Man erzählt sich, dass du auf deinem Gebiet eine der Besten im ganzen Land bist.“

Scheinbar empört erhob sie sich.

„Wer sagt denn so was?“

„Alle, die das beurteilen können.“

„Dann muss es wohl stimmen.“ Nachdenklich trat sie ans Fenster. „Wie lange bist du jetzt eigentlich hier bei der Kripo?“

„Ungefähr seit acht Monaten.“

„Und wie lange bist du schon mit meiner Schwester zusammen?“

„Genau zehn Wochen ...“

„Aber...?“

Verlegen blickte er auf seine Schuhspitzen.

„Ich habe manchmal das Gefühl, dass es ihr nicht so ernst ist wie mir. Ich weiß genau, dass Franziska die Frau ist, die ich heiraten will. Aber wenn ich über unsere Zukunft spreche, weicht sie immer aus.“

„Franzi ist seit ihrer Scheidung vorsichtig geworden. Wahrscheinlich hat sie einfach Angst, dass es wieder schiefgehen könnte. Lass ihr ein bisschen Zeit.“

Verstehend nickte Pit.

„Okay.“

„Hast du Lust, sie morgen zu meiner Einweihungsparty zu begleiten?“

„Mit dem größten Vergnügen. – Danke für die Einladung.“

Rasch zog er sein läutendes Handy aus der Tasche. Kaum hatte er es am Ohr, erklang auch die Melodie von Antonias Mobiltelefon.

Während beide den Anrufern lauschten, tauschten sie einen vielsagenden Blick.

„Ich komme!“, sagten sie unisono und schalteten die Telefone ab.

„Fahren wir zusammen, Doc?“

„Ich folge dir in meinem Wagen.“

Der Fundort der Leiche, ein verlassenes Fabrikgelände, wurde gerade großräumig abgesperrt, als Antonia und der Kommissar dort kurz nach den Männern der Spurensicherung eintrafen.

„Wer hat sie gefunden?“, wandte sich Pit an einen uniformierten Beamten.

„Ein Spaziergänger“, gab ihm der junge Mann Auskunft und deutete zu einem älteren Herrn neben einem Streifenwagen. „Sein Hund hat plötzlich angeschlagen und ihn zu der Toten geführt.“

„Okay, nehmen Sie seine Personalien auf. Nachher will ich noch mit ihm sprechen.“

Schon eilte er Antonia nach, die sich soeben neben das unbekleidete Opfer kniete, um die erste Leichenschau vorzunehmen. Zunächst streifte sie die dünnen Handschuhe über und tastete routinemäßig mit zwei Fingern nach der Halsschlagader der Frau. Dann suchte ihr ungläubiger Blick das Gesicht des Kommissars.

„Mein Gott, sie lebt ...“, flüsterte sie und sprang auf. „Schnell! Hierher!“, rief sie zum inzwischen eingetroffenen Notarztwagen hinüber, worauf sich die Besatzung im Laufschritt in Bewegung setzte.

„Das ist eine verdammte Schweinerei!“, wandte sich Antonia verärgert an den Kommissar, während sich das Notarztteam um das schwerverletzte Opfer kümmerte. „Sind deine Beamten nicht in der Lage festzustellen, ob jemand wirklich tot ist? Dadurch wurde wertvolle Zeit vergeudet!“

Hilflos zuckte Pit die Schultern.

„Darüber sprechen wir noch“, sagte sie und griff nach ihrer Tasche. „Ich fahre auch in die Klinik.“

In ihrem Auto folgte sie dem mit Blaulicht und Martinshorn durch die Straßen rasenden Krankenwagen. Nur wenige Augenblicke nach der Ambulanz traf sie bei der Klinik ein und sprang aus dem Wagen.

„Wie geht es ihr?“, sprach sie den aussteigenden Notarzt an. „Wird sie durchkommen?“

Bedauernd schüttelte der Mann den Kopf.

„Exitus. – Wir konnten nichts mehr für sie tun.“

Einen Fluch unterdrückend, nickte sie.

„Übernehmen Sie den Transport in die Gerichtsmedizin? Oder soll ich sie abholen lassen?“

„Moment, Frau Kollegin, ich kläre das sofort.“

Etwa eine Stunde später lag das vierte Opfer des Orchideenmörders auf dem Sektionstisch. Wie bei den vergangen Taten des Serienkillers führte Antonia selbst die Obduktion durch.

Die Untersuchungen waren noch nicht abgeschlossen, als ein junger Pathologe hereinkam.

„Frau Dr. Bredow!?“

Unwillig schaltete sie das Aufnahmegerät ab.

„Was ist denn?“, fragte sie verärgert über die Unterbrechung. Durch ihre Schutzbrille fixierte sie den Kollegen. „Hatte ich nicht darum gebeten, nicht gestört zu werden?“

„Tut mir Leid. Kommissar Gerlach ist draußen. Er besteht darauf, Sie zu sprechen.“

„Nicht jetzt“, bestimmte sie. „Ich brauche noch mindestens zwei Stunden. Sagen Sie ihm, dass er zur Tagesschau wiederkommen soll.“

Tatsächlich erschien der Kommissar erst gegen 20.00 Uhr abermals im Gerichtsmedizinischen Institut. Antonia war gerade dabei, den Y-förmigen Schnitt am Körper der Toten zu verschließen.

„Doc?“, sprach Pit sie vorsichtig an. „Bin ich zu früh?“

„Jetzt komm schon rein“, forderte sie ihn auf. „Wo hast du denn die Staatsanwältin gelassen? Sonst kreuzt ihr doch immer im Doppelpack auf.“

„Ich habe sie angerufen; sie wird gleich hier sein.“

„Dann warten wir“, beschloss sie und zog ein Laken über den Leichnam. „Sonst muss ich alles zweimal erklären.“

Obwohl er sehr gespannt auf die Obduktionsergebnisse war, wagte er nicht, zu widersprechen. Erst vor wenigen Stunden hatte er sie das erste Mal zornig erlebt und wollte vermeiden, sie nochmals zu verärgern.

„Hast du inzwischen rausgefunden, wer für die Schlamperei heute Mittag verantwortlich ist?“, fragte sie, während sie ihre Instrumente beiseitelegte. „Wie konnte es unentdeckt bleiben, dass die Frau noch gelebt hat?“

„Die Beamten, die als erste am Fundort waren, sahen den Blütenzweig auf ihrem Gesicht. Ihnen war sofort klar, dass es sich um ein Opfer des Orchideenmörders handelt. Um keine Spuren zu verwischen, haben sie sich nicht getraut, etwas anzufassen. Für sie gab es keinen Zweifel am Tod des Opfers, weil bislang noch keins dem Killer lebend entkommen ist.“

„Das ist auch keine Entschuldigung.“

„Ich weiß“, gab er ihr Recht. „Haben deine Untersuchungen ergeben, dass die Frau überlebt hätte, wenn die notärztliche Behandlung eine halbe Stunde früher erfolgt wäre?“

„Nein“, musste sie zugeben. „Die Verletzungen waren zu schwerwiegend. Sie ist innerlich verblutet. Selbst eine sofortige Not-OP hätte sie höchstwahrscheinlich nicht retten können.“

„Wurde sie nicht wie die anderen Opfer erdrosselt?“, fragte Franziska von der Tür her. Sie hatte beim Eintreten die Worte ihrer Schwester gehört. Ernst nickte sie dem Kommissar zu, ehe sie Antonia fragend anschaute. „Hat der Killer sein Tötungsmuster geändert?“

„Nicht wirklich“, verneinte Antonia. „Allerdings wird er mit jedem Mord brutaler. Er scheint die Angst und die Qualen seiner Opfer zu genießen.“

„Woraus schließt du das, Doc?“

„Aus den zahlreichen inneren Verletzungen. Fast sämtliche Organe sind betroffen: Milzriss, Leberquetschung; eine Rippe durchbohrte die Lunge. Zusätzlich hat der Täter sie vergewaltigt und wollte sie erdrosseln. Wahrscheinlich hielt er sie für tot, als er sie zum Fundort geschafft hat.“

„Wie lange lag sie dort, bevor man sie gefunden hat?“

„Schwer zu sagen“, überlegte Antonia. „Da der Tod bei den anderen Opfern gegen Mitternacht eingetreten ist, liegt es nahe, dass er sie immer im Schutz der Dunkelheit entsorgt.“

„Hast sonst noch was entdeckt?“, fragte Pit. „Irgendwelche Fasern oder Hautpartikel?“

„Nur eine Klette, die sich in ihrem Haar verfangen hatte. Vermutlich bringt uns das aber nicht weiter. Ich erinnere mich, dass ich diese Pflanzen meterhoch auf dem Fabrikgelände gesehen habe. Trotzdem lasse ich noch überprüfen, ob es sich um dieselbe Spezies handelt.“ Nachdenklich wechselte ihr Blick zwischen dem Kommissar und ihrer Schwester. „Noch etwas ist mir aufgefallen: Ihre letzte Mahlzeit war Pasta mit einer roten Basilikumsoße. Auch der Mageninhalt der anderen Opfer hat der Zusammensetzung nach aus einem Nudelgericht bestanden.“

„Denkst du an eine Henkersmahlzeit, Toni?“

„Vielleicht lädt der Killer sein nichtsahnendes Opfer zum Essen ein, bevor er es tötet?“

„Zum Italiener“, folgerte der Kommissar. Mit zwei Fingern strich er sich über seinen Schnurrbart. „Oder er kocht ein romantisches Dinner als Einleitung für ein grausames Finale.“

„Demnach haben wir es mit einem Mörder zu tun, der eine Vorliebe für Nudeln hat“, resümierte Franziska. „Das trifft aber auf Millionen Männer zu.“

„Da ist noch was“, sagte Antonia. „Was mich immer wieder wundert, ist die Tatsache, dass der Täter überhaupt keine Faserspuren hinterlässt. Da wir davon ausgehen, dass er seine Opfer mit dem Auto zum jeweiligen Fundort transportiert, wickelt er sie vorher wahrscheinlich in eine Kunststoffplane oder etwas Ähnliches. Sonst würden kleinste Partikel an der Haut oder der Körperbehaarung haften bleiben.“

„Wenn er so gerissen ist, übt er vielleicht auch die Taten schon auf einer Plastikfolie aus“, überlegte Pit. „Dadurch verhindert er eine direkte Berührung der Opfer mit dem Tatort. Hinterher muss er die Folie nur loswerden. Abgebrüht, wie er ist, stellt er sie umweltfreundlich in einem gelben Sack zur Abholung vor die Haustür.“

„Solche Spekulationen helfen uns leider auch nicht“, meinte die Franziska. „Es läuft wieder auf das gleiche Ermittlungsmuster hinaus: Wenn das Opfer identifiziert ist, müssen wir mit der Befragung seines Umfeldes beginnen. Dabei kommt wahrscheinlich auch diesmal nichts raus, das uns weiterbringen könnte. Dafür wird uns die Presse in Stücke reißen. Sollte durchsickern, dass das Opfer noch lebte, als es entdeckt wurde ...“ Fragend hob sie die Brauen. „Hast du eigentlich gar keinen Buchstaben gefunden, Toni?“

„Ein i “, erwiderte ihre Schwester und reichte ihr einen kleinen Plastikbeutel aus einer Nierenschale. „Ich musste lange danach suchen. Es befand sich im Enddarm.“

„Wie unangenehm“, brummte Pit erschaudernd. „Lässt dieser Fundort Rückschlüsse darauf zu, welche Zeitspanne das Opfer ungefähr in der Gewalt des Killers war? Wie lange braucht so ein Holzstück vom Moment des Verschluckens bis zum Erreichen der Verdauungsorgane?“

„Falsche Richtung“, erklärte Antonia kopfschüttelnd. „Der Buchstabe wurde rektal eingeführt.“

„Er hat ihn ihr in ...“, brachte er ungläubig hervor. „Sicher?“

Spöttisch verzog Antonia die Lippen.

„Fängst du schon wieder damit an?“

„Sorry“, entschuldigte er sich sofort. „Ich will gar nicht hören, woher du das so genau weißt. Wann können wir mit deinem Bericht rechnen?“

„Bevor ich ins Wochenende starte, hast du ihn auf deinem Schreibtisch.“

Mondlicht auf kalter Haut

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