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Kapitel 14
ОглавлениеIn der Toskana lag nach einem heißen schwülen Tag ein Gewitter in der Luft. Als es plötzlich losbrach, saßen Vincent und sein Gast gerade beim Abendessen.
„Entschuldigen Sie mich“, bat er und erhob sich. „Ich muss Luigi helfen, die Pferde von der Koppel zu holen.“
Ohne zu zögern stand auch Helen auf.
„Ich komme mit.“
„Besser nicht. Es gießt schon in Strömen.“
„Bin ich aus Zucker? Nun kommen Sie schon, Vincent. So was tue ich nicht zum ersten Mal.“
Er ahnte, dass es wenig Sinn haben würde, diese energische Lady von ihrem Vorhaben abzubringen. Deshalb reichte er ihr in der Diele eine schützende Jacke, warf sich selbst eine über und öffnete die Haustür. Durch den immer heftiger werdenden Regen liefen sie zur Koppel hinüber. Blitze zuckten vom Himmel und tauchten die Umgebung in gespenstiges Licht, ließen die Panik der Pferde erkennen. Der Verwalter bemühte sich vergeblich, die verschreckten Tiere zusammenzutreiben. Wieder zerriss ein Blitz die Dunkelheit; gleich darauf schien der Himmel unter der Gewalt des Donners zu bersten.
Zu dritt versuchten sie, die Pferde in eine Ecke der Koppel zu treiben, aber sie brachen immer wieder angsterfüllt aus.
„So wird das nichts!“, rief Helen ihrem Gastgeber zu und stieg auf den Lattenzaun. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, aber sie schien das gar nicht zu bemerken. Ehe Vincent klar wurde, was sie vorhatte, begriff der Verwalter ihre Absicht und trieb die Pferde in ihre Richtung. Als sich die Tiere dicht am Zaun vorbeidrängten, griff Helen blitzschnell in die Mähne eines Rappen und schwang sich auf seinen Rücken. Mit angehaltenem Atem sah Vincent, dass Helen durch die Nässe beinah abrutschte und zu stürzen drohte. Kraftvoll zog sie sich wieder hoch und warf den Kopf zurück.
„Macht das Tor auf!“, schrie sie gegen das Unwetter an, so dass Bewegung in Vincent kam. Kaum hatte er das Gatter geöffnet, preschte Helen an ihm vorbei in Richtung der Ställe. Instinktiv folgten ihr die anderen Pferde in die Sicherheit bietenden Unterkünfte.
Kurz darauf trafen auch Vincent und Luigi in den Ställen ein. Helen war bereits dabei, den Rappen in seine Box zu führen.
„Wir müssen sie trockenreiben“, sagte sie über ihre Schulter. Während draußen weiterhin das Unwetter tobte, versorgten sie die wertvollen Zuchtpferde. Vincent sagte dabei kein Wort. Er stand immer noch unter dem Eindruck von Helens waghalsiger Aktion. Insgeheim malte er sich aus, was ihr alles hätte passieren können. Erst dadurch wurde ihm bewusst, wie tief seine Gefühle für diese Frau inzwischen wurzelten. Unwillkürlich schaute er zu ihr hinüber.
Als hätte Helen es gespürt, wandte sie den Kopf. Ihre Blicke trafen sich quer durch den Stall. Ein Lächeln blühte in ihrem Gesicht auf, das er innig erwiderte. Obwohl ihr Haar nass und zerzaust war, wirkte sie in diesem magischen Moment schöner und attraktiver als jemals zuvor auf ihn. Seit Jahrzehnten hatte ihn keine Frau derart beeindruckt. Jede andere wäre vermutlich bei einem solchen Unwetter im Schutz des Hauses geblieben. Diese zierliche Person hingegen hatte den Naturgewalten getrotzt und tatkräftig zugepackt. Das imponierte ihm ebenso wie ihre enorme Bildung. Helen war wie er selbst vielseitig interessiert, so dass ihnen in den vergangenen Tagen der Gesprächsstoff nie ausgegangen war. In diesem Augenblick wurde Vincent klar, dass er nicht länger zögern durfte, ihr seine Gefühle zu offenbaren.
Durch den etwas nachlassenden Regen liefen sie ins Haus zurück. In der Diele schlüpften sie aus den nassen Jacken. Dabei bemerkte Vincent, wie durchweicht auch Helens übrige Kleidung war. Das Wasser rann aus ihrem Haar bis in den Kragen ihrer weißen Bluse. Spontan hob er die Hand und strich mit den Fingerspitzen die Tropfen von ihrer Wange.
Ein Schauer durchlief ihren Körper. Ursache dafür war allerdings nicht, dass sie erbärmlich fror. Sie erinnerte sich nicht, jemals ein so plötzlich aufkeimendes Verlangen nach einem Mann verspürt zu haben. Verwirrt schaute sie zu Vincent auf. Ihre Augen versanken ineinander.
„Bitte, tu so was nie wieder“, sagte er leise. „Mir ist bei deinem gefährlichen Manöver beinah das Herz stehengeblieben.“
„Sie wissen doch, dass ich mit Pferden aufgewachsen bin“, erinnerte sie ihn an ein Gespräch vor wenigen Tagen. „Es ist zwar schon lange her, seit ich mich auf einen ungesattelten Pferderücken geschwungen habe, aber ...“ Erst jetzt wurde ihr der tiefere Sinn seiner Worte bewusst. „Sie ... Du hattest Angst um mich?“ Ihre Stimme klang verwundert. „Warum?“
„Weil ..., weil ...“ Jetzt oder nie, riet ihm seine innere Stimme. Dennoch zögerte er. „Weil du mir wichtig bist“, sagte er vorsichtig. „Sehr wichtig. Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn dir was passiert wäre. Seit unserer Begegnung in dem kleinen Café spüre ich wieder etwas, von dem ich vergessen hatte, dass ich es empfinden kann.“ Er sah, dass sie zitterte und schüttelte leicht den Kopf. „Entschuldige, das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Du brauchst eine heiße Dusche.“ Damit schob er sie sanft in Richtung des Gästezimmers.