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Kapitel 12

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Am Donnerstag kam Antonia schon am frühen Nachmittag nach Hause. Ihrer beider Gepäck war von Leo schon im silberfarbenen Mercedes seines Freundes verstaut worden, so dass sie sich nur noch rasch umkleidete, bevor sie mit Quincy in ihren Kurzurlaub starteten.

„Schöner Wagen“, sagte sie und streckte die langen Beine aus. „Und so bequem.“

„Mein Chef legt Wert auf einen gewissen Komfort“, erwiderte Leo mit einem kurzen Seitenblick auf sie. „Davon profitiere ich, seit ich für ihn arbeite.“

„Manchmal scheint es tatsächlich vorteilhaft zu sein, wenn man nicht jeden Cent umdrehen muss“, meinte sie. „Vielleicht sollte ich mir doch einen Millionär angeln.“

„Untersteh dich! - Oder vermisst du bei mir irgendwas?“, fügte er verunsichert hinzu.

„Willst du eine ehrliche Antwort?“

„Unbedingt.“

„Eine Kleinigkeit vermisse ich schon“, sagte sie so ernst, dass er das Lenkrad unwillkürlich fester umfasste.

„Was?“

„Du hast mir heute noch nicht gesagt, dass du mich liebst.“

Erleichtert atmete Leo auf.

„Tatsächlich nicht? Wie dumm von mir!“ Nach einem schnellen Blick in den Rückspiegel ließ er den Wagen auf dem Grünstreifen neben der Landstraße ausrollen. Er löste seinen Sicherheitsgurt, beugte sich zu ihr hinüber und umrahmte ihr Gesicht mit beiden Händen. Zärtlich schaute er in ihre Augen. „Ich liebe dich. Mehr als ich jemals für eine Frau empfunden habe.“

Nach einem innigen Kuss trafen sich ihre Blicke abermals.

„Na, also: geht doch“, neckte sie ihn zufrieden lächelnd. „Sie dürfen wieder auf die Straße fahren, Herr Chauffeur.“

„Sehr wohl, Madame.“

Während sie in Richtung Hannover unterwegs waren, berichtete Antonia von einem Prozess, bei dem sie am Morgen als Gutachterin aufgetreten war.

„Fast wäre unentdeckt geblieben, dass er vergiftet wurde. Dann wäre wieder ein Mörder ungestraft davongekommen.“

„Hat die Obduktion keine eindeutige Todesursache ergeben?“

„Zuerst nicht. Ich kam zufällig dazu, als mein Kollege Dr. Reinhardt die Autopsie durchführte. Er hat nicht eine so feine Nase wie ich.“

Amüsiert lachte er.

„Sag bloß, du kannst riechen, auf welche Weise jemand zu Tode gekommen ist?“

„Manchmal schon“, bestätigte sie zu seiner Verblüffung. „Den Geruch von Bittermandeln können nur wenige Menschen wahrnehmen. Das ist eine geschlechtsbedingte, rezessiv vererbte Eigenschaft, die nur etwa 30 % der Bevölkerung besitzen.“

„Wirklich? Das wusste ich nicht.“ Einen Moment lang überlegte er. „Der Geruch genügt wohl nicht. Wie weist man nach, dass ein Mensch tatsächlich durch Zyankali gestorben ist?“

„Man gibt eine Blutprobe des Opfers mit einer Säurelösung in ein Reagenzröhrchen und hängt einen Papierstreifen, das sogenannte Reaktionspapier, hinein. Verfärbt er sich blau, ist das der Nachweis von Blausäure.“

„Zyankali ist das Kaliumsalz der Blausäure, nicht wahr?“

„Du scheinst im Chemieunterricht gut aufgepasst zu haben“, lobte sie ihn. „Die Blausäure ist der giftige Anteil im Zyankali.“

„... der schnell zum Tode führt“, vollendete er. „Oder ist es völlig unrealistisch, wie das manchmal im Film gezeigt wird: Man schluckt eine Zyankalikapsel und fällt dann tot um.“

„Am schnellsten geht es, wenn man die Kapsel zerbeißt. Dadurch wird die Blausäure im sauren Magen rasch freigesetzt, wird vom Körper aufgenommen, geht ins Blut und blockiert dort in allen Organen die Sauerstoffversorgung. Nach und nach versagen alle Organe, so dass man wenige Minuten nach der Einnahme mausetot ...“ Sie unterbrach sich, als sie das Hinweisschild zum Flughafen entdeckte. „Wohin fährst du eigentlich? Bist du sicher, dass es hier nach Usedom geht?“

„Todsicher. – Oder hast du Angst vorm Fliegen?“

„Wir fliegen? Warum erfahre ich das erst jetzt?“

„Habe ich etwa vergessen, das zu erwähnen? Mit dem Flieger brauchen wir allenfalls drei Stunden bis auf die Insel. So sparen wir viel Zeit.“

Er passierte eine Schranke und ließ den Wagen auf einem kleinen Parkplatz hinter einem Hangar ausrollen.

„Komm“, forderte er Antonia auf. „Wir werden erwartet.“

Sprachlos stieg sie aus und nahm Quincy an die Leine, während Leo die beiden Reisetaschen aus dem Kofferraum holte.

Vor dem offen stehenden Tor des Hangars stellte er das Gepäck ab und bat Antonia, einen Moment zu warten. Mit langen Schritten ging er hinein.

„Paul!?“

Aus den Tiefen der Halle tauchte ein Mann in einem beigefarbenen Overall auf. Er wischte sich die öligen Finger an einem Lappen ab, bevor er Leo die Hand reichte.

„Hallo, mein Freund. Wie geht es dir?“

„Ausgezeichnet. Ist die Maschine startklar?“

„Alles tiptop“, bestätigte der Mechaniker, wobei er die Frau mit dem Hund bemerkte. „Fliegst du nicht allein? Wer ist die Lady mit dem sensationellen Fahrgestell?“

„Die Frau meiner Träume“, erklärte Leo nicht ohne Stolz, worauf Paul überrascht die Brauen hob.

„Dich muss es ganz schön erwischt haben, sonst würdest du sie nicht mitfliegen lassen.“

„Stimmt. Ab heute gibt es keine Alleinflüge mehr.“

„Du bist ein Glückspilz“, meinte der Mechaniker und klopfte ihm auf die Schulter. „Dann lass uns dein Mädchen an Bord bringen.“

Zusammen traten sie zu Antonia und Quincy. Leo machte sie miteinander bekannt. Dann nahm Paul das Gepäck und ging auf die Rollbahn voraus.

Ungläubig weiteten sich Antonias Augen, als sie sah, dass er die Reisetaschen in einer kleinen Propellermaschine verstaute.

„Das ist nicht dein Ernst“, wandte sie sich an Leo. „Du willst doch nicht wirklich mit diesem Ding fliegen.“

„Warum nicht? Der Vogel ist auf dem neuesten technischen Stand.“

Skeptisch blieb sie vor dem Flugzeug stehen.

„Angst? Was ist mit deiner Abenteuerlust?“

„Die muss ich zu Hause vergessen haben“, erwiderte sie trocken. „Erwartest du wirklich, dass ich da einsteige?“

„Vertrau mir“, bat er und drückte sie kurz an sich. Dann nahm er ihr den Hund ab, verfrachtete ihn auf die Rückbank der Maschine und schnallte ihn mit einem Spezialgurt an.

„Jetzt du“, forderte er sie auf und zeigte ihr ihren Sitzplatz.

„Ich muss verrückt sein“, murmelte sie, während sie auf einen der Vordersitze kletterte. „Wo ist eigentlich der Pilot? Wenn wir noch lange auf ihn warten müssen, habe ich genug Zeit, wieder zur Vernunft zu kommen.“

Leo lachte nur und nahm auf dem Pilotensitz Platz.

„Er ist schon zur Stelle.“

Beinah entsetzt schaute Antonia ihn an.

„Das glaube ich jetzt nicht! Du willst diese Kiste fliegen?“

„Ich habe eine Fluglizenz. Schon seit zwanzig Jahren ist Fliegen mein Hobby.“

„Gehört dieser Vogel etwa dir?“

„Meinem Freund. Wir teilen die Liebe zur Fliegerei.“

„Warum ist dann nicht er mit dieser verdammten Maschine unterwegs?“

„Weil er sich momentan in Hongkong aufhält“, erklärte Leo geduldig. „Das hier ist kein Langstreckenflugzeug.“ Behutsam griff er nach Antonias Hand. „Vertraust du mir?“

Mit einem ergebenen Seufzer blickte sie ihm in die Augen.

„Sollten wir abstürzen, werde ich am Himmelstor auf dich warten – und dann gnade dir Gott!“

„Mit so kostbarer Fracht an Bord fliege ich besonders vorsichtig“, meinte er und überprüfte die zahlreichen Instrumente.

Paul grinste übers ganze ölverschmierte Gesicht, wünschte den beiden bezeichnender Weise Hals und Beinbruch und schloss von außen die Flugzeugtüren. Daraufhin reichte Leo seiner blass gewordenen Begleiterin Kopfhörer, setzte seine eigenen auf und erbat über Funk vom Tower Starterlaubnis. Minuten später hob die kleine Maschine ab.

Antonia bemühte sich, das flaue Gefühl in der Magengegend zu ignorieren. Sie mochte gar nicht daran denken, was alles passieren könnte. Dennoch tauchten schreckliche Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Vor etwa zwei Jahren waren die Absturzopfer einer kleinen Privatmaschine bei ihr in der Pathologie gelandet. Total verstümmelte Körper. Es war kaum möglich gewesen, die überwiegend verkohlten Leichteile den Opfern zuzuordnen. Damals hatte sie sich geschworen, nie in ein so kleines Flugzeug zu steigen. Und nun saß sie in diesem winzigen fliegenden Käfig.

Ihre verkrampfte Haltung verriet Leo, dass sie sich nicht wohlfühlte. Vielen Menschen erging es so, wenn sie das erste Mal in einem kleinen Flieger reisten. Um sie abzulenken, flog er eine Schleife.

„Liebe Fluggäste“, sagte er in sein Mikrofon, so dass sie seine Stimme über die Kopfhörer vernahm. „Mein Name ist Leo Ulrich. Ich bin Ihr Pilot und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug. Bitte wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit der herrlichen Landschaft unter uns zu. Dort sehen Sie den im Süden der Region Hannover liegenden Deister. Er ist in der Kreidezeit entstanden und bildet den Ausgangspunkt zur norddeutschen Tiefebene. Heute ist der Deister ein beliebtes Naherholungsgebiet mit Wanderwegen, Trimm-dich-Pfaden und einem Jagdschloss. Vor uns auf der rechten Seite sehen Sie gleich ein kleines Häuschen am Waldrand. Dort wohnt eine ganz außergewöhnliche Frau. Zwar hat sie die etwas makabre Angewohnheit, an Leichen rumzuschnippeln, aber sie ist trotzdem das bezauberndste Wesen, das mir je begegnet ist.“

„Bitte beachten Sie auch das Anwesen auf der anderen Straßenseite“, übernahm Antonia. „Dort lebt und arbeitet ein Mann, der fähig ist, ein total verwildertes Grundstück in ein blühendes Paradies zu verwandeln. Außerdem ist er der hilfsbereiteste und einfühlsamste Mann, den ich kenne.“

Lächelnd wandte sich Leo ihr zu.

„Das hast du schön gesagt.“

„Dito“, entgegnete sie, sein Lächeln erwidernd. „Und nun schau gefälligst nach vorn“, fügte sie streng hinzu. „Du bist jetzt schon auf falschem Kurs. Falls mich meine geografischen Kenntnisse nicht täuschen, liegt Usedom im Norden.“

„Über kleine Umwege gelangt man auch ans Ziel“, behauptete er und korrigierte den Kurs. „Geht es dir gut?“

„Besser als noch vor wenigen Minuten“, nickte sie. „Danke, dass du mir mein Häuschen von oben gezeigt hast. Das war ein ganz lieber Gedanke.“

In den nächsten Stunden machte er Antonia jedes Mal aufmerksam, wenn sie Sehenswürdigkeiten überflogen und gab interessante Kommentare dazu ab, so dass sie alle Angst verlor.

Am frühen Abend landeten sie auf dem direkt am Stettiner Haff liegenden Usedomer Flughafen Heringsdorf. Dort stand der von Leo geleaste Mietwagen bereit, so dass sie bald auf der Straße in nördlicher Richtung unterwegs waren.

So abwechslungsreich hatte sich Antonia die Landschaft nicht vorgestellt: herrliche Alleen, viele kleine idyllisch gelegene Seen, dichte Wälder. Kurz nach dem Passieren des Seebades Trassenheide bog Leo in eine schmale Straße ein, die bis zu einem mit hohen alten Bäumen bewachsenen Grundstück führte.

„Ist das schön!“, rief Antonia begeistert aus und sprang aus dem Wagen. Das weiße Haus war reetgedeckt, wobei das Dach an einer Seite fast bis auf den Boden reichte. Im Erdgeschoss führten große, mit grünen Läden versehene Türen ins Freie. Die in den Dacherkern eingelassenen Fenster mit den Butzenscheiben wirkten, als trügen sie eine strohgedeckte Kappe.

„Du hast gesagt, dass dein Freund dieses Haus von seiner Tante geerbt hat. Es sieht gar nicht so alt aus.“

„Es war in einem ziemlich heruntergekommenen Zustand. Zu DDR-Zeiten wurde kaum etwas daran gemacht. Mein Freund hat das Haus nach der Wende geerbt und meinen Herrn Papa mit dem Umbau beauftragt.“

„Dein Vater muss ein großartiger Architekt sein.“

„Darauf kannst du wetten. Viel mehr als die Außenwände ist vom ursprünglichen Haus nicht stehen geblieben. Innen wurde total entkernt, neue Wände und Decken wurden gezogen. Dadurch ist die Raumaufteilung nun viel großzügiger. “ Lächelnd griff er nach ihrer Hand. „Komm, ich zeige dir alles.“

Während Quincy zuerst das Grundstück erkundete, betraten Antonia und Leo das Haus. Auch von innen wirkte es hell und freundlich. Zu ebener Erde befand sich außer einem kleinen Bad nur der geräumige Wohnbereich mit integrierter Küche. Zwei Schlafräume und ein größeres Badezimmer waren unter dem Dach eingerichtet.

Als Leo das Gepäck hereinholte, öffnete Antonia oben eines der Erkerfenster.

„Ich kann das Meer sehen!“, freute sie sich wie ein Kind, worauf Leo hinter sie trat und den Arm um ihre Schultern legte.

„Nachts, wenn alles still ist, kannst du sogar die Wellen rauschen hören. Ist das nicht ein wunderschönes Plätzchen, um uns besser kennenzulernen? Ich möchte alles von dir wissen: Welche Bücher du am liebsten liest, welche Musik du magst, ob du vom Frühstücksbrötchen die obere oder die untere Hälfte vorziehst, ob du dein Steak durch oder medium isst, ob du lieber ans Meer oder in die Berge fährst ...“

„Ein bisschen viel auf einmal.“ Mit einem schelmischen Lächeln wandte sie sich zu ihm um. „Ein Wunder, dass du keinen lückenlosen Lebenslauf von mir erwartest.“

„Würdest du mir denn vorbehaltlos alles erzählen?“

„Das käme darauf an, inwieweit du dazu bereit bist.“

Nachdenklich schaute er ihr in die Augen. War nun der richtige Zeitpunkt, Antonia die Wahrheit über sein bisheriges Leben zu sagen? Oder war das noch zu früh?

„Mir scheint, du hast etwas zu verbergen“, deutete sie sein Schweigen. „Ich werde schon noch rausfinden, wie viele Leichen du im Keller hast. – Aber zuerst möchte ich auspacken.“ Sehnsüchtig warf sie einen Blick aus dem Fenster. „Unternehmen wir nachher noch einen Strandspaziergang? Dabei wirst du erkennen, dass ich das Meer den Bergen vorziehe.“

„Okay“, stimmte er sofort zu. „Anschließend führe ich dich zum Abendessen aus. Bei dieser Gelegenheit teste ich, wie du dein Steak magst.“

„Daraus wird nichts“, prophezeite sie ihm lachend. „Wenn ich am Meer bin, esse ich frischen Fisch.“

Mondlicht auf kalter Haut

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