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Kapitel 16

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An ihrem letzten Urlaubstag bereitete Leo schon zeitig das Frühstück vor. Um Antonia nicht zu wecken, vermied er jedes Geräusch. Der Hund wich allerdings nicht von seiner Seite.

Deshalb öffnete er die Terrassentür und verließ mit Quincy das Haus. Nachdem der Vierbeiner alle Geschäfte erledigt hatte, schnitt Leo einen bunten Blumenstrauß für den Frühstückstisch. Auf leisen Sohlen betrat er das Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante.

Unwillkürlich fragte er sich, weshalb das Schicksal ihm Antonia so lange vorenthalten hatte. Warum war er ihr nicht schon früher begegnet? Mit ihr an seiner Seite wäre sein Leben anders verlaufen. Ohne diese schmerzhafte Enttäuschung, die ihn völlig aus der Bahn geworfen hatte. Antonia hätte ihn niemals so schamlos hintergangen wie die Frau, der er einmal blind vertraut hatte, die dafür verantwortlich war, dass er ein anderer geworden war. Er war aus der Großstadt geflohen und hatte sich in dem kleinen Ort am Deister förmlich vor der Welt versteckt. Niemand hatte sich für ihn und seine Vergangenheit interessiert – bis zu dem Tag, an dem Antonia in seinem Leben aufgetaucht war. Ihr war es nach und nach gelungen, seine Verbitterung und sein Misstrauen in positive Empfindungen zu verwandeln. In Gefühle, von denen er geglaubt hatte, sie nie wieder empfinden zu können. Er hätte ihr schon viel eher reinen Wein über seine wahre Identität einschenken müssen. Dennoch schob er dieses längst fällige Gespräch immer noch vor sich her. Erst vor wenigen Tagen in den Dünen war er entschlossen gewesen, ihr endlich die Wahrheit über sich zu sagen, doch ihn hatte der Mut wieder verlassen, weil er fürchtete, Antonia könne sofort enttäuscht abreisen. Nun musste er sich eine Strategie überlegen, ihr möglichst bald alles zu erklären, ohne sie zu verletzen.

Liebevoll betrachtete er Antonias entspanntes Gesicht. Um ihren Mund lag ein leichtes Lächeln.

„Schläfst du noch oder simulierst du?“

Ohne die Augen aufzuschlagen, tastete sie nach ihm.

„Leg dich noch ein bisschen zu mir.“

„Möchtest du mir was Unanständiges ins Ohr flüstern?“

„Nur ein bisschen kuscheln“, bat sie, so dass er nicht widerstehen konnte. Rasch schlüpfte er zuerst aus den Schuhen und dann unter die Decke. Behaglich schmiegte er sich an die Frau, die er liebte.

„Zufrieden?“

„Mmmm ... Kannst du nicht die Zeit anhalten? Am liebsten würde ich für immer mit dir hierbleiben.“

„Sei vorsichtig mit solchen Wünschen. Sie könnten in Erfüllung gehen.“

„Wo ist das Problem?“

„Glaubst du wirklich, dass du es bis ans Ende aller Tage mit mir aushalten könntest?“

„Ja.“

Verwundert richtete er sich etwas auf. Seine Augen tasteten über ihr entspanntes Gesicht.

„Ja?“

„Schlicht und einfach: ja“, bestätigte sie. „Ich habe noch nie ein so starkes Zusammengehörigkeitsgefühl verspürt. Aber nicht nur das wurde mir in den letzten Tagen bewusst. Inzwischen weiß ich, wie sehr mir das immer gefehlt hat. Bislang habe ich erfolgreich verdrängt, dass ich mich nach jemandem Verlässliches an meiner Seite sehne. Nach jemandem, der mich akzeptiert, wie ich bin, mit dem ich alt werden möchte.“

Ein erwartungsvolles Lächeln glitt über seine Züge.

„Das klingt beinah wie ein Heiratsantrag.“

„Und wenn es einer wäre? Würdest du ihn annehmen?“

„Tja ...“ Er schien ernsthaft darüber nachzudenken. „Vor ein paar Tagen warst du alles andere als begeistert von meinem Wunsch, dich zu heiraten. Hat sich deine Einstellung dazu so schnell geändert?“

„Wenn ich das so genau wüsste ... Hier auf der Insel erscheint mir alles so anders – so einfach. Jede einzelne Stunde habe ich unendlich genossen. So ausgeglichen und glücklich war ich seit Jahren nicht. Wenn wir erst zu Hause sind, hat der Alltag uns schnell wieder.“

„Ich werde schon für Highlights in unserer Beziehung sorgen“, versprach er. Vorsichtshalber griff er das Thema Ehe nicht noch einmal auf. Er ahnte, dass sie zu einer Entscheidung für eine lebenslange Bindung noch nicht bereit war. „Du sollst auch unseren letzten Urlaubstag genießen. Wie wäre es für den Anfang mit einem ausgedehnten Frühstück?“

„Klingt gut“, meinte sie. „Vorher muss ich mit Quincy raus.“

„Schon erledigt.“ Er strich ihr eine Haarsträhne zurück und küsste sie auf den Nacken. „Willst du im Bett frühstücken?“

„Lieber nicht. Sonst finde ich heute überhaupt nicht aus den Federn.“ Erwartungsvoll schaute sie ihn an. „Wie ich dich kenne, hast du den Tag schon verplant. Worauf muss ich mich denn nach dem Frühstück einstellen?“

„Lass dich überraschen“, bat er und zog ihr mit Schwung die Decke weg. „Ab mit dir unter die Dusche. In einer halben Stunde beginnt mein letztes Insel-Verwöhnprogramm.“

Nach dem Frühstück unternahm Leo mit Antonia und Quincy eine Fahrt in die waldreiche, unter Naturschutz stehende Endmoränenlandschaft zwischen Kamminke und Ahlbeck. Den von Touristen umlagerten Wolgastsee ließen sie hinter sich, um am viel kleineren und stilleren Krebssee spazieren zu gehen. Später fuhren sie über Garz bis zum Golm, dem höchsten Hügel der Insel Usedom. Von dort genossen sie bei strahlendem Sonnenschein einen herrlichen Blick über die Haffküste.

Um die Mittagszeit verspürte Antonia Hunger. Leo versprach ihr ein besonderes Mittagessen und fuhr mit ihr in die Nähe von Morgenitz. Den Mietwagen parkte er am Straßenrand. Obwohl Antonia nirgendwo ein Gasthaus sehen konnte, stieg sie mit Quincy aus. Anscheinend plante Leo vor dem Mittagessen noch einen Spaziergang zu einer weiteren Sehenswürdigkeit. Darauf hätte sie zwar gut verzichten können, aber sie wollte Leo nicht in sein Verwöhnprogramm hineinreden.

„Bist du nun enttäuscht, dass ich nicht bei der erstbesten Futterstelle angehalten habe?“, neckte Leo sie, während er um das Fahrzeug herumkam. „Immerhin hätte mir in den letzten Tagen auffallen müssen, wie sich die Seeluft auf deinen Appetit auswirkt.“

„Hältst du mich etwa für verfressen?“

„So drastisch würde ich das nicht ausdrücken“, lachte er und öffnete den Kofferraum. „Da ich deinen Magen aber schon eine Weile knurren höre, werde ich dir diese Leckerbissen nicht länger vorenthalten“, fügte er hinzu und holte einen Picknickkorb aus dem Kofferraum. „Ein kluger Mann sollte auf alles vorbereitet sein.“

„Du bist wirklich immer für eine Überraschung gut“, erwiderte sie lächelnd und nahm ihm die karierte Decke aus der Hand.

Erst am frühen Abend kehrten sie in das reetgedeckte Haus zurück. Antonia ging gleich nach oben, um sich ein wenig frischzumachen. Unterdessen sorgte Leo für eine romantische Atmosphäre: Kaminfeuer, Kerzenlicht, leise Musik.

„Unser letzter Urlaubstag war herrlich“, sagte sie, als sie sich später zu ihm auf das Sofa setzte. „Das waren die kürzesten, aber auch die schönsten Ferien meines Lebens. Dafür möchte ich dir danken.“ Sie griff nach seiner Hand und legte einen bräunlichen Stein hinein. „Vor ein paar Tagen habe ich den Bernstein am Strand gefunden. Er ist zwar nur klein, aber er soll dich immer an unsere Zeit auf dieser Insel erinnern.“

„Danke, das wird sofort mein Glücksbringer sein“, freute er sich. Behutsam, als sei es zerbrechlich, nahm er ein dunkelblaues Kästchen vom Tisch. „Ich habe auch was für dich.“

Abwehrend hob sie die Hände.

„Waren wir uns nicht einig, dass du für mich kein Geld ausgeben sollst?“

„Selbstverständlich halte ich mich an unsere Absprache“, versicherte er und öffnete die Schachtel. „Das Armband hat meiner Mutter gehört, vor ihr meiner Großmutter und davor meiner Urgroßmutter. Ich möchte, dass du es jetzt trägst, Antonia.“

„Es ist wunderschön“, sagte sie, wobei sie den aus Gelb – Weiß – und Rotgold geflochtenen Schmuck betrachtete. „Anscheinend ist das ein Familienerbstück. Das kann ich unmöglich annehmen.“

„Du musst es tragen“, widersprach er bestimmt. „Die Tradition verlangt, dass der erstgeborene Sohn es der Frau schenkt, die er über alles liebt. So wird es von Generation zu Generation weitergegeben.“ Er nahm das Armband aus dem Kästchen und legte es um Antonias Handgelenk. „Es ist an der Zeit, dass es nach langer Suche endlich eine neue Besitzerin hat.“

Gerührt schaute sie ihm in die Augen.

„Leo, ich ... Das ist das wundervollste und kostbarste Geschenk, das ich jemals erhalten habe. - Ich liebe dich.“

Mondlicht auf kalter Haut

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