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Kapitel 6

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Antonia traf Leo erst in der folgenden Woche zufällig auf der Straße. Sie kehrte mit Quincy von einem Spaziergang zurück, als ihr der Nachbar mit einigen Zeitungen unter dem Arm entgegenkam.

„Guten Abend, Antonia“, begrüßte er sie freundlich-distanziert, klopfte dem mit dem Schwanz wedelnden Hund allerdings wohlwollend die Seite. „Lange nicht gesehen.“

„Seit meinem Einzug hatte ich viel zu tun“, erwiderte sie etwas irritiert über seine unverbindliche Haltung. „Jetzt ist aber alles an seinem Platz. Auch das Zimmer unter dem Dach habe ich schon renoviert.“

„Ich dachte schon, dass Sie mir absichtlich aus dem Weg gehen“, gestand er, wobei er sich sichtbar entspannte. „Haben Sie sich inzwischen eingelebt?“

„Bislang hatte ich noch keine Zeit dazu. Heute ist sozusagen Premiere für einen gemütlichen Abend im eigenen Heim. – Haben Sie Lust, mir bei einem Glas Wein Gesellschaft zu leisten?“, fügte sie spontan hinzu. „Oder haben Sie schon andere Pläne?“

„Noch nicht“, verneinte er erfreut. „Wann soll ich kommen? Nach dem Abendessen?“

„Mögen Sie Spaghetti?“

„Jede Art von Pasta übt einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus.“

„Haben wir etwa kalorientechnisch die gleiche Schwäche? Dann erwarte ich Sie in einer Stunde.“

„Ich bin zu jeder Schandtat bereit. Darf ich eine Flasche Wein vom Landgut meines Vaters mitbringen?“

„Wenn Sie deswegen nicht noch schnell in die Toskana düsen müssen, lasse ich mich gern überraschen, ob der Wein wirklich so gut ist.“

Obwohl es ein milder Abend war, deckte Antonia den Tisch in ihrem kleinen Speisezimmer, das ein bogenförmiger Durchgang vom Wohnraum trennte.

Bei Leos Eintreffen zündete sie gerade die Kerzen an.

„Gehen Sie bitte schon rein“, forderte sie ihn auf. „Ich muss nur noch die Nudeln abgießen.“

Während Antonia in der Küche verschwand, blickte sich ihr Gast interessiert im Wohnzimmer um. Ihm gefiel die schnörkellose Möblierung: zwei weiße Ledersofas mit einem niedrigen Glastisch davor; eine große Anrichte aus Kirschbaumholz; vor der Fensterfront lud ein Ohrensessel nebst passendem Hocker und Beistelltisch mit Leselampe zum Verweilen ein.

„Sehr geschmackvoll“, lobte Leo, als Antonia mit einem Tablett in den Händen eintrat. „Ich mag es, wenn ein Raum nicht so überladen ist.“

„Da haben wir schon wieder etwas gemeinsam. Hoffentlich nimmt das nicht überhand.“

Bedächtig stellte er die mitgebrachte Weinkaraffe auf dem Tisch ab.

„Wäre Ihnen das so unangenehm?“

„Es wäre ungewohnt“, korrigierte sie ihn. „Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es sich oft nicht lohnt, nach Gemeinsamkeiten zu forschen. Sonst bringt man irgendwann zu viel von sich selbst ein. Das stört das innere Gleichgewicht.“

„Bis vor kurzem habe ich ähnlich gedacht“, gestand Leo mit entwaffnender Offenheit. „In letzter Zeit zweifle ich allerdings manchmal daran.“

Ein wissender Blick streifte Leo.

„Wie schön für Sie“, sagte Antonia und deutete einladend auf einen Stuhl, bevor sie sich setzte. „Sind Sie verliebt?“

„Unsinn!“, wies er diese Annahme von sich. „Über derartige Gefühlsduselei bin ich lange hinweg.“

„Tatsächlich?“, fragte sie und reichte ihm die Spaghettischüssel. „Wie alt sind Sie?“

„Vierundvierzig. – Warum?“

Nachdenklich musterte Antonia ihren Gast. Durch seinen dunkelgrauen Vollbart hätte sie ihn einige Jahre älter geschätzt.

„Wollen Sie mir weismachen, dass Sie Ihre Bedürfnisse mit dem Scheitern Ihrer letzten Beziehung begraben haben?“

„Und Sie?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, während er sich von dem roten Pesto auftat. „Was ist mit Ihren Bedürfnissen? Sie sind doch mit Sicherheit um einiges jünger als ich.“

„Zwei Jahre. Aber auch wenn ich zehn Jahre älter als Sie wäre, würde ich nicht wie eine Nonne leben, nur weil ich nicht aus Ehematerial bin.“

„Unverbindlicher Sex?“, schloss er missbilligend aus ihren Worten. „Was soll das bringen?“

„Es tut einfach gut“, erklärte sie. „Man fühlt sich begehrenswert. Es ist immer wieder neu, aufregend. Und hinterher ist man herrlich entspannt. Das ist weitaus prickelnder als die Routinerammelei in einer langjährigen Beziehung.“

„Offenbar enden bei uns an dieser Stelle die Gemeinsamkeiten. Ich brauche so was jedenfalls nicht.“

„Das reden Sie sich nur ein, Leo.“ Ihr mitfühlender Blick traf ihn. „Ihre letzte Beziehung muss sehr schmerzhaft für Sie geendet haben. Wie schützen Sie sich seitdem vor der Gefahr, sich wieder zu verlieben? Gehen Sie infrage kommenden Damen weiträumig aus dem Weg?“

„Vielleicht räume ich sie aus dem Weg“, erwiderte er herausfordernd. „Wäre das nicht der sicherste Schutz? Eventuell landen sie hinterher sogar bei Ihnen in der Pathologie!?“

„Mit Orchideen geschmückt?“, fügte sie spöttisch hinzu. „Von dieser absurden Theorie konnten mich schon meine Freundinnen nicht überzeugen.“

„Ihre Freundinnen?“, wiederholte er verblüfft. „Sie sprechen mit Ihren Freundinnen über mich?“

„Ich habe vor kurzem meinen hilfsbereiten Nachbarn erwähnt, der wunderschöne Orchideen züchtet. Unter anderem gab das Anlass zu wilden Spekulationen.“

„Die Sie offenbar amüsiert haben“, schloss er aus ihrem Mienenspiel. „Trauen Sie mir etwa keine dunkle Seite zu?“

„Selbst auf die Gefahr, dass Sie den Wein Ihres Vaters wieder mitnehmen, kann ich Sie mir beim besten Willen nicht als Mr. Hyde vorstellen.“

„Wie unaufmerksam von mir“, warf er sich vor, griff nach der Karaffe und schenkte die Gläser ein. „Dabei habe ich den Wein vorhin schon dekantiert, damit er sein volles Aroma entfalten kann.“ Jungenhaft zwinkerte er ihr zu. „Könnte meine Vorliebe für diesen blutroten Tropfen Ihre positive Meinung über mich unter Umständen beeinflussen?“

„Keine Chance“, verneinte sie und griff nach ihrem Glas. „Cheers!“

Den ersten Schluck ließ Antonia genüsslich auf der Zunge zergehen.

„Und?“, fragte Leo gespannt. „Habe ich zu viel versprochen?“

„Ganz und gar nicht“, sagte sie nach einer weiteren Kostprobe. „Er ist trocken und ... kraftvoll ...“

„Außerdem tiefgründig mit ausgezeichnetem Alterungspotential“, vollendete er. Fragend hob er die Brauen. „Haben Sie eigentlich mal wieder was von Ihrer Mutter gehört?“

„Ich habe sie noch am gleichen Abend angerufen, nachdem wir über sie gesprochen hatten“, erzählte sie. „Es scheint ihr gut zu gehen. Als sie sich das erste Mal gemeldet hatte, war sie nur müde, weil sie den ganzen Tag in der Stadt rumgelaufen war. Anscheinend habe ich mich wieder mal umsonst gesorgt.“

Ihre Worte erleichterten Leo, da sein Vater ihm mitgeteilt hatte, dass er ihre Mutter im Hotel nicht angetroffen hätte. Sie schien tagsüber ständig unterwegs zu sein.

„Der Wein ist wirklich gut“, sagte Antonia in seine Gedanken hinein. „Daran kann man sich gewöhnen.“

„Ja, vom Weinbau versteht mein alter Herr eine Menge – und von Pferden.“

„Reiten Sie auch?“

„Nur, wenn ich meinen Vater besuche. – Und Sie?“

„Wie die meisten Mädchen waren auch meine Schwester und ich als Kinder oft auf dem Reitplatz. – Bis Jungens für uns interessanter wurden.“

„Üben meine Geschlechtsgenossen immer noch die größere Anziehungskraft auf Sie aus?“

Amüsiert blitzte es in ihren Augen auf.

„Das ist, als würde man jemanden in Rom fragen, ob er schon mal was vom Papst gehört hat.“

„Warum sind Sie dann solo? Eine Frau mit Ihrem Aussehen und Ihrem Verstand zieht die Männer normalerweise an wie das Licht die Plagegeister der Nacht.“

„Bei einem Mann mit Ihrer Erscheinung und Ihrem Intellekt sollte man auch nicht annehmen, dass er allein durchs Leben singelt.“

„Ich bin nur ein einfacher Gärtner“, erinnerte er sie mit nachsichtigem Lächeln. „Die meisten Frauen interessiert es nicht, ob man Abitur und eine gute Ausbildung hat. Ein Mann muss erfolgreich sein, möglichst auch reich und mächtig.“

„Anscheinend sind Sie bisher an die falschen Mädels geraten.“

„Haben wir jetzt doch noch was gemeinsam, Antonia? Oder gibt es einen anderen Grund, aus dem Sie nicht längst in festen Händen sind?“

„Ich bin nicht hauptberuflich Single. Deshalb kann ich mich schon aus zeitlichen Gründen nicht mit allen Männern verabreden, die altersmäßig zu mir passen.“

Seine dunkelbraunen Augen konzentrierten sich auf Antonias Gesicht.

„Machen wir uns nicht selbst etwas vor, indem wir ständig Erklärungen finden, weshalb wir allein leben? Sehnt sich nicht jeder Mensch tief in seinem Inneren nach einem anderen, dem er bedingungslos vertrauen, dem er sich anvertrauen kann? Wahrscheinlich bilden auch wir beide da keine Ausnahme. Wir wollen es nur nicht wahrhaben.“

Der unbestechliche Blick ihrer klaren Augen hielt ihn sekundenlang gefangen.

„Ich weiß“, gab sie unerwartet zu. „Andererseits lebe ich gern allein. – Vielleicht habe ich mich auch nur daran gewöhnt“, räumte sie nach kurzem Nachdenken ein. „Immerhin hätte ich vor drei Jahren beinah geheiratet.“

„Woran scheiterte es?“

„Wahrscheinlich bin ich nicht anpassungsfähig genug“, erwiderte sie selbstkritisch. „Bestimmt gibt es viele Frauen, die freudestrahlend ihren Beruf aufgeben, um für den Mann das Hausmütterchen zu spielen. Ich brauche aber eine sinnvollere Beschäftigung als den Gang zum Frisör oder die Beaufsichtigung der Putzfrau. Außerdem hasse ich es, finanziell total abhängig von jemandem zu sein.“

Das schien Leo kaum glauben zu können.

„Ist Ihnen das wirklich so wichtig?“

„Wie würden Sie sich dabei fühlen? Stellen Sie sich vor, Sie wären mit einer Frau verheiratet, die beruflich erfolgreicher ist, mehr verdient und von Ihnen verlangt, den Hausmann zu spielen. Das Wirtschaftsgeld bekämen Sie zugeteilt und müssten über die Ausgaben Rechenschaft ablegen. Und natürlich müssten Sie immer adrett aussehen und Ihre bessere Hälfte verwöhnen, wenn sie nach einem anstrengenden Tag nach Hause käme. Selbstverständlich müssten Sie auch im Bett jederzeit zur Verfügung stehen.“

„Ich fürchte, in einer solchen Situation bekäme ich Migräne“, lachte Leo, worauf Antonia vorwurfsvoll den Kopf schüttelte.

„Unpässlichkeiten wären nun wirklich nicht angebracht. Immerhin können Sie sich den ganzen Tag ausruhen. Das bisschen Haushalt macht sich schließlich von allein.“

„So zu leben wäre tatsächlich eine Horrorvorstellung“, gab Leo zu. „Da bin ich doch lieber mein eigener Herr.“

„Deshalb habe ich es auch nach langen Diskussionen vorgezogen, solo zu bleiben“, entgegnete Antonia und griff nach ihrem Weinglas. „Seitdem genieße ich das Leben auf meine Art.“

Gespannt beugte sich Leo etwas vor.

„Welche Art ist das denn?“

„Das wüsstest du wohl gern!?“, entschlüpfte es ihr vergnügt. Als es ihr bewusst wurde, senkte sie verlegen den Blick.

„Das war doch längst fällig“, sagte Leo mit sanfter Stimme und nahm ebenfalls sein Glas. Behutsam ließ er es an ihrem klingen. „Immerhin duze ich mich mit Quincy auch.“

„Das hat er mir gar nicht erzählt“, tat sie überrascht, lächelte aber dabei. „Habt ihr etwa noch mehr Geheimnisse vor mir?“

„Das wüsstest du wohl gern!?“, parierte er. „Man darf Frauen doch nicht alles verraten.“

„Männern auch nicht“, konterte sie. „Trotzdem erzähle ich dir, dass am Samstag meine Einweihungsparty steigt. Falls du noch nichts Besseres vorhast, bist du hiermit eingeladen.“

„Ich würde gern kommen, aber ich habe leider schon andere Pläne. Übermorgen fahre ich zu einer Orchideenmesse, von der ich erst am Sonntag zurück bin.“

„Schade.“ Antonia war selbst überrascht, dass sie eine leise Enttäuschung verspürte. „All meine Freunde haben zugesagt.“

„Zählst du mich etwa schon dazu?“

„Das wirst du nun nie erfahren“, erwiderte sie und hielt ihm ihr Weinglas zum Nachschenken hin.

Mondlicht auf kalter Haut

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