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Die Vogesenschlacht Der Kampf um Saarburg

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ögernd und ungern waren wir langsam zurückgewichen. ^Nach dem schneidigen Vorstoß, der unser kleines Grenzschutz-Detachement weit in Feindesland hineingeführt hatte, wollte uns dieser aufgezwungene Rückzug gar nicht behagen. Allein ohne Murren fügte sich jeder dem Befehl, wenn auch der gemeine Mann nicht begreifen konnte, wie man vor einem Feind, den man glänzend geschlagen, zurückweichen könne, und gar bis auf den eigenen Heimatboden. Allein der deutsche Soldat gehorcht, und dieser blinde Gehorsam bis zu den höchsten Stellen gibt der obersten deutschen Heeresleitung ein Übergewicht wohl über jede Armee der Welt. Sie kann ohne jede Rücksicht auf Wünsche im Offizierskorps oder Stimmungen der Mannschaft disponieren. Dieser Organismus von Millionen von Einzelwillen, den das Herz eines ganzen Volkes beschwingt, ist in der Hand des Führers nichts als eine wunderbar arbeitende Präzisionsmaschine, deren effektive Leistung genau mit der berechneten stimmt.

Es war ein sonderbarer Rückzug, ohne Verluste, ohne Gefangene. Unsere Nachhut löste sich immer wieder mit einer Eleganz vom Gegner, als wäre das Ganze nur ein sorgfältig vorbereitetes Manöver. Je weiter wir wieder östlich kamen, desto deutlicher erkannten wir, dass unsere Tätigkeit als Grenzschutz beendet, dass hier ein deutsches Heer aufmarschiere, dass wir uns als bescheidenes Einzelglied in die Truppenmasse einfügten, die sich an der Grenze zu vernichtendem Schlage versammelte.

Am 17. August ritten wir durch Saarburg. Armes deutsches Städtchen! Allein wir konnten ihm nicht helfen. Strategische und taktische Rücksichten forderten seine Preisgabe. Allein in jedem einzelnen glühte eine grimme Erwartung: Wartet nur, wartet nur bis morgen, bis wir an euch heran dürfen, Franzosen!

Ob wohl auch nur ein einziger war unter den Tausenden, der nicht durchdrungen war von der Gewissheit des Sieges, sobald nur erst einmal die Erlaubnis dazu gegeben war! Auf den Hängen nördlich Saarburgs wurde schon eifrig geschanzt. Der ganze Nachmittag verging damit, die Stellungen für Artillerie auszusuchen und vorzubereiten. Ein harter Tag für den Oberst, der den Platz für jede einzelne Batterie, für jedes Geschütz fast selbst aussuchte. Aber am Abend war die friedliche Höhe eine kleine Festung: da standen Kanonen und Feldhaubitzbatterien, schwere Haubitzen und Mörser, und wir legten uns in den Beobachtungsstand, der in einer Hecke für den Regimentsstab gegraben war, zur Ruhe, mit dem ruhigen Bewusstsein, alles getan zu haben, was in unseren Kräften stand.

Am folgenden Morgen kamen die Franzosen. Durch unser Scherenfernrohr konnten wir ihren Anmarsch wie im Panorama beobachten. Ein Reitertrupp zeigte sich als erster. Wie ein niedliches Spielzeug sah man Reiter und Pferde auf dem fernen grünen Grund. Plötzlich ein Aufstieben. Nach allen Richtungen streben die Reiter auseinander. Sie haben wohl Feuer von einer vorgeschobenen deutschen Patrouille bekommen. Doch es kommen mehr und mehr, hinter den Einzelreitern geschlossene Kavalleriekörper, Radfahrer und leicht bewegliche Artilleriemassen — eine Kavalleriedivision. Mit unglaublicher Sorglosigkeit zeigen sich die feindlichen Stäbe auf den Höhen. Aber auf einmal sind die weißen Wölkchen am Himmel da. Wie ein feiner Sprühregen geht es von ihnen aus, und wo sie auftauchen, da zeigt sich auf einmal Verwirrung und Unordnung. Das vereinzelte Krachen ist zu einem gleichmäßigen Rollen und Dröhnen geworden. Auch die Franzosen haben jetzt ihre Artillerie in Stellung gebracht. Die weißen Wölkchen wirbeln am blauen Himmel durcheinander, als habe ein boshafter Engel die sonst friedlich beieinander weidenden Lämmerwolken in panischem Schrecken aufgescheucht.

Die Reiter sind verschwunden. Infanterie in geschlossenen Kolonnen rückt über die Hänge — außerhalb der Reichweite unserer Feldgeschütze. Drum sind sie wohl so unvorsichtig. Da tut sich mitten unter ihnen ein Krater auf. Eine Wolke von Steinen und Erde bricht aus dem Boden wie ein aufspritzender Geiser, wie ein ausbrechender Vulkan. — Welch ein verzweifeltes Rennen und Laufen. Doch neue Krater öffnen sich — hier und hier! Das ist die Hölle. Man glaubt den winzigen Menschlein dort unten die verzweifelte Todesangst am Gesicht ablesen zu können. — Unsere schwere Artillerie schießt! Fast erst, als alles vorüber ist, trifft ihr dröhnender Klang das Ohr — wie unterirdisches Grollen, und dann ein Krachen, als berste die Erde. Der Feind ist verschwunden, wie weggefegt vom Erdboden. Jetzt wissen die Franzosen, wir sind da. Ein seltenes Schauspiel, wie es dieser Feldzug vielleicht nie wieder bieten wird, ist vorüber. Was vor uns liegt, ist leeres Feld. Aber das Prasseln und Dröhnen und Rollen geht weiter, wird lauter und lauter. Der Feind liegt vor uns, in allen Falten und Winkeln des Geländes.

Zwei Tage ging es so. Die französische Infanterie schob sich langsam heran, bis sie auf wenige hundert Meter unseren Schützen gegenüber lag. Allein der erwartete, der erhoffte und entscheidende Angriff blieb aus. Da gingen wir am 20. zum Gegenangriff über. Wie ein Aufjauchzen war’s. Alle Hänge hinunter schoben sich die Schützenketten. Laut schwoll das Prasseln des Infanteriefeuers an, wie ein wütender Steinhagel gegen Blechwände. Die französische Artillerie sollte den Tag retten. Auch sie hatte schwere Artillerie vorgebracht, die neuen langen Zehn-Zentimeter-Kanonen, eine sorgsam geheim gehaltene Überraschung für uns. Auf einem Ordonnanzritt traf ich ihre Grüße, die unheimlich aufwirbelnden Erdtrichter. Hundert Meter seitlich stand eine lange Reihe von Geschützprotzen. Ein geringes Überschwenken des Feuers hätte sie alle vernichtet. Allein die Franzosen schossen immer in die gleiche Mulde, in der sie wohl deutsche Batterien vermuteten.

Im Stabe des Artilleriekommandeurs geht es vor. Die Franzosen räumen Saarburg. Die Stadt brennt. An einzelnen Punkten hält der Feind noch. Aus der Ulanenkaserne ticktackt Maschinengewehrfeuer. Ein paar Schüsse der schweren Artillerie bringen es zum Schweigen. Schwelender Rauch steigt auf. Auf dem feuchten Wiesengrund liegen sie durcheinander, Freund und Feind, zusammengekrümmte Leiber, staub- und blutüberkrustete Gesichter. Grell leuchtet das Rot der roten Hosen. Krankenträger gehen hin und her, mit trauriger Last; durchsuchen Busch und Ried. Und vorne tobt noch der Kampf. In Eich stehen die ersten Gefangenentrupps: Infanteristen und stahlblaue Jäger. Trüb und armselig blinkt matt die bunte Uniform. Die große Landstraße nach Saarburg ist aufgewühlt, die Telegraphenstangen zerschossen, die Drähte hängen über den Weg. Hinter Buschwerk eine niedergebrochene französische Batterie. An einem der Riesentrichter liegen Mann und Pferd durcheinander. Die blaubehosten Beine eines französischen Artilleristen mit den breiten roten Streifen starren aus dem Haufen.

Wir reiten dicht hinter der Kompagnie, die die Stadt säubert. Mit schussbereitem Gewehr, stichbereitem Bajonett wird Haus für Haus durchsucht. Hie und da noch ein paar Schüsse. Versprengte und Zurückgebliebene geben sich gefangen. Die ersten Einwohner laufen aus den Häusern: „Dass ihr nur wieder da seid, dass ihr nur wieder da seid!“ Da ist wahrhaftig nichts von Franzosenfreundlichkeit in Lothringen zu merken. Die Mädchen umdrängen uns. Die Augen sind verweint, die Haare verwirrt; sie sind übernächtig und matt. „Dass ihr nur wieder da seid!“ Ein Schluck Bier und ein Bissen Brot, heut der erste. Aber keine Zeit, weiter. Hinter den Abreitenden klingt der Trommelwirbel eines einziehenden Bataillons.

Rasch vorgezogene Batterien müssen die von der Infanterie genommene Stellung stützen. Eben steht die erste auf dem Rebenberg. Da pfeift es in der Luft. Die französische Granate krepiert mit hässlichem, rauem Krachen. Wenige Schritte vor uns. Infanteriefeuer setzt ein. Das ist der aus dem Reglement bekannte retour offensif der Franzosen! Um uns, über uns ein Heulen und Krachen. Und erst eine Batterie in Stellung. Die gerade auffahrende Abteilung muss zurück. Unsere Batterie erwischt eine feindliche im Auffahren. Die Protzen gehen durch, die Kanoniere laufen davon. Aber es ist eine drückende Übermacht. Wieder und wieder das hässliche Krachen. Ein paar Pferde des Stabes brechen zusammen, wälzen sich. Ein tödlich getroffenes brüllt stöhnend wie ein Mensch. Dort ein kurzes Aufschreien: „Mich hat’s troffen!“

Der Artilleriekommandeur zeigt rasch die Stellung der feindlichen Batterien. „Die schwere Artillerie soll sie sofort unter Feuer nehmen!“ Noch stehen Haubitzen und Mörser oben hinter den Hängen. In Karriere den gleichen Weg zurück, vorbei an nachdrängenden, sich stauenden Truppen und Kolonnen. Stöhnend galoppiert der Gaul den steilen, steinigen Weg hinan. Wenn er draufgeht, was liegt daran? Wie jagende Peitsche ist das Feuer im Rücken. Gott sei Dank, noch stehen die Batterien. Wie Glockenton der erste Schuss. Das Feuer dort unten lässt nach.

Durch trüben Dunst zeigt der Himmel mattrote Streifen. Dämmerung bricht herein. Verröchelnd erstirbt das Prasseln und Lärmen. Der Feind ist geworfen, der Tag gewonnen.

Wir draußen

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