Читать книгу Wir draußen - Colin Roß - Страница 6

Оглавление

Des Krieges Anfang

Wetterleuchten

ie großen Amerika-Dampfer kamen und gingen wie Schemen durch den Nebel. An der normannischen Steilküste entlang glitten sie über die glatte See. Regelmäßig wie Ebbe und Flut nahmen sie ihren Weg, unaufhaltsam wie große Meertiere. Des Tages lag ihre Rauchwolke über dem Horizont, des Nachts schimmerte das Leuchten ihrer tausend Lichter flimmernd durch den Dunst. Sie kamen und gingen, Welten, die nach anderen Welten wandern.

Hatte nicht auch mich einer von ihnen hinübergetragen aus dem Trubel amerikanischer Riesenstädte, aus den blutigen Wirren mexikanischen Bürgerkrieges, und abgesetzt an diesen einsamen, verlassenen Strand! — Wie klein war die Welt geworden: Ein blumenumranktes strohgedecktes Häuschen oben am Hang, ein Garten zum Meer herunter, zwischen den Felsen ein Stückchen Strand! Ringsum Vergessen, Ode und Leere. Möwen, die grüßend vorüberstreichen, Krabben und Taschenkrebse, die aus der blauen Tiefe herauskriechen, der einzige Besuch.

Da weht ein Blatt über den vergessenen Garten. Müßige Hand greift danach. Das Herz schreckt zusammen. War’s nicht wie fahles Leuchten über der See? — Hässliche fette Lettern auf schmutzig-zerrissenem Papier: „Der Erzherzog-Thronfolger und Gemahlin von Serben ermordet.“ — Grollte nicht eben die Erde? Versunken gewesene Welten steigen auf rings um den träumenden Garten. Das irdische Leben ist hereingebrochen über den schützenden Zaun, das Leben, das vergessen war. —

Über dem Blattwerk der Alleen auf den Pariser Boulevards flackern die Lichtreklamen, blenden die Flammenschriften der Theater und Kinos wie sonst. Wie jede Nacht zieht schlendernd eine genießende, dicht gedrängte Menge über die breiten Trottoirs. — Die Alarmnachrichten dort unten aus Europas Wetterwinkel? — Sie sind Stoff für die Zeitungen. Noch vermögen sie nicht, die Stadt aufzurütteln aus ihrer genießenden Ruhe. über Lüttich und Aachen nach Deutschlands Hauptstadt geht die Fahrt. Da trifft wie Wetterschlag die Nachricht ein, dass Osterreich Serbien den Krieg erklärt. Mit riesigen Ballen druckfeuchten Papiers eilen die Boten aus den Zeitungsdruckereien. Die Menge umringt sie, sperrt ihnen den Weg. Man balgt sich um die Blätter, sucht um jeden Preis einen Fetzen Papier zu erhalten. Man frisst die Nachrichten in sich hinein, saugt sie auf.

Begeisterte Trupps junger Leute durchziehen die Straßen. Man feiert die Bundesgenossen. Massen formieren sich, marschieren in gleichem Schritt und Tritt. „Deutschland, Deutschland über alles!“, ein einziger brausender Sang.

Österreich mit Serbien im Krieg! Ein neues Abenteuer lockt. Die Feldausrüstung liegt in München bereit. Dort schlägt die Begeisterung noch höhere Wogen. Jeder einrückende Österreicher ist ein gefeierter Held.

Die Züge nach Wien sind überfüllt. Schlafwagen laufen bereits nicht mehr. Niemand weiß, wie lange der regelmäßige Verkehr noch dauert.

Auf dem Bahnhof stauen sich die Massen vor den Perrons, warten geduldig auf die sich endlos verspätende Abfahrt der Züge, grüßen begeistert jede österreichische Uniform.

Von Salzburg ab ist’s eine Fahrt durch Kriegsland. Vor jedem Tunnel, auf jeder Brücke wachen Doppelposten mit aufgepflanztem Bajonett. Wien zeigt bei der Ankunft das gewohnte, liebvertraute Bild, das geschäftig-müßige Treiben auf den Straßen. Aber die Stadtbahn transportiert gewaltige Truppenmassen. Vor dem Arsenal, am Süd- und am Staatsbahnhof drängen sich die Scharen der Einberufenen, die Züge der requirierten Pferde und Fahrzeuge.

In den Nachmittagsstunden staut sich die Menge am Radetzky-Denkmal vor dem Kriegsministerium. Sie harrt geduldig aus, ob es ihr nicht vergönnt ist, Conrad von Hötzendorf zu sehen, den gefeierten Generalstabschef. Und in den Abendstunden spielen in den Gartenlokalen die Militärkapellen, nachdem sie die Truppen an die Bahn gebracht, Marsch auf Marsch. Man kommt kaum zum Sitzen. Immer von neuem schmettern die Trompeten: „Prinz Eugen der edle Ritter“.

Die Formalitäten auf dem Kriegspressequartier sind erledigt. Ich habe Pass und Ausweis in Händen. In wenigen Tagen soll es an die Grenze gehen. —

Vor einem Anschlag auf dem Kärntner Ring sammeln sich Menschen. In den Cafés bilden sich Gruppen um die Träger der Abendzeitung. Es ist wie ein plötzliches Verstummen. — Da steht es: Allgemeine Mobilmachung. Einberufung des Landsturms.

Es ist keine Zeit zu siegestrunkener Freude mehr. Allgemeine Mobilmachung, das heißt fort von Haus und Hof, von Weib und Kind. Allgemeine Mobilmachung, das heißt in aller Eile Geschäfte abwickeln und fort unter die Fahnen. Allgemeine Mobilmachung, das heißt Krieg mit Russland, das heißt auch Krieg für Deutschland, das ist der Weltkrieg. Was bedeutet jetzt noch Serbien! Jetzt gilt nur eines: so rasch wie möglich nach Hause, zum Regiment; denn in drei Tagen sind die Bahnen gesperrt.

Wir hocken dicht nebeneinander in den vollgepfropften Kupees, wir stehen eng aneinander gepresst auf den überfüllten Gängen: Offiziere, Einberufene, verängstigte Sommerfrischler mit ihren Familien, die heimwärts eilen, alles bunt durcheinander.

An der Grenze weiß niemand, ob und wie es weiter geht. Aber es geht weiter — in einem halb demolierten Speisewagen. Wilde Gerüchte schwirren umher. „Was macht Deutschland? Mischt es sich ein? Wird es mobil machen?“ Die Ungewissheit zerrt an den Nerven.

Wie der Zug in den Münchner Hauptbahnhof einfährt, werden dort Plakate angeschlagen. Große Buchstaben künden: Mobilmachung. — Mit einem Schlag legt sich alle bange Erwartung und Ungewissheit. Zuversicht zieht ein. — „Ihr wollt den Krieg, ihr sollt ihn haben.“ Das Wetterleuchten ist vorüber. Der Blitz hat eingeschlagen, grell und stark: Krieg!

Über den Rhein!

Die Fabriksirenen der Maffei-Werke bliesen Feierschicht. Durch das Gittertor zog der allabendliche Arbeiterzug. Heim von der Arbeit! — Verwundert sieht man auf die müden rußigen Gestalten. Wie, es gibt noch Männer, die der Friedensarbeit nachgehen! Irgendwie läuft das alte Leben noch weiter, das für uns seit vier Tagen erloschen ist mit dem Wort „mobil“.

An der Batterie vorbei ziehen die Werkleute. Hier wird noch die Tagesneige genutzt zur Arbeit. Die letzten Pferde werden beschlagen, die letzten Geschirre verpasst. Auf den Fahrzeugen werden noch Lebensmittel und Futter verstaut.

Der Mond steht über der Wiese. Dunkel begrenzt der Waldsaum des Englischen Gartens den Horizont. In den Schuppen scharren die Pferde. Aus dem Wirtshaus schallt das laute Singen der Mannschaften. Der wachthabende Offizier sitzt einsam im Schatten der Bäume. — Mögen die Leute singen, auch über den Zapfenstreich hinaus. Es ist der letzte Abend in der Heimat. Noch früh genug kommt der Ernst.

Vertraulich wurde mitgeteilt, dass das Regiment als Verstärkung der Grenzschutztruppen gegen den Feind kommt, möglicherweise direkt aus der Bahn heraus.

„Siegreich wollen wir Frankreich schlagen“, tönt’s durch die Fenster. Rötlich warmes Licht fällt auf die Straße. Auf der drüberen Seite stehen Geschütze und Munitionswagen. Gleich einer Marionette wandelt der Posten auf und ab. Er hat scharfe Patronen und den Befehl, auf jeden Verdächtigen zu schießen. — Kriegszeit! Noch will es das Herz nicht fassen. — Wer wird wiederkommen von uns allen?

Am anderen Tage rückt die Batterie aus der Stadt. Ein letztes Abschiednehmen auf dem Parkplatz, ein letzter Gruß der Augen vom Pferd herab. Zurück bleibt alles, was uns lieb, was bisher unser Leben war. Eins füllt allein das Herz: die Pflicht.

Ohne Sang und Klang, auf dem nächsten Wege geht es hinaus zur Verladerampe. Ein paar Leute stehen zufällig dort. Wie zum Manöver geht rasch und unauffällig die Einparkierung vonstatten. Als letzter Gruß winken Münchens Frauentürme.

Der endlose Zug, der die Batterie aufgenommen, dampft in die Nacht. Zwei Maschinen mühen sich keuchend.

Die Lichter sind abgeblendet, da feindliche Flieger gemeldet. Eng sitzen die Offiziere im Kupee zusammen. Wie ein Aufatmen überkommt es alle. Das unmöglich Aussehende ist geschehen, die mobile Batterie ist auf der Fahrt nach der Grenze. Aus dem ungeordneten Haufen von Menschen, Pferden und Material, das von allen Seiten zusammenströmt, ist eine kriegsbereite Truppe geworden, die fertig gefügt und ausgerüstet ist bis auf den letzten Knopf.

In einer Kurve übersieht man den Zug. Die Lokomotiven stoßen dichte Rauchwolken aus. Dahinter Wagen auf Wagen mit Pferden und Mannschaften; zum Schluss die flachen Wagen mit Geschützen und Fahrzeugen. Schräg starren die Deichseln in den Nachthimmel.

Und hinter uns und vor uns Zug auf Zug. Auf allen Linien, nach Ost und West, in kurzen Abständen hintereinander, wie Heuschreckenschwarm und Ameisenzug. Welch überwältigende Vision!

Auf den Stationen ist Wasser bereitgestellt, Erfrischungen, sogar in der Nacht. Und als wir bei sonnigem Tag durch das Württemberger und Badener Land rollen, da wird die Fahrt zum Fest. All überall jubeln Alte und Junge uns zu. Veteranen schütteln den Ausrückenden die Hand; Pfadfinder laufen eilfertig und wichtig hin und her. Und die lieben Schwabenmädel umdrängen uns und wetteifern, uns möglichst viel liebe Blicke und freundliche Worte mit auf den Weg zu geben. „Dass ihr mir fein die Franzosen nicht zu uns reinlasst? — Was seid’s ihr eigentlich für welche?“ — „Mir san Bayern!“ — Und einer schreibt mit großen Zügen an die Wagenwand: „Bayerische Löwen! Nicht reizen!“

Wenn der Zug die Halle verlässt, braust der Jubel wie aufschäumende Brandung, ein Winken und Grüßen. — Und wir sind nicht die ersten. Seit Tagen läuft Zug auf Zug hier durch; denn was hier liegt, ging gleich als Grenzschutz an die Front. Doch Begeisterung und Opferwille lassen nicht nach.

Bruchsal ist passiert, es geht zum Rhein. An jedem kleinen Übergang stehen doppelte und vierfache Posten, alte bärtige Landwehrmänner, die dem jubelnden Jungvolk, das da an ihnen vorbeirollt, gutmütig zunicken.

Größere Posten und Feldwachen liegen an der Strecke. Die Gegend wird Busch und Ried. Dahinter liegt der Strom. über dem Grün zeigt sich eine feine schwarze Silhouette, das Gitterwerk der Eisenbahnbrücke. Alles drängt an die Fenster. Breit glänzt der Strom zu unseren Füßen. — „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein“ — aus jeder Kehle tönt’s. Hell wird das Auge und weit das Herz.

Wir draußen

Подняться наверх