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Über die Grenze zurück

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Die letzten Infanteristen verließen gerade das Dorf, als wir zu zweit in Brémenil einritten. Der Ort wurde aufgegeben. Auf den Höhen im Norden sollten wir den nachdrängenden Gegner erwarten. Allein wir wollten sehen, ob es trotz der vielen Truppen, die hier durchzogen, nicht noch etwas Ess- oder Trinkbares in den wenigen nicht niedergebrannten Häusern gäbe. Es hätte uns gewurmt, es den Franzosen zu überlassen. Mit sinkender Sonne galoppierten wir wieder hinaus; ein paar Hühner und einige Flaschen Bier — das letzte, was zu finden war — in den Satteltaschen.

Es war eine eigentümliche Nacht. Unser Detachement lag noch immer allein vorn, mit ungeschützten Flügeln. Niemand wusste, wie stark eigentlich der Feind war. Zu umfassender Aufklärung war die uns beigegebene Eskadron viel zu schwach. Wir kannten nur den Befehl, möglichst starke Kräfte auf uns zu ziehen und in der befohlenen Stellung auszuharren, bis man uns abrief. In einem Waldeck hatten wir uns gelagert. Als nach kurzem Schlummer heftiges Gewehrfeuer uns aufschreckte und die Nachricht kam, dass feindliche Patrouillen den Wald durchstreiften, wanderten wir aus und legten uns für den Rest der Nacht in die Furchen eines nassen Kartoffelackers. Ehe noch die Franzosen heran waren — die Schüsse in der Nacht hatten sich als blinder Alarm herausgestellt — kam der Befehl zum Abzug und das Detachement ging nach Cirey zurück. Wir trabten durch die vor wenigen Tagen genommenen Dörfer, ärgerlich und ein wenig gedrückt über den uns aufgezwungenen Rückzug.

Die Infanterie setzte sich in dem Städtchen fest. Die Artillerie sollte die dahinterliegenden Höhen besetzen.

Der Regimentskommandeur galoppierte die Stellungen ab. Aus den baumbestandenen Wiesen, die sich zum Wald hinaufziehen, wurden allmählich Obstgärten. In geordneten Reihen standen die früchtebehangenen Bäume. Dann kamen Beete, Tarushecken, Kieswege. Der Obstgarten ging in einen Park über. Unvermutet sprang das Schlösschen hinter einer Baumgruppe vor.

Spalierobst rankte an seinen Mauern hoch. Die Tür zur Veranda stand weit offen. Man sah auf einen gedeckten Tisch. Die Sonnenlichter im Blattwerk spiegelten hinein.

Als wir von der Erkundung auf der anderen Seite zurück wieder vor dem Schlosse anlangten, hatten sich Türen und Fenster geschlossen. Die Läden waren vorgemacht. Das eben noch so gastlich geöffnete Haus hatte sich abwehrend wie eine Schnecke in sich zusammengezogen.

Die Batterien sollten in den Obstgärten des Schlosses in Stellung gehen, wir sollten darin Quartier nehmen. Durch die Erfahrungen von Badonviller gewitzigt, näherten wir uns vorsichtig mit schussbereiter Waffe.

Das Haus schlief den Dornröschenschlaf. Alles verschlossen; niemand zeigte sich. Auch hinten im Hof, vor Stallung und Scheune, keine Menschenseele. Auf lautes Rufen und drohendes Pochen kam endlich ein trotz aller Angst sehr soignierter, sehr reservierter Kammerdiener heraus.

Eine zeremonielle Verbeugung: „Wen darf ich bei der Baronin melden?“ Das war unter diesen Umständen ein verblüffender Empfang, aber man findet sich in Kriegszeiten in jede Lage.

Die Baronin war eine wundernette, würdige, weißhaarige Dame. Sie hatte schon den Siebziger Krieg miterlebt und musste nun zum zweiten Mal dieses schwere Leid durchmachen.

Es wäre ein seltenes Vergnügen gewesen, mit der feinsinnigen alten Dame den Abend zu verbringen, aber die Lage war nicht danach angetan. Ein Gefecht stand bevor. Und der einzige Gegendienst, den wir der Hausherrin für die nach anfänglicher Ablehnung im weitesten Maße angebotene Gastfreundschaft leisten konnten, war ein neuer Schmerz für sie — die Eröffnung, dass ihr Haus gefährdet sei und sie gut daran täte, sofort abzureisen. Sie entschloss sich erst nach einigem Drängen dazu. — Es war ein kummervoller Blick, den sie im Abfahren aus der Chaise heraus auf ihr Schloss warf, das sie einem ungewissen Schicksal überließ.

Wir hätten ihren Besitz gern nach Möglichkeit geschont, allein es kamen Chevaulegers, Infanterie und Maschinengewehre, die alle untergebracht und verpflegt sein wollten. In den Gemüsegärten wurden Schützengräben ausgehoben und die prächtigen Obstbäume mussten die Kanoniere fällen, um freies Schussfeld zu haben. Als die Dienerschaft, die sich erst so großartig aufgeführt, merkte, worauf die Sache hinauslief, wurde sie auf einmal ganz klein und demütig. Ihre kopflose Verzweiflung legte sich erst, sobald sie hörten, dass ein Lazarett im Hause eingerichtet werden sollte, und mit brennendem Eifer nähten sie an einer unwahrscheinlich großen Roten-Kreuz-Flagge.

Von der Schlossterrasse flog der Blick weit über das Land, über ein reiches, fruchtbares Land. Der zitternde Sonnenglast, der tagsüber darauf gelegen, wich. Klar und scharf begannen die Hänge und Wege sich abzuzeichnen. Dunkle Massen schoben sich dort in der Ferne herunter — der Feind war im Anmarsch. Gelbe und rote Streifen tigerten den Himmel. Von den Wiesen her, die tagsüber schwer und süß nach Heu und Frucht geduftet, stiegen Abendnebel mit feuchter Schleppe. Die Nacht kam aus den großen Wäldern. Wir wussten nichts von der allgemeinen Lage, noch von den Zielen und Absichten der Heeresleitung. Wir wussten nur, ein überlegener Gegner rückte gegen schwache vorgeschobene Truppen heran. „Die Stellung wird gehalten und entscheidend verteidigt“, das war der Befehl.

Wir schliefen kurzen, unruhigen Schlaf. Die Bedienungsmannschaften hinter den Geschützen, die Abteilungsstäbe hinter den Beobachtungswagen. Der Feind griff unseren rechten Flügel an. Aber das prasselnde Feuer flaute wieder ab, wurde ferner und ferner. Der Angriff war abgewiesen.

Um drei Uhr morgens war alles auf und munter. Noch einmal alles überprüft. Die leichte Munitionskolonne ist entleert, die Geschosskörbe hinter den Geschützen aufgestapelt. An Munition soll es uns nicht fehlen. Die Batterien sind eingegraben und maskiert. Die Telefonleitungen zu den Beobachtungsstellen werden probiert. Anruf, Antwort — die Nerven des Artilleriekörpers sind intakt. Wir liegen mit Scherenfernrohren und Feldstechern in den Deckungen und warten auf den Tag und auf den Feind.

Noch flimmern die Sterne, obschon es sich lichtet im Osten. Ungeheuern gleich wachsen die Geschütze aus dem Dämmern. Davor ein steiler Hang. „Da bricht sich der Ansturm in rasendem Schnellfeuer.“ Frohe Erwartung und doch ein seltsames Gefühl: Infanterie geht leicht beweglich zurück; Artillerie, die zu nah an den Feind kam, kann nicht mehr fort. Für sie gibt es nur eins: Sieg oder Vernichtung. Dem dort hinter den bleichenden Sternen fliegt manches Stoßgebet zu. Hier draußen betet ein jeder; sei’s auf welche Art auch immer, sei’s zu welchem Gott auch immer. Und dann sind wir bereit. . .

Doch der Tag, der anhob wie Heldenepos, endet fast wie eine Posse. Wir gehen zurück, ehe der Feind richtig heran war. Für keinen ist es ein Gefühl der Erleichterung, nur des Zornes und des Ärgers, dass wir noch weiter zurück müssen, über die Grenze, zurück ins — eigene Land.

Wir draußen

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