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Um jeden Fußbreit Boden Der Kampf um Chaulnes und Lihons

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chon dämmert es. Schon verwischen langsam die Konturen von Dächern und Kirchturm des zwischen Bäumen und Büschen fast versteckten Dorfes. Nur kurze Weile noch malt sich die schwarze Silhouette am dunkelnden Nachthimmel, bis die große Finsternis heran ist und alles überschattet mit ihrem Riesenleib.

Da kommt an die Artillerie der Befehl, das Dorf niederzulegen. Büchsenlicht ist längst verdämmert. Allein gleich Panthern haben sich die Geschütze in den Boden gekrallt und den Feind nicht aus den Augen gelassen. Bei Tage wurden Richtung und Entfernung festgelegt. Jetzt sind sie für den Nachtkampf bereit. Eine Richtung ist bestimmt, und von der ausgehend kann der Batterieführer mittels Aufsatz und Seitenverschiebung das Feuer verlegen, wohin er will.

Über die niederen Erdwälle schießen die Rohre der feuernden Geschütze vor und zurück und werfen unter heiserem Bellen den Feuerstrahl gegen den Feind. Rings um den Kirchturm leuchten die Meteore der krepierenden Granaten. Ein lautes Hurra kündet, das sie trafen. Eine helle Flamme schießt hoch, und breiter Feuerschein leuchtet ruhig und majestätisch durch die Nacht.

Chaulnes und Lihons, die beiden Dörfer, leisten noch immer Widerstand und hemmen unseren Vormarsch. Alle bisherigen Anschauungen und Begriffe vom Kampf um Festungen und befestigte Feldstellungen scheinen umgestoßen. Während die großen, für uneinnehmbar gehaltenen Festungen in unerwartet rascher Folge fallen und weder Panzer noch Beton gegen die Granaten der schweren Mörserbatterien standhalten, wird andererseits jedes Dorf zur Festung. Tausende von kleinen Werken entstehen vor unserer Front, die sich trefflich im Gelände verstecken, deren Lage man nicht kennt. Um sie alle zu bekämpfen, reichen die Mittel des Festungskrieges — schwere Batterien und Festungskompagnien — nicht aus. Der feldmäßige Angriff aber kostet unverhältnismäßig hohe Opfer.

Unsere Infanterie ist dennoch mit sinkendem Tag nach Chaulnes hineingekommen und hat es sich in dem eroberten Dorf für die Nacht bequem gemacht. Während die Deutschen in seinem nördlichen Teile nächtigen, lagen die Franzosen noch im südlichen. Doch so todmüde und erschöpft waren Freund und Feind, dass keiner etwas vom andern merkte. Friedlich schliefen sie Wand an Wand. Erst am nächsten Morgen, als das Bataillon weitermarschieren wollte, entbrannte in den engen Dorfgassen neuer Kampf. Ein Kampf, bei dem der „bayrische Hausschlüssel“, der Kolben, seine gewaltige Arbeit verrichten musste, und die Gegner stellenweise so hart aneinander gerieten, dass Gewehr und Bajonett als unnütz fallen gelassen und zum „Griffesten“ gelangt wurde.

Der Angriff schreitet fort. Eine Batterie ist zu seiner Unterstützung vorgeworfen. Sie feuert neben dem Schloss am Ortseingang. Am Rande des alten Parkes ist ihre Beobachtungsstelle. Die Weißdornhecke, die den Park umsäumt, gibt nur gegen Sicht Deckung, nicht gegen Wirkung. Wir liegen im Strichfeuer der feindlichen Infanterie. Über unseren Köpfen singt es und pfeift es. Krachend brechen die Zweige nieder. Der Batteriechef kniet hinter seinem Panzerschild. Unweit davon hält der Kommandeur des angreifenden Bataillons mit Adjutant und Meldeorganen. Der Steinpfeiler am Parkausgang gibt nur einem Mann Deckung, die andern liegen platt auf der Erde. Sssssss..., pftt pfeift es durch die Luft und schlägt kurz und dumpf im Boden ein, als schlucke der den Laut.

Dorf und Schloß Chaulnes müssen ehemals ein feudaler Herrensitz gewesen sein. Das Dorf kauert demütig am Hang vor dem die Höhe krönenden Schloss, wie ein Hund vor seinem Herrn. Eine breite Allee mit alten Bäumen führt hinauf. Zu beiden Seiten duckt sich bescheiden das Gewinkel der Dorfgassen. Nur ein paar Häuser aus neuerer Zeit machen sich demokratisch-selbstbewusst unter den übrigen breit: die Apotheke und die Bäckerei. Jetzt sind es freilich ausgebrannte leere Wände. Die Stockwerke sind niedergebrochen; ein paar im Feuer geglühte verbogene Eisenträger krümmen sich zwischen dem brüchigen Mauerwerk. Nur das protzig in Sandstein gehauene Schild über der Tür „Boulangerie“ deutet noch auf die ehemalige Bestimmung.

Auch die Kirche ist ein Trümmerhaufen. Der Turm ist niedergelegt. Der Schutt liegt meterhoch auf den Steinfliesen. Hier haben unsere Granaten gründliche Arbeit getan. Von den Altären sind nur noch Bruchstücke da. Nur ein Glaslüster unter einem Bogengang blieb wie durch ein Wunder unversehrt.

Was stolz und frei sich in die Höhe reckte, ist gestürzt worden. Wie eine Illustrierung des Wortes: „Wer sich selbst erhöhet, wird erniedrigt werden“, ist es; denn die kleinen bescheidenen Häuschen sind alle unversehrt geblieben.

Das Schloss haben unsere Geschosse verschont. Die hohen Bäume deckten es. Dafür haben die Franzosen die nach Süden offene Front niedergelegt. So ist der Krieg: Was der Feind verschont, zerstören die eigenen Truppen. Durch die ganze Höhe des Baues vom Dach bis zum Keller ist die Wand aufgerissen. Eine klaffende Wunde legt das Innere bloß.

Ein eleganter Salon nimmt die ganze Breite des Gebäudes ein. Durch die Granatrisse tritt man ins Freie. Auf den Teppichen, den Damastmöbeln und Gobelins liegt Schutt und Stein. Ein kostbarer Flügel steht aufgeklappt.

Die rückwärtigen Räume im oberen Stockwerk sind frei von Zerstörung. Eine Flucht von Schlaf- und Toilettezimmern reiht sich aneinander. Dämmerig und still ist es hier hinter den fest geschlossenen Läden. Matt blinken helle Marmorkamine. Kostbare Bronzen auf den Konsolen; Gemälde aus Watteaus und Bouchers Schule an den Wänden; Seide, Brokat und Damast.

Ganz rückwärts liegen die Schlafzimmer von Madame und Monsieur, durch ein Toilettezimmer verbunden. Die breiten freistehenden Betten überschatten von der Decke herabhängende Seidenhimmel. Auf Tischchen Flakons und Toilettegegenstände. An allem noch ein feiner Parfümduft und ein verwehender Hauch persönlichen Lebens.

Fast beklemmend ist es in dem schwülen Dämmer, so unmittelbar ist der Eindruck des Lebens, das noch vor kurzem die Räume erfüllt.

Was ist aus dem Schlossherrn geworden? Wo mag die Dame weilen, die hier geboten? Alles ist geflüchtet, kein Diener, kein Concierge zurückgeblieben, bloßgelegt, preisgegeben, was sorgsamst gehütetes, persönlichstes Gut und eigen war. Um das Schloss tobte der letzte Kampf im Orte. Noch leuchtet es von roten Hosen zwischen dem Grün des Rasens. Vor dem Tor liegt ein Kapitän, das Gesicht zu Boden gewandt. Das Gold blinkt von Käppi und Ärmelstreifen, Gamaschen und Lederzeug sind noch funkelnagelneu. Stand er erst so kurz im Kriege? Traf ihn sobald das Blei?

Sssss. . . sssss pfeifen die Kugeln vom Gefechtsfeld herüber. Tod und Zerstörung. — Am Ende der weiten Rasenfläche schimmert ein Teich. Rot und gelb brennt es zwischen den weißen Steinen der Umfassung. Schon malte der Herbst die Bäume, die ihr Bild in seinen Spiegel werfen. Leicht kräuselt sich die farbenleuchtende Flut. Ein Schwan zieht darüber hin, unberührt, unbewegt, den Hals hoheitsvoll gebogen; — das letzte, was blieb von dem glücklich-stolzen Leben, das hier geherrscht. . . Vor der Übermacht des Gegners kommt unser Angriff zum Stehen. Mittels Schützengraben nistet sich die Infanterie in dem gewonnenen Gelände ein. Allein inzwischen hat auch der Feind Zeit gehabt, seine Stellung so auszubauen, dass ein Sturm bei Tage aussichtslos erscheint. So muss zum Nachtangriff geschritten werden.

Am späten Nachmittag kommt von der Division der Befehl zum Angriff. In Form knapper Gefechtsaufträge geht er von der Brigade weiter an die Regimenter und Bataillone. Gleichzeitig erhält die Artillerie ihre Anweisungen. Sie soll die ganze Nacht über die gegnerischen Verschanzungen unter Feuer halten. Kurze Pausen zu bestimmten Zeiten ermöglichen den Pionieren, die Annäherungshindernisse zu erkunden und zu zerstören.

An einem Waldstück, dicht hinter seinen Truppen, hält der Brigadekommandeur mit seinem Stabe und den zugeteilten Artillerieoffizieren. Die Befehle sind hinausgegangen; wir sitzen und warten. Drei Telefonleitungen führen zu den beiden Regimentern und zur Artillerie. Drei Ohren lauschen aufmerksam.

Die Nacht ist kalt und klar. Gleichmäßig rollt das Artilleriefeuer. Das Telefon quäkt ab und zu und bringt die Meldungen aus der Schützenlinie. Wir wachen und warten. Der Körper erschauert unter der Kälte.

Der Mond verblasst. Der Morgen naht mit ungewissem Dämmern. In raschester Folge krachen und donnern die Geschütze — die letzte Vorbereitung zum Sturm.

Die Reserven marschieren an uns vorbei. Lautlos schiebt sich die vielgliedrige Masse vor; grau in grau. Im dämmernden Frühlicht sehen die Soldaten wie gepanzert aus, gepanzert von Kopf bis zu Fuß. Eine Masse von Stahl ist es, die da lautlos, unwiderstehlich vordrängt in den Tod.

Mit einem Schlage verstummt das Artilleriefeuer. Eine Sekunde herzbeklemmender Stille. Dann setzt das Prasseln der Gewehre umso wütender ein. — Jetzt stürmen sie.

Wir draußen

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