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Über die Meurthe
ОглавлениеAus seiner Bereitstellung auf den Höhen nördlich der Verdurette wurde das Regiment am 24. gegen Mittag vorgeholt. In dem Dörfchen Reherey trafen wir die Feldküche der Infanterie. Das sind ganz famose Fahrzeuge. Wie kleine Dampfmaschinen sehen sie aus mit ihren Kesseln, aus deren Ventilen der Dampf zischt. Morgens kocht darin ein köstlich warmer Kaffee und mittags eine treffliche Suppe mit Fleisch und Kartoffeln.
Mit einer Unbekümmertheit fahren diese „Kriegsfahrzeuge“ auf dem Gefechtsfelde herum, als sei es ausschließlich und allein für sie da. Aber mittags hat die im Gefecht liegende Kompagnie ihr warmes Essen. Und man kann unwidersprochen behaupten, dass ohne die Feldküchen solche Leistungen, wie sie unsere Infanterie hinter sich hat, unmöglich wären.
Uns armen Artilleristen hat man leider keine zugeteilt, und so sind wir öfters darauf angewiesen, an die Wohltätigkeit der Infanterie zu appellieren, die im Überfluss hat. Ein unnachahmlicher Stolz zeigt sich dann auf den bärtigen Gesichtern der alten Küchenfeldwebel, wenn man ihre Suppe über den grünen Klee lobt.
Aber heute ist keine Zeit zu noch so flüchtigem Imbiss. Es geht plötzlich vor. Ein Gegenstoß hat eingesetzt.
Stäbe karrieren über das Feld, Ordonnanzen sausen auf schweißflockigen Pferden. Die Batterien werden vorgeworfen bis dicht hinter die Schützenlinien.
In dem Kommandoruf des Batteriechefs schwingt ein Ton, als wolle er jeden einzelnen persönlich treffen; ein eiserner, klingender Ton, der diesen vielgestaltigen Körper zusammenfasst, zusammenschweißt zu einer Einheit, zu schlagbereiter Waffe in des Führers Hand.
In jedes Herz greift der Ruf, in dem übermenschliches Wollen bebt, spannt den Willen, strafft den Körper. —
„Batterie Galopp!“ — Die Pferde werfen die Leiber, strecken sich in den Geschirren. Mit einem Sprung setzt Geschütz hinter Geschütz an. „Batterie Galopp!“ Die Pferde schnauben, die eisenbeschlagenen Räder donnern über die Steine. Die nachgerissenen Geschütze hüpfen und springen. Hoch wirbelt der Staub.
„Batterie Galopp!“ — und hinein in die krachende, lärmende Brandung da vorn.
Es ist ein Augenblick, wie er in Gefechtstagen und -stunden nur für kürzeste Zeitspannen einsetzt, ein Höhepunkt, in dem zwei Willen mit äußerster, verzweifeltster Kräfteanspannung gegeneinander ringen.
Und es rauscht und singt. Wie unsichtbare Mücken durchschwirren die Infanteriegeschosse die Luft. Über dir, neben dir ein pfeifendes Singen. Gib Acht! Sie stechen dich tot, wenn sie dich treffen. Weiße Wölkchen am Himmel! Die Luft zerreißt. Und unten am Boden ausspritzende Fontänen, aufgewühlte Erdtrichter.
Und es donnert und bricht. O Symphonie der Schlacht! Krach auf Krach — das Feuer der Batterien, der Regenschauer des Infanteriefeuers, und zur Seite rasselt das Uhrwerk der Maschinengewehre ab. Tack, tack, tack, takkkkk: ein schauerlicher Wecker.
Der Tod geht über das Feld und mäht und mäht mit breitem, sicherem Schnitt. . .
Ein Augenblick, wie ihn die Nerven nur kurze Zeit ertragen, ohne zu zerreißen. Beim anderen versagen sie zuerst. Er weicht! Wie mit einem Schlag verebbt, verstummt der Höllenlärm.
Der Tod ging über das Feld. Die Batterie dort am Waldrand, die uns mit Feuer überschüttete: verlassene Trümmer. Die Schützenlinie vor uns, hat sie den Kommandoruf nicht gehört? Starr bleibt sie liegen. Der Tod ging über das Feld. Wir gehen vor. Hinter uns bleibt der Jammer. . .
Die Franzosen haben Baccarat geräumt und sind über die Meurthe zurück. Wir können ihnen erst morgen folgen. Zwar sind die Brücken in der Stadt noch intakt, allein zu häufig war bisher heimtückischer Überfall der Zivilbevölkerung, als dass man wagen könnte, bei einbrechender Dunkelheit Truppenkolonnen durch den Ort zu senden, ehe dieser völlig gesäubert. So muss der Divisionsbrückentrain vor, um in der Nacht Kriegsbrücken über den Fluss zu schlagen.
Es ist ein taufrischer Morgen. Wir reiten den Wiesengrund hinunter. Grünlich-trüb fließt träge das Wasser. Darauf schwimmen schwer und plump die breiten Pontons. Mit langen Stangen stemmen die Pioniere die verankerten Boote gegen die Strömung.
Unter dem Hufschlag dröhnt der Bohlenbelag. „Dept. Meuthe et. Moselle“ steht auf allen Wegweisern. Die erste wäre gewonnen. Wann ziehen wir über die zweite?
In früher Morgenstunde haben die Franzosen einen Angriff versucht. Beim Gewehrputzen im Biwak überfielen sie ein vorgeschobenes Regiment. Jetzt tobt der Waldkampf. Wir kommen gerade rechtzeitig, die Unsrigen durch einige Batterien zu stützen.
Im Gefecht sind Niederbayern aus der Gegend von Passau. Dieser schöne Landstrich ist berühmt wegen der Rauflust seiner Bewohner. Einer nennt eine phantastisch hohe Ziffer von Regimentsangehörigen, die wegen Körperverletzung vorbestraft sein sollen. — „Ja, die Bayern“, meint der General lächelnd, „von denen hat ein jeder sein ‚Grissestes’ im Stiefel, einschließlich des Regimentskommandeurs.“
Aber sie gehen auch los wie die Teufel. Eine Kompagnie ist zum Sturmangriff gekommen und hat den Feind mit dem Bajonett geworfen. Das ist ihrer aller Wunsch: Ran an den Feind, dem Franzmann an die Gurgel. Der aber schießt lieber aus dem Hinterhalt.
Überfall mit Unterstützung verräterischer Landeseinwohner: das ist der Franzosen liebste Taktik. Immer wieder werden Bauern, Lehrer oder Pfarrer dabei erwischt, wie sie mit dem feindlichen Heere konspirieren, ihm Spionendienste leisten. Die sonderbarsten Methoden müssen zur Nachrichtenübermittlung dienen. So ist die Heeresleitung dahinter gekommen, dass das Läuten der Kirchenglocken bestimmte Zeichen bedeutete. Da liegt der Verdacht nahe: auch der bei unserem Standpunkt laufende Windmotor mag ein Signal sein. Der Verdacht wächst, als sich herausstellt, dass die Abstellvorrichtung zerstört ist.
Surrend dreht sich das Windrad. Doch wozu war man früher Ingenieur. Die Leiter geht’s hinauf, um den durchfeilten und in die Höhe geschnellten Sperrdraht wieder einzufangen. Ssss pfeifen die Kugeln. Sie können nicht hindern, dass innerhalb einer Viertelstunde die Maschine steht.
Am Abend wird in Baccarat requiriert. Bei dem raschen Vorgehen können die Lebensmittel-Wagen nicht immer folgen. Da muss das Land den Krieg ernähren, soweit es geht.
Auch in Baccarat wurde heute Morgen gekämpft. Häuserreihen sind zusammengeschossen, andere brennen. Auf der großen Brücke über die Meurthe, nahe dem Hôtel du pont, liegt ein Haufen toter Franzosen. Über die ganze Brücke in Reihen hinter- und nebeneinander liegen sie. Ein Maschinengewehr muss sie erfasst und hingemäht haben wie reifes Korn.
Unweit der Brücke liegt ein schattiger Park mit uralten Bäumen, darin ein entzückendes Schloss. In eiliger Flucht haben es die Bewohner verlassen. Jetzt weiden die Pferde zwischen den blutroten Rosen. Hungrige Soldaten haben Küche und Keller nach Trink- und Essbarem durchsucht.
Nur das Spielzimmer neben der Treppe ist unversehrt, als hätten seine kleinen Bewohner es eben erst verlassen. In ihrem Bettchen schlafen Puppen, in einer Ecke sitzt ein großer Teddybär mit verwunderten Augen, und auf dem Teppich mitten im Zimmer liegt ein Haufen Soldaten. Es sind schöne, große französische Bleisoldaten mit roten Hosen und blauen Mänteln. In dichten Reihen hinter- und nebeneinander liegen sie da — wie die draußen auf der Brücke. Ja, ja, das Spiel ist aus, nur das Einpacken hat man vergessen.